Aktenzeichen M 10 K 15.1246
BGS/WAS § 5 Abs. 2 S. 3
Leitsatz
Maßgeblich für den Fristbeginn der Festsetzungsverjährung nach Art. 13 Abs. 1 S. 1 BayKAG, §§ 169 ff. AO ist die positive Kenntnis des nach dem innerbehördlichen Geschäftsverteilungsplan zuständigen Amtswalters von den Erlass eines Verwaltungsakts rechtfertigenden Tatsachen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Nach § 101 Abs. 2 VwGO kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden.
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Bescheide vom 27. Juli 2012 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 23. Februar 2015 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Bescheide vom 27. Juli 2012 sind hinsichtlich beider Doppelhaushälften und sowohl bezogen auf die Wasserversorgung als auch bezogen auf die Entwässerung rechtmäßig. Es liegen wirksame Rechtsgrundlagen vor (dazu unter 1.), deren Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind (dazu unter 2.). Es liegt weder Festsetzungsverjährung (dazu unter 3.) noch ein gesetzlicher Ausschluss der Beitragsfestsetzung (dazu unter 4.) vor und der Kläger ist richtiger Adressat der Verwaltungsakte (dazu unter 5.)
1. a. Rechtsgrundlage für die Bescheide vom 27. Juli 2012 hinsichtlich der Wasserversorgung in beiden Doppelhaushälften ist die Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung der Gemeinde … (BGS/WAS) vom 5. Dezember 1995, die am 1. Januar 1996 in Kraft getreten ist. Zweifel an der formellen und materiellen Wirksamkeit der BGS/WAS, die hinsichtlich ihres Beitragsteils aufgrund der Ermächtigung des Art. 5 KAG erlassen wurde, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Dagegen ist die vorige BGS/WAS der Beklagten vom 1. Januar 1992 nichtig. Denn § 5 Abs. 2 BGS/WAS 1992 unterscheidet die Beitragspflicht unzulässigerweise bezüglich der einzelnen Geschosse danach, ob sie einen Wasseranschluss haben. Mit der vorgesehene Beschränkung der Beitragspflicht auf einzelne Geschosse verstößt diese Regelung nach ständiger Rechtsprechung gegen das Prinzip des adäquaten Vorteilsausgleichs und den Gleichheitssatz und führt, da sie einen zentralen Bestandteil der Verteilungsregelung betrifft, zur Ungültigkeit der gesamten Beitragssatzung (vgl. z. B. BayVGH, U. v. 27.02.2003 – 23 B 02.1032 – juris Rn. 28 m. w. N.). Somit entstand die Beitragspflicht des Klägers mit Inkrafttreten der Satzung 1996.
Die Ermächtigung zum Erlass der Nacherhebungsbescheide findet sich in § 2 BGS/WAS. Entgegen der Auffassung der Beklagten und der Widerspruchsbehörde handelt es sich nicht um einen Fall der nachträglichen Änderung (gem. § 5 Abs. 4 Satz 1 BGS/WAS). Denn unstreitig hat der Kläger das Dachgeschoss nicht nachträglich ausgebaut, sondern bereits mit Errichtung des Gebäudes. Es liegt also keine nachträgliche Änderung maßgeblicher Umstände vor. Jedoch ist der Beklagten unbenommen, bis zur Grenze der Verjährung Herstellungsbeiträge zu erheben, welche bereits bei Bezugsfertigkeit des Gebäudes angefallen sind, jedoch noch nicht erhoben wurden. Die Beitragsbescheide von 1994 vermitteln keinen Vertrauensschutz dahingehend, dass keine weiteren Herstellungsbeiträge erhoben werden.
b. Die Bescheide, die sich auf die Entwässerung beziehen, stützen sich auf die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung der Gemeinde … (BGS/EWS) vom 5. Dezember 1995, die am 1. Januar 1996 in Kraft getreten ist. Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der Satzung sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Bescheide finden ihre Rechtsgrundlage in § 2 BGS/EWS 1995. Die vorangegangene BGS/EWS vom 8. Dezember 1992 ist dagegen nichtig. Denn sie differenziert in § 5 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 2. Halbs. nach Geschossen mit und ohne Schmutzwasserableitung. Das ist wie bei der BGS/WAS 1992 ein Verstoß gegen das Prinzip des adäquaten Vorteilsausgleichs und gegen den Gleichheitssatz.
2. Die Tatbestandsvoraussetzungen liegen vor. Unstreitig ist das Dachgeschoss 2 in beiden Doppelhaushälften ausgebaut und somit nach § 5 Abs. 2 Satz 3 BGS/WAS 1995 und § 5 Abs. 1 Nr. 2 BGS/EWS 1995 heranzuziehen. Mit den ursprünglichen Herstellungsbeitragsbescheiden vom 26. April 1994 wurden nur die Dachgeschosse 1, nicht aber die über diesen befindlichen Dachgeschosse 2 in beiden Doppelhaushälften veranlagt. Die festgesetzte Beitragshöhe übersteigt nicht die Beträge, die nach den am 1. Januar 1996 in Kraft getretenen Satzungen erhoben werden konnten: Nach der damaligen BGS/WAS waren 6 DM, also 3,07 Euro pro m² Geschossfläche zugrunde zu legen (bei 36,43 m² pro Doppelhaushälfte Geschossfläche also 111,84 Euro). Nach der damaligen BGS/EWS waren 30 DM pro m² Geschossfläche, also 15,34 Euro zugrunde zu legen (bei 36,43 m² Geschossfläche pro Doppelhaushälfte also 558,84 Euro). Diese Beträge überschritt die Beklagte in den Bescheiden vom 23. Juli 2012 nicht.
3. Die Festsetzungsverjährung tritt gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 KAG, §§ 169 ff. AO nach vier Jahren ein. Maßgeblich für den Fristbeginn ist die Kenntnis des zuständigen Sachbearbeiters. Denn Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 b cc 1. Spiegelstrich KAG legt fest, dass die Festsetzungsfrist dann, wenn die Forderung im Zeitpunkt des Entstehens aus tatsächlichen Gründen noch nicht berechnet werden kann, erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Berechnung möglich ist. Nach der Rechtsprechung erlangt eine Behörde positive Kenntnis von Tatsachen, die den Erlass eines Verwaltungsaktes rechtfertigen, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zum Erlass berufene Beamte oder ein sonst innerbehördlich zur rechtlichen Überprüfung berufener Amtswalter die den Erlass des Verwaltungsaktes rechtfertigenden Tatsachen feststellt (BayVGH, B. v. 17.8.2001 – 23 ZB 01.1553 – juris m. w. N.; BayVGH U. v. 10.12.2007 – 23 B 07.1974 – juris; VG München, U. v. 4.3.2011 – M 10 K 09.5883 – juris).
Entgegen der Ansicht der Klägerseite kann daraus, dass der Beklagten der Eingabeplan vom 8. Oktober 1993 bekannt war, nicht auf eine Kenntnis des Dachgeschossausbaus für beide Dachgeschossebenen geschlossen werden. Denn im Plan sind das Dachgeschoss 2 und der entsprechende Ausbauzustand nicht dargestellt. Dass dem zuständigen Sachbearbeiter der Ausbau des Dachgeschosses 2 aus anderen Gründen bekannt war oder bekannt wurde, ist vom Kläger nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Kenntnis der maßgeblichen Umstände, nämlich dass das Dachgeschoss 2 ausgebaut ist, erhielt die zuständige Sachbearbeiterin mithin erst 2010 durch den Abgleich der Aufmaßblätter. Als die Bescheide 2012 erlassen waren, waren noch keine vier Jahre vergangen und die Festsetzungsverjährung mithin noch nicht eingetreten.
4. Auch die zwanzigjährige Frist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b bb 2. Spiegelstrich KAG war 2012, als die Bescheide erlassen wurden, noch nicht verstrichen. Denn unstreitig war das Doppelhaus jedenfalls nicht vor 1994 bezugsfertig, so dass die Vorteilslage keinesfalls vor 1994 eintrat und mithin weniger als 20 Jahre vor Erlass der Bescheide 2012.
5. Der Kläger ist Beitragsschuldner und damit richtiger Adressat der Bescheide. Nach § 4 BGS/WAS 1995 und § 4 BGS/EWS 1995 ist Beitragsschuldner, wer im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragsschuld Eigentümer des Grundstücks oder Erbbauberechtigter ist. Der Kläger war Eigentümer der Doppelhaushälfte …-str. 5 bis zum 9. Januar 1996 und Eigentümer der Doppelhaushälfte …-str. 5a bis zum 20. Juli 2000.
Zu diesen Zeitpunkten war die Beitragspflicht bereits wirksam entstanden. Voraussetzung des Entstehens der Beitragsschuld ist eine wirksame Beitragssatzung. Die am 1. Januar 1996 in Kraft getretene BGS/WAS und die am 1. Januar 1996 in Kraft getretene BGS/EWS der Beklagten sind wirksame Rechtsgrundlagen für das Entstehen der jeweiligen Beitragspflichten (s.o.).
6. Die Klage war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
7. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 1302,44 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.