Verwaltungsrecht

Nachträgliche Herausnahme einer Teilprüfung aus der Wertung der Prüfung

Aktenzeichen  M 4 K 15.1955

Datum:
28.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 12 Abs. 1 S. 1, Art. 33 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

Die nachträgliche Herausnahme einer Teilaufgabe aus der Wertung einer Qualifikationsprüfung stellt grundsätzlich keinen Mangel des Prüfungsverfahrens dar. Je kleiner dabei der betroffene Prüfungsteil ist, desto eher ist die nachträgliche Herausnahme dieses Teils aus der Wertung der Prüfung verhältnismäßig.   (redaktioneller Leitsatz)
Ein Prüfling muss sich mit einer Rüge von Prüfungsmängeln an die nach den Umständen zuständige Stelle wenden. Ausschlussfristen in einer Prüfungsordnung sind einzuhalten; der Prüfling soll nicht erst das Prüfungsergebnis abwarten können, um sich danach unter Berufung auf ihm bereits zuvor bekannte Mängel eine zusätzliche Prüfungschance verschaffen zu können.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Prüfungsbescheid vom 28. Juli 2014 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 2. und 7. April 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat somit keinen Anspruch auf Fortsetzung des Prüfungsverfahrens und Wiederholung der Prüfungsaufgabe 4 der schriftlichen Prüfung (§ 113 Abs. 5, Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-).
Die Ausnahme des Teilbereichs Tierschutzrecht aus der Wertung in der Prüfungsaufgabe 3 stellt schon keinen Mangel des Prüfungsverfahrens im Sinne von § 34 Abs. 1 APO dar. Selbst wenn man von einem Mangel des Prüfungsverfahrens ausginge, wurde dieser vom Kläger nicht rechtzeitig innerhalb der Fristen des § 34 Abs. 2 APO gerügt. Zudem ist zweifelhaft, ob der Kläger – bei Annahme eines formellen Prüfungsmangels und rechtzeitiger Rüge – durch den Prüfungsbescheid in seinen Rechten verletzt wäre.
1. Die Entscheidung des Beklagten, den Teilbereich Tierschutzrecht nachträglich aus der Wertung zu nehmen, stellt keinen Mangel des Prüfungsverfahrens im Sinne von § 34 Abs. 1 APO dar.
Der Beklagte hatte zwei Möglichkeiten, auf die Teilkenntnis des Prüfungssachverhalts zu reagieren; entweder die Prüfungsaufgabe 4 komplett zu wiederholen oder den tierschutzrechtlichen Teil aus der Wertung zu nehmen. Dass sich der Beklagte dafür entschied, den tierschutzrechtlichen Teil aus der Wertung zu nehmen, ist nicht zu beanstanden; diese Maßnahme war geeignet, erforderlich und angemessen, um die Chancengleichheit der Prüflinge zumindest annähernd wiederherzustellen und Bedingungen zu schaffen, die mit denjenigen bei normalem Prüfungsablauf vergleichbar sind (vgl. zu diesem Maßstab BVerwG, Urt. v. 10.10.2002 – 6 C 7.02 – NJW 2003, 1063; Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, Rn. 498).
Sowohl mit einer Wiederholung der Prüfung als auch mit der Ausnahme des Teilbereichs Tierschutzrecht aus der Wertung waren Vor- und Nachteile verbunden. Durch die Nichtwertung des Teilbereichs Tierschutzrecht hatten die Prüflinge, die den tierschutzrechtlichen Sachverhalt nicht kannten, einen Nachteil, da ihnen weniger Zeit zur Verfügung stand, um die restliche Prüfungsaufgabe zu bearbeiten. Andererseits bestand die Gefahr, dass ein nicht unerheblicher Teil der Prüflinge, die den Teilsachverhalt nicht kannten, sich im Wiederholungsfall verschlechtert hätte.
Das Gericht ist der Auffassung, dass die vom Beklagten gewählte Maßnahme verhältnismäßig ist, da eine Wiederholung der Prüfung mit den größeren Nachteilen verbunden gewesen wäre.
Dabei geht das Gericht bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit von folgendem Grundsatz aus: Je kleiner der betroffene Prüfungsteil ist, desto eher ist eine Entscheidung, diesen Teil nachträglich aus der Wertung zu nehmen, verhältnismäßig bzw. je größer der betroffene Prüfungsteil ist, desto eher ist die Wiederholung der Prüfungsaufgabe verhältnismäßig. Vorliegend stellt der Teilbereich Tierschutzrecht zur Überzeugung des Gerichts einen im Vergleich zur restlichen Aufgabenstellung sowohl vom Umfang als auch vom Schwierigkeitsgrad sehr untergeordneten Prüfungsteil dar, der – wie der Beklagte zu Recht ausführt – höchstens zehn Prozent der Prüfungsaufgabe ausmacht. Die Entscheidung des Beklagten, den Prüfungsteil aus der Wertung zu nehmen, war auch geeignet, da auch nach Ausnahme des (nicht zum Pflichtstoff gehörenden) Teilbereichs Tierschutzrecht eine Differenzierung und Prüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten der Prüfungsteilnehmer weiter möglich war. Sie war zudem milder, da nicht alle Prüflinge erneut mit einer belastenden Prüfungssituation konfrontiert werden mussten.
Entgegen dem Vorbringen der Bevollmächtigten des Klägers verstößt die ergriffene Maßnahme nicht gegen § 30 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Fachlaufbahn Polizei und Verfassungsschutz FachV-Pol/Vs, wonach vier Prüfungsaufgaben à 180 Minuten zu fertigen sind. Auch stellt die Wiederholung einer Prüfungsaufgabe nicht die einzig rechtmäßige Reaktionsmöglichkeit nach § 34 Abs. 1 APO dar. Denn auch für § 30 Abs. 1 Satz 1 FachV-Pol/Vs und § 34 APO gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dafür spricht zudem, dass der Behörde für die Anordnung der Wiederholung einer Prüfung nach § 34 Abs. 1 APO Ermessen zusteht.
Eine Wiederholung der Prüfung kann bei geringen Verfahrensfehlern unverhältnismäßig sein. Ist es in einem Prüfungsraum beispielsweise deutlich zu kalt und rügt ein Prüfling dies zu Beginn der Prüfung, erscheint es als augenscheinlich unverhältnismäßig, als einzige Reaktionsmöglichkeit des Beklagten eine Wiederholung der Prüfung anzunehmen – obwohl durch Aufdrehen der Heizung binnen kürzester Zeit Abhilfe möglich ist. Bei der Auswahl der zu ergreifenden Maßnahme ist daher auch hier das Prinzip des geringstmöglichen Nachteils zu beachten (BVerwG, Urt. v. 19.12.2001 – 6 C 14.01 – NVwZ 2002, 1375; Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, Rn. 498, 503).
2. Selbst wenn man von einem Mangel des Prüfungsverfahrens ausginge, hat der Kläger diesen jedenfalls nicht rechtzeitig im Sinne von § 34 Abs. 2 Satz 1 APO, das heißt unverzüglich, gerügt. Nach § 34 Abs. 2 Satz 2 APO kann ein Prüfling Mängel zudem nicht mehr geltend machen, wenn seit dem Abschluss des Prüfungsabschnitts, der mit Mängeln behaftet war, ein Monat verstrichen ist.
a) Im Ankreuzen von „Nein“ des Klägers bei der schriftlichen Befragung aller Schüler am 25. Mai 2014 ist schon deshalb keine Rüge zu sehen, weil der mit der Klage geltend gemachte Verfahrensfehler in Form des beanstandeten Beschlusses des Prüfungsausschusses, den Teilbereich Tierschutzrecht von der Wertung auszunehmen, von diesem noch gar nicht gefasst war und deshalb auch nicht gerügt werden konnte.
b) Auch die Gespräche mit dem Dienststellenleiter und dem Personalrat am 24. Juli 2014 stellen keine ordnungsgemäße Rüge des Klägers dar. Eine etwaige Rüge in diesen Gesprächen erfolgte weder gegenüber dem zur Entgegennahme zuständigen Prüfungsausschuss noch erfolgte sie rechtzeitig.
(1) Ein Prüfling muss sich mit seiner Rüge an die nach den Umständen erkennbar zuständige „Person“ wenden (Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, Rn. 479), hier die Mitglieder des Prüfungsausschusses. Weder der Dienststellenleiter noch der Personalrat waren für die Entgegennahme einer Rüge zuständig.
(2) Darüber hinaus erfolgte die Rüge nicht rechtzeitig.
Zum einen wurde sie vom Kläger nicht unverzüglich im Sinne von § 34 Abs. 2 Satz 1 APO erhoben. Unverzüglich bedeutet „ohne schuldhaftes Zögern“. Die Rüge muss zu dem nach Zumutbarkeitskriterien zu bestimmenden frühestmöglichen Zeitpunkt erhoben werden (Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, Rn. 283, 482). Frühestmöglich hätte der Kläger den seiner Meinung nach vorliegenden formellen Fehler im Anschluss an die Mitteilung seines Klassenlehrers am 5. Juni 2014 (oder wenige Tage später), mit der ihm erstmalig bekannt wurde, dass der Teilbereich Tierschutzrecht von der Wertung ausgenommen wurde, rügen können. Von Klägerseite wurden keine Gründe vorgetragen, wieso der Kläger eine Rüge erst zu einem späteren Zeitpunkt vornehmen konnte.
Darüber hinaus war bei einer Rüge am 24. Juli 2014 die in § 34 Abs. 2 Satz 2 APO verankerte Ausschlussfrist von einem Monat bereits deutlich überschritten.
Hinzu kommt, dass der Kläger erkennbar erst die mündliche Mitteilung des Prüfungsergebnisses durch seinen Dienststellenleiter zum Anlass nahm, um gegen die Bewertung seiner Prüfungen vorgehen zu wollen. Ausschlussfristen, wie sie § 34 Abs. 2 APO enthält, dienen im Prüfungsverfahren aber gerade auch dazu, dass die Chancengleichheit unter den Prüflingen gewahrt wird. Ein Prüfling soll nicht das Prüfungsergebnis abwarten können, um sich danach unter Berufung auf die ihm bereits zuvor bekannten Mängel eine zusätzliche Prüfungschance verschaffen zu können (BVerwG, Urt. v. 22.6.1994 – 6 C 37/92 – juris Rn. 18; BayVGH, B. v. 13.7.2009 – 7 ZB 08.163 – juris Rn. 13; VG Dresden, Urt. v. 2.12.2010 – 5 K 1483/08 – juris Rn. 160;). Gerade diese Situation läge aber bezogen auf den Kläger vor.
c) Die ausdrückliche Rüge im Widerspruch vom 11. November 2014 erfolgte weder unverzüglich noch in der Monatsfrist des § 34 Abs. 2 Satz 2 APO.
d) Eine Rüge war im vorliegenden Fall auch nicht entbehrlich, weil der Kläger angegeben hatte, dass er keine vorherige Kenntnis von der Prüfungsaufgabe hatte. Eine Fallgestaltung wie im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Januar 1993 (BVerwG, B. v. 15.1.1993 – 6 B 11/92 – juris Rn. 7; Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, Rn. 481), in der eine Rüge als entbehrlich angesehen wird, wenn ein Prüfungsmangel von anderen Prüflingen bereits in der gehörigen Form gerügt wurde oder Abhilfemaßnahmen schon eingeleitet waren, liegt hier nicht vor.
e) Treu und Glauben bzw. eine besondere Fürsorgepflicht führen auch zu keinem anderen Ergebnis. Zwar ist eine solche Fürsorge- bzw. Hinweispflicht einer Behörde in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt, wenn sich ein Prüfling bei seinen Verfahrenshandlungen erkennbar in einem Irrtum befindet und ihm daraus Nachteile drohen (BVerwG, B. v. 12.3.2004 – 6 B 2/04 – juris Rn. 26; B. v. 6.9.1995 – 6 C 18/93 – juris Rn. 38). Eine solche Fallgestaltung liegt hier jedoch nicht vor.
3. Ohne dass es hierauf noch entscheidungserheblich ankommt, ist zudem zweifelhaft, ob der Kläger bei Annahme der Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheids gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in seinen Rechten verletzt wäre. Denn auch ohne Ausnahme des Teilbereichs Tierschutzrecht aus der Wertung hätte der Kläger die Qualifikationsprüfung ebenfalls nicht bestanden. Der Erstkorrektor hätte die vierte Prüfungsaufgabe zwar mit 5 Punkten bewertet, der Zweitkorrektor jedoch mit nicht mehr als 4 Punkten. Mit 4,5 Punkten hätte der Kläger die zum Bestehen notwendigen 5 Punkte ebenfalls nicht erreicht.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung -ZPO-.
Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 15.000,00 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. Nr. 36.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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