Verwaltungsrecht

Neufestsetzung des Ruhegeldes – Vertrauensschutz

Aktenzeichen  21 ZB 17.649

Datum:
4.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 28137
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwVfG § 24, § 25, § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Der Rücknahme eines Ruhegeldbescheides steht kein Vertrauensschutz des Versorgungsempfängers entgegen, wenn er seiner Mitteilungspflicht über den Bezug einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht nachgekommen ist. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dieser Ausschluss des Vertrauensschutzes entfällt nicht schon dann, wenn die Behörde auf die Angaben nicht angewiesen war oder von Amts wegen hätte ermitteln müssen (vgl BVerwG BeckRS 9998, 170156). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

12 K 14.4230 2015-06-25 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 45.554,11 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger führt den Rechtsstreit als Alleinerbe seiner Mutter Marianne Herl fort, die nach dem Tod des Bezirksschornsteinfegermeisters Richard Herl das Verfahren als Alleinerbin aufgenommen hatte. Er wendet sich gegen die gegenüber Herrn Richard Herl ausgesprochene rückwirkende Neufestsetzung des Ruhegelds und gegen die Festsetzung der zu erstattenden Leistung.
Die Bestellung des Herrn Richard Herl zum Bezirksschornsteinfegermeister wurde auf dessen Antrag hin am 2. April 2003 aufgehoben. Herr Richard Herl beantragte am 7. Mai 2003 bei der Beklagten Ruhegeld und legte in der Folgezeit einen Bescheid der Landesversicherungsanstalt Rheinland-Pfalz (LVA) vom 26. November 2002 vor, dem zufolge er eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erhielt. Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 6. Juni 2003 das Ruhegeld für die Zeit ab dem 1. April 2003 fest. In dem Bescheid ist bestimmt, dass die Anlagen a („Berechnung mit Anlage“) und b („Merkblatt“) „Bestandteile dieses Bescheides“ sind. Zudem wurde ausdrücklich um die Beachtung der „Anzeigepflichten im Merkblatt“, insbesondere der Nummern III und IV gebeten. In Nummer III des Merkblattes („Anzeigepflichten“) ist ausgeführt: Die Höhe der von der Versorgungsanstalt zu zahlenden Versorgungsbezüge werde durch die auf Pflichtversicherung beruhenden Teile der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung mitbestimmt und der Ruhegeldempfänger sei daher verpflichtet, der Beklagten Änderungen dieser Renten sofort mitzuteilen und ihr gleichzeitig den neuen Rentenbescheid mit sämtlichen Anlagen zuzusenden; Bezüge, die infolge der Verletzung einer Anzeigepflicht zuviel gezahlt würden, seien zurückzuerstatten.
Mit unbeantwortet gebliebenem Schreiben vom 18. März 2004 wies die Beklagte Herrn Richard Herl darauf hin, dass er nach ihren Unterlagen unter Berücksichtigung seines Geburtsdatums ab dem 1. Juni 2004 einen Anspruch auf Altersrente für langjährig Versicherte ab dem 63. Lebensjahr habe; Herr Richard Herl wurde darum gebeten, sich diesbezüglich mit der LVA in Verbindung zu setzen und der Beklagten mitzuteilen, ob er einen entsprechenden Antrag stellen werde.
Mit Schreiben der Beklagten vom 4. März 2014 wurde Herrn Richard Herl mitgeteilt, nach Durchsicht der Akten sei nunmehr festgestellt worden, dass er unter Berücksichtigung seines Geburtsdatums (14.5.1941) ab 1. Juni 2006 eine Regelaltersrente beziehe. Gleichzeitig wurde um Vorlage des Rentenbescheids gebeten. Eine Antwort blieb aus. Die Beklagte erhielt den Rentenbescheid vom 8. März 2006 über die Zahlung von Regelsaltersrente ab dem 1. Juni 2006 im Wege der Amtshilfe von der Deutschen Rentenversicherung Rheinland-Pfalz.
Mit Bescheid vom 22. April 2014 berechnete die Beklagte das Ruhegeld rückwirkend ab dem 1. Juni 2006 neu. Die zu erstattende Leistung wurde in Höhe von 45.554,11 Euro festgesetzt.
Die Beklagte wies den Widerspruch des Herrn Richard Herl mit Widerspruchsbescheid vom 25. August 2014 als unbegründet zurück.
Mit Urteil vom 25. Juni 2015 hat das Verwaltungsgericht München die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung, den der Kläger als Alleinerbe seiner Mutter Marianne Herl weiterverfolgt, die nach dem Tod des Bezirksschornsteinfegermeisters Richard Herl das Verfahren als Alleinerbin aufgenommen hatte (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 239 Abs. 1, § 246 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO), hat keinen Erfolg.
1. Das zur Begründung des Zulassungsantrags innerhalb der Frist Dargelegte, auf dessen Prüfung der Senat im Grundsatz beschränkt ist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt es nicht, die Berufung wegen der allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
1.1 Das Verwaltungsgericht führt zur Begründung seines Urteils unter anderem aus, der Teilrücknahme des Ruhegeldbescheids vom 6. Juni 2003 könne kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des Bescheids entgegengehalten werden. Auf Vertrauen könne sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt habe, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gewesen seien (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG). Dem Erwirken durch unrichtige oder unvollständige Angaben stehe es gleich, wenn der Betroffene es unterlasse, maßgebliche Tatsachen, die Grundlage für die Gewährung einer (laufenden) Geldleistung seien, anzuzeigen, obwohl er hierzu verpflichtet gewesen sei. Der Ruhegeldempfänger sei vorliegend nicht der Verpflichtung nachgekommen, der Beklagten den Bezug der Altersrente ab dem 1. Juni 2006 anzuzeigen.
1.2 Der Kläger wendet dagegen im Wesentlichen Folgendes ein: Im angefochtenen Urteil werde die Entscheidungserheblichkeit der unvollständigen Angabe fehlerhaft gewürdigt. Das Verwaltungsgericht nehme zwar Bezug auf das Schreiben der Beklagten vom 18. März 2004. Allerdings werde es unzutreffend dahingehend ausgelegt, dass es nicht auf den Willen der Beklagten schließen lasse, den Empfänger des Ruhegelds entgegen der Regelung im Ruhegeldbescheid vom 6. Juni 2003 von seiner Anzeigepflicht freizustellen. Dementgegen habe die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 18. März 2004 erkennen lassen, dass sie auf die vom verstorbenen Herrn Richard Herl unterlassene Information nicht angewiesen sei. Herr Richard Herl habe im Hinblick auf dieses Verhalten der Beklagten darauf vertrauen dürfen, dass sie ihren Verpflichtungen nach §§ 24, 25 VwVfG nachkomme. Denn wenn eine Behörde erkennbar auf bestimmte Informationen keinen Wert lege, könne eine Unvollständigkeit nicht später dem Betroffenen zur Last gelegt werden. Eine offensichtliche Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit, welche die Behörde erkennen hätte können, und die für sie Anlass zu einer weiteren Klärung des Sachverhalts gemäß § 24 bzw. § 25 VwVfG hätte sein müssen, würde eine Anwendung des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG ausschließen.
Das rechtfertigt keine ernstlichen Zweifel an der für die angefochtene Entscheidung erheblichen Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass der Teilrücknahme des Ruhegeldbescheids vom 6. Juni 2003 kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand dieses Bescheids entgegengehalten werden kann.
Die Beklagte hat unter anderem das Merkblatt für Ruhegeldempfänger zum Bestandteil des Ruhegeldbescheids vom 6. Juni 2003 gemacht und ausdrücklich um Beachtung der Anzeigepflichten unter Nummern III und IV des Merkblatts gebeten. In Nummer III des Merkblattes („Anzeigepflichten“) ist ausgeführt: Die Höhe der von der Versorgungsanstalt zu zahlenden Versorgungsbezüge werde durch die auf Pflichtversicherung beruhenden Teile der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung mitbestimmt; der Ruhegeldempfänger sei daher verpflichtet, der Beklagten Änderungen dieser Renten sofort mitzuteilen und ihr gleichzeitig den neuen Rentenbescheid mit sämtlichen Anlagen zuzusenden. Damit wurde zu Lasten des Ruhegeldempfängers in eindeutiger Weise die Verpflichtung bestimmt, der Beklagten Veränderungen der Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung mitzuteilen. Diese Verpflichtung wurde durch das Schreiben der Beklagten vom 18. März 2004 nicht beseitigt. Es lässt nicht erkennen, dass die Beklagte auf für das Ruhegeld erhebliche Mitteilungen durch Herren Richard Herl keinen Wert (mehr) legte. Im Gegenteil, das Schreiben verdeutlicht, dass die Beklagte an der Mitteilungspflicht festhielt. Denn sie äußerte nicht nur die Annahme, Herr Richard Herl habe nach ihren „Unterlagen ab 01.06.2004 einen Anspruch auf Altersrente für langjährig Versicherte ab dem 63. Lebensjahr“, sondern bat zudem um Mitteilung, ob ein entsprechender Antrag gestellt werde.
Insoweit führt auch der Verweis des Klägers auf die Verpflichtungen der Behörde nach den Bestimmungen der §§ 24 und 25 VwVfG nicht auf ernstliche Richtigkeitszweifel. Zwar hat eine Behörde nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz die Verfahrensherrschaft. Sie ist es, die nach § 24 VwVfG den Sachverhalt ermittelt und nach § 25 VwVfG die Abgabe von Erklärungen anregen soll, wenn sie offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unterblieben oder unrichtig abgegeben oder gestellt worden sind. Sie erteilt, soweit erforderlich, Auskunft über die den Beteiligten im Verwaltungsverfahren zustehenden Rechte und die ihnen obliegenden Pflichten. Das heißt aber nicht, dass der Beteiligte nur zu offenbaren braucht, was ihn die Behörde ausdrücklich fragt. Vor allem bedeutet es entgegen dem Zulassungsvorbringen nicht, dass der Ausschluss des Vertrauensschutzes schon dann entfällt, wenn die Behörde auf die Angaben nicht angewiesen war oder von Amts wegen hätte ermitteln müssen (vgl. BVerwG, U.v. 6.6.1991 – 3 C 46.86 – juris Rn. 28).
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 25. Juni 2015 rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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