Verwaltungsrecht

Nigeria, Folgeantrag, keine Änderung der Sach- und Rechtslage glaubhaft gemacht, Abschiebungsverbote (verneint)

Aktenzeichen  Au 9 K 22.30059

Datum:
7.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 5090
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
AsylG § 71
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.  Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. 

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage des Klägers aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7. März 2022 verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte ist zur mündlichen Verhandlung vom 7. März 2022 form- und fristgerecht geladen worden.
Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 HS 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (§ 71 AsylG) bzw. auf Wiederaufgreifen des Verfahrens in Bezug auf das Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der mit der Klage angegriffene Bescheid des Bundesamts vom 5. Januar 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Der mit der Klage angegriffene Bescheid ist in seiner Nr. 1 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt hat den Folgeantrag des Klägers vom 6. September 2021 (Eingang bei der Beklagten am 14. September 2021) zu Recht als unzulässig gem. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG abgelehnt. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG oder eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.
Zudem muss die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 51 Abs. 2 VwVfG erfüllt sein. Die Klägerseite muss ohne grobes Verschulden außerstande gewesen sein, den Wiederaufgreifensgrund bereits im früheren Verfahren geltend zu machen.
Mit dem Bundesamt, dessen Ausführungen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG) geht das Gericht davon aus, dass der Kläger die vorgenannten Anforderungen nicht erfüllt hat. Das Gericht sieht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG von einer weiteren Darstellung ab, weil es den diesbezüglichen Feststellungen des angefochtenen Bescheids des Bundesamts folgt, die auch unter Berücksichtigung des maßgeblichen Zeitpunktes der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) zutreffen. Eine individuelle auf den Kläger bezogene Sachlagenänderung, die eine abweichende Beurteilung zum Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 3, 4 AsylG rechtfertigen könnte, sind dem Asylfolgeantrag vom 6. September 2021 bereits nicht zu entnehmen. Die im Asylfolgeantrag lediglich dargestellte allgemeine Situation im Zielstaat Nigeria kann allenfalls eine abweichende Beurteilung im Hinblick auf das Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen, bleibt jedoch vor dem Hintergrund der Vorschriften der §§ 3, 3b, 4 AsylG ohne Relevanz. Eine Änderung der Sachlage zugunsten des Klägers in Bezug auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. die Gewährung subsidiären Schutzes abweichend vom rechtskräftig abgeschlossenen Erstverfahren ist auch bereits deshalb begrifflich weitgehend ausgeschlossen, da sich der Kläger nach Abschluss des Asylerstverfahrens nicht in seinem Heimatland Nigeria aufgehalten hat. Soweit der Kläger auf die zwischenzeitliche Ermordung seines Schwagers im November 2021 verweist, schenkt das Gericht dem keinen Glauben. Im Übrigen fehlt auch diesbezüglich jede asylrechtliche Relevanz bezogen auf den Kläger.
2. Auch in Bezug auf die (hilfsweise) erhobene Verpflichtungsklage auf abweichende Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG bleibt die Klage ohne Erfolg. Auch insoweit bestehen die rechtskräftig getroffenen Feststellungen aus dem verwaltungsgerichtlichen Urteil vom 4. März 2021 im Verfahren Au 9 K 21.30089 unverändert fort.
Eine Änderung in Bezug auf das Vorliegen von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist nicht ersichtlich. Daran vermag auch das zwischenzeitlich vorhandene Kind des Klägers nichts zu ändern. Eine Lebensgemeinschaft liegt insoweit bereits nicht vor. Auch ist nicht ersichtlich, dass die Mutter des Kindes oder dieses selbst in der Bundesrepublik Deutschland aufenthaltsberechtigt wäre.
Es ist darauf hinzuweisen, dass die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria – hier leben immer noch ca. 70% der Bevölkerung am Existenzminimum und sind von informellem Handel und Subsistenzwirtschaft abhängig (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria – Lagebericht – vom 5.12.2020, Stand. September 2020, Nr.
I. S.4, Nr. V.1.1 S. 23) – ebenso wie die Situation hinsichtlich der verschiedenen gewalttätigen Auseinandersetzungen und Übergriffe, z.T. auch durch die Sicherheitskräfte, und die damit zusammenhängenden Gefahren (s.o. und Lagebericht AA a.a.O. Nr. I, S.4, Nr. II.3., S.7 f.) grundsätzlich nicht zu einer individuellen, gerade dem Kläger drohenden Gefahr führt, sondern unter die allgemeinen Gefahren zu subsumieren ist, denen die Bevölkerung oder relevante Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist und die gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG durch Anordnungen gemäß § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind.
Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage eines Betroffenen erheblich beeinträchtigt würde, reicht allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen; anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen, wie zum Beispiel im Falle einer tödlichen Erkrankung in fortgeschrittenen Stadium, wenn im Zielstaat keine Unterstützung besteht (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – BVerwGE 146, 12-31, juris, Rn. 23 ff. m.w.N.). Im Hinblick auf die Bewertung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK gelten dabei bei der Beurteilung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG die gleichen Voraussetzungen wie bei der Frage der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 AsylG.
Für derartige besondere Gefahren aufgrund schlechter humanitärer oder wirtschaftlicher Verhältnisse ist hier nichts ersichtlich. Insbesondere kann im Falle des Klägers nicht davon ausgegangen werden, dass die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria zu einem Abschiebungsverbot aufgrund schlechter humanitärer Verhältnisse führt, die im Ausnahmefall als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK qualifiziert werden könnten. Eine Änderung der Sach- und Rechtslage ist hier zugunsten des Klägers bereits nicht ersichtlich. Die rechtskräftig getroffenen Feststellungen im Urteil vom 14. März 2021 gelten in Bezug auf das Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten unverändert fort. In Bezug auf die vom Kläger behauptete Asthma-Erkrankung wurden bereits keine aussagekräftigen ärztlichen Atteste im Verfahren beigebracht. Auch leidet der Kläger nach seinen eigenen Angaben bereits seit seinem Aufenthalt in Libyen an der Erkrankung.
Dies gilt auch unter Berücksichtigung der sich wohl auch in Afrika ausbreitenden Corona-Pandemie. Auch dieser Umstand ist nicht geeignet, zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu führen. Insoweit gilt es die Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG zu beachten. Danach sind Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nur bei einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Eine derartige allgemeine Entscheidung hinsichtlich des Zielstaats Nigeria i.S.d. § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG liegt derzeit nicht vor. Eine persönliche Betroffenheit von der Krankheit selbst hat der Kläger bereits nicht aufgezeigt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Gesundheitsschäden ausgeliefert wäre. Davon kann nicht ausgegangen werden.
Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sind überdies in Nigeria lediglich 254.640 Corona-Fälle bestätigt und es ist lediglich zu 3.142 Todesfällen gekommen. (Quelle: www.corona-in-zahlen.de/ Nigeria, Stand: 7.3.2022). Die Infektionsrate (7-Tage-Inzidenz) beträgt in Nigeria 0,1%, die Letalitätsrate 1,23%. Demnach handelt es sich um eine lediglich abstrakte Gefährdung, der im Rahmen des § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu begegnen ist. Dieser Umstand ist daher nicht geeignet, für den Kläger ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen.
Im Übrigen genügt nicht eine allgemeine Behauptung mit Hinweis auf die Corona-Pandemie, dass eine Gefahr bestünde. Denn für die Beurteilung ist auf die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen. Erforderlich ist, durch Benennung bestimmter begründeter Informationen, Auskünfte, Presseberichte oder sonstiger Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür aufzuzeigen, dass der Betreffende etwa zu einer Risikogruppe gehört und in seinem speziellen Einzelfall mit einer Ansteckung, einschließlich eines schweren Verlaufs, zu rechnen ist. Anzugeben ist dabei weiter, wie viele Personen im Zielland konkret infiziert sind, einen schweren Verlauf haben und gestorben sind, ob landesweit eine betreffende Gefahr besteht bzw. konkret an dem Ort, an dem der Betreffende zurückkehrt und welche Schutzmaßnahmen der Staat zur Eindämmung der Pandemie getroffen hat (OVG NW, B.v. 23.6.2020 – 6 A 844/20.A – juris). An einem entsprechenden substantiierten Vorbringen des Klägers fehlt es. Durchgreifende Gründe für eine relevante Gefahr sind auch sonst nicht ersichtlich.
Unter Berücksichtigung der oben aufgeführten tagesaktuellen Fallzahlen und des damit einhergehenden Ansteckungsrisikos besteht in Nigeria derzeit nach dem oben genannten Maßstab keine hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren oder tödlichen Verlaufs der Erkrankung für die Personengruppe, der der Kläger angehört. Er muss sich letztlich, wie hinsichtlich etwaiger anderer Erkrankungen, wie etwa Malaria, HIV, Masern, Cholera, Lassa-Fieber, Meningitis oder Tuberkulose, bei der die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung und eines schweren Verlaufs teilweise um ein Vielfaches höher liegt als bei dem „Coronavirus“ (vgl. zu Malaria OVG NW, U.v. 24.3.2020 – 19 A 4479/19.A – juris; VG Karlsruhe, U.v. 26.2.2020 – A 4 K 7158/18 – juris), im Bedarfsfalle auf die Möglichkeiten des – zugegebenermaßen mangelhaften – nigerianischen Gesundheits- und Sozialsystems (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 5. Dezember 2020, Stand: September 2020, Ziffer V.1.3, S. 24 ff.) verweisen lassen.
Damit hat der Kläger aber auch keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne. Der Kläger hat diesbezüglich zwar einen Anspruch auf ermessenfehlerfreie Entscheidung, im gerichtlichen Verfahren beachtliche Ermessenfehler sind vorliegend weder ersichtlich, noch vorgetragen.
Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.


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