Verwaltungsrecht

Notwendiger Inhalt des Haftantrags für die Verlängerung von Abschiebungshaft

Aktenzeichen  1 XIV 73/16 (B)

Datum:
27.6.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 115756
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Mühldorf
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 2 Abs. 14, § 50 Abs. 1, § 57 Abs. 1, Abs. 3, § 58 Abs. 3, § 60, § 62 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 4, § 72 Abs. 4
FamFG § 23 Abs. 2, § 416, § 417 Abs. 2 Nr. 3 – 5, § 418, § 419, § 420, § 421, § 422 Abs. 2, § 425 Abs. 3

 

Leitsatz

1 Die Darlegungen in einem Antrag nach § 417 Abs. 2 S. 2  Nr. 3 bis 5 FamFG dürfen knapp gehalten sein, solange sie die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falles ansprechen (BGH BeckRS 2011, 24121). (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Verlängerung der Sicherungshaft ist erforderlich und unverzichtbar, wenn sich das Passbeschaffungsverfahren bei den ausländischen Behörden deshalb verzögert, weil der Betroffene an diesem Verfahren nicht aktiv mitwirkt. (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Annahme des Haftgrundes der Entziehungsabsicht gem. § 62 Abs. 3 Nr. 5 iVm § 2 Abs. 14 AufenthG erfordert die Feststellung konkreter Umstände, insbesondere Äußerungen oder Verhaltensweisen des Betroffenen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten oder es nahelegen, dass er  beabsichtigt unterzutauchen oder die Ab-/Zurückschiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden kann (BGH BeckRS 2012, 14183). (redaktioneller Leitsatz)
4 Konkrete Anhaltspunkte iSd § 2 Abs. 14 AufenthG können sein die bewusste Entsorgung des Reisepasses zur Vermeidung einer sofortigen Zurückschiebung, die Inanspruchnahme eines Schleusers und die hierfür getätigte Zahlung einer nicht unbeträchtlichen Geldsumme (vgl. BGH BeckRS 2012, 14183) oder die Äußerung, für den Fall einer drohenden Abschiebung unterzutauchen. (redaktioneller Leitsatz)
5 Über die Rechtmäßigkeit der Abschiebung hat nicht der Haftrichter, sondern haben die jeweils zuständigen Verwaltungsgerichte zu entscheiden; dies gilt auch für das Vorliegen von Abschiebungshindernissen (BGH BeckRS 2010, 07170). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1 XIV 65/16 2016-06-13 Bes AGMUEHLDORF AG Mühldorf

Tenor

1. Gegen d. Betroff. wird die mit Beschluss des AG Laufen vom 04.12.2015 angeordnete und mit Beschlüssen des AG Mühldorf vom 06.06.2016 und vom 13.06.2016 verlängerte Sicherungshaft erneut verlängert, § 62 AufenthG.
2. Die Haft, die mit der Festnahme am 03.12.2015 begonnen hat, endet nunmehr spätestens am 14.07.2016.
3. Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.

Gründe

I.
1. D. Betroff. ist marokkanischer Staatsangehöriger.
D. Betroff. reiste am 03.12.2015 von Österreich kommend in die BRD ein, ohne im Besitz eines Reisepasses oder gültigen Aufenthaltstitels zu sein. Bereits am 30.11.2015 war er eingereist und an Österreich zurücküberstellt worden.
2. Die beteiligte Ausländerbehörde beantragte am 04.12.2016, gegen d. Betroff. gemäß §§ 57 Abs. 1, 62 III, 60 AufenthG, 420 FamFG Abschiebehaft bis zur vollzogenen Abschiebung, längstens jedoch für 6 Monate anzuordnen. Dem kam das AG Laufen mit Beschluss vom gleichen Tag nach. Am 25.05.2016 beantragte die Ausländerbehörde dann gegen d. Betroff. gemäß §§ 62 III, 60 AufenthG, 420, 425 III FamFG, die Verlängerung der Abschiebehaft bis zur vollzogenen Abschiebung, längstens jedoch für 3 Wochen bis zum 15.06.2016 anzuordnen. Dem kam das AG Mühldorf mit Beschluss vom 06.06.2016 nach. Nunmehr beantragt die Ausländerbehörde eine weitere Haftverlängerung um 3 Wochen. Hinsichtlich der Haftdauer wird auf den Verlängerungsantrag verwiesen.
II.
Im Rahmen der heutigen Vorführung wurde d. Betroff. gemäß § 420 I 1 FamFG in der gebotenen Weise vor der Entscheidung rechtliches Gehör gewährt.
Der Haftantrag der beteiligten Ausländerbehörde ist d. Betroff. vor der Anhörung übersetzt und damit der gesamte Antragsinhalt bekannt gegeben worden. Ein Abdruck des Antrags ist d. Betroff. überlassen worden. D. Betroffene war in der Lage, sich zu sämtlichen Angaben der beteiligten Behörde zu äußern. Es handelt sich vorliegend um einen überschaubaren Sachverhalt, den d. Betroff. vor der Anhörung ausreichend erfassen konnte. Zudem hatte er bereits aufgrund des Erstbeschlusses des AG Laufen sowie der Beschwerdeentscheidung des LG Traunstein vom 22.01.2016 Kenntnis von den tatsächlichen Umständen, die die Ausländerbehörde dem Antrag zugrunde gelegt hat.
Bei der mündlichen Anhörung am 27.06.2016 erklärte d. Betroff. dass er kein Schwerverbrecher ist.
Im übrigen wird auf die Niederschrift vom heutigen Tag Bezug genommen.
III.
1. Die zuständige Ausländerbehörde hat den Haftantrag zulässig und ausreichend begründet.
Der vorliegende Haftantrag genügt den Darlegungsanforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGH vom 15.09.2011, Az V ZB 123/11; vom 10.05.2012, Az V ZB 246/11). Insbesondere werden verlangt – wie hier erfolgt – Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer, §§ 425 III, 417 II 2 Nr. 3-5 FamFG. Das Darlegungserfordernis soll gewährleisten, dass das Gericht die Grundlagen erkennt, auf welche die Behörde ihren Antrag stützt, und dass das rechtliche Gehör d. Betroff. durch die Übermittlung des Haftantrags nach § 23 II FamFG gewahrt wird, wobei die Darlegungen knapp gehalten sein dürfen, solange sie die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falles ansprechen (BGH FGPrax 2011, 317).
Das Gericht erachtet diese Voraussetzungen unter Bezugnahme auf I für erfüllt.
Insbesondere hat die Ausländerbehörde auch schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, warum die Verlängerung der Sicherungshaft erforderlich und unverzichtbar ist (vgl. auch BGH vom 12.09.2013, Az V ZB 171/12).
Sie trägt hierzu plausibel vor: Das Passbeschaffungsverfahren bei den marokkanischen Behörden verzögert sich weiter, nachdem der Betroffene keinerlei aktive Mitwirkung an diesem Verfahren tätigte. Die marokkanischen Behörden haben die prioritäre Behandlung dieses Haftfalles zugesichert. Insgesamt werden noch 2 Wochen sowie für die Organisation des Rückführungsflug 1 Woche veranschlagt.
Die Übersendung des benötigten Reisedokuments erfolgt in 1-3 Tagen während der Woche Zeitbedarf für die Flugbuchung.
Die Dauer der angeordneten Haft wird somit von der Behörde glaubhaft mit den für die Organisation und Durchführung der Abschiebung nach Marokko notwendigen Erfordernissen, mithin mit der voraussichtlichen Dauer des Rücknahmeverfahrens begründet. Die im Antrag angegebenen einzelnen Zeitspannen sind für die organisatorische Realisierung der Abschiebung einerseits erforderlich, andererseits aber auch ausreichend.
Sollte das Rücknahmeverfahren vor Ablauf der Frist abgeschlossen sein, so ist die Behörde aufgrund des Beschleunigungsgebots gehalten, d. Betroff. unverzüglich abzuschieben, vgl. auch § 62 I 2 AufenthG.
Das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft liegt vor, § 72 IV AufenthG.
2. Mit dem unter I. geschilderten Sachverhalt ist der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 AufenthG).
Aufgrund der unter Ziffer 2 festgestellten vollziehbaren Ausreisepflicht besteht der Haftgrund des § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AufenthG.
Auch ist der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Ziff. 5 i.V.m. § 2 Abs. 14 AufenthG gegeben.
Es besteht der begründete Verdacht, dass sich die Betroffene der Abschiebung durch Flucht oder Untertauchen entziehen will.
Die Annahme der Entziehungsabsicht setzt konkrete Umstände, insbesondere Äußerungen oder Verhaltensweisen d. Betroff. voraus, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten oder es nahelegen, dass d. Betroff. beabsichtigt unterzutauchen oder die Ab-/Zurückschiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden kann (BGH vom 03.05.2012, Az V ZB 244/11; Renner, Ausländerrecht, § 62 AufenthG Rz 76).
Konkrete Anhaltspunkte i.S.d. § 2 Abs. 14 AufenthG liegen in Folgendem begründet:
Der Betroffene hat seinen Reisepass zur Vermeidung einer sofortigen Zurückschiebung bewusst im Meer entsorgt und somit seine Identität zu unterdrücken versucht, § 2 Abs. 14 Nr. 2 AufenthG.
D.
Betroffene hat die „Dienste“ eines Schleusers in Anspruch genommen und hierfür eine nicht unbeträchtliche Geldsumme gezahlt, allein für die Strecke Türkei – Griechenland hat er 800,- € zahlen müssen. Die Aufwendung dieser erheblichen finanziellen Mittel wäre im Fall einer Abschiebung vergeblich. Das Gericht schließt hieraus auf den Anreiz d. Betroff., sich nicht freiwillig für das Rücknahmeverfahren bereit zu halten, sondern im Gegenteil unterzutauchen (vgl. hierzu auch BGH vom 03.05.2012, Az V ZB 244/11), § 2 Abs. 14 Nr. 4 AufenthG.
Letztlich will der Betroffene nicht nach Marokko zurück. Für den Fall einer drohenden Abschiebung will er untertauchen, was belegt, dass er für Rückführungsmaßnahmen nicht freiwillig zur Verfügung stehen wird, § 2 Abs. 14 Nr. 5 AufenthG.
D.
Betroffene verfügt im übrigen über keinen festen Wohnsitz. Er verfügt darüberhinaus nicht über ausreichende finanzielle Mittel, die es ihm ermöglichen würden, das Bundesgebiet auf legale Weise zu verlassen.
Im übrigen wird ergänzend auf die Gründe des Antrages, der Erstentscheidung des AG Laufen sowie der Beschwerdeentscheidung des LG Traunstein Bezug genommen.
3. Gründe, die ein Absehen von der Sicherungshaft gem. § 57 Abs. 1, Abs. 3, 62 Abs. 3 S. 3 AufenthG rechtfertigen können, sind nicht ersichtlich bzw. nicht glaubhaft gemacht.
Im übrigen liegen Abschiebungshindernisse nicht vor. Ob die Abschiebung nach Marokko zu Recht erfolgt, ist nicht vom Haftrichter, sondern von den jeweils zuständigen Verwaltungsgerichten zu entscheiden (BGH vom 25.02.2010, Az VZB 172/09); der Haftrichter ist letztlich nicht befugt, über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen – mit wenigen Ausnahmen, die eine Sachverhaltsermittlung des Haftrichters erfordern (vgl. hierzu BGH a.a.O.) – zu entscheiden.
Zwar ist die Abschiebung nicht innerhalb von 3 Monaten bzw. innerhalb von 6 Monaten nach seiner Einreise (§ 57 Abs. 3, 62 Abs. 3 S. 4, IV 1 AufenthG) realisierbar, die Verzögerung hat der Betroffene durch die bewusste Unterdrückung seines Passes sowie fehlende Mitwirkung bei der Passersatzbeschaffung, durch die die Abschiebung bislang verhindert wird, selbst zu vertreten, § 62 IV 2 AufenthG
4. Ein milderes Mittel als die Inhaftierung des Betroffenen im Sinne von § 62 Abs. 1 AufenthG ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist – angesichts der unter Ziffer 3 dargelegten Gegebenheiten – die Hinterlegung von Ausweispapieren bzw. eine Meldeauflage bzw. die Auflage, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten, vorliegend nicht ausreichend.
Das Verfahren beruht auf den §§ 416, 418, 419, 420, 421, 425 III FamFG.
Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung beruht auf § 422 Abs. 2 FamFG.


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