Verwaltungsrecht

Notwendigkeit der Feststellung des tatsächlichen Herkunftslandes

Aktenzeichen  M 16 S 16.33144

Datum:
14.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Soweit im Rahmen einer summarischen Prüfung nicht festgestellt werden konnte, ob der Antragssteller senegalesischer Staatsangehöriger ist, bedarf es der genaueren Aufklärung im Hauptsacheverfahren, um das Zielland der Abschiebung festzulegen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Bevollmächtigten des Antragstellers wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), mit dem sein Asylbegehren als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist.
Der im November 2014 eingereiste Antragsteller stellte am 20. Januar 2015 einen Asylantrag.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 1. August 2016 trug er zu seiner Ausreise vor, dass seine Eltern getötet worden seien, als er noch ein Kleinkind gewesen sei. Sein Onkel habe ihn großgezogen. Der Antragsteller habe seinen Onkel als Kind zunächst für seinen leiblichen Vater gehalten. Sein Onkel habe ihm dann peu à peu das Schicksal seiner leiblichen Eltern mitgeteilt. Der Vater des Antragstellers sei Staatsbürger von Guinea Bissau, Volkszugehöriger der Peul oder Fulbe, gewesen und habe diesen Staat kriegsbedingt verlassen. Sein Vater sei dann in die Region Camsa Mance gezogen. Dort sei sein Vater in die Rebellion verwickelt worden. Rebellen seien zum Antragsteller und seinen Eltern gekommen und hätten seine Eltern im Schlafzimmer erschossen. Der Antragsteller habe in seinem gesamten Leben keine Papiere für den Senegal erhalten, weil sein Vater Staatsangehöriger von Guinea-Bissau gewesen sei. Ein Schulbesuch sei für ihn nur möglich gewesen, weil sein Onkel den Rektor gekannt habe. Ansonsten hätte er keine Schule im Senegal besuchen können, da er ohne Papiere nicht das Recht habe, eine Schule zu besuchen. Versuche des Onkels, Papiere für den Antragsteller zu besorgen, seien erfolglos geblieben. Als der Antragsteller Jugendlicher war, seien Rebellen in das Haus seines Onkels gekommen. Die Rebellen hätten sich nach seinem Onkel und den Namen seiner Eltern erkundigt. Anschließend hätten die Rebellen ein Foto vom Antragsteller gemacht. Nachdem der Antragsteller seinen Onkel über den Besuch der Rebellen informiert hätte, wies dieser den Antragsteller an, künftig vorsichtig zu sein und öffentliche Plätze zu meiden. Ein Jahr später hätten die Rebellen seinen Onkel aufgesucht und diesen geschlagen. Nach diesem Ereignis wies der Onkel den Antragsteller an, unbedingt den Senegal zu verlassen. Auf Nachfrage, ob der Antragsteller senegalsesischer Staatsbürger sei, antwortete dieser, dass er im Senegal geboren sei, aber wegen der Staatsangehörigkeit seines Vaters (Guinea-Bissau) keine Papiere habe. Er habe aber auch keine Papiere von Guinea-Bissau. Wenn er nach Guinea-Bissau reise und die Familie seines Vaters finden würde, könnte er vielleicht Papiere von Guinea-Bissau erhalten. Der Antragsteller könne nicht in den Senegal zurückkehren, da er von diesem Staat keine Papiere erhalte. Eine Ausreise nach Guinea-Bissau scheitere daran, dass er dort niemanden kenne und noch nie dort gewesen sei.
Auf die Niederschrift der Anhörung des Antragstellers vor dem Bundesamt wird im Einzelnen verwiesen.
Mit Bescheid vom 13. September 2016, dem Antragsteller am 15. September 2016 zugestellt, lehnte das Bundesamt sowohl den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter (Nr. 2 des Bescheids) als auch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1 des Bescheids) als offensichtlich unbegründet ab, ebenso wurde der Antrag auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus als offensichtlich unbegründet abgelehnt (Nr. 3 des Bescheids). Das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) wurde verneint (Nr. 4 des Bescheids), der Antragsteller wurde zur Ausreise aufgefordert, die Abschiebung in den Senegal bei nicht fristgerechter Ausreise angedroht (Nr. 5 des Bescheids). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG wurde auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Nr. 6 des Bescheids), das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 7 des Bescheids).
Der Antragsteller stamme aus einem sicheren Herkunftsland im Sinne von § 29a Abs. 2 AsylG. Er habe nichts vorgetragen, was ein Abweichen von dieser allgemeinen Einschätzung gebieten würde. Er mache auch keine staatliche Verfolgung geltend. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sei als offensichtlich unbegründet, die Zuerkennung des subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet abzulehnen. Auch individuelle Gefahren, die das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes begründen könnten, seien nicht erkennbar.
Auf die Begründung des Bescheids wird im Einzelnen verwiesen.
Am 22. September 2016 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Klage erheben (M 16 K 16.33143) und gleichzeitig beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Ziffer 5 des Bescheids vom 13. September 2016 anzuordnen.
dem Antragsteller Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten des Antragstellers zu gewähren.
Die Eltern des Antragstellers seien Staatsangehörige von Guinea-Bissau. Der Antragsteller sei zwar im Senegal geboren, aber kein Staatsangehöriger des Senegals. Bei im Senegal geborenen Kindern würde sich die Staatsangehörigkeit nur an der Staatsangehörigkeit des Vaters orientieren, soweit die nicht die Eltern eine andere Staatsangehörigkeit beantragen und diese bestätigt würde.
Die Antragsgegnerin äußerte sich – abgesehen von der Aktenvorlage – nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Klageverfahren M 16 K 16.33143 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung zulässig (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG; § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i. V. m. § 36 Abs. 3 AsylG) und begründet. Die Antragsfrist von einer Woche des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG wurde gewahrt. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist ebenfalls zulässig aber nicht begründet.
Die Aussetzung der Abschiebung darf nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (Art. 16 a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG). Ernstliche Zweifel liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird (BVerfGE 94, 166, 194). Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG).
Das Gericht hat ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids, da die Beklagte – nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung – fälschlicherweise von einer senegalesischen Staatsangehörigkeit des Antragstellers ausgeht. Da der Antragsteller sehr wahrscheinlich – eine genauere Aufklärung muss insoweit dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben – kein Senegalese ist, ist die Abschiebungsandrohung in den Senegal rechtswidrig. Darüber hinaus sind sämtliche Erwägungen des Bescheids hinfällig, da die Beklagte – ohne die Frage der Staatsangehörigkeit des Antragstellers zu thematisieren – von einer senegalesischen Staatsangehörigkeit ausgeht. Vermutlich ist der Antragsteller Staatsangehöriger eines Nachbarstaats des Senegals. Jedoch sind alle Nachbarstaaten des Senegal (Mauretanien, Mali, Guinea, Guinea-Bissau und Gambia) keine sicheren Herkunftsstaaten, so dass eine Ablehnung des Asylbegehrens als „offensichtlich unbegründet“ bei einer anderen Staatsangehörigkeit generell nicht in Betracht käme.
Die Frage der Staatsangehörigkeit eines im Senegal geborenen Menschen richtet sich nach senegalesischem Recht zunächst nach der Abstammung. Ist ein Elternteil eines Kindes im Senegal geboren, ist das Kind grundsätzlich senegalesischer Staatsangehöriger. Dies ergebt sich aus dem senegalesischen Gesetz „Loi n° 61-70 du 7 mars 1961, Code de la nationalité sénégalaise“. Dort heißt es in Art. 1 wörtlich:
„Est Sénégalais tout individu né au Sénégal d’un ascendant au premier degré qui y est luimême né.”
Die englische Übersetzung dieser Passage lautet:
„Any individual born in Senegal of an ascendant in the first degree who was born in Senegal is Senegalese.”
Unabhängig von der Regelung in Art. 1 des Loi n° 61-70 du 7 mars 1961 bestimmt sich die Staatsangehörigkeit weiterhin nach der Staatsangehörigkeit der Eltern, wobei grundsätzlich die Staatsangehörigkeit des Vaters maßgeblich ist. Entsprechende Regelungen finden sich in Art. 5 des Loi n° 61-70 du 7 mars 1961:
„Est sénégalais
1°) l’enfant légitime né d‘un père sénégalais;
2°) l’enfant légitime né d’une mère sénégalaise et d’un père sans nationalité ou de nationalité inconnue;
3°)l’enfant naturel lorsque celui de ses parents à l’égard duquel la filiation a d’abord été établie, est sénégalais;
4°) l’enfant naturel lorsque celui de ses parents à l’égard duquel la filiation a été établie en second lieu est sénégalais et lorsque l’autre parent est sans nationalité ou de nationalité inconnue.”
Die entsprechende englische Übersetzung lautet:
A person is Senegalese if that person is
1°) a legitimate child of a Senegalese father;
2°) a legitimate child of a Senegalese mother and a father with no nationality or of unknown nationality;
3°) an illegitimate child of a Senegalese who was the first parent with whom filiation was established; or
4°) an illegitimate child of a Senegalese who was the second parent with whom filiation was established, if the other parent is without nationality or of unknown nationality.
Gemessen an der Vorgaben des senegalesischem Rechts erscheint es höchst zweifelhaft, ob der Antragsteller tatsächlich Staatsangehöriger des Senegal ist.
Der Antragsteller hat bereits in der Anhörung beim Bundesamt nicht behauptet, senegalesischer Staatsangehöriger zu sein. Er teilte lediglich mit, dass er im Senegal geboren sei und wies mehrfach darauf hin, dass sein Vater Staatsangehöriger von Guinea-Bissau sei. Er führte zudem wiederholt aus, dass er wegen der Staatsangehörigkeit des Vaters keine Papiere für den Senegal erhalten habe. Insoweit sind die Schilderungen des Antragstellers auch widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Auch der Wohnort des Antragstellers, der Ort P…, liegt nahe an der Grenze zu Guinea-Bissau, so dass die Schilderungen, dass seine Eltern in den Senegal gezogen seien, zumindest nicht unglaubhaft sind. Zu der Staatsangehörigkeit der Mutter machte der Antragsteller bei der Anhörung im Bundesamt keine Angaben, sie wurde aber auch nicht abgefragt. In seiner Antragsschrift erklärt der Antragsteller dann, dass auch seine Mutter die Staatsangehörigkeit von Guinea-Bissau gehabt habe. Dies erscheint zumindest nicht unwahrscheinlich. Unerheblich ist, dass der Antragsteller offensichtlich nur Französisch spricht, obwohl Amtssprache von Guinea-Bissau Portugiesisch ist. Dies hängt offensichtlich damit zusammen, dass der Antragsteller als Kleinkind in den Senegal umzog und dort aufwuchs.
Demnach könnte der Antragsteller allenfalls nach Art. 1 des Loi n° 61-70 du 7 mars 1961 die Staatsangehörigkeit des Senegals haben, wenn entweder seine Mutter oder sein Vater im Senegal geboren wären. Insoweit fehlt es aber an jeglichen Anhaltspunkten, so dass zumindest aufgrund der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung davon auszugehen ist, dass der Antragsteller kein Staatsangehöriger des Senegals ist. Entscheidend sind daher die Regelungen des Art. 5 des Loi n° 61-70 du 7 mars 1961, wonach in allen denkbaren Konstellationen zumindest ein Elternteil die senegalesische Staatsangehörigkeit haben muss. Im Standardfall des ehelichen Kindes ist die Staatsangehörigkeit des Vaters entscheidend, der unbestritten Staatsangehöriger von Guinea-Bissau ist. Dies erklärt auch die Behauptung des Antragstellers, dass er wegen der Staatsangehörigkeit des Vaters keine Papiere erhalten habe.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylG nicht erhoben.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da die Voraussetzungen des § 114 ZPO nicht vorliegen. Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers lag dem Gericht zum Entscheidungszeitpunkt nicht vor.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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