Verwaltungsrecht

Obdachlosenrecht, Clearinghäuser-Benutzungssatzung, Räumungsanordnung, Befristung des Benutzungsverhältnisses im Clearinghaus, Zwangsmittelandrohung

Aktenzeichen  M 22 S 22.3065

Datum:
22.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 17887
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 1 und 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf EUR …,- festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die mit Bescheid vom … angeordnete Räumung ihrer Unterkunft in einem Clearinghaus der Antragsgegnerin.
Die Antragstellerin wurde mit Aufnahmeverfügung der Antragsgegnerin vom … in die Wohnung … in das städtische Clearinghaus … in … aufgenommen. Die Aufnahme im Clearinghaus wurde entsprechend der Zielsetzung der Aufnahme (Erarbeitung und schnelle Realisierung einer (privatrechtlichen) Wohnperspektive) nach § 5 Abs. 3 der Clearinghäuser-Benutzungssatzung befristet bis zum …
Mit weiteren Bescheiden vom …, …, …, … und … wurde das Benutzungsverhältnis zunächst bis zum … verlängert, da das Clearing noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Aufgrund der besonderen Situation durch die Corona-Pandemie erfolgte mit Bescheid vom … eine weitere Verlängerung bis zum …
Am … entschied sich die Antragsgegnerin dazu, den Aufenthalt der Antragstellerin im Clearinghaus nicht nochmals zu verlängern, da das Clearing abgeschlossen und die Höchstaufenthaltsdauer überschritten sei. Hinsichtlich der Antragstellerin wurde eine Einzelzimmerberechtigung ausgestellt.
Mit Schreiben vom *., … und … beantragte der Betreuer der Antragstellerin eine weitere Verlängerung des Benutzungsverhältnisses, weil die Betreute noch keine Zusage für eine Wohnung bekommen habe. Mit Schreiben vom … unterrichtete ihn die Antragsgegnerin darüber, dass eine Verlängerung über den … hinaus nicht beabsichtigt sei, und forderte zugleich auf, die Clearinghaus-Wohnung nach Ablauf der Befristung spätestens bis zum … der Hausverwaltung zu übergeben.
Mit Schreiben vom … wies die Antragsgegnerin auf die bereits erfolgte Beendigung des Benutzungsverhältnisses hin und räumte dem Betreuer der Antragstellerin Gelegenheit ein, sich bis zum … zur beabsichtigten Räumung der Wohnung zu äußern. Eine Stellungnahme erfolgte nicht.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom …, dem Betreuer der Antragstellerin zugestellt laut Postzustellungsurkunde am …, verfügte die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin:
„1. Sie haben die Wohnung … im Clearinghaus … unverzüglich, spätestens aber bis zum …, 11:00 Uhr, zu räumen und die gereinigte Wohnung mit den Ihnen überlassenen Gegenständen und Schlüsseln zurückzugeben.
2. Sofern Sie der Verpflichtung der Ziffer 1 nicht bis zum Ende der genannten Frist nachkommen, wird Ihnen hiermit angedroht, dass a) Ihre Möbel und sonstigen Gegenstände am Montag, dem … zwischen 09:00 und 16:30 Uhr im Wege der Ersatzvornahme auf Ihre Kosten aus der vorgenannten Clearinghaus-Unterkunft geräumt werden;
b) gegen Ihre Person erforderlichenfalls mit unmittelbarem Zwang vorgegangen wird.
3. Der Kostenbetrag für die Ersatzvornahme wird vorläufig auf …,- Euro veranschlagt.
4. Der sofortige Vollzug der Ziffern 1 und 2 dieses Bescheides wird angeordnet.
5. Dieser Bescheid ist kostenfrei.“
In den Bescheidsgründen wird im Wesentlichen ausgeführt, die Befristung des Benutzungsverhältnisses sei abgelaufen und es würden keine zwingenden Gründe für eine Verlängerung bestehen. Ferner drohe der Antragstellerin auch keine Obdachlosigkeit, da dieser eine Ersatzunterkunft angeboten werde.
Am … erhob die Antragstellerin durch ihren Betreuer beim Verwaltungsgericht München Klage (…) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom … Zugleich beantragt sie (sinngemäß),
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen beziehungsweise anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schreiben vom …, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, auch gesundheitliche Gründe würden eine weitere Verlängerung der Unterbringung der Antragstellerin im Clearinghaus nicht rechtfertigen, zumal keine ärztlichen Atteste vorgelegt worden seien. Dies gelte auch hinsichtlich der Vormerkung für eine geförderte Wohnung und der Wohnungssuche im Allgemeinen. Schließlich drohe der Antragstellerin nach der Beendigung des Benutzungsverhältnisses auch keine Obdachlosigkeit, da jedenfalls eine Ersatzunterkunft – in einem Einzelzimmer im Flexiheim … oder einer Sozialwohnung der … in der … – angeboten sei und zur Verfügung stehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte dieses sowie des Klageverfahrens (…) sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Räumungsanordnung in Ziffer 1 des Bescheides wiederherzustellen (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) und die kraft Gesetzes entfallene aufschiebende Wirkung bezüglich der Zwangsmittelandrohung in Ziffer 2 des Bescheides anzuordnen (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21 a Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG), hat keinen Erfolg.
Die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderliche und gebotene Interessenabwägung aufgrund einer summarischen Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache ergibt, dass die Anfechtungsklage gegen die Räumungsanordnung und die Zwangsmittelandrohung erfolglos bleiben dürfte und insoweit das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt. Die Maßnahme erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig, eine Rechtsverletzung der Antragstellerin ist nicht gegeben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht zunächst vollumfänglich auf die Begründung des angefochtenen Bescheids (117 Abs. 5 VwGO), der das Gericht folgt. Lediglich ergänzend ist noch Folgendes auszuführen:
1. Die gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids vorgenommene Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffer 1 des Bescheides wurde den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entsprechend ausreichend begründet.
Der Verweis der Behörde darauf, dass das aufgrund der besonderen Konzeption der Clearinghäuser und der hohen Nachfrage nach Clearingmöglichkeiten hohe Interesse der Antragsgegnerin an schnell wieder freien Räumlichkeiten das Interesse der Antragstellerin, trotz angebotener Ersatzunterbringung und beendetem Benutzungsverhältnis in den Räumlichkeiten zu verbleiben, überwiege, trägt die Anordnung des Sofortvollzugs.
2. Die Zuweisung der Unterkunft in der … … erfolgte – wie im Obdachlosenrecht allgemein üblich und zulässig (vgl. VG Augsburg, U.v. 19.7.2010 – Au 7 K 10.750 – juris) – gemäß Art. 36 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG befristet, zuletzt mit Bescheid vom … bis zum … Die Verpflichtung zur Gebrauchsüberlassung der Wohneinheit … in der … endete mithin mit Ablauf des … Ein Anspruch der Antragstellerin auf Verlängerung der Zuweisung und Verbleib in dieser Unterkunft ergibt sich weder aus Sicherheitsrecht noch aus der ihrer Unterbringung im Clearinghaus zugrundeliegenden Clearinghäuser-Benutzungssatzung.
Durch die Zuweisung wird kein öffentlich-rechtlicher Besitzstand begründet, der einer anderweitigen Umsetzung entgegenstehen könnte (VG München, B.v. 3.5.2005 – M 22 S 05.1618; B.v. 29.12.2004 – M S 04.6231; B.v. 6.8.2018 – M 22 S 18.3631 – alle juris). Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Zuweisung einer Unterkunft zur Vermeidung von Obdachlosigkeit ist Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG). Die Antragsgegnerin hat als Sicherheitsbehörde (Art. 6 LStVG) grundsätzlich die Aufgabe der Gefahrenabwehr. Hierzu zählt auch die Beseitigung einer – unfreiwilligen – Obdachlosigkeit (vgl. BayVGH, B.v. 26.4.1995 – 4 CE 95.1023 – BayVBl 1995, 729), um Gefahren für Leben und Gesundheit des Betroffen zu verhüten. Aus dieser gesetzlichen Verpflichtung ergibt sich ein Anspruch des Betroffenen (zumindest) auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Unterbringung durch die Behörde. Die von der Sicherheitsbehörde zu leistende Obdachlosenfürsorge dient dabei nicht der „wohnungsmäßigen Versorgung“, sondern der Verschaffung einer vorübergehenden Unterkunft einfacher Art (vgl. BayVGH, B.v. 3.8.2012 – 4 CE 12.1509 – juris Rn. 5). Der Behörde steht bei der Auswahl der Unterkunft ein weiter Ermessensspielraum zur Verfügung. Ein Obdachloser hat dementsprechend grundsätzlich keinen Anspruch auf Zuweisung einer bestimmten Unterkunft oder auf den Verbleib in einer bestimmten Unterkunft (vgl. Holzner in BeckOK, Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, März 2022, Art. 7 LStVG Rn. 155).
Vorliegend wird die Antragstellerin nach Räumung ihrer Unterkunft im Clearinghaus nicht obdachlos, sondern – wie die Antragsgegnerin unter Berücksichtigung der Einzelzimmerberechtigung zugesagt hat – bei Bedarf und Vorsprache anderweitig sicherheitsrechtlich in einem Notquartier oder einer Sozialwohnung untergebracht. Weiter ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass auch keine gesundheitlichen Gründe substantiiert vorgetragen und entsprechend mit einem ärztlichen Attest belegt worden sind, die eine weitere Verlängerung des Benutzungsverhältnisses gebieten würden. Der Antragstellerin ist es auch weiterhin unbenommen, sozialpädagogische Betreuung zum Thema Wohnen in Anspruch zu nehmen bzw. sich mit Unterstützung der Sozialleistungsträger um eine öffentlich geförderte Wohnung zu bemühen.
Ein Anspruch auf Unterbringung im Clearinghaus ist auch in satzungsrechtlicher Hinsicht nicht ersichtlich. Die Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin, Obdachlose auch in ein Clearinghaus grundsätzlich nur befristet einzuweisen, ergibt sich aus dem Zweck dieser Einrichtungen und ist nicht zu beanstanden (vgl. VG München, B.v. 7.9.2016 – M 22 E 16.1415; B.v. 6.8.2018 – M 22 S 18.3631 – alle juris). Ziel der Unterbringung in einem Clearinghaus ist es, mit den Haushalten an einer Wohnperspektive zur schnellen Vermittlung in eine geeignete Wohnform, nach Möglichkeit mit einem privatrechtlichen Mietvertrag zu arbeiten. Bewohnerinnen und Bewohner sollen mit sozialpädagogischer Beratung und Unterstützung Verhaltensweisen einüben, die eine regelmäßige Mietzahlung, den sachgemäßen Gebrauch der Mietsache und die Einordnung in die Hausgemeinschaft sicherstellen. Während des Aufenthalts, der gemäß § 9 Clearinghäuser-Benutzungssatzung auf sechs Monate veranschlagt ist, werden u.a. Lösungen zur Existenzsicherung und Stärkung der praktischen Alltagskompetenz erarbeitet.
Dieser Praxis entsprechend erfolgte auch die Unterbringung der Antragstellerin im Clearinghaus nur befristet (vgl. § 5 Abs. 3 und § 9 Clearinghäuser-Benutzungssatzung). Die Erarbeitung einer Wohnperspektive als wesentliche Zielsetzung der vorübergehenden Unterbringung der Antragstellerin im Clearinghaus sei erreicht. Zudem hat die Antragstellerin, deren Aufenthalt bereits mehrmals verlängert wurde, die reguläre Aufenthaltsdauer bereits um das Mehrfache überschritten. Eine weitere Verlängerung der Aufenthaltsdauer ist gemäß § 9 Satz 4 der Clearinghäuser-Benutzungssatzung daher nur in besonderen Ausnahmefällen möglich. Ein solcher ist vorliegend nach nicht zu beanstandender Einschätzung der Antragsgegnerin nicht gegeben. Es ist nichts dafür erkennbar, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin eine weitere Verlängerung ermessensfehlerhaft oder willkürlich verweigert hätte.
3. Auch hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Zwangsmittelandrohung in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen der Art. 18 ff. VwZVG sind bei summarischer Prüfung gegeben.
Insbesondere ist die gesetzte Erfüllungsfrist (Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG) nicht zu beanstanden. Die Räumung wurde für den … angesetzt, sodass die Antragstellerin somit ab der am … – und damit knapp einen Monat vor dem Räumungstermin – erfolgten Zustellung des Bescheides ausreichend Zeit hatte, um effektiven Rechtsschutz nachzusuchen und ihre Wohnung in der … selbst zu räumen oder durch ihren Betreuer (und zugleich Sohn) bzw. durch Bekannte räumen zu lassen; dies zumal es sich bei der zu räumenden Wohneinheit um eine (teil) möblierte Wohnung handelt.
4. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) in Verbindung mit Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs.


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