Aktenzeichen M 22 E 19.4771
VwZVG Art. 32, Art. 36
BayVwVfG Art. 28 Abs. 2 Nr. 5
Leitsatz
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
1. Der Antrag auf einstweiligen Rechtschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, insbesondere wurde er fristgerecht erhoben. Nachdem auch die Klagefrist gewahrt wurde, der Bescheid somit noch nicht unanfechtbar ist, liegt auch ein schutzwürdiges Bedürfnis für die begehrte gerichtliche Entscheidung vor.
Das Gericht geht dabei im Rahmen wohlwollender Auslegung (§§ 88, 122 VwGO) davon aus, dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO an die Stelle des auf vorbeugenden Rechtschutz gerichteten und insoweit voraussichtlich unzulässigen Antrags nach § 123 VwGO treten sollte. Hierbei handelt es sich um eine Antragsänderung infolge einer Sachverhaltsänderung (Erlass der Beseitigungsanordnung) bei gleichbleibendem Antragsziel (Duldung/Erhalt der eingezogenen Wände), die gemäß § 91 Abs. 1 VwGO analog zulässig ist (vgl. zur entsprechenden Anwendbarkeit des § 91 VwGO im selbstständigen Beschlussverfahren: ThürOVG, B.v. 18.01.2017 – 1 EO 851/16 -, juris Rn. 39; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 91 Rn. 7 m.w.N.; W. Peters/J. Kujath, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 91 Rn. 6 m.w.N.). Ferner wird der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO dahingehend interpretiert, dass die nicht vom Sofortvollzug umfasste Anordnung zur Freihaltung der Fluchtwege (Tenor Nr. 2) nicht antragsgegenständlich sein soll, da die mit der Antragstellung zugleich erhobene Anfechtungsklage insoweit bereits nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung entfaltet.
2. Der so verstandene zulässige Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Beseitigungsanordnung in Nr. 1 des Bescheides vom 24. September 2019 wiederherzustellen (vgl. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) und die kraft Gesetzes entfallene aufschiebende Wirkung bezüglich der Zwangsmittelandrohung in Ziffer 4 des Bescheides anzuordnen (vgl. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG), hat in der Sache aber keinen Erfolg.
2.1 Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids hinsichtlich der in Nr. 1 getroffenen Beseitigungsanordnung ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden, da sie in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügenden Weise unter Berücksichtigung des Einzelfalles ausreichend begründet wurde.
2.2 In materieller Hinsicht obliegt dem Gericht im Rahmen eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO eine eigenständige umfassende Ermessensentscheidung. Maßgeblich ist die Abwägung der widerstreitenden Interessen von Antragstellerin und Antragsgegnerin. Diese ist in erster Linie bestimmt durch die Erfolgsaussichten in der Hauptsache, hier also der Klage der Antragstellerin gegen die streitgegenständlichen Verfügungen in Nr. 1 und Nr. 4 sowie 5 des Bescheides vom 24. September 2019. Diese Interessenabwägung ergibt vorliegend aufgrund einer summarischen Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache, dass die Anfechtungsklage gegen die Beseitigungsanordnung und die Zwangsmittelandrohung mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird und das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt, da eine Rechtsverletzung der Antragstellerin erkennbar nicht gegeben sein dürfte (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
2.2.1 Die streitgegenständlichen Anordnungen sind vorliegend formell rechtmäßig ergangen. Die Antragsgegnerin hatte anlässlich zweier, am 16. und 23. September 2019 vor Ort erfolgter Kontrolltermine sowie des diese Termine flankierenden Schreibens vom 17. September 2019 ausreichend Gelegenheit, sich zu der beabsichtigten Beseitigungsanordnung und den insoweit entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Einer Anhörung auch zur Zwangsmittelandrohung bedurfte es dabei nicht, vgl. Art. 28 Abs. 2 Nr. 5 BayVwVfG. Der streitgegenständliche Bescheid wurde der Antragstellerin ausweislich des Briefkopfs ferner von der Antragsgegnerin zugestellt und damit auch dem Zustellerfordernis des Art. 36 Abs. 6 VwZVG Rechnung getragen.
2.2.2 Auch materiell-rechtlich begegnet die in Nr. 1 des Bescheids getroffene Beseitigungsanordnung keinen Bedenken. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 7 Abs. 1 Nr. 7, § 8 Abs. 1 Nr. 3 der Benutzungssatzung für die Obdachlosenunterkünfte der Stadt … vom 30. November 2001.
§ 7 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 der Benutzungssatzung ermächtigt die Antragsgegnerin dazu, zum Vollzug der Satzung Anordnungen für den Einzelfall zu treffen. § 8 Abs. 1 Nr. 3 der Satzung verbietet es den Benutzern der Unterkünfte mit Rücksicht auf die Gesamtheit der Bewohner und im Interesse einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung der Unterkünfte, ohne schriftliche Einwilligung der Antragsgegnerin Bauwerke irgendwelcher Art zu errichten bzw. bauliche Änderungen oder Installationen jeglicher Art innerhalb und außerhalb des betreffenden Gebäudes vorzunehmen.
Vorliegend hat die Antragstellerin mit Hilfe ihres Lebensgefährten zwei jeweils ca. 10 cm starke, beidseitig mit Rigips beplankte Wände in die ihr zugewiesenen Unterkunft eingezogen, die augenscheinlich am vorhandenen Mauerwerk fixiert bündig an dieses anschließen und innenseitig mit einer Elektroverkabelung versehen sind. Damit wurden – entgegen der Einschätzung der Antragstellerin – bauliche Änderungen und Installationen an der zugewiesen Unterkunft vorgenommen. Dass diesen Maßnahmen in ihrer konkreten Ausführung eine (schriftliche) Einwilligung der Antragsgegnerin zugrunde liegen würde, wie die Antragstellerin vorträgt, wird von der Antragsgegnerin ausdrücklich bestritten und ist auch für das Gericht nicht ersichtlich. Ausweislich der Stellungnahme der Antragsgegnerin vom 26. August 2019 im Verfahren M 22 S 19.4258 sowie des Schreibens der Antragsgegnerin vom 17. September 2019 hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin lediglich zugestanden, die zugewiesene Unterkunft mit einem – nicht mit dem Mauerwerk verbundenen – Raumteiler bzw. einer Pappkartonwand auszustatten. Die konkret erfolgten Einbauten weichen von diesem Zugeständnis jedoch deutlich ab und sind damit keinesfalls von diesem abgedeckt. Dies musste auch der Antragstellerin bewusst sein, zumal ihr die konkrete Baumaßnahme, als sich das Ausmaß der beabsichtigten Arbeiten aufgrund der Materialanlieferung abzuzeichnen begann, auch noch einmal ausdrücklich vom Hausmeister untersagt worden war. Die dennoch eigenmächtig vorgenommene Unterteilung der zugewiesenen Wohneinheit mit Rigips-Wänden nebst entsprechender Elektroverkabelung stellt damit unzweifelhaft einen Verstoß gegen § 8 Abs. 1 Nr. 3 der Benutzungssatzung dar, weshalb die Antragsgegnerin gemäß § 7 Abs. 7 Satz 1 der Satzung auch dazu ermächtigt war, Anordnungen zum Zwecke der Wiederherstellung eines satzungsgemäßen Zustände zu treffen.
Die Antragsgegnerin hat in diesem Zuge aus brandschutzrechtlichen und generalpräventiven Erwägungen sowie unter dem Gesichtspunkt der Minimierung etwaiger Schäden am Heizungssystem eine Beseitigungsanordnung ausgesprochen. Dies ist für das Gericht durchaus nachvollziehbar und unter Ermessensgesichtspunkten nicht zu beanstanden. Insbesondere verstößt die Anordnung auch nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Antragsgegnerin hat sich ausweislich der ausführlichen Begründung des streitgegenständlichen Bescheids insbesondere mit der Frage der Verhältnismäßigkeit intensiv auseinandergesetzt und die Interessen der Antragstellerin, mit den Belangen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abgewogen. Sie hat insbesondere auch die Tatsache berücksichtigt, dass die Antragstellerin in wenigen Wochen ihr drittes Kind erwartet. Die von der Antragstellerin im Antragsverfahren geäußerte Befürchtung, sie könnte infolge des durch die Beseitigungsanordnung ausgelösten Stresses ihr Kind verlieren, vermag das Gericht – ungeachtet dessen, dass die Antragstellerin darauf hinzuweisen ist, dass sie selbst es war, die durch ihr eigenmächtiges, satzungswidriges Handeln die Ursache für diesen Stress gesetzt hat – auf der Grundlage des von der Antragstellerin vorgelegten Mutterpasses und Arztbriefes des Klinikums … vom 26. September 2019 nicht zu teilen. Bei der am 26. September 2019 vorgenommenen Untersuchung zeigten sich ausweislich des Arztbriefes durchgängig unauffällige Befunde, weshalb wohl die Antragstellerin die ihr angebotene stationäre Aufnahme zur Beobachtung auch ablehnte. Soweit die Antragstellerin ferner auf eine Überprüfung der Elektroinstallation als milderem Mittel gegenüber einer Beseitigung verweist, ist festzustellen, dass eine solche Maßnahme sowohl den generalpräventiven Erwägungen (Verhinderung weiterer ungenehmigter Umbauten) als auch dem Wunsch der Antragsgegnerin nach rascher Abklärung des Druckabfalls im Heizungssystem keine Rechnung tragen würde. Dessen ungeachtet kann der Antragsgegnerin die von ihr nicht gewünschte Elektroverkabelung weder aufgedrängt werden, noch dürfte es angesichts der damit verbundenen Haftung ohne weiteres möglich sein, einen geeigneten Meisterbetrieb zu finden, der die innenseitig verbaute und damit schwer einsehbare Elektrik abnimmt, ohne sie selbst installiert zu haben.
2.2.3 Auch die Androhung der Ersatzvornahme begegnet materiell-rechtlich keinen Bedenken.
Die in Nr. 4 und 5 des Bescheides enthaltene Androhung, die Beseitigung der errichteten Wände bei Nichtbeachtung der Anordnung aus Nr. 1 des Bescheides auf Kosten der Antragstellerin im Wege der Ersatzvornahme vornehmen zu lassen, hat ihre Rechtsgrundlage in den Art. 19 Abs. 1, 29 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Art. 32 und 36 VwZVG und entspricht den gesetzlichen Anforderungen. So lässt das grundsätzlich vorrangig zu wählende Zwangsmittel des Zwangsgeldes vorliegend keinen Erfolg erwarten, da die obdachlose Antragstellerin zum einen vermögenslos ist und zum anderen auch mehrfach geäußert haben soll, unter keinen Umständen gewillt zu sein, der Verpflichtung zur Beseitigung nachzukommen. Bei der in die Grundverfügung aufgenommenen Fristbestimmung („spätestens jedoch bis zum 30. September 2019“) handelt es sich ferner um die gem. Art. 36 Abs. 1 VwZVG zu setzende Vollstreckungsfrist und nicht um eine Bescheidsfrist als Bestandteil des Grundverwaltungsaktes mit materiell-rechtlichem Charakter (zur Unterscheidung: Linhart, Schreiben, Bescheide und Vorschriften in der Verwaltung, RdNr. 185 zu § 18). Die Fristbestimmung in der Beseitigungsanordnung ist daher auch Bestandteil der unter Nr. 4 des Bescheides verfügten Ersatzvornahmeandrohung. Obwohl durchaus knapp bemessen, ist die gesetzte Frist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles dabei auch als (noch) angemessen zu bewerten. Sie berücksichtigt das behördliche Interesse an der alsbaldigen Ausführung zum Zwecke der Gefahrenabwehr und gibt den Betroffenen, die die Wand augenscheinlich auch in nur einem Wochenende errichtet haben, dennoch die erforderliche Zeit, der Verpflichtung nachzukommen. Schließlich wurden die voraussichtlichen Kosten einer etwaigen Ersatzvornahme entsprechend Art. 36 Abs. 4 Satz 1 VwZVG auch in Ziffer 5 des Bescheides veranschlagt.
Auch die Tatsache, dass über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bis zum Ablauf der Vollstreckungsfrist noch nicht entschieden war, führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Androhung. Es ist vielmehr Sache der Antragsgegnerin, der Antragstellerin im Rahmen des Anwendungsermessens nochmals eine angemessene Frist für die Befolgung der Beseitigungsanordnung einzuräumen, bevor das angedrohte Zwangsmittel angewendet wird (vgl. BayVGH, U.v. 16.11.2010 -1 B 10.1068 – juris).
3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Ziffer 1.5 sowie Ziffer 35.3 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
4. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war ungeachtet der wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin gleichfalls abzulehnen, da die Rechtsverfolgung den obigen Ausführungen entsprechend keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. § 166 Abs. 1 Satz1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung – ZPO) bietet.