Verwaltungsrecht

Offensichtlich unbegründeter Asylantrag eines Palästinensers

Aktenzeichen  M 17 S 17.42437

Datum:
21.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 4 Abs. 1 Nr. 3, § 34, § 36 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt besteht in den palästinensischen Autonomiegebieten derzeit nicht. Die Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Fatah sind nach Abschluss des Versöhnungsabkommens weitestgehend eingestellt. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine ungünstige Gesamtsituation und eine Schussverletzung, deren Umstände nicht vorgetragen sind, können ein Schutzbegehren nicht rechtfertigen. Die humanitäre Gesamtsituation in Palästina stellt keine aktuelle Extremgefahr dar.  (Rn. 15 – 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der 1990 geborene Antragsteller ist nach eigenen Angaben palästinensischer Staatsangehöriger. Er sei Anfang März 2015 über die Türkei auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und stellte hier am 9. April 2015 einen Asylantrag.
Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gab der Antragsteller an, sein Heimatland (palästinensische Autonomiegbiete) im November 2014 verlassen zu haben. Seine gesamte Familie lebe noch in … Er habe Abitur gemacht und zuletzt in einer Firma sowie in einer Bäckerei gearbeitet. Zu den Fluchtgründen führte der Antragsteller aus, dass in … ständig Krieg herrsche und es ständig Konflikte gebe. Außerdem mangele es an jeder Freiheit und man sei eingesperrt, wie in einem Gefängnis. Die allgemeinen Lebensumstände seien schwer und es gebe kaum eine Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Im Jahr 2014 sei auch Krieg gewesen. Dabei sei das Gebiet, in dem er lebte, total zerstört worden. Alle Menschen hätten fliehen müssen und zwar in den Westen von … Bei den Auseinandersetzungen sei er schwer verletzt worden. Das Elend in seiner Heimat sei unerträglich, man habe keine Perspektive. Insbesondere sei es fast unmöglich, Arbeit zu finden.
Auf die Frage, ob er in seinem Heimatland irgendwelchen ernsthaften Bedrohungen ausgesetzt gewesen sei, gab der Antragsteller an, eine schwere (Schuss) Verletzung erlitten zu haben, an der er fast gestorben wäre.
Mit Bescheid vom 18. Mai 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (1), auf Asylanerkennung (2) sowie den Antrag auf subsidiären Schutz (3) als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (4). Es forderte die Antragstellerpartei auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde die Abschiebung in die palästinensischen Autonomiegebiete oder in einen anderen Staat, in den eingereist werden darf oder der zur Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (6).
Der Antragsteller sei kein Asylbewerber im Sinne des Art. 16a Abs. 1 GG und auch kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG. Er habe weder eine Verfolgung in Anknüpfung an asyl- und flüchtlingsrelevante Merkmale geltend gemacht, noch eine konkrete und aktuelle Bedrohungslage, die fluchtursächlich sei. Auch ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG bestehe für die palästinensischen Autonomiegebiete gegenwärtig nicht. Die insoweit in Betracht kommenden Auseinandersetzungen zwischen der den …streifen dominierenden Hamas sowie der Fatah seien jedenfalls im …streifen nach Abschluss des Versöhnungsabkommens weitgehend eingestellt. Auseinandersetzungen militanter Splittergruppen fänden zwar vereinzelt statt, erreichten aber nicht ein Ausmaß, das eine Gefährdung der Zivilbevölkerung allein durch deren Anwesenheit im Konfliktgebiet hervorruft. Daher könne dem Antragsteller auch kein subsidiärer Schutz nach § 4 AsylG zuerkannt werden. Letztlich dränge sich geradezu auf, dass sich der Antragsteller aus wirtschaftlichen Gründen in Deutschland aufhalte und sich keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er selbst bei Rückkehr in sein Heimatland mit relevanten staatlichen oder nicht staatlichen Repressionsmaßnahmen zu rechnen hätte. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in den palästinensischen Autonomiegebieten seien auch nicht derart zugespitzt, dass sie als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten seien und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5
AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllten.
Gegen diesen Bescheid, zugestellt am 26. Mai 2017, erhob die Antragstellerpartei am 31. Mai 2017 Klage (M 17 K 17.42434) und beantragte gleichzeitig sinngemäß, hinsichtlich der Ausreiseaufforderung und der Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Die Klage und der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wurden mit Schriftsatz vom 21. Juni 2016 begründet.
Die Antragsgegnerin legte die Akten vor und stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Klageverfahren sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Recht-mäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 AsylG).
1. Gemäß Art. 16a GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag ist im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG offensichtlich nicht besteht – wobei eine nur summarische Prüfung nicht ausreicht – und ob dieser weiterhin Bestand haben kann (BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – BVerfGE 67, 43).
Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a GG) und die Voraussetzungen des § 3 AsylG offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel im Sinne des Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94,166 ff.), was nach ständiger Rechtsprechung aber nicht anzunehmen ist, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – InfAuslR 1993, 196).
2. An der Rechtmäßigkeit der durch das Bundesamt getroffenen, streitgegenständlichen Entscheidungen bestehen hier keine derartigen ernstlichen Zweifel.
a) Die Anerkennung als Asylberechtigter verfolgt der Antragsteller nach der Klage- bzw. Antragsschrift nicht mehr. Aber auch ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Flüchtling oder die Gewährung subsidiären Schutzes rechtfertigen würde, ist vorliegend aus dem Vortrag der Antragstellerpartei nicht erkennbar. Das Gericht folgt der zutreffenden Begründung der Antragsgegnerin im angegriffenen Bescheid, wonach aktuell keine beachtliche Gefährdungslage im Konfliktgebiet … vorliegt, auf die verwiesen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG). Der Antragsteller ist offensichtlich aufgrund der ungünstigen Gesamtsituation in seinem Herkunftsland nach Deutschland gereist und hat hier einen Schutzantrag gestellt. Sein Vorbringen beinhaltet keinen Anhalt dafür, dass die Voraussetzungen für den beantragten Schutz vorliegen könnten.
Dies gilt auch vor dem Hintergrund der erlittenen Schussverletzung. Denn der Antragsteller hat nur ärztliche Behandlungsberichte hierzu vorgelegt, aber – trotz Nachfrage zu konkreten ernsthaften Bedrohungen – in keiner Weise ausgeführt, von wem und unter welchen Umständen ihm diese Verletzung beigebracht wurde. Soweit die Schussverletzung im Zusammenhang mit einer Verfolgungshandlung gestanden hätte, hätte es sich selbstredend aufgedrängt, die maßgeblichen Umstände hierzu auszuführen und darzulegen.
b) Das Bundesamt hat im Übrigen auch zu Recht das Vorliegen von Abschiebungsverboten aufgrund der humanitären Situation im Herkunftsland für den jungen, gesunden und arbeitsfähigen Antragsteller und dem Nichtvorliegen einer aktuellen Extremgefahr gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG abgelehnt. Das Gericht nimmt auch insoweit auf die Begründung des Bescheides des Bundesamts Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Vor diesem Hintergrund ist die nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung sowie die damit verbundene Ausreiseaufforderung nicht zu beanstanden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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