Verwaltungsrecht

Offensichtliche Unbegründetheit der Anträge auf Asylanerkennung und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  W 6 K 17.30307

Datum:
8.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5,  Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Zur Einberufung bedarf es in der Ukraine der persönlichen Zustellung eines schriftlichen Einberufungsbefehls. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Übersiedlung in andere Landesteile der Ukraine ist den Klägern möglich und zumutbar, um etwaigen drohenden Gefahren im Osten der Ukraine (Donbass) in den Gebieten Donezk und Luhansk, in denen ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht, zu entgehen (vgl. VGH München BeckRS 2016, 112325). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Zustände im Rest der Ukraine sind für russisch-stämmige und russisch-sprechende Binnenflüchtlinge nicht menschenunwürdig. Insbesondere ist die russische Sprache kein Grund für Diskriminierungen oder Schikane. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
4 Aus einer Risikoschwangerschaft, bei der eine Fehlgeburt und ein Ende der Schwangerschaft droht, ergibt sich nicht ohne Weiteres eine lebensgefährliche Gefährdung der Asylbewerberin iSd § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Bescheid des Bundesamtes vom 12. Januar 2017 nicht rechtswidrig ist und die Kläger dadurch nicht in ihren Rechten verletzt sind, § 113 Abs. 5 VwGO. Das Bundesamt konnte nach den Maßstäben des § 30 Abs. 1 AsylG davon ausgehen, dass die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen (1.). Die Kläger haben aber auch darüber hinaus keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG; ebenso wenig besteht ein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG bzw. auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (2.).
1. Das Bundesamt durfte zu Recht gemäß § 30 Abs. 1 AsylG von der offensichtlichen Unbegründetheit der Anträge auf Asylanerkennung, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie des subsidiären Schutzstatus ausgehen.
Der für § 30 Abs. 1 AsylG maßgebliche unbestimmte Rechtsbegriff der Offensichtlichkeit ist historisch zunächst mit Blick auf die Abweisung einer Klage als offensichtlich unbegründet entwickelt worden, kann aber auf die Entscheidung des Bundesamtes übertragen werden. Bereits zu § 11 Abs. 1 AsylVfG a.F. hatte das BVerfG festgestellt, dass das erforderliche Maß an Richtigkeitsgewissheit für die Bundesamtsentscheidung jedenfalls nicht hinter den Anforderungen zurückbleiben dürfe, die an die zum Rechtsmittelausschluss führende Abweisung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet zu stellen seien (BVerfG NJW 1984, 2028). Das BVerfG bejaht – mit Blick auf die unbegründete Asylklage – die Offensichtlichkeit i.S.v. § 30 Abs. 1 AsylG in st.Rspr., „wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand von Rspr. und Lehre) die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt“ (BVerfG BeckRS 2000, 22406 Rn. 3; NVwZ 1994, 160 (161); 2007, 1046; 2008, 418; s. bereits BVerfG NJW 1983, 2929 (2930)). Befindet das Bundesamt einen Asylantrag für offensichtlich unbegründet i.S.v. § 30 Abs. 1 AsylG, gilt – bezogen auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung – derselbe Maßstab. Angesichts der einschneidenden Rechtsfolgen kann eine solche Evidenzentscheidung nur dann getroffen werden, wenn das Asylbegehren eindeutig aussichtlos ist, die Aussichtslosigkeit – so das BVerfG – auf der Hand liegt (BVerfG BeckRS 2000, 22406 Rn. 3; s. auch VG Bln BeckRS 2015, 55636; VG Ansbach BeckRS 2016, 112703). Dieselben Anforderungen gelten für die Entscheidung über die Flüchtlingsanerkennung (BVerfG NVwZ-RR 2008, 507 (508)) sowie die Gewährung subsidiären Schutzes (vgl. BeckOK AuslR/Heusch AsylG § 30 Rn. 13-14).
Gemessen an diesen Maßstäben drängte sich angesichts des Vortrags der Kläger im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Entscheidung die Ablehnung als offensichtlich unbegründet auf. Die Kläger vermochten nicht nur keine individuellen Fluchtgründe darzulegen, sondern waren überdies nicht in der Lage, eine individuelle Gefährdung mit dem entsprechenden Grad der Verfolgungsintensität geltend zu machen. Das Vorbringen der Kläger im Rahmen der Anhörung beschränkte sich auf pauschale und abstrakte Annahmen und Vermutungen, die schon keinerlei konkreten Bezug zu ihren persönlichen Lebensumständen und ihrer eigenen Rechtsgutsphäre aufgewiesen haben. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen, § 77 Abs. 2 AsylG.
2. Ungeachtet dessen haben die Kläger auch im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 1. HS AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG oder des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG; ebenso wenig besteht ein Anspruch auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Die Einwendungen der Kläger zur Begründung der Klage greifen ebenso wenig durch wie das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, sie haben nichts vorgebracht, was auf eine gezielte und konkrete Verfolgung in asyl- oder flüchtlingsrelevanter Weise hingedeutet hätte. Ihr Vorbringen ist auch sonst nicht schutzrelevant und begründet nach den Umständen des vorliegenden Falles jedenfalls nicht die Voraussetzungen für ein Aufenthalts- oder Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland.
Soweit seitens des Klägers zu 1) eine Einberufung zum Wehrdienst thematisiert wird, ist zum einen festzuhalten, dass der Kläger nach Überzeugung des Gerichts (noch) nicht wirksam einberufen worden ist. Zum Zeitpunkt der Ausreise der Kläger aus der Ukraine war der Kläger nicht einberufen worden, da es hierfür der persönlichen Zustellung eines schriftlichen Einberufungsbefehls bedarf. Demzufolge konnte auch das im Schreiben eines Freundes der Familie vom 8. Februar 2017, welches mit Schriftsatz der Klägerbevollmächtigten vom 18. Februar 2017 vorgelegt wurde, ebenfalls keinen Einberufungsbefehl zum Inhalt haben, da nach der Auskunftslage der Einberufungsbefehl stets schriftlich ergeht und nur dem Betroffenen persönlich überreicht wird. Die Einschätzung des Gerichts, dass es keinen Einberufungsbescheid für den Kläger zu 1) gibt, wird zudem dadurch untermauert, als die Kläger in der mündlichen Verhandlung dieses Schreiben des Freundes insoweit relativiert haben, dass es überhaupt keinen schriftlichen Einberufungsbefehl gebe, sondern dem Freund des Klägers zu 1) nur mündlich mitgeteilt worden sei, er möge dem Kläger zu 1) ausrichten, dass er einberufen werde und kämpfen gehen solle. Ungeachtet dessen wäre selbst beim Vorliegen einer wirksamen Einberufung des Klägers zu 1) zum Wehrdienst nicht von einem Sachverhalt auszugehen, der die klägerseits begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder zumindest subsidiären Schutz begründen könnte (vgl. BayVGH, U.v. 24.8.2017 – 11 B 17.30392).
Darüber hinaus konnten die Kläger nichts vorbringen, was eine individuelle Bedrohungssituation oder zumindest die begründete Furcht vor Verfolgung nahe gelegt hätte. Die geschilderte Bedrohungslage ist eine allgemeine Situation, die sämtliche Bürger im von den kriegerischen Auseinandersetzungen betroffenen Teil der Ost-Ukraine gleichermaßen trifft. Eine individuelle Gefährdung wurde weder dargelegt, noch ist sie ersichtlich; ebenso wenig ist ersichtlich, dass den Klägern bei einer Rückkehr in die Ukraine ein erheblicher Schaden drohen würde, der die Zuerkennung von subsidiärem Schutz gemäß § 4 AsylG zur Folge hätte. Auch wenn davon auszugehen ist, dass im Osten der Ukraine (Donbass) in den Gebieten Donezk und Luhansk ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht, ist insoweit darauf hinzuweisen, dass den Klägern eine Übersiedlung in andere Landesteile der Ukraine möglich und zumutbar ist, um etwaigen drohenden Gefahren zu entgehen (vgl. BayVGH, B.v. 22.12.2016 – 11 ZB 16.30679). Die Einlassung in der mündlichen Verhandlung, dass die Zustände im Rest der Ukraine für russisch-stämmige und russisch-sprechende Binnenflüchtlinge schlecht oder gar menschenunwürdig seien, ist eine bloße Behauptung, die nicht untermauert wurde und die insbesondere nicht der Auskunftslage entspricht; der von der Klägerbevollmächtigten übergebene Artikel von Amnesty International vom 26. Juli 2017 fokussiert sich allgemein auf die relativ schlechtere Lage der Binnenflüchtlinge im Vergleich zu internationalen Flüchtlingen. Dagegen ergibt sich aus dem Bericht des österreichischen Bundesamtes für fremden Wesen und Asyl vom Mai 2017 (Fact Finding Mission Report Ukraine – BFA-Report), dass das grundsätzlich die Einstellung der ukrainischen Bevölkerung gegenüber den Binnenflüchtlingen positiv ist und grundsätzlich von Verständnis getragen wird; diese Einstellung habe sich auch in den letzten zwei Jahren kaum geändert (a.a.O., S. 66-67). Insbesondere ist die russische Sprache kein Grund für Diskriminierungen oder Schikane (BFA-Report, S. 68).
Überdies ist nicht ersichtlich, weshalb die Kläger nach ihrer Rückkehr nicht in der Lage sein sollten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. In Anbetracht der bestehenden sozialen Sicherungssysteme in der Ukraine (insbesondere IDP-Gesetz, in Kraft seit 19.11.2014) ist davon auszugehen, dass ihr Lebensunterhalt – wenn auch knapp – bei einer Rückkehr in die Ukraine gesichert ist.
Abschiebungshindernisse liegen keine vor, insbesondere ist der Vortrag zur Erkrankung der Pflegebedürftigkeit der Großmutter der Klägerin zu 2) irrelevant, da es sich hierbei um kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis handelt. Die Vermeidung der Trennung der Familie ist ausländerrechtlich gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde geltend zu machen und nicht im Asylverfahren gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Die Schwangerschaft der Klägerin zu 2), welche als Risikoschwangerschaft attestiert ist, führt ebenfalls nicht zu einer Feststellung eines Abschiebungsverbotes, da nicht ersichtlich ist, weshalb der Klägerin zu 2) bei einer Rückkehr eine konkrete individuelle extremen Gefahr für Leib und Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG drohen sollte. Eine solche Gefahr kann bei einer lebensbedrohlichen Krankheit vorliegen, die sich alsbald nach seiner Rückführung erheblich verschlimmern und zu seinem Tode führen würde (BVerwG, B.v. 24.5.2006 – 1 B 118.05, NVwZ 2007, 345/346 a.E.). Nach dem ärztlichen Attest vom 23. Oktober 2017 könnte eine Fehlgeburt und damit ein Ende der Schwangerschaft drohen; inwieweit sich dies zu einer lebensgefährlichen Gefährdung des Zustandes der Klägerin zu 2) entwickeln könnte, erschließt sich nicht. Überdies ist darauf hinzuweisen, dass ausweislich der allgemeinen Auskunftsklage eine medizinische Versorgung in der Ukraine flächendeckend und kostenlos vorhanden ist (vgl. Lagebericht des AA v. 7.2.2017, S. 16).
Die in der mündlichen Verhandlung hervorgehobenen Integrationsleistungen der Kläger verdienen Anerkennung, sind jedoch für die Entscheidung im flüchtlingsrechtlichen Verfahren unerheblich.
3. Daher sind auch die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung in die Ukraine rechtmäßig. Auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung bestehen keine Bedenken. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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