Verwaltungsrecht

Pflicht zur Einholung einer Anlassbeurteilung bei turnusgemäßen Regelbeurteilungen nach zwischenzeitlicher Beförderung eines Bewerbers

Aktenzeichen  3 CE 21.2593

Datum:
1.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41347
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 19 Abs. 4 S. 1, Art. 33 Abs. 2
LlbG Art. 56 Abs. 4 S. 1
VwGO § 123

 

Leitsatz

1. Eine Regelbeurteilung ist grundsätzlich hinreichend aktuell, wenn der Beurteilungsstichtag höchstens drei Jahre vor dem Zeitpunkt der Auswahlentscheidung liegt (ebenso BVerwG BeckRS 2019, 20388). (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch bei einem auf turnusgemäßen Regelbeurteilungen beruhenden Beurteilungssystem kann die Notwendigkeit entstehen, die Beurteilungsgrundlage im Hinblick auf eine zu treffende Auswahlentscheidung zu aktualisieren, wenn ein Bewerber nach der letzten Regelbeurteilung schon einmal befördert worden ist und nun eine erneute Beförderung anstrebt, nach oder vor einer Versetzung oder mit Blick auf eine laufbahnrechtliche Erprobung (ebenso BVerwG BeckRS 2019, 20388). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Dienstherr muss mit der Ernennung eines ausgewählten Bewerbers nicht warten, bis über die Besetzung des Dienstpostens bestandskräftig entschieden ist; es genügt, dass er die sich aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG, Art. 33 Abs. 2 GG ergebenden Mitteilungs- und Wartepflichten erfüllt und kein einstweiliger Rechtschutz beantragt wird (ebenso BVerwG BeckRS 2011, 45441). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 1 E 21.1208 2021-09-22 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 22. September 2021 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung abgeändert. Dem Antragsgegner wird vorläufig untersagt, die Stelle „Sachbearbeiter 3. QE Vermögens- und Wirtschaftsdelikte (A 9/11 (12)) im Kommissariat K 3 bei der KPI Passau“ mit dem Beigeladenen zu besetzen, solange über die Bewerbung des Antragstellers keine neue Auswahlentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats getroffen worden ist. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge zu tragen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, der diese Kosten selbst trägt.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 16.035,17 € festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig und hat teilweise Erfolg. Die vom Antragsteller in seiner Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO die Prüfung des Senats im Beschwerdeverfahren bestimmen und beschränken, führen zur Abänderung der angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.
1. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht einen Anordnungsanspruch des Antragstellers verneint. Dessen Bewerbungsverfahrensanspruch nach Art. 33 Abs. 2 GG wird durch die vom Antragsgegner getroffene Auswahlentscheidung (Auswahlvermerk des Polizeipräsidiums Niederbayern vom 10.5.2021), die ausgeschriebene Stelle mit dem Beigeladenen zu besetzen, verletzt.
Die Eignung von dienstlichen Beurteilungen als Grundlage für den Bewerbervergleich setzt voraus, dass diese zeitlich aktuell und inhaltlich aussagekräftig sind. Die Aktualität dienstlicher Beurteilungen bemisst sich nach dem verstrichenen Zeitraum zwischen ihrer Erstellung (dem Beurteilungsstichtag) und dem Zeitpunkt der Auswahlentscheidung. Eine Regelbeurteilung ist grundsätzlich hinreichend aktuell, wenn der Beurteilungsstichtag höchstens drei Jahre vor dem Zeitpunkt der Auswahlentscheidung liegt (BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 2 C 1.18 – juris Rn. 33 ff. m.w.N.). Das entspricht auch der Rechtslage in Bayern (Art. 56 Abs. 4 Satz 1 LlbG).
Der Antragsgegner hat zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Auswahlentscheidung (vgl. BVerwG, B.v. 12.12.2017 – 2 VR 2.16 – juris Rn. 44, 54), den er willkürfrei auf den 10. Mai 2021 festgelegt hat, sowohl für den Antragsteller als auch den Beigeladenen die letzte Regelbeurteilung für den Zeitraum vom 1. November 2015 bis 31. Mai 2018 zugrunde gelegt. Die Beurteilung des Beigeladenen hat jedoch, obwohl der Beurteilungsstichtag noch nicht mehr als drei Jahre zurücklag, ihre Aktualität verloren.
Auch bei einem auf turnusgemäßen Regelbeurteilungen beruhenden Beurteilungssystem kann die Notwendigkeit entstehen, die Beurteilungsgrundlage im Hinblick auf eine zu treffende Auswahlentscheidung zu aktualisieren. Möglicher Anlass, in dem sich auch in einem auf Regelbeurteilungen basierenden Beurteilungssystem der Bedarf nach einer Anlassbeurteilung unabweisbar aufdrängt, ist, dass ein Bewerber nach der letzten Regelbeurteilung schon einmal befördert worden ist und nun eine erneute Beförderung anstrebt, ggf. auch nach oder vor einer Versetzung oder mit Blick auf eine laufbahnrechtliche Erprobung (BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 2 C 1.18 – juris Rn. 42; vgl. auch BayVGH, B.v. 5.11.2019 – 3 CE 19.1896 – juris Rn. 20; VG Kassel, U.v. 28.1.2021 – 1 L 1742/20.KS – juris Rn. 54 f.; Schnellenbach/Bodanowitz, Beamtenrecht in der Praxis, 10. Aufl. 2020, § 11 Rn. 13). Bedarf nach einer Aktualisierung der dienstlichen Beurteilung kann auch entstehen, wenn der Beamte nach dem Beurteilungsstichtag der letzten Regelbeurteilung während eines erheblichen Zeitraums wesentlich andere Aufgaben wahrgenommen hat. Ein erheblicher Zeitraum liegt vor, wenn bei einem – wie hier – dreijährigen Regelbeurteilungszeitraum die anderen Aufgaben während des (deutlich) überwiegenden (mit zwei Dritteln anzusetzenden) Teils des Beurteilungszeitraums wahrgenommen wurden, also zwei Jahre. Wesentlich andere Aufgaben im vorstehenden Sinne liegen nur vor, wenn der Beamte in seinem veränderten Tätigkeitsbereich Aufgaben wahrnimmt, die einem anderen (regelmäßig höherwertigen) Statusamt zuzuordnen sind. Eine bloße Veränderung des Dienstpostens hat noch nicht diese Beurteilungsrelevanz. Bei sog. gebündelten Dienstposten ist dies nur der Fall, wenn dieser nicht auch derjenigen Besoldungsgruppe zuzuordnen ist, der die bisherigen Aufgaben des Beamten entsprachen (BVerwG, U.v. 9.5.2019 a.a.O.)
Hier wurde der Beigeladene am 1. Februar 2019 befördert und damit nach der letzten Regelbeurteilung (Mai 2018). Damit hätte nach der vorzitierten höchstrichterlichen Entscheidung für den Beigeladenen eine Anlassbeurteilung erstellt werden müssen. Der Senat führt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fort und zwar in dem Sinne, dass die erfolgte Beförderung stets eine gewisse Zeitdauer aufweisen muss. Im vorliegenden Fall hatte der Beigeladene das Statusamt A 11 zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung bereits 27 Monate inne. Bei dem – hier – dreijährigen Regelbeurteilungszeitraum ist selbst bei Anlegen eines strengen Maßstabs orientiert an den eingangs zitierten Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts (erheblicher Zeitraum von mindestens zwei Jahren) diese Zeitdauer gegeben. Ob dieser Maßstab stets anzulegen ist, bedarf keiner Entscheidung.
2. Der Antragsgegner wird daher nun eine erneute Auswahlentscheidung auf der Grundlage der zwischenzeitlich eröffneten Regelbeurteilungen für den Zeitraum vom 1. Juni 2018 bis 31. Mai 2021 treffen müssen.
3. Abzulehnen ist der Antrag, soweit er darauf gerichtet ist, die Besetzung der streitbefangenen Stelle bis zur rechtskräftigen Entscheidung zu untersagen. Der Antragsteller kann zunächst nur verlangen, dass sein Bewerbungsverfahrensanspruch in dem laufenden Besetzungsverfahren beachtet wird. Insoweit gilt kein anderer Prüfungsmaßstab als im Hauptsacheverfahren (vgl. BVerfG, B.v. 4.2.2016 – 2 BvR 2223/15 – juris Rn. 83; B.v. 24.9.2002 – 2 BvR 857/02 – juris Rn. 13 f.; BVerwG, U.v. 4.11.2010 – 2 C 16.09 – juris Rn. 32; B.v. 20.1.2004 – 2 VR 3.03 – juris Rn. 8). Sowohl bei einer erneuten Auswahlentscheidung im laufenden Verfahren als auch im Falle eines neu durchzuführenden Auswahlverfahrens hätte der Antragsteller gegebenenfalls die Möglichkeit, seine Rechte aus Art. 33 Abs. 2 GG durch ein erneutes Eilverfahren zu sichern. Der Dienstherr muss mit der Ernennung eines ausgewählten Bewerbers nicht warten, bis über die Besetzung des Dienstpostens bestandskräftig entschieden ist; es genügt, dass er die sich aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, Art. 33 Abs. 2 GG ergebenden Mitteilungs- und Wartepflichten erfüllt und kein einstweiliger Rechtschutz beantragt wird (vgl. BVerwG, U.v. 4.11.2010 – 2 C 16.09 – juris Rn. 33 ff.; BVerfG, B.v. 9.7.2007 – 2 BvR 206/07 – juris Rn. 18).
4. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens ganz zu tragen, weil der Antragsteller nur zu einem geringen Teil (zeitlicher Umfang des Anordnungsgrundes) unterlegen ist (§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO). Da der Beigeladene keinen Antrag gestellt hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 bis 4 GKG (wie Vorinstanz).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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