Verwaltungsrecht

Polizeirecht, Kostenbescheid für unmittelbaren Zwang

Aktenzeichen  M 23 K 19.2239

Datum:
14.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16935
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PolKV § 1 Nr. 8
PAG Art. 70 Abs. 2, Art. 71 Abs. 1 Nr. 3, Art. 75 Abs. 3 S. 1 und 2, Art. 81 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
I.
Der Leistungsbescheid vom 9. April 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen subjektiven Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Erhebung der Gebühren i.H.v. 54,- EUR in Zusammenhang mit der Anwendung unmittelbaren Zwangs vom … Januar 2019 gemäß Art. 75 Abs. 3 Satz 1 und 2 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz – PAG) i.V.m. Art. 1, 2 Kostengesetz (KG) und § 1 Nr. 8 Polizeikostenverordnung (PolKV), ist rechtmäßig.
Nach Art. 1 Satz 1 KG erheben die Behörden des Staates für Tätigkeiten, die sie in Ausübung hoheitlicher Gewalt vornehmen (Amtshandlungen), Kosten (Gebühren und Auslagen) nach den Vorschriften dieses Abschnitts. Nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 Satz 1 KG werden grundsätzlich Kosten nicht erhoben für Amtshandlungen, die von der Polizei zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach Art. 2 des Polizeiaufgabengesetzes vorgenommen werden, soweit nichts anderes bestimmt ist. Gemäß Art. 75 Abs. 3 PAG werden für die Anwendung unmittelbaren Zwangs Kosten erhoben. Die Gebühr beträgt für die Anwendung unmittelbaren Zwangs 36 Euro bis 1.500 Euro, § 1 Nr. 8 PolKV.
1. Soweit aus dem Rechtsstaatsprinzip bzw. Art. 16 Abs. 5 KG folgt, dass Kosten nur für rechtmäßige Polizeimaßnahmen erhoben werden (vgl. BayVGH, U.v. 17.4.2008 – 10 B 08.449 – juris Rn. 12; Durner: Ersatzvornahme und unmittelbarer Zwang, JA 2009, 911), mithin Primär- und Sekundärmaßnahme rechtmäßig sein müssen, führt dies vorliegend nicht zur Kostenfreiheit der polizeilichen Maßnahme. Die Anwendung unmittelbaren Zwangs war gemessen an Art. 70 Abs. 2, Art. 71 Abs. 1 Nr. 3, Art. 75 Abs. 1 Satz 1, Art. 77 Abs. 1, Art. 81 Abs. 1 Satz 2 PAG rechtmäßig, da die allgemeinen (hierzu 1.) und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen (hierzu 2.) vorlagen.
Die Vollstreckungsmaßnahme stellt sich ebenso als rechtmäßig dar wie die der Zwangsmaßnahme zugrundeliegende und auf Art. 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PAG zu stützende Primärmaßnahme.
a. Die allgemeinen Voraussetzungen für die Anwendung polizeilichen Zwangs waren erfüllt.
Im Ausgangspunkt ist festzustellen, dass die Anwendung unmittelbaren Zwangs hier nicht der Durchsetzung eines vorausgegangenen mündlichen Verwaltungsakts diente – etwa der an den Kläger gerichteten und das klägerische Fahrzeug betreffende Beseitigungsanordnung oder des Wegfahrgebots. Insofern kommt es auch nicht darauf an, ob der Kläger sein Fahrzeug ordnungswidrig abgestellt hatte. Vielmehr war mit der Fixierung des Klägers ersichtlich die Unterbindung eines aus Sicht der beteiligten Polizisten bevorstehenden tätlichen Angriffs auf PHM S. zum Schutz seiner Gesundheit bzw. körperlichen Unversehrtheit bezweckt. Dies ergibt sich unter Zugrundelegung der jeweils im strafrechtlichen Verfahren gemachten ausführlichen Aussagen der POMin K., des PHM S. sowie der als Zeugin vernommenen Anruferin K. und unter Würdigung der klägerseits im gerichtlichen Verfahren sowie im Ermittlungsverfahren getätigten Aussagen. So ging PHM S. selbst von einem Angriff aus (BA Bl. 25). Auch POMin K. bezog sich auf Eigensicherungsgründe und äußerte, die Maßnahme sei zur Unterbindung eines eventuellen Angriffs erfolgt (BA Bl. 28). Auch der Wahrnehmung der Anruferin K. zufolge diente die Maßnahme zum Eigenschutz (BA Bl. 38). Diese Zielrichtung des unmittelbaren Zwangs selbst wird vom Kläger auch nicht inhaltlich bestritten.
Diese somit ohne eigenen vorausgegangenen Verwaltungsakt (etwa in Form einer ausdrücklichen Anordnung) erfolgte Anwendung unmittelbaren Zwangs war zulässig als Maßnahme des Sofortvollzugs gem. Art. 70 Abs. 2 PAG. Während einer Vollstreckungsmaßnahme im Regelfall gem. Art. 70 Abs. 1 PAG ein dann sofort durchzusetzender und auf die Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung gerichteter Verwaltungsakt zugrunde liegt, durfte die Polizei vorliegend und im Ausnahmefall auf Grundlage des Art. 70 Abs. 2 PAG ohne einen solchen vorausgehenden Verwaltungsakt Verwaltungszwang anwenden. Denn der Zwang war zur Abwehr einer Gefahr notwendig (hierzu a.) und die Polizei handelte hierbei innerhalb ihrer Befugnisse (b.).
aa. Es bestand aus Sicht eines verständigen Polizeibeamten in der konkreten Situation eine konkrete polizeiliche Gefahr i.S.d. Art. 70 Abs. 2 PAG, für die der Kläger Verhaltensstörer gem. Art. 7 PAG war, bzw. durften die Polizeibeamten rechtmäßig hiervon ausgehen.
Ausweislich der in der Behördenakte befindlichen Stellungnahmen der handelnden Polizeibeamten war der Kläger am … Januar 2019 in erregter Stimmung aggressiv und lauthals mit erhobenem Arm und noch dazu einem Schlüsselbund in der Hand auf den PHM S. zugegangen, ohne dass die zuvor erfolgten Beschwichtigungsversuche erfolgreich waren. Auch wenn sich die Aussage der als Zeugin einvernommenen und an der polizeilichen Maßnahme unbeteiligten Anruferin K. nicht dazu verhält, ob der Klägers sich in Richtung der Polizeibeamten bewegt hatte, so legt ihre Aussage nach einer Gesamtwürdigung nahe, dass PHM S. in der konkreten Situation unmittelbar von einem Angriff des Klägers auf seine körperliche Unversehrtheit ausgehen durfte, ohne dass der Angriff mit milderen Mitteln hätte abgewendet werden können. So ist ihrer Zeugenaussage zu entnehmen, dass sich der Kläger in einem erregten Zustand befand, der sie selbst dazu veranlasst hatte, sich einige Meter zu entfernen, da sie eine Eskalation der Situation befürchtet hatte. Nicht zuletzt berichtet die Anruferin von einer die Polizei diffamierenden Wortwahl wie auch von Aussagen des Klägers, wonach er sich von der Polizei nichts sagen lasse. Auch sei der Kläger völlig „ausgetickt“. Dem ist der Kläger allenfalls mit pauschalen Behauptungen entgegengetreten, die die übereinstimmenden Aussagen der Polizeibeamten und der Anruferin nicht haben erschüttern können.
Angesichts dieses durch die vorliegenden Stellungnahmen der Polizeibeamten und der Zeugin K. zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz VwGO) belegten Verhaltens durften die handelnden Polizeibeamten davon ausgehen, dass ohne ein Eingreifen eine Gefahr für ihre körperliche Unversehrtheit bestand. Das mit gerichtlichem Beschluss vom 4. Juni 2019 eingestellte Bußgeldverfahren wegen Verstoßes gegen die Straßenverkehrsordnung und das Ordnungswidrigkeitengesetz steht der gerichtlichen Einschätzung einer konkreten Gefahr nicht entgegen und entlastet den Kläger – entgegen seiner Ansicht – nicht. So ist das Ordnungswidrigkeitenverfahren repressiv angelegt, mit der Folge, dass dieses anders als die polizeilich-präventive Gefahrenabwehr auch subjektive Tatbestands- als auch Schuldelemente umfasst. Ein Straf- oder Bußgeldverfahren lässt die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer präventiven Maßnahme – wie hier – somit unberührt und begründet keine tatbestandliche Vorwirkung. Auch die Tatsache, dass die Anruferin und Zeugin K. lediglich telefonisch einvernommen wurde und ihre Aussage lediglich indirekt belegt ist, veranlasst das Gericht nicht, deren Wahrheitsgehalt in Frage zu stellen. Hierfür gibt es keine Veranlassung.
Vor diesem Hintergrund und unter besonderer Würdigung der engen zeitlichen Abfolge, war eine im Wege eines gestuften Vollstreckungsverfahrens vorausgehende Maßnahme gem. Art. 70 Abs. 1 PAG gegen den Kläger als verantwortliche Person gem. Art. 7 PAG nicht rechtzeitig möglich und auch nicht erfolgversprechend, da durch eine vorausgehende Ankündigung die Abwehr der bestehenden Gefahr für die Gesundheit des Polizeibeamten deutlich erschwert, wenn nicht sogar vereitelt worden wäre (vgl. BeckOK PolR Bayern/Buggisch, 15. Ed. 1.11.2020, PAG Art. 70 Rn. 22).
bb. Die Polizei hat auch innerhalb ihrer Befugnisse gehandelt. Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen für den Erlass eines (hypothetischen) rechtmäßigen Polizeiverwaltungsakts (BeckOK PolR Bayern/Buggisch, 15. Ed. 1.11.2020, PAG Art. 70 Rn. 22) lagen vor. Die hypothetische Grundverfügung hätte als atypische Maßnahme, wohl im Sinne eines Näherungsverbots, mangels spezieller Ermächtigungsgrundlage auf die allgemeine Befugnisnorm des Art. 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PAG als Rechtsgrundlage gestützt werden können. Eine Maßnahme im Sinn des Absatzes 1 kann die Polizei insbesondere dann treffen, wenn sie notwendig ist, um Gefahren abzuwehren oder Zustände zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder die Freiheit der Person oder die Sachen, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint, bedrohen oder verletzen (Art. 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PAG). Nach den vorstehenden Ausführungen, auf die Bezug genommen wird (hierzu I.1.a.aa), bestand zumindest aus der Sicht eines verständigen Polizeibeamten unter Berücksichtigung der sich in der Situation ergebenden konkreten Umstände eine konkrete polizeiliche Gefahr für die Gesundheit des Polizeibeamten S. Der Einwand des Klägers, er hätte sich keinesfalls aggressiv verhalten, konnte zur Überzeugung des Gerichts durch die vorliegenden Stellungnahmen der Polizeibeamten und der im Ermittlungsverfahren als Zeugin einvernommenen Anruferin K. widerlegt werden (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), selbst wenn der Kläger sein Auftreten anders wahrgenommen haben mag. Aus objektiver Sicht lag jedenfalls zumindest eine (die Kostenforderung rechtfertigende) Anscheinsgefahr vor.
Durchgreifende Anhaltspunkte, die eine Grundverfügung als ermessensfehlerhaft oder unverhältnismäßig erscheinen ließen, sind nicht gegeben.
b. Auch die besonderen Voraussetzungen für die Ausübung unmittelbaren Zwangs lagen vor.
Die mit dem Fixieren gegen den Willen des Klägers angewendete physisch wirkende Gewalt stellt sich als Verwaltungszwang in der Form des unmittelbaren Zwangs dar, Art. 78 Abs. 1 und 2 PAG. Andere Zwangsmittel versprachen in der konkreten Situation keinen Erfolg (vgl. Art. 75 Abs. 1 Satz 1 PAG). Insoweit wird auf die obigen Ausführungen (I.1.a.aa.) Bezug genommen. Zuletzt durfte angesichts dieser Situation auch von einer Androhung des Zwangsmittels gemäß Art. 81 Abs. 1 Satz 1 PAG abgesehen werden (BeckOK PolR Bayern/Buggisch, 15. Ed. 1.11.2020, PAG Art. 70 Rn. 24). Durchgreifende Anhaltspunkte, die die Anwendung unmittelbaren Zwangs als ermessensfehlerhaft oder unverhältnismäßig erscheinen lassen, sind dem Gericht nicht ersichtlich. Angesichts des zur gerichtlichen Überzeugung feststehenden Verhaltens war eine – kurzzeitige – Anwendung unmittelbaren Zwangs in Anwendung einfacher körperlicher Gewalt angezeigt. Mildere gleich geeignete Mittel standen nicht zur Verfügung, nachdem vorangegangene Mäßigungsaufforderungen erfolglos geblieben waren.
Ob darüber hinaus die Voraussetzungen des Art. 82 Nr. 1 PAG vorgelegen haben, kann vorliegend dahingestellt bleiben, da eine derartige weitere ergriffene Maßnahme des unmittelbaren Zwangs die Rechtmäßigkeit der vorherigen Maßnahme (hier der körperlichen Fixierung ohne Hilfsmittel) unberührt lässt. Es reicht für die hier streitige Geltendmachung von Kosten durch den Beklagten bereits aus, dass eine (einzige) Maßnahme des unmittelbaren Zwangs rechtmäßig erfolgt ist, zumal der Beklagte nur eine Gebühr im unteren Bereich der vorgesehenen Regelgebühr verlangt, die mit 54 Euro der polizeilichen Verwaltungspraxis folgend pauschal für die einmalige Anwendung unmittelbaren Zwangs geltend gemacht wird.
2. Die Höhe der in dem Bescheid vom 21. Januar 2019 geltend gemachten Kosten ist ebenfalls nicht zu beanstanden. So hält sich die geltend gemachte Gebühr von 54 Euro im unteren Bereich der in § 1 Nr. 8 PolKV vorgesehenen Regelgebühr von 36 Euro bis 500 Euro und entspricht der in der polizeilichen Verwaltungspraxis regelmäßig für die einmalige Anwendung unmittelbaren Zwangs geltend gemachten Gebühr.
II.
Die Klage war daher unter der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO und dem Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung gem. § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO abzuweisen.


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