Verwaltungsrecht

Prüfung Ausweisung eines straffällig gewordenen Jugendlichen

Aktenzeichen  M 10 K 18.5628

Datum:
13.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 18767
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1
StGB § 57
JGG § 88

 

Leitsatz

1. Der Strafaussetzungsentscheidung einer Strafvollstreckungskammer kommt eine erhebliche indizielle Bedeutung zu. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer wird sich eine relevante Wiederholungsgefahr nur dann bejahen lassen, wenn die ausländerrechtliche Entscheidung auf einer breiteren Tatsachengrundlage als derjenigen der Strafvollstreckungskammer getroffen wird, etwa wenn die Ausländerbehörde oder das Gericht ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben haben, welches eine Abweichung zulässt, oder wenn die vom Ausländer in der Vergangenheit begangenen Straftaten fortbestehende konkrete Gefahren für höchste Rechtsgüter erkennen lassen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II. Nrn. 1 und 3 des Bescheids der Beklagten vom 16. Oktober 2018 werden aufgehoben.
III. Von den Kosten des Verfahrens hat der Kläger die auf den zurückgenommenen Teil der Klage entfallenden Kosten zu tragen, im Übrigen hat die Beklagte die Kosten zu tragen.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

1. Soweit die Klage hinsichtlich Nr. 2 des ursprünglichen Klageantrags zurückgenommen wurde, ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen und nach § 161 Abs. 1 VwGO nur noch über die Kosten zu entscheiden.
2. Im Übrigen hat die zulässige Klage, Nr. 1 und Nr. 3 des Bescheids vom 16. Oktober 2018 aufzuheben, in der Sache Erfolg. Die Ausweisung des Klägers aus dem Bundesgebiet mit der gleichzeitigen Befristung des Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbots ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Im vorliegenden Fall kann die Ausweisung nicht auf § 53 Abs. 1 AufenthG gestützt werden, da die vorausgesetzte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den Kläger mangels Wiederholungsgefahr nicht gegeben ist.
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Die behördliche Entscheidung über die Ausweisung ist durch das Gericht in vollem Umfang überprüfbar (vgl. BayVGH‚ B.v. 21.3.2016 – 10 ZB 15.1968 – juris Rn. 9 m.w.N.).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung und ihrer gerichtlichen Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z.B. BVerwG‚ U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Bei der Prognose‚ ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht‚ sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen‚ insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat‚ die Umstände ihrer Begehung‚ das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BVerwG, U.v. 13.1.2009 – 1 C 2/08 – juris; vgl. BayVGH‚ U.v. 28.6.2016 – 10 B 13.1982 – juris Rn. 32 m.w.N.; B.v. 2.11.2016 – 10 ZB 15.2656 – juris Rn. 10 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 31).
Gemessen an diesen Vorgaben ist nach Auffassung des Gerichts nicht damit zu rechnen, dass der Kläger erneut Straftaten begehen wird, sodass er keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt.
Das erkennende Gericht folgt dabei der Auffassung des Amtsgerichts München im Beschluss vom 31. August 2018 (Aussetzung zur Bewährung des Rests der Jugendstrafe), wonach vom Kläger keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit ausgeht.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kommt einer Strafaussetzungsentscheidung einer Strafvollstreckungskammer eine erhebliche indizielle Bedeutung zu. Die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte sind für die Frage der Beurteilung der Wiederholungsgefahr daran aber nicht gebunden; dabei bedarf es jedoch einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Entscheidung abgewichen wird (BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 21). Hier ist zu berücksichtigen, dass vorzeitige Haftentlassung und Ausweisung unterschiedliche Zwecke verfolgen und deshalb unterschiedlichen Regeln unterliegen: Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB oder – wie hier – nach § 88 JGG geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit ggf. unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Bei dieser Entscheidung stehen naturgemäß vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund; zu ermitteln ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Demgegenüber geht es bei der Ausweisung um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zu Grunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Bei dieser längerfristigen Prognose kommt dem Verhalten des Ausländers während der Haft und nach einer vorzeitigen Haftentlassung zwar erhebliches tatsächliches Gewicht zu. Dies hat aber nicht zur Folge, dass mit einer strafrechtlichen Aussetzungsentscheidung ausländerrechtlich eine Wiederholungsgefahr zwangsläufig oder zumindest regelmäßig entfällt. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Täter im entscheidungserheblichen Zeitpunkt auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann; das Potenzial, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen, ist nur ein solcher Faktor, genügt aber für sich genommen nicht (BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 10 C 10/12 – juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 27.9.2019 – 10 ZB 19.1781 – juris Rn. 11; B.v. 14.1.2019 – 10 ZB 18.1413 – juris Rn. 10).
Im Strafurteil des Landgerichts München I vom 2. Mai 2018, mit dem der Kläger wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe in Höhe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt wurde, ging das Gericht im Anschluss an die Ausführungen des Sachverständigen zur Feststellung seiner Schuldfähigkeit von einer nicht ausschließbar verminderten Steuerungsfähigkeit des Klägers in dem Augenblick aus, in dem er dem Geschädigten einen Messerstich in den Brustkorb versetzte. Die Kammer habe den Zustand des Klägers nach der Tat als Hinweis auf eine vorangegangene schwere seelische Erschütterung und einen psychischen Ausnahmezustand gewertet, der im weiteren Verlauf wieder abgeklungen sei. Darüber hinaus habe die Kammer den Umstand, dass die gegenständliche Tat dem Angeklagten wesensfremd scheine, als weiteren Hinweis auf einen psychischen Ausnahmezustand bei der Tatausführung gewertet. Neben allen anderen persönlichen Umständen habe die Kammer berücksichtigt, dass die Untersuchungshaft von über einem Jahr bereits einen nachhaltigen Eindruck auf den Kläger hinterlassen habe und ihm das Unrecht seiner Tat vor Augen geführt habe. Der Kläger habe sich während dieser Zeit intensiv mit seiner Tat auseinandergesetzt. Die Kammer sei überzeugt, dass die Fortführung der von ihm begonnenen Ausbildung eine wichtige Grundlage dafür bilde, dass er sein bisheriges ordentlich und verantwortungsbewusst geführtes Leben fortführen könne. Da in der Person des Klägers keine charakterlichen Mängel zu erkennen seien und sein bisheriges Verhalten keinen Anlass zu Beanstandungen gegeben habe, habe die Kammer die Erwartung, dass er mit der Zeit auch ohne den Vollzug einer längeren Jugendstrafe lernen werde, auf Situationen, die ihn überforderten, besonnener zu reagieren und dass sich ein Vorfall wie die hier gegenständliche Tat nicht wiederholen werde.
Der Kläger wurde bereits am 2. Mai 2018 aus der Jugendhaft entlassen. Mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 31. August 2018 wurde der Rest der Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt, da der Kläger einen Teil der Strafe verbüßt habe und dies im Hinblick auf die Entwicklung des Klägers auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden könne. Die Bewährungszeit wurde auf 3 Jahre festgesetzt. In den Gründen wird ausgeführt, im Hinblick auf die Entwicklung des Klägers könne die Aussetzung bereits jetzt verantwortet werden. Der Kläger sei sozial fest eingebunden. Seine Eltern hätten ihn regelmäßig in der Haft besucht und stünden offensichtlich hinter ihm. Ebenso stehe sein ursprünglicher Ausbildungsbetrieb hinter ihm. Der Kläger habe 6 Monate vor der Inhaftierung eine Lehre begonnen. Nach der Inhaftierung sei der Ausbildungsvertrag zunächst ruhend gestellt worden. Nachdem die Strafe des Angeklagten festgestanden habe, sei der Ausbildungsvertrag im gegenseitigen Einvernehmen aufgehoben worden. Dem Kläger sei aber zeitgleich angeboten worden, zunächst bei seinem Ausbildungsbetrieb einer geringfügigen Beschäftigung nachzugehen und die Lehre am 1. September 2018 erneut dort zu beginnen. Der Kläger habe die geringfügige Beschäftigung seit dem 1. Juni 2018 ausgeübt, ein unterzeichneter Ausbildungsvertrag liege vor. Der Kläger habe sich während der langen Zeit der Untersuchungshaft beanstandungslos geführt, sodass auch die Justizvollzugsanstalt die Haftentlassung befürworte.
Nach einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer wird sich eine relevante Wiederholungsgefahr nur dann bejahen lassen, wenn die ausländerrechtliche Entscheidung auf einer breiteren Tatsachengrundlage als derjenigen der Strafvollstreckungskammer getroffen wird, etwa wenn Ausländerbehörde oder Gericht ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben haben, welches eine Abweichung zulässt, oder wenn die vom Ausländer in der Vergangenheit begangenen Straftaten fortbestehende konkrete Gefahren für höchste Rechtsgüter erkennen lassen (BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 24).
Eine relevante Wiederholungsgefahr lässt sich nach Auffassung des erkennenden Gerichts danach nicht bejahen. Mit der Strafaussetzungsentscheidung des Amtsgerichts München ist davon auszugehen, dass der Kläger sein Verhalten bereut und keine Straftaten mehr begehen wird. Für eine breitere Tatsachengrundlage, die entgegen dieser strafgerichtlichen Aussetzungsentscheidung die Prognose der fortbestehenden Gefährlichkeit des Klägers für die Allgemeinheit tragen würde, ist vorliegend nichts ersichtlich. Für die Annahme fortbestehender konkreter Gefahren für höchste Rechtsgüter hätte es konkreter Feststellungen zu den vom Kläger drohenden Straftaten bedurft. Ein eigenes Sachverständigengutachten hat die Ausländerbehörde nicht eingeholt.
Die Beklagte hat sich vielmehr im angefochtenen Bescheid für ihre Auffassung, dass entgegen der Strafaussetzungsentscheidung doch eine Wiederholungsgefahr bestehe, ganz wesentlich auf das schon im Strafverfahren eingeholte Gutachten des Dr. … vom 8. Dezember 2017 (Blatt 286 ff. der Behördenakte) gestützt. Diesem Gutachten entnimmt sie in teils wörtlicher Wiedergabe verschiedene Ausführungen, die nach Auffassung der Beklagten eine erhöhte Wiederholungsgefahr und damit die vom Kläger ausgehende ernsthafte Gefahr weiterer besonders schwerwiegender Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung belegten. Den Ausführungen des Gutachtens sei zu entnehmen, dass der Kläger zwar keine grundsätzlich dissozialen Züge aufweise, sich jedoch der Tatsache verschließe, dass er unter bestimmten Umständen durchaus zu Aggressivität in der Lage sei.
Hierin liegt nach Auffassung des erkennenden Gerichts ein systematisch nicht zu rechtfertigender Ansatz der Beklagten, sie kann sich für ihre Auffassung gerade nicht auf das Gutachten vom 8. Dezember 2017 stützen. Dieses fachpsychologische Gutachten wurde im Vorfeld der Strafverhandlung von der Staatsanwaltschaft eingeholt; das Gutachten sollte die Persönlichkeit des Klägers darstellen, zu seiner Entwicklungsreife sowie zur Frage von psychischen Störungen, insbesondere hinsichtlich möglicher Auswirkungen auf seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit, Stellung nehmen. Beim Kläger wurden hierzu verschiedene standardisierte psychologische Testverfahren durchgeführt und eine Befragung durch den Psychologen durchgeführt. In den Gründen des Gutachtens werden verschiedene Befunde zur Persönlichkeitsstruktur, des Sozialverhaltens und insbesondere zu Persönlichkeitsstörungen festgestellt, die die Beklagte teilweise aus dem Zusammenhang genommen hat.
In der zusammenfassenden Beurteilung führt der Gutachter aus, die psychologischen Untersuchungen ließen eine Hirnleistungsschwäche sowie eine psychotische Störung des Klägers ausschließen. Eine intellektuelle Minderleistungsfähigkeit sei ebenfalls zu verneinen, die zwar niedrige intellektuelle Leistungsfähigkeit liege noch im Normalbereich. Die intellektuellen Kapazitäten des Klägers müssten tatsächlich höher veranschlagt werden als es in dem numerischen Wert eines Tests zum Ausdruck komme, da hier auch Bildungsmängel zu Buche schlügen. Er sei in der Lage gewesen, die mitunter recht komplexen und komplizierten Instruktionen für die Testaufgaben zu verstehen, er habe Fragen adäquat beantwortet und situationsgerecht reagiert. Auch andere Testverfahren belegten eindeutig, dass keine forensisch bedeutsamen Intelligenzmängel bestünden. Schwachsinn könne ausgeschlossen werden. Der Kläger erfasse seine Umwelt adäquat, er zeige Realitätsanpassung und -kontrolle. Gesellschaftliche Regeln seien ihm geläufig und er erkenne sie als verbindlich für sich an. Seine Aggressivität bewege sich nach seiner eigenen Darstellung in den Fragebogen im weit unterdurchschnittlichen Bereich, nach den projektiven Befunden sei ihm ein normales Aggressionspotenzial zuzuschreiben. Der Kläger präsentierte sich in sozial erwünschter Weise und wehre Normabweichungen stark ab. Seine Selbstdarstellung sei grundsätzlich von dem Bestreben getragen, die eigene Person als möglichst angepasst zu demonstrieren. Sie orientiere sich an der rigiden Vorstellung einer in jeder Beziehung konformen und moralisch absolut integren Persönlichkeit ohne persönliche Probleme oder Unzulänglichkeiten. Unbeschadet dieser Tendenz sei seine Person durch intakte psychische Funktionen und Produktivität gekennzeichnet, sie bleibe in allen erfassten Bereichen innerhalb des Rahmens des Normalen.
Aus psychologischer Sicht liege somit keine Voraussetzung einer erheblichen Beeinträchtigung oder Aufhebung seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit vor, die in seiner Persönlichkeit begründet sei. An seiner Entwicklungsreife könne es keinen Zweifel geben. Dafür spräche unter anderem, dass ihm soziale Normen gut geläufig seien, er könne Situationen adäquat einschätzen und verfüge über Eigensteuerung.
Dieses Gutachten hat damit zum einen eine ganz andere Zielrichtung als die Feststellung von künftig vom Kläger ausgehenden Gefahren; vielmehr soll es sowohl die Entwicklungsreife sowie mögliche Auswirkungen psychischer Störungen auf die Einsichtsund Steuerungsfähigkeit des Klägers zur Tatzeit feststellen.
Die Ausführungen des Gutachtens lassen zum anderen entgegen der Auffassung der Beklagten weder für den Tatzeitpunkt noch im Wege einer Prognose für die Zukunft eine besondere Gefährlichkeit des Klägers erkennen.
Auch ein weiteres im Strafverfahren eingeholtes jugendpsychiatrisches Gutachten des …-Klinikums vom 27. Oktober 2017 (Blatt 305 ff. der Behördenakte) zu den medizinischen Voraussetzungen zur Schuldunfähigkeit bzw. verminderten Schuldfähigkeit trägt keinerlei Prognose eines künftigen Gefährdungspotenzials beim Kläger. Danach sei zusammenfassend festzustellen, dass beim Kläger eine längerfristige psychiatrische Erkrankung nicht vorliege. Gröbere Auffälligkeiten der psychosozialen Entwicklung und der Reifeentwicklung hätten sich bei einer erkennbaren situativen emotionalen Überforderung vor dem Hintergrund des Entwicklungsstandes nicht ergeben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit lägen die medizinischen Voraussetzung einer erheblichen Beeinträchtigung oder gar Aufhebung von Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht vor.
Damit fehlt es an einer belastbaren Tatsachengrundlage für die ausländerrechtliche Bewertung, entgegen der Strafaussetzungsentscheidung des Amtsgerichts eine relevante Wiederholungsgefahr anzunehmen. In Übereinstimmung mit der Strafaussetzungsentscheidung des Amtsgerichts München ist vielmehr von keiner weiteren Gefahr des Klägers für die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit auszugehen.
Damit hat die Klage Erfolg. Der Bescheid ist, soweit er zuletzt nur noch teilweise angefochten wurde, mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO aufzuheben. Soweit die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wurde, hat der Kläger die Kosten nach § 155 Abs. 2 VwGO zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO i.V.m. § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben