Verwaltungsrecht

Rechtmäßige Abschiebung nach Italien im Rahmen des Dublin-Verfahrens

Aktenzeichen  M 18 S7 17.51283

Datum:
31.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 7
AsylG AsylG § 34 a Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Es sind keine Umstände iSd § 80 Abs. 7 S. 2 VwGO ersichtlich oder vorgetragen, die zu der Annahme führen, dass die Zwangsprostitution im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemacht wurde. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtschutz gegen die im Bescheid vom … angeordnete Abschiebung nach Italien im Rahmen des so genannten Dublin-Verfahrens und insoweit die Abänderung des ablehnenden Eilrechtsbeschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 8. Dezember 2016.
Die Antragstellerin ist nach eigenen Angaben nigerianische Staatsangehörige und wurde am … in Benin-City, Nigeria, geboren. Sie stellte am … einen Asylantrag in Deutschland.
In der Erstbefragung vor dem Bundesamt für … (Bundesamt) gab die Antragstellerin an, im März 2008 Nigeria verlassen zu haben und über Libyen zunächst nach Italien gereist zu sein. Dort sei sie am … eingereist und habe sich in Florenz und Turin ca. 8 Jahre aufgehalten. Am … sei sie in Deutschland eingereist.
Die Recherche des Bundesamtes ergab am … einen EURODAC-Treffer für Italien. Die Antragstellerin hat dort am … einen Asylantrag gestellt. Am … stellte das Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch nach Italien. Eine Reaktion hierauf erfolgte nicht.
Am … fand die Zweitbefragung der Antragstellerin statt. In dieser gab sie an, dass ihr Asylantrag in Italien abgelehnt worden sei und sie dort auf der Straße leben musste. Sie habe keine Arbeit gefunden und kein Geld gehabt, keiner habe ihr geholfen. Sie möchte nicht mehr in der Prostitution tätig sein. Sie möchte in Deutschland bleiben und ihre bereits begonnene Ausbildung zur Friseurin beenden.
Am … erging der Bescheid des Bundesamtes, in dem der Asylantrag der Antragstellerin als unzulässig abgelehnt wird (Nr.1), die Abschiebung nach Italien angeordnet (Nr. 3) und ein gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet festgelegt wird (Nr. 4). Italien sei aufgrund des EURODAC-Treffers zuständig für den Asylantrag und habe auf das Wiederaufnahmegesuch nicht geantwortet, was eine Zustimmungsfiktion auslöse. Abschiebehindernisse seien nicht ersichtlich. Als Begründung, dass keine systemischen Mängel vorliegen, wurde im Bescheid auf verschiedene Entscheidungen des EGMR und des Bundesverwaltungsgerichts hingewiesen, die alle aus dem Jahr 2013 stammen. Der Bescheid wurde der Antragstellerin mit Postzustellungsurkunde am 11. November 2016 zugestellt.
Die Antragstellerin ließ durch ihren Bevollmächtigten am 18. November 2016 Klage (M 18 K 16.510840) zum Bayerischen Verwaltungsgericht München mit dem Antrag erheben, den Bescheid der Beklagten vom … aufzuheben. Des Weiteren wurde mit gleichem Schriftsatz beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom … wird angeordnet.
Das Bundesamt legte am … die Behördenakte vor. Eine weitere Äußerung oder Antragstellung erfolgte nicht.
Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 8. Dezember 2016 (M 18 S. 16.51085) wurde der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt. Auf die Begründung wird verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 8. Mai 2017 stellte die Antragstellerin durch ihre neue Bevollmächtigte den Antrag,
in Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde vorgetragen, dass laut … die Antragstellerin Opfer von Menschenhandel war und vier Jahre in Florenz gezwungen worden sei der Prostitution nachzugehen, um angebliche Schulden in Höhe von 52.000 € zurückzuzahlen. Nach vier Jahren habe die Antragstellerin fliehen können. Bei einer Rückkehr sei sie wieder gezwungen der Prostitution nachzugehen. Beigefügt ist ein Fax von … Bayern e.V. an die Bevollmächtigte der Antragstellerin.
In einer E-Mail des Bundesamtes vom … wurde in Listenform mitgeteilt, dass die Antragstellerin unbekannt verzogen sei.
Mit richterlichem Hinweis vom 22. Mai 2017 wurde die Bevollmächtigte aufgefordert, den Sachverhalt zu substantiieren und vor allem dazulegen, warum die Antragstellerin italienweit Angst vor einer erneuten Zwangsprostitution haben müsse. Des Weiteren wurde die Bevollmächtigte aufgefordert, die aktuelle Adresse der Antragstellerin mitzuteilen.
Am 20. Juni 2017 legte die Klägerbevollmächtigte eine aktuelle Aufenthaltsgestattung der Antragstellerin für eine Adresse in München vor.
Gerichtliche Ermittlungen am 6. Juli 2017 ergaben, dass die Antragstellerin am … unter der Münchener Adresse angemeldet wurde, da sie der Landeshauptstadt München durch die Regierung von Oberbayern zugewiesen worden ist. Übersandt wurde von der Ausländerbehörde München Auszüge aus der Ausländerakte des Landratsamtes, dem die Antragstellerin zuvor zugeteilt worden war. Nach einer E-Mail vom … wurde der Ausländerbehörde des Landratsamtes intern von der Sozialbetreuung desselben Landratsamtes mitgeteilt, dass die Antragstellerin seit ca. zwei Wochen nicht mehr in dem ihr zugeteilten Zimmer anzutreffen sei und dieses auch verlassen aussehe. Es wurde in dieser E-Mail vermutet, dass die Antragstellerin aufgrund ihres negativen Bundesamtsbescheids ausgezogen sei. Mit Schreiben der Ausländerbehörde an das Bundesamt vom … wurde die Antragstellerin daraufhin ab dem 2. Januar 2017 als untergetaucht gemeldet.
Im Schriftsatz der Klägerbevollmächtigten vom 25. Juli 2017 erfolgte keine weitere Vertiefung oder Substantiierung des Sachvortrags. Die Klägerbevollmächtigte verwies lediglich darauf, dass die Behörden befragt werden müssen, warum hier fälschlicherweise von einem Untertauchen ausgegangen werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- sowie die vorgelegte Behördenakte des Bundesamtes Bezug genommen, auch in den Verfahren M 18 S. 16.51085 und M 18 K 16.51084.
II.
Der Antrag ist unzulässig.
Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
Voraussetzung für einen Anspruch auf eine Abänderungsentscheidung ist, dass entweder veränderte Umstände oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände vorliegen (Kopp/Schenke, VwGO, 18. Auflage 2012, § 80, Rn. 196). Weder veränderte Umstände, noch im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände liegen vor.
Veränderte Umstände liegen nicht vor. Da eine mögliche Zwangsprostitution bereits vor der Einreise nach Deutschland bestanden hätte, lägen Umstände vor, die sich nicht verändert haben.
Es sind keine Umstände ersichtlich oder vorgetragen, die zu der Annahme führen, dass die Zwangsprostitution im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemacht wurde. Die Antragstellerin hat nach Abschluss des behördlichen Verfahrens und nach Abschluss des Eilverfahrens M 18 S. 16.51085 erstmals geltend macht, sich in Italien zwangsprostituieren haben zu müssen. Ein fehlendes Verschulden der Antragstellerin wurde nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht.
Vorliegend fehlt es weiter an einer Glaubhaftmachung, dass die Antragstellerin Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostituierte war. Nach § 15 Abs. 1 AsylG ist die Antragstellerin persönlich verpflichtet bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. Dies gilt nach § 15 Abs. 1 Satz 2 AsylG auch dann, wenn sie sich durch eine Bevollmächtigte vertreten lässt.
Trotz richterlichen Hinweises an die Bevollmächtigte der Antragstellerin, dass der Sachverhalt genauer dargelegt werden müsse, erfolgte als Antwort mit Schreiben der Bevollmächtigten vom 20. Juni 2017, dass sich die Antragsbegründung aus der bereits eingereichten Begründung ergebe. Im Asylrecht grenzt die grundsätzlich normierte Sachaufklärungspflicht gemäß § 86 VwGO jedoch an die weit gefassten Mitwirkungs- und Aufklärungspflichten der Asylbewerbers aus § 15 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylG und § 25 Abs. 2 AsylG. Danach muss der Antragsteller selbst alle maßgeblichen Tatsachen und Umstände angeben, die einer Abschiebung entgegenstehen bzw. die erforderlichen Angaben mündlich oder schriftlich einzureichen. Dies ist vorliegend nicht erfolgt, sodass das Gericht mit dem Hinweis, dass ein genauerer Sachvortrag zur Glaubhaftmachung vorgebracht werden müsse, seiner Sachaufklärungspflicht genügte.
Auch ist keine Änderung des Beschlusses vom 8. Dezember 2016 wegen eines Ablaufs der Überstellfrist angezeigt, da sich diese auf achtzehn Monate verlängert hat. Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 der Dublin-III-VO kann die Überstellfrist auf höchstens achtzehn Monate verlängert werden, wenn die betreffende Person flüchtig ist. Vorliegend ist nach Ansicht des Gerichts eine Verlängerung nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 der Dublin-III-Verordnung gegeben. Die Antragstellerin war zur Wohnungsnahme dem Landkreis M. zugeteilt und ist ca. am 2. Januar 2017 nicht mehr in diese Wohnung zurückgekehrt. Wo sich diese bis zum 19. Juni 2016 aufhielt, ist unbekannt und wurde durch die Antragstellerin oder Bevollmächtigten nicht näher benannt. Eine Adressmitteilung an die zuständige Ausländerbehörde des Landratsamts M. erfolgte nicht, sodass die Antragstellerin für die Ausländerbehörde nicht greifbar war. Die Antragstellerin war flüchtig.
Auch die spätere Meldung bei der Regierung Oberbayern (RAST) und der Zuweisung an die Landeshauptstadt München ändert an dieser Wertung nichts. Bei anderer Auffassung würde die Zwecksetzung des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 der Dublin-III-Verordnung, nur Zeiten für die Überstellung zu zählen, in denen eine solche auch stattfinden könne, nicht erreicht. Die Antragstellerin könnte sich bei Annahme, dass bei einer Neuanmeldung bei einer anderen Behörde kurz vor Ende der Überstellzeit keine Verlängerung der Überstellfrist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 der Dublin-III-Verordnung einträte, durch Entziehen im Umfang von einigen Monaten innerhalb der Überstellfrist ein nationales Asylverfahren systematisch erschleichen.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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