Verwaltungsrecht

Rechtmäßige Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nach Nigeria

Aktenzeichen  M 21 S 16.36125

Datum:
3.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 2 Abs. 1, § 13 Abs. 2, § 26a, § 29 Abs. 1, § 36 Abs. 4 S. 1, § 36 Abs. 4 S. 2, § 71 Abs. 4, § 71a
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 17, Art. 18 Abs. 1, Art. 19, Art. 49 Abs. 1, Art. 49 Abs. 2
RL 2011/95/EU Art. 2
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

Ein asylrechtlicher Zweitantrag, der bei Fehlen neuen Vorbringens als unzulässig abgelehnt werden kann, setzt gemäß § 71a Abs. 1 AsylG ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat voraus (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – Ls. 2). Das erfolglose Erstverfahren muss sich auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz bezogen haben. Für Asylanträge, die vor dem Inkrafttreten der RL 2011/95/EU abgeschlossen wurden, ist dies ausgeschlossen.

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage M 21 K 16.36124 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist nigerianische Staatsangehörige und stellte am 24. Juni 2016 einen Asylantrag.
Eine Eurodac-Anfrage ergab eine Treffermeldung der Kategorie 1 für Dänemark. Ein Ersuchen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) an Dänemark um Wiederaufnahme nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b VO 604/2013 (im Folgenden: Dublin-III-VO) lehnte Dänemark mit Schreiben vom 3. August 2016 ab und teilte mit, ein von der Antragstellerin unter anderer Identität in Dänemark gestellter Asylantrag vom 3. Mai 2007 sei am 4. Dezember 2008 vom Refugees Appeal Board endgültig abgelehnt und eine Wiederaufnahme des Verfahrens am 22. April 2009 abgelehnt worden. Die Antragstellerin sei seit 23. Februar 2009 untergetaucht und vor diesem Hintergrund werde davon ausgegangen, dass eine Zuständigkeit Dänemarks nicht mehr bestehe.
Die Antragstellerin wurde am 28. September 2016 vom Bundesamt informatorisch im Rahmen der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG angehört. Sie teilte mit, es gebe keine neuen Gründe gegenüber dem, was sie in Dänemark vorgetragen habe. Sie habe im Jahr 1996 im Alter von 16 Jahren zwangsverheiratet werden sollen, sei dann von zu Hause geflüchtet und habe sich vier Jahre in Nigeria versteckt. Nachfolgend sei sie nach Italien gereist, von wo sie wieder nach Nigeria zurückgebracht worden sei. Im Jahr 2007 sei sie dann nach Dänemark geflohen und habe sich von 2009 bis 2015 erneut in Italien aufgehalten.
Mit Bescheid vom 15. Dezember 2016 (Bescheid als Einschreiben am 20.12.2016 zur Post gegeben) lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), forderte die Antragstellerin auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen und drohte die Abschiebung nach Nigeria an (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung wurde ausgeführt, bei dem Asylantrag handle es sich um einen Zweitantrag im Sinne von § 71a AsylG. Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens lägen nicht vor. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG lägen im Hinblick auf die Bedingungen in Nigeria und die individuellen Umstände des Klägers nicht vor.
Die Antragstellerin hat durch ihre Bevollmächtigte am 22. Dezember 2016 Klage erheben (M 21 K 16.35124) und beantragen lassen, den Bescheid vom 6. Dezember 2016 aufzuheben und festzustellen, dass die Antragstellerin asylberechtigt, ist, die Flüchtlingseigenschaft, der subsidiäre Schutz oder nationale Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG bei ihr vorliegen.
Gleichzeitig wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 15. Dezember 2016 anzuordnen.
Zur Begründung wurde geltend gemacht, die Voraussetzungen eines Zweitantrags lägen nicht vor.
Das Bundesamt hat die Akten mit Schreiben vom 19. Januar 2017 vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem und im Klageverfahren und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichtete Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hinsichtlich der nach § 75 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung (vgl. § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG) ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben, und auch begründet.
Nach dem gemäß § 71 Abs. 4 AsylG anwendbaren Prüfungsmaßstab des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.).
Entsprechend diesem Maßstab ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen.
Nach § 71a AsylG ist im Falle eines Zweitantrags ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Ein Zweitantrag liegt vor, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat im Sinne von § 26a AsylG oder einem der in § 71a AsylG sonst genannten Staaten im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt.
Deutschland ist auf Grund der Übernahme der Zuständigkeit für das Asylverfahren jedenfalls durch Selbsteintritt gemäß Art. 17 Dublin-III-VO (hier gemäß Art. 49 Abs. 1 und 2 Dublin-III-VO anwendbar) zuständig geworden, ohne dass es auf die von Dänemark angenommenen Voraussetzungen nach Art. 19 Dublin-III-VO ankommt.
Ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat der EU betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig – d.h. ohne die Möglichkeit einer Wiederaufnahme auf Antrag des Asylbewerbers – eingestellt worden ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 30 ff.). Maßgeblich für die entsprechende Beurteilung ist die Rechtslage in dem betreffenden Mitgliedsstaat (BVerwG, U.v. 14.12.2016 a.a.O. – juris Rn. 33 ff.). Diese Voraussetzungen müssen feststehen – bloße Mutmaßungen genügen nicht (Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 71a AsylG Rn. 9). Ist dem Bundesamt der aktuelle Stand des Verfahrens in dem anderen Mitgliedstaat nicht bekannt, muss es diesbezüglich zunächst weitere Ermittlungen anstellen, insbesondere im Rahmen der für den Informationsaustausch vorgesehenen Info-Request (vgl. Art. 34 Dublin-III-VO; BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris Rn. 39 ff.; U.v. 13.10.2016 – 20 B 15.30008 – juris Rn. 42 ff.). Erforderlich sind danach stets die Informationen zum Verfahrensstand und zum Tenor einer ggfs. getroffenen Entscheidung in dem Mitgliedsstaat (vgl. Art. 34 Abs. 2 Buchst. g Dublin-III-VO) und zudem – im Hinblick auf eine Beurteilung der Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG – zumindest in der Regel die Entscheidungsgründe der Ablehnung in dem anderen Mitgliedstaat (vgl. Art. 34 Abs. 3 Dublin-III-VO; weitergehend – Kenntnis der Entscheidungsgründe stets erforderlich – z.B. VG München, B.v. 27.12.2016 – M 23 16.33585 – juris Rn. 19 m.w.N.).
Das erfolglos abgeschlossene Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat muss sich auch auf die Gewährung des unionsrechtlichen subsidiären Schutzes beziehen (ebenso VG Trier, U.v. 10.2.2016 – 5 K 3875/15.TR – juris Ls. 2 und Rn. 54 ff.; VG Hamburg, B.v. 14.7.2016 – 1 AE 2790/16 – juris Ls. 2 und Rn. 10 u. 16 ff.). Das ergibt sich sowohl aus der Begriffsbestimmung des Asylantrags nach nationalem Recht (§ 13 Abs. 2, § 2 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) als auch aus der europarechtlichen Definition des Antrags auf internationalen Schutz (Art. 2 Buchst. h RL 2011/95/EU) sowie aus dem hierauf aufbauenden und § 71a AsylG (im Sinne einer mitgliedstaatenübergreifenden Anwendung) zugrunde gelegten Folgeantragskonzept in Art. 40 ff. RL 2013/32/EU. Auch die für die Bestimmung der Zuständigkeit maßgebliche Dublin-III- stellt auf den weiten Antrag auf internationalen Schutz i.S.v. Art. 2 Buchst. h RL 2011/95/EU ab (Art. 2 Buchst. b Dublin-III-Verordnung).
Entsprechend diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG im Hinblick auf die Prüfung des subsidiären Schutzes nicht vor.
Der Asylantrag der Antragstellerin wurde laut Auskunft der dänischen Behörden 2007 gestellt und 2008 abgelehnt. Insofern kann bereits ohne Kenntnis des Bescheids und des maßgeblichen dänischen Rechts ausgeschlossen werden, dass eine Prüfung des subsidiären Schutzes erfolgt ist. Ein Asylantrag kann hinsichtlich der Prüfung des subsidiären Schutzes nicht als Zweitantrag nach § 71a AsylG behandelt werden, wenn in einem abgeschlossenen Asylverfahren eine Prüfung des subsidiären Schutzes mangels entsprechender europarechtlicher Vorgaben noch nicht erfolgt ist.
Die Prüfung des subsidiären Schutzes als Teil der Prüfung des unionsrechtlichen internationalen Schutzes wurde erst durch die zum 9. Januar 2012 in Kraft getretene Richtlinie 2011/95/EU eingeführt (Art. 2 Buchst. h RL 2011/95/EU, vgl. dazu Erwägungsgründe 6, 33, 34) und im Hinblick auf die Zuständigkeitsregelungen zwischen den Mitgliedsstaaten in die Dublin-III-Verordnung aufgenommen (Art. 2 Buchst. b Dublin-III-Verordnung, vgl. dazu Erwägungsgrund 10).
Unabhängig von dem (vorbehaltlich einer etwaigen Direktwirkung wegen Ablaufs der Umsetzungsfrist) maßgeblichen Zeitpunkt der Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU in das nationale Recht ist eine Prüfung des unionsrechtlichen subsidiären Schutzes jedenfalls vor dem Inkrafttreten der RL 2011/95/EU von vornherein ausgeschlossen. Dieses Ergebnis wird auch durch einen Vergleich der ähnlich gelagerten Konstellation einer Einstellung des Asylverfahrens nach § 32 AsylG vor der Änderung des Asylverfahrensgesetzes zum 1. Dezember 2013 bestätigt, für die anerkannt ist, dass sie dem Anspruch auf Sachentscheidung hinsichtlich des subsidiären Schutzstatus nicht entgegensteht (BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6/13 – juris Ls. 1 und Rn. 12).
Im Hinblick auf die vom Bundesamt getroffene Verfahrensentscheidung ist eine Sachprüfung hinsichtlich des subsidiären Schutzstatus im gerichtlichen Verfahren – wie auch im Hauptsacheverfahren (BVerwG, U.v. 14.12.2016 a.a.O. – juris Ls. 1 und Rn. 16) – nicht veranlasst.
Nachdem auch eine Aufrechterhaltung des Bescheids im Hinblick auf die Einreise aus einem sicheren Drittstaat (§ 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG) aufgrund der Zuständigkeit Deutschlands für das Asylverfahren nicht möglich ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 a.a.O. – juris Rn. 41, 42), ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben