Verwaltungsrecht

Rechtsfolgen der Rücknahmefiktion

Aktenzeichen  M 4 S 16.31752

Datum:
22.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 33 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4

 

Leitsatz

Die Fiktion der Rücknahme des Asylantrags und die Einstellung des Asylverfahrens können nicht auf § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG gestützt werden, wenn der Antragsteller nicht gemäß § 33 Abs. 4 AsylG auf die Rechtsfolgen der Rücknahmefiktion hingewiesen wurde. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage Az.: M 4 K 16.31751 wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am … 2015 Asylantrag. Einer Aufforderung zur Teilnahme an einer persönlichen Anhörung nach § 25 AsylG für den … 2016 ist der Antragsteller nicht nachgekommen. Der Antragsteller wurde mit Schreiben vom 27. Mai 2016, zugestellt am … 2016, nochmals zur Anhörung geladen.
Zu diesem Termin ist der Antragsteller wiederum nicht erschienen.
Daraufhin stellte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 11. Juli 2016 fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gelte, und stellte das Asylverfahren ein (Ziff. 1). Geleichzeitig stellte sie fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 2) und drohte dem Antragsteller für den Fall nicht freiwilligen Verlassens der Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche die Abschiebung in den Irak oder in einen anderen aufnahmebereiten oder zur Aufnahme verpflichteten Staat an (Ziff. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG befristete sie auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 4).
Zur Begründung führte die Antragsgegnerin an, der Antragsteller sei zu den Terminen am … 2016 und … 2016 ohne genügende Entschuldigung nicht erschienen. Daher werde nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG vermutet, dass er das Verfahren nicht betreibe. Der Bescheid wurde als Einschreiben am 14. Juli 2016 zur Post gegeben.
Mit Schriftsatz vom 18. Juli 2016, am selben Tag beim Verwaltungsgericht München eingegangen, ließ der Antragsteller über seinen Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes erheben, über die noch nicht entschieden ist (M 4 K 16. 31751).
Gleichzeitig ließ er nach § 80 Abs. 5 VwGO beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin äußerte sich im Verfahren nicht und legte die Bundesamtsakten vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegte Akte des Bundesamtes sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige, insbesondere fristgerechte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, ist auch begründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der vom Gesetzgeber vorgesehenen sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage, weil sich der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes vom 6. Mai 2016 nach summarischer Prüfung als rechtswidrig erweist.
Nach § 33 Abs. 1 AsylG in der Fassung von Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I, S. 390 f.) gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG n. F. wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 oder einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 nicht nachgekommen ist. Dieser Tatbestand ist im Falle der Antragstellerin erfüllt.
Ob der Antragsteller die gesetzliche Vermutung des § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG entsprechend § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG widerlegen kann, kann vorliegend dahin stehen. Der Antragsteller ist nämlich in beiden Ladungsschreiben nicht auf die Rechtsfolge der Rücknahmefiktion hingewiesen worden. § 33 Abs. 4 AsylG ist durch o.g. Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 am 17. März 2016 in Kraft getreten. Gleichwohl ist festzustellen, dass eine Belehrung des Antragstellers über die Rechtsfolge des § 33 Abs. 1 AsylG n. F. zu keinem Zeitpunkt erfolgt ist. Eine Fiktion der Rücknahme des Asylantrags und eine Einstellung des Verfahrens kann also nicht auf § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG gestützt werden. Dem Antragsteller ist ein erneuter Termin zur persönlichen Anhörung nach § 25 AsylG einzuräumen.
Damit ist die nach § 34 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung ebenfalls rechtswidrig. Ein überwiegendes öffentliches Vollzugsinteresse vor Entscheidung in der Hauptsache liegt daher nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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