Verwaltungsrecht

Rechtsgrundlage für eine Durchsuchung der Unterkunft eines Asylantragstellers

Aktenzeichen  12 XIV 3/16 (B)

Datum:
19.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Coburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 48 Abs. 3 S. 2, § 58, § 78 Abs. 1 S. 2
BayPAG BayPAG Art. 24
GG GG Art. 13 Abs. 1

 

Leitsatz

Ausländerbehörden können sich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben auf das BayPAG stützen, da das Ausländerrecht zu den klassischen Bereichen des Gefahrenabwehrrechts zählt.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Antrag der sonstigen Beteiligten auf Durchsuchung der Unterkunft der Betroffenen wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Die Betroffene ist nach eigenen Angaben armenische Staatsangehörige. Sie reiste am 21.04.2010 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 10.05.2010 einen Asylantrag. Bei ihrer Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei der Außenstelle in Zirndorf konnte die Betroffene weder Personalpapiere noch sonstige Dokumente zum Nachweis ihrer Identität vorlegen.
Der Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte ist mittlerweile bestandskräftig abgelehnt worden. Seit dem 27.02.2014 ist die Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig. Die Rückführung in die Republik Armenien scheiterte daran, dass die Identifizierung der Betroffenen als armenische Staatsangehörige bislang nicht möglich war. Nach Angaben der sonstigen Beteiligten weigert sich die Betroffene aus gesundheitlichen Gründen, an der Passersatzbeschaffung mitzuwirken.
Mit bei Gericht am 28.07.2016 eingegangenem Schreiben vom 26.07.2016 hat die sonstige Beteiligte beantragt, die Unterkunft der Betroffenen nach Identitätsdokumenten oder sonstigen Nachweisen ihrer „wahren Identität“ zu durchsuchen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, es bestehe der begründete Verdacht, dass die Betroffenen derartige Papiere besitze. Es sei nämlich unwahrscheinlich dass sie die An- und Einreise nach Deutschland ohne Ausweispapiere durchgeführt habe.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Durchsuchung der Unterkunft der Betroffenen scheitert jedenfalls daran, dass kein begründeter Verdacht besteht, dass sie tatsächlich Ausweispapiere besitzt.
1. Grundlage für die Anordnung der begehrten Durchsuchung ist die allgemeinpolizeirechtliche Vorschrift des Art. 24 BayPAG.
a. Eine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage der Ausländerbehörden für derartige Eingriffe ist nicht gegeben.
Vereinzelt wird vertreten, dass § 48 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eine Ermächtigung für eine Wohnungsdurchsuchung bei dem Ausländer zwecks Auffindung von Identitätspapieren darstellt (vgl. Zum Meinungsstreit BeckOK AuslR/Hörich AufenthG, Stand 01.09.2014, § 48 Rdnr. 40.1). Nach der vorgenannten Vorschrift können die vom Ausländer mitgeführten Sachen durchsucht werden, wenn er seiner Verpflichtung, an der Beschaffung von Identitätspapieren mitzuwirken, nicht nachkommt und tatsächlich Anhaltspunkte bestehen, dass er im Besitz solcher Unterlagen ist.
Nachdem das Asylverfahren der Betroffenen bereits bestandskräftig beendet ist, unterliegt sie nicht mehr den speziellen Verpflichtungen nach § 15 AsylG, sondern den allgemeinen ausländerrechtlichen Normen, hier also unter anderem dem § 48 AufenthG.
Gegen die unmittelbare Anwendung des § 48 Abs. 3 Satz 2 AufenthG spricht allerdings der eindeutige Wortlaut, wonach nur die „mitgeführten Sachen“ durchsucht werden dürfen. Aber auch eine analoge Anwendung kommt mangels vergleichbarer Sachlage nicht in Betracht. Ein Eingriff in die Wohnung ist grundgesetzlich geschützt (Art. 13 Abs. 1 GG) und bedarf einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Hierfür reicht die entsprechende Anwendung von § 48 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht aus.
b. Mangels spezialgesetzlicher Ermächtigungsgrundlagen können die Ausländerbehörden somit nur auf die Befugnisse des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts zurückgreifen., hier Art. 24 BayPAG.
Zwar ist die sonstige Beteiligte als Ausländerbehörde keine Polizeibehörde im Sinne dieses Gesetzes. Allerdings wird über Art. 6 BayLStVG die Gefahrenabwehr auch von den Behörden der allgemeinen Verwaltung, wozu die Bezirksregierungen zählen, wahrgenommen, die sich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben auf das BayPAG stützen können. Das Ausländerrecht gehört nach überwiegender Auffassung zu den klassischen Bereichen des Gefahrenabwehrrechts (vgl. Zschieschack in NJW 2005, 3318).
Gegen die Befugnis der Ausländerbehörde, für derartige Durchsuchungen die bayerischen Polizeigesetze heranzuziehen, spricht auch nicht Art. 30 Abs. 1 Satz 2 BayVwZVG. Nach dieser Vorschrift obliegt die Abschiebung von Ausländern der Polizei, wofür wiederum die Vorschriften des BayPAG gelten. Vorliegend geht es aber nicht um eine Abschiebung nach § 58 AufenthG. Vielmehr dient die beantragte Maßnahme der Erleichterung der Passersatzbeschaffung, also dazu, die Vollziehung der Ausreisepflicht erst vorzubereiten. Hierfür ist nach § 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2, § 3 Abs.1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 der Bayerischen Zuständigkeitsverordnung Ausländerrecht – ZustVAuslR – (§ 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) die Regierung als Zentrale Ausländerbehörde sachlich zuständig, örtlich die sonstige Beteiligte (§ 5 Abs. 1 ZustVAuslR).
Nach alledem kann sich die von der sonstigen Beteiligten beantragte Maßnahme nur auf allgemeine Eingriffsermächtigungen des Polizeigesetzes stützen. Nach Art. 24 Abs. 1 Satz 2 BayPAG ist für Wohnungsdurchsuchungen das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Wohnung liegt, sachlich und örtlich zuständig. Funktionell ist der Richter zur Entscheidung berufen (Art. 24 Abs. 1 Satz 1 BayPAG). Für das Verfahren gelten die Vorschriften des FamFG entsprechend (Art. 24 Abs. 1 Satz 3 BayPAG).
2. Nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit Art. 25 Nr. 1 BayPAG dürfen Durchsuchungen von Wohnungen vorgenommen werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich in ihr Sachen befinden, die sichergestellt werden dürfen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren.
Ob die Tatbestandsvoraussetzung der Abwehr der gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit, vorliegend erfüllt ist, ist nach dem Vortrag der sonstigen Beteiligten zweifelhaft.
Zwar zählt zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit die Gesamtheit der positiven Rechtsordnung und stellt jeder Rechtsverstoß eine derartige Gefahr dar, so dass eine Durchsuchung zur Sicherstellung einer Sache zulässig ist, wenn damit ein Rechtsverstoß verhindert oder beendet werden kann. Insoweit der Ausländer nun seiner Vorlagepflicht nach § 48 AufenthG nicht nachkommt, begeht er eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 98 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG. Es liegt ein Verstoß gegen die positive Rechtsordnung vor, der bis zur Herausgabe oder Sicherstellung der Urkunde andauert (so auch Zschieschack a. a. O.).
Ob die Betroffene jedoch tatsächlich ordnungswidrig handelt, ist unklar. Dies kann aber letztlich dahinstehen. Die Anordnung der begehrten Wohnungsdurchsuchung scheitert nämlich daran, dass keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Betroffene im Besitz von für ihre Abschiebung benötigten Identitätsdokumente ist und sich diese tatsächlich in ihrer Unterkunft befinden.
Auch im Falle einer auf Polizei- und Ordnungsrecht beruhenden Durchsuchungsordnung bedarf es einer hinreichend konkreten Tatsachengrundlage, die geeignet ist, im Hinblick auf den Eingriff in das gemäß Art. 13 Abs. 1 GG geschützte Recht die Maßnahme auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu rechtfertigen. (vgl. Zschieschack a. a. O.; OLG Frankfurt a. M. FGPrax 2007, 42).
Die sonstige Beteiligte trägt zur Begründung der beantragten Durchsuchung der Unterkunft der Betroffenen vor, es sei unwahrscheinlich dass sie nicht im Besitz von Identitätsdokumenten sei, weil sie die Einreise beziehungsweise die Ausreise nach Deutschland nicht ohne derartige Papiere auf sich genommen hätte. Allerdings hat die Betroffene bereits bei der Anhörung zu ihrem Asylantrag am 10.05.2010 behauptet, nicht über einen Pass oder ähnliche Papiere zu verfügen (zur Kontrolle hätte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Betroffene und ihre Sachen nach § 15 Abs. 4 AsylVfG a. F. – jetzt § 15 Abs. 4 AsylG – durchsuchen dürfen). Dafür, dass sie entgegen ihrer Behauptung nunmehr nach über sechs Jahren doch derartige Papiere besitzen soll, liegen keine tatsächlichen Verdachtsmomente vor. Alleine ein allgemein gehaltener Verdacht oder die grundsätzlich immer bestehende Möglichkeit, dass der Ausländer sich im Besitz von Identitätspapieren befindet, genügt nicht.


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