Verwaltungsrecht

Rechtsweg für den kommunalen Zulassungsanspruch

Aktenzeichen  M 7 E 18.451

Datum:
7.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2481
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayGO Art. 21
GVG § 13, § 17a Abs. 2 S. 1
VwGO § 40 Abs. 1, § 123
GG Art. 1 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 S. 2

 

Leitsatz

1 Die §§ 17 ff. GVG sind im vorläufigen Rechtsschutzverfahren analog anwendbar. Insbesondere ist eine Verweisung des Rechtsstreits nach § 17a Abs. 2 S. 1 GVG möglich (ebenso BayVGH BeckRS 9998, 83200). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2 Wird eine öffentliche Einrichtung in Form einer selbständigen juristischen Person des Privatrechts betrieben, wandelt sich der in Anwendung der Zwei-Stufen-Theorie als öffentlich-rechtlich zu qualifizierende Zulassungsanspruch aus Art. 21 BayGO bzw. Art. 3 Abs. 1 GG in einen Verschaffungsanspruch gegen die Kommune (ebenso BVerwG BeckRS 9998, 47434). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3 Für den auf Zulassung gerichteten Anspruch gegen einen privaten Rechtsträger, der mit dem Betrieb einer öffentlichen Einrichtung betraut worden ist, ist der Zivilrechtsweg gegeben. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
4 Der Betrieb einer gemeindlichen Einrichtung ist, auch wenn er von der Gemeinde privatrechtlich organisiert worden ist, materiell öffentliche Verwaltung und daher gemäß Art. 1 Abs. 3 GG im Einklang mit den Grundrechten zu führen. Die hieraus resultierende Grundrechtsbindung einer privatrechtlichen Betriebsgesellschaft ist jedoch nicht rechtswegbestimmend. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.
II. Der Rechtsstreit wird an das Landgericht München I verwiesen.
III. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Zulassung zum Carl-Amery-Saal des Gasteigs oder zu einem vergleichbaren Saal des Gasteigs für eine Vortragsveranstaltung mit der Künstlerin N… S… am Montag, den 19. Februar 2018 von 17 bis 21 Uhr.
Am 10. Januar 2018 teilte der Antragsteller der Antragsgegnerin mit, dass das … Forum München den Carl-Amery-Saal für die oben genannte Veranstaltung mieten wollte. Im Rahmen der Veranstaltung wolle Frau S… über ihre Erlebnisse sowohl in Israel als auch in Deutschland berichten.
Mit E-Mail vom selben Tag teilte der Leiter Geschäftsbereich Veranstaltungsmanagement der Antragsgegnerin mit, dass diese keine Möglichkeit sehe, dem Antragsteller einen Raum speziell für die von ihm geplante Veranstaltung zu vermieten. Als Begründung wurde der Stadtratsbeschluss der Landeshauptstadt München vom 13. Dezember 2017 genannt.
In dieser Stadtratssitzung hatte der Stadtrat über den gemeinsamen Antrag 14-20 / A 03242 von CSU und SPD vom 11. Juli 2017 abgestimmt. Gegenstand des gemeinsamen Antrags war die Solidaritätsbekundung der Landeshauptstadt München mit dem Staat Israel sowie die Verurteilung von Antisemitismus und die Stellung gegen die antisemitische Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS). Dem Beschluss lag folgender Beschlussvorschlag zugrunde:
1. Der Stadtrat der Landeshauptstadt München beschließt folgende Resolution:
„Die Landeshauptstadt München bekennt sich vorbehaltlos zu ihrer historischen Verantwortung aus der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Sie steht im Einklang mit den Grundpfeilern der deutschen Außenpolitik solidarisch zu Israel und bekennt sich uneingeschränkt zu Israels Recht auf Existenz und Selbstverteidigung. Gerade wegen ihrer besonderen Verantwortung aus ihrer Stadtgeschichte spricht die Landeshauptstadt München entschieden die schärfste Verurteilung aller Formen von offenem und verdecktem Antisemitismus und aller Formen religiöser oder politisch motivierter Gewalt und Diskriminierung sowie jeglicher Inhalte und Erscheinungsformen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aus. Jegliches Handeln der Landeshauptstadt München und ihrer städtischen Gesellschaften hat sich strikt an diesen Grundsätzen zu orientieren.“
2. Die Landeshauptstadt München übernimmt die im Vortrag des Referenten beschriebene „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ in ihr Verwaltungshandeln.
3. Für Raumvergaben bzw. Vermietung oder Zuschüsse wird Folgendes festgelegt:
a) Organisationen und Personen, die Veranstaltungen in städtischen Einrichtungen durchführen wollen, welche sich mit den Inhalten, Themen und Zielen der BDS-Kampagne befassen, diese unterstützen, diese verfolgen oder für diese werben, werden von der Raumüberlassung bzw. Vermietung von Räumlichkeiten ausgeschlossen. Dies gilt entsprechend auch für die Zuschussvergabe.
b) Organisationen und Personen (Rednerinnen und Redner, Künstlerinnen und Künstler, Veranstalterinnen und Veranstalter), die sich in der Vergangenheit positiv zur BDS-Kampagne geäußert haben oder diese unterstützten, können nur dann durch die Überlassung bzw. Vermietung von Räumlichkeiten für Veranstaltungen unterstützt werden, sofern sich diese nicht mit den Inhalten, Themen und Zielen der BDS-Kampagne befassen, diese unterstützen, diese verfolgen oder für diese werben. Dies gilt entsprechend auch für die Zuschussvergabe.
4. Die Stadtverwaltung und die Eigenbetriebe werden beauftragt,
a) entsprechend den Beschlussziffern 2 und 3 künftig ihrem Handeln die unter B 2.1 und B 2.2 der Beschlussvorlage dargestellten Einschätzungen zu Grunde zu legen.
b) dem Stadtrat der Landeshauptstadt München bis zum 31.3.2018 über die erforderlichen und erfolgten Anpassungsmaßnahmen Bericht zu erstatten.
5. Der Oberbürgermeister wird gebeten, die städtischen Gesellschaften entsprechend den Beschlussziffern 1 bis 3 anzuweisen bzw. sich in den zuständigen Gremien hierfür einzusetzen.
6. Der Antrag 14-20 / A 03242 der CSU und der SPD vom 11.7.2017 bleibt aufgegriffen.
7. Die Ziffer 4 dieses Beschlusses unterliegt der Beschlussvollzugskontrolle. Die Ziffer 5 unterliegt hinsichtlich der bei den städtischen Gesellschaften auf Anweisung erforderlichen und erfolgten Anpassungsmaßnahmen der Beschlussvollzugskontrolle. Im Übrigen unterliegt dieser Beschluss nicht der Beschlussvollzugskontrolle.
Mit Schriftsatz vom 29. Januar 2018 hat der Antragsteller am selben Tag Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt.
Der Antragsteller trägt vor, dass der Stadtratsbeschluss gegen Art. 5 Grundgesetz – GG – verstoße und daher rechtswidrig sei. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf Zulassung nach Art. 21 Bayerische Gemeindeordnung – GO. Selbst wenn der Stadtratsbeschluss rechtmäßig sein sollte, habe der Antragsteller einen Anspruch auf Zulassung nach Art. 21 GO, da Frau S… keine BDS Aktivistin sei und sich noch nie öffentlich zur Aktion BDS zu Wort gemeldet habe.
Der Antragsteller hat nach richterlichem Hinweis klargestellt, dass sich der Antrag ausschließlich gegen die Antragsgegnerin richtet.
Die Beteiligten wurden zu einer Verweisung des Rechtsstreits an die ordentliche Gerichtsbarkeit angehört.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Rechtsstreit ist gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz – GVG – i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO nach Anhörung der Beteiligten an das zuständige Landgericht, vorliegend das Landgericht München I nach §§ 1, 17 Zivilprozessordnung – ZPO – i.V.m. §§ 13, 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG, zu verweisen, da der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht eröffnet ist. Die §§ 17 ff. GVG sind auch im vorläufigen Rechtsschutzverfahren analog anwendbar (vgl. BayVGH, B.v. 20.7.2002 – 20 A 40066 und 20 A 02.40068 – juris Rn. 9). Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeit nicht einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs war dabei vorliegend auch im einstweiligen Rechtsschutz durch das Gericht zu prüfen. Denn die Bejahung des Rechtswegs und der Zuständigkeit bildet eine derart allgemeine Voraussetzung für jede gerichtliche Entscheidung, dass eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Verfahrensarten keinen Sinn macht. Wird ein Eilantrag bei einem unzuständigen Gericht gestellt, bringt es für die Beschleunigung nichts, wenn der Antrag nicht an das zuständige Gericht verwiesen, sondern als unzulässig abgelehnt wird mit der Folge, dass er beim zuständigen Gericht neu gestellt werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 29.7.2002 – 20 A 02.40066 und 20 A 02.40068 – juris Rn. 9).
Die Streitigkeit ist vorliegend nicht als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren. Kommunen sind bundesrechtlich nicht gehindert, sich bei der Schaffung und Unterhaltung von Einrichtungen, die dem wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Wohl ihrer Einwohner dienen, privatrechtlicher Gestaltungsformen zu bedienen, und zwar auch in der Weise, dass sie eine selbstständige juristische Person des Privatrecht (AG, GmbH) gründen, der sie den Betrieb der Einrichtung übertragen (vgl. BVerwG, B.v. 28.3.1969 – VII C 49/67 – juris Rn. 38). Wird die Zulassung zu einer öffentlichen Einrichtung begehrt, beurteilt sich die Frage des Rechtswegs nach der Zwei-Stufen-Theorie. Nach dieser ist die Entscheidung über einen auf Art. 21 GO oder Art. 3 Abs. 1 GG gestützten Zulassungsanspruch öffentlich-rechtlicher Natur. Dies gilt auch dann, wenn, wie vorliegend, die öffentliche Einrichtung in Form einer selbstständigen juristischen Person des Privatrechts betrieben wird. Da Art. 21 GO jedoch nur die Kommune verpflichtet, wandelt sich der Zulassungsanspruch in dieser Konstellation in einen Verschaffungsanspruch gegen die Kommune. In diesem Fall hat die Kommune als Träger der privatrechtlich organisierten Einrichtung durch Einwirkung auf die ihr unterstehende privatrechtliche Betriebsgesellschaft dem Antragsteller den Zugang zu verschaffen (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 7 B 184/88 – juris Rn. 7). Wird demgegenüber der Antrag auf Zulassung gegen den mit dem Betrieb der Einrichtung betrauten privaten Rechtsträger gerichtet, ist der Zivilrechtsweg gegeben. Die Tätigkeit juristischer Personen des Privatrechts unterfällt, auch wenn sie in den Dienst der Daseinsvorsorge des Staates für seine Bürger gestellt sind, grundsätzlich dem Privatrecht und infolgedessen der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte, es sei denn, die betreffende juristische Person wäre durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes mit öffentlich-rechtlichen Handlungs- oder Entscheidungsbefugnissen ausgestattet (vgl. BVewG, B.v. 29.5.1990 – 7 B 30/90 – juris Rn. 5). Ist sie ist nicht zu öffentlich-rechtlichem Handeln ermächtigt, so kann der Antragsteller sie nicht in zulässiger Weise vor dem Verwaltungsgericht in Anspruch nehmen, sondern ist mit seinem Begehren auf den ordentlichen Rechtsweg verwiesen. Die Antragsgegnerin ist als GmbH eine juristische Person des Privatrechts und als „Tochter“ der Landeshauptstadt München konkret eine städtische Dienstleistungsgesellschaft, die sich für das Gebäudemanagement und Veranstaltungsmanagement des Gasteigs verantwortlich zeichnet. Dementsprechend hat der Antragsteller den Antrag auf Zulassung zum Carl-Amery-Saal des Gasteigs gegen die Antragsgegnerin vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen. Dies gilt insbesondere auch deshalb, da die Antragsgegnerin nicht zu öffentlich-rechtlichem Handeln ermächtigt ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Antragsgegnerin keinerlei öffentlich-rechtlichen Bindungen unterworfen wäre. Denn der Betrieb einer gemeindlichen Einrichtung ist, auch wenn er von der Gemeinde privatrechtlich organisiert worden ist, materiell öffentliche Verwaltung und darum gemäß Art. 1 Abs. 3 GG im Einklang mit den Grundrechten zu führen. Doch sind hieraus resultierende Grundrechtsbindungen der privatrechtlichen Betriebsgesellschaft nicht rechtswegbestimmend. Vielmehr haben darüber die ordentlichen Gerichte im Rahmen ihrer Rechtswegzuständigkeit nach § 13 GVG mitzuentscheiden (sog. Verwaltungsprivatrecht). Dem steht auch das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht entgegen. Denn der Zivilrechtsweg und der Verwaltungsrechtsweg sind einander, wie sich schon aus der Auffangzuständigkeit der ordentlichen Gerichte nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 GG ergibt, unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes prinzipiell gleichwertig (vgl. BVerwG, B.v. 6.3.1990 – 7 B 120/89 – juris Rn. 3; B.v. 29.5.1990 – 7 B 30/90 – juris Rn. 5). Der Antragsteller hat daher die Möglichkeit einen etwaigen auf (Verwaltungs-)Privatrecht beruhenden Anspruch gegenüber der Antragsgegnerin auf Zugang zum Carl-Amery-Saal des Gasteigs auch vor den ordentlichen Gerichten wirksam durchzusetzen. Sollte ihm die Weiterführung dieses Verfahrens aus materiell-rechtlichen Gründen nicht aussichtsreich erscheinen, kann er sich stattdessen an die Landeshauptstadt München als die Trägerin der Einrichtung halten. Diesbezüglich steht ihm der Verwaltungsrechtsweg offen.)
Dem zuständigen Gericht obliegt gemäß § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG die Kostenentscheidung.


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