Aktenzeichen B 3 K 16.257
SGB X SGB X § 102, § 114
Leitsatz
Für den Anspruch auf Erstattung der Kosten des Trägers der Jugendhilfe für eine Inobhutnahme gegen den Sozialhilfeträger ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten und nicht zu den Verwaltungsgerichten eröffnet. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Rechtsweg zu den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit (Verwaltungsrechtsweg) ist unzulässig.
2. Der Rechtsstreit wird an das Sozialgericht Bayreuth verwiesen.
3. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Gründe
I.
Die Klägerin (Trägerin der Jugendhilfe) begehrt vom Beklagten als Sozialhilfeträger Kostenerstattung für die von ihr in der Zeit vom 19.02.2015 bis 31.08.2015 vorläufig übernommenen Kosten der Inobhutnahme des Hilfebedürftigen B.S..
Der Hilfebedürftige B.S., geb. … 2001, wurde am 09.02.2015 von der Klägerin aufgrund einer „akuten Gefährdungssituation“ Inobhut genommen. Es sei absehbar gewesen, dass er nicht mehr zu seinen Eltern zurückkehren habe können. Bei ihm ist nach den unbestrittenen Angaben der Klägerin eine geistige Behinderung (GdB von 80) diagnostiziert. Er wurde nach übereinstimmenden Angaben der Beteiligten am 09.02.2015 in einer Außenwohngruppe des Heilpädagogischen Internats für Kinder und Jugendliche mit Behinderung untergebracht. Nach den Angaben des Beklagten erhielt er am 23.02.2016 den Bewilligungs-Bescheid der Klägerin vom 09.02.2015 zusammen mit dem Antrag der Mutter vom 09.02.2015, der mit dem Vermerk versehen gewesen sei, dass dieser Antrag hiermit im Rahmen des § 14 SGB IX weitergeleitet werde.
Mit Bescheid vom 03.09.2015 übernahm der Beklagte den Hilfefall ab dem 01.09.2015 in eigener Zuständigkeit, lehnte aber im Übrigen die Kostenerstattung für die Inobhutnahme ab.
Mit Schreiben des Gerichts vom 06.06.2016 erhielten die Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung zur beabsichtigten Verweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht Bayreuth. Die Beteiligten erklärten sich mit Schriftsätzen vom 10.06.2016 und 20.06.2016 einverstanden.
II.
Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG spricht das Gericht, wenn der beschrittene Rechtsweg unzulässig ist, dies nach Anhörung der Parteien von Amts wegen aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges.
Für den streitgegenständlichen Erstattungsanspruch ist der Verwaltungsrechtsweg unzulässig. Zuständig sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit. Nach § 40 Absatz 1 Satz 1 VwGO ist der Rechtsweg zu den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind.
Gemäß § 114 SGB X ist für den Erstattungsanspruch derselbe Rechtsweg gegeben wie für den Anspruch auf die Sozialleistung. Damit eröffnet § 114 SGB X den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nur dann, wenn der Anspruch des Hilfebedürftigen gegen den Beklagten dem Jugendhilferecht zuzuordnen wäre (§ 114 Satz 2 SGB X) oder wenn es sich um eine Leistung gemäß § 102 SGB X handeln würde, auch wenn hierfür der Sozialhilfeträger zuständig ist (§ 114 Satz 1 SGB X). Im Übrigen sind Streitigkeiten, die Angelegenheiten der Sozialhilfe betreffen, gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6a Sozialgerichtsgesetz – SGG – ausdrücklich den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen.
Die Zuständigkeit des Rechtswegs zu den Verwaltungsgerichten ergibt sich nicht aus § 114 Satz 2 SGB X. Mit dem Erstattungsbegehren gegenüber dem Beklagten als Träger der Sozialhilfe macht die Klägerin geltend, dass ihrer Ansicht nach der Anspruch des Hilfebedürftigen gegen den Beklagten dem Sozialhilferecht (SGB XII) zuzuordnen wäre. Diese Streitigkeiten sind den obigen Ausführungen zufolge den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen.
Die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Verwaltungsgerichten ergibt sich auch nicht aus § 114 Satz 1 SGB X. Eine Leistung nach § 102 SGB X liegt nicht vor. Danach hat ein Leistungsträger, der aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat, gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger einen Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen. Sozialleistungen sind gemäß § 11 SGB I die in diesem Gesetzbuch vorgesehenen Dienst-, Sach- und Geldleistungen, die in § 2 SGB VIII näher definiert werden. Danach umfasst die Jugendhilfe neben „Leistungen“ auch „andere Aufgaben“ zugunsten junger Menschen und Familien. In Absatz 2 sind die „Leistungen der Jugendhilfe“ aufgezählt. In Absatz 3 sind „andere Aufgaben der Jugendhilfe“ genannt: Die hier im Streit stehende Inobhutnahme wird in § 2 Abs. 3 Nr. 1 SGB VIII ausdrücklich zu den „anderen Aufgaben“ und nicht zu den „Leistungen der Jugendhilfe“ gezählt.
Dies geht einher mit der systematischen Einordnung der Inobhutnahme als Eingriffsbefugnis des Jugendamtes (vgl. Wiesner, Kommentar des SGB VIII, 4. Auflage, § 42 Anm. 2). Dass die Inobhutnahme selbst wohl keine Leistung im oben genannten Sinne ist, ergibt sich schließlich auch aus § 86 Abs. 7 Satz 1 Halbsatz 2 SGB VIII, welcher – mit der Formulierung “geht der Leistungsgewährung eine Inobhutnahme voraus”… – die Inobhutnahme der Leistungsgewährung gegenüberstellt. Daran ändert nichts, dass die Inobhutnahme nicht nur eingriffsrechtliche, sondern durchaus auch leistungsrechtliche Komponenten enthält (vgl. dazu: vgl. OVG NW v. 26.09.2014 Az. 12 A 2524/13 in juris Rn. 96-102 mit weiteren Nachweisen; v. 21.03.2014 Az. 12 A 1211/12 in juris Rn. 87-89; VG Würzburg v.09.11.2009 Az. W 3 E 09.1024 in juris Rn. 20).
Auch im Übrigen entspricht es der Gesetzessystematik, da Voraussetzung für die Inobhutnahme (nur) eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes und des Jugendlichen (§ 42 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII) und die Maßnahme damit grundsätzlich unabhängig davon ist, ob überhaupt eine Behinderung vorliegt oder welcher Art diese Behinderung ist. Mit dieser Maßnahme hat die Klägerin von der (nur) ihr zustehenden Befugnis Gebrauch gemacht, den Hilfebedürftigen ohne Zustimmung beider sorgeberechtigter Elternteile in einer geeigneten Einrichtung vorläufig unterzubringen und alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes oder Jugendlichen notwendig sind. Die Inobhutnahme endet mit der Entscheidung über die Gewährung von Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch (§ 42 Abs. 4 Nr. 2 SGB VIII).
Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten entgegen den Regelungen in § 114 SGB X ergibt sich auch nicht aus § 14 Abs. 4 SGB IX.
Örtlich zuständig ist gemäß § 57 Abs. 1 SGG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Satz 2 AGSGG das Sozialgericht Bayreuth.
Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Gerichts vorbehalten, an welches der Rechtsstreit verwiesen wurde (§ 17 b Abs. 2 Satz 1 GVG).