Verwaltungsrecht

Rechtswidrigkeit des Fahrerlaubnisentzugs

Aktenzeichen  M 26 S 16.3697

Datum:
11.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZfS – 2016, 719
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV FeV § 11 Abs. 6 S. 2, Abs. 8 S. 1, § 46 Abs. 1 S. 1
StVG StVG § 3 Abs. 1 S. 1
BayVwVfG BayVwVfG Art. 25 Abs. 1 S. 2, Art. 46

 

Leitsatz

1 Der Schluss auf die Nichteignung gemäß § 11 Abs. 8 S. 1 FeV ist nur zulässig, wenn die Anordnung der ärztlichen bzw. medizinisch-psychologischen Untersuchung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (Anschluss BVerwG DAR 2005, 581). (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Anordnung einer ärztlichen bzw. medizinisch-psychologischen Untersuchung ist rechtswidrig, wenn die für die Untersuchung infrage kommenden Stellen nicht mitgeteilt werden. Hierzu ist die Behörde nach § 11 Abs. 6 S. 2 FeV verpflichtet. Es handelt sich hierbei auch nicht um eine bloße Verfahrensvorschrift, sondern eine Norm mit materiellrechtlichen Inhalt zum Schutz des Betroffenen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Nrn. 1 und 2 des Bescheids des Antragsgegners vom 6. Juli 2016 wird wiederhergestellt und gegen die Nr. 4 des Bescheids angeordnet.
II.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 7.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung ihrer Fahrerlaubnis u. a. der Klassen … und …
Mit Schreiben vom 16. März 2016 forderte die Fahrerlaubnisbehörde die Antragstellerin auf, ein Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr beizubringen. Eine Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stellen war der Aufforderung nicht beigefügt. In der Folgezeit legte die Antragstellerin das Gutachten nicht vor.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 6. Juli 2016 entzog die Fahrerlaubnisbehörde der Antragstellerin die Fahrerlaubnis (Nr. 1), forderte sie zur Vorlage des Führerscheins oder alternativ zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung über den Verbleib des Führerscheins auf (Nr. 2), ordnete insoweit jeweils die sofortige Vollziehbarkeit an (Nr. 3) und drohte ein Zwangsgeld für den Fall der nicht rechtzeitigen Erfüllung der in Nr. 2 des Bescheids formulierten Verpflichtung an (Nr. 4).
Über den hiergegen eingelegten Widerspruch wurde bislang nicht entschieden. Bereits am … Mai 2015 stellte die Antragstellerin bei der Fahrerlaubnisbehörde ein Antrag auf Ausstellung eines Ersatzführerscheins. Ob diesem Antrag stattgegeben wurde, lässt sich den Akten nicht entnehmen.
Am … August 2016 beantragte der Bevollmächtigte der Antragstellerin,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen.
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, die Sofortvollzugsanordnung sei nicht ausreichend begründet. Außerdem sei die Beibringungsaufforderung rechtswidrig, da die für die Untersuchung in Betracht kommenden Stellen nicht mitgeteilt worden seien.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist auch in Bezug auf die Nr. 4 des streitgegenständlichen Bescheids zulässig. Es ist offen, ob die Fahrerlaubnisbehörde annimmt, dass die Antragstellerin noch (oder wieder) im Besitz eines Führerscheins ist. Vor diesem Hintergrund kann nicht von einer Erledigung der Zwangsgeldandrohung ausgegangen werden.
Der Antrag ist auch begründet. Die im Rahmen eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vom Gericht durchzuführende Interessenabwägung ergibt, dass der Widerspruch voraussichtlich Erfolg haben wird, so dass das Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Hauptsacherechtsbehelfs überwiegt.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV ist demjenigen Fahrerlaubnisinhaber die Fahrerlaubnis zu entziehen, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde auf die Nichteignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen, wenn sich dieser weigert, sich untersuchen zu lassen oder wenn er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt.
Der Schluss auf die Nichteignung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ist nur zulässig, wenn die Anordnung der ärztlichen bzw. medizinisch-psychologischen Untersuchung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (BVerwG, U. v. 9.6.2005 – 3 C 25.04 – DAR 2005, 581). Die Anordnung des Antragsgegners zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens ist rechtswidrig, weil der Antragstellerin nicht die für die Untersuchung infrage kommenden Stellen mitgeteilt wurden, wozu die Behörde nach dem Wortlaut von § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV jedoch verpflichtet ist. Dabei handelt es sich nicht um eine bloße Verfahrensvorschrift, deren Missachtung nach Art. 46 BayVwVfG unbeachtlich wäre. § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV korrespondiert mit dem Wahlrecht des Betroffenen, welche Stelle er gemäß § 11 Abs. 6 Satz 3 FeV mit der Untersuchung beauftragen will. Dieses Recht des Betroffenen steht wiederum in untrennbarem Zusammenhang damit, dass eine Fahreignungsuntersuchung stets einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte des Fahrerlaubnisinhabers bedeutet. Vor diesem Hintergrund hat die Vorschrift neben ihrer zweifelsohne vorhandenen verfahrensrechtlichen Komponente auch einen materiell-rechtlichen Inhalt, so dass die Anwendung von Art. 46 BayVwVfG ausscheidet und auch im Übrigen nicht ersichtlich ist, dass sich die Verletzung dieser Vorschrift nicht auf Rechte des Betroffenen auswirken kann (vgl. VG Oldenburg, B. v. 10.8.2010 – 7 A 1458/10 – juris für den Fall der nicht abschließenden Mitteilung aller für eine medizinisch-psychologischen Untersuchung infrage kommenden Stellen im Umkreis des Betroffenen).
Der hier zu entscheidende Fall ist auch nicht mit demjenigen Sachverhalt vergleichbar, der dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. November 2010 (Az. 11 C 10.2329 – juris) zugrunde lag. Dort hatte der Senat für den Fall eines ärztlichen Gutachtens im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 1, 3 oder 4 FeV entschieden, dass die fehlende Mitteilung der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stellen unbeachtlich sei, da jedermann sich anhand allgemein zugänglicher Verzeichnisse (z. B. Branchenfernsprechbücher) darüber unterrichten könne, welche Ärzte der von der Behörde vorgegebenen Fachrichtung in dem von ihm erreichbaren Umfeld ansässig sind. Der vom Gesetz verwendete und in der Beibringungsaufforderung wiederholte Begriff eines anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr ist für einen Betroffenen aber nicht ohne weiteres bestimmbar. Bereits die Frage der ausreichenden Akkreditierung kann ohne sachkundige Hilfe kaum mit zumutbarem Aufwand geklärt werden. Im Hinblick auf die insbesondere in Art. 25 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG zum Ausdruck kommende grundsätzlich bestehende behördliche Beratungsverpflichtung kann auch keine Obliegenheit der Antragstellerin angenommen werden, bei der Fahrerlaubnisbehörde entsprechend nachzufragen mit der Folge, dass für den Fall des Unterbleibens einer solchen Nachfrage das Fehlen der Mitteilung der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stellen nicht mehr in den Verantwortungsbereich der Behörde fallen würde.
Die Rechtswidrigkeit der Entziehungsverfügung führt auch zur Rechtswidrigkeit der hierzu akzessorischen sonstigen Verfügungen im streitgegenständlichen Bescheid.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anhang zu § 164 Rn. 14).


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