Verwaltungsrecht

Rechtswidrigkeit einer nach altem Recht ergangenen Abschiebungsanordnung wegen Fehlens einer ausdrücklichen Feststellung zum Vorliegen von Abschiebungsverboten

Aktenzeichen  M 22 S 15.50587

Datum:
15.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, lit. b, § 31 Abs. 3 S. 1, § 34a Abs. 1 S. 1, § 77 Abs. 1 S. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Die fehlende Feststellung zum Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge hat die Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung auch dann zur Folge, wenn der Bescheid vor Inkrafttreten des Integrationsgesetzes ergangen ist. (Rn. 6 und 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8. Juni 2015 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig und begründet. Die in diesem Verfahren zu treffende Ermessensentscheidung auf der Grundlage einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage fällt zugunsten der Antragsteller aus, da Überwiegendes dafür spricht, dass die verfügte Abschiebungsanordnung (jedenfalls gegenwärtig) rechtswidrig ist und daher dem Interesse der Antragsteller, (vorläufig) von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen verschont zu bleiben, Vorrang vor dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin einzuräumen ist.
1. Mit dem am 6. August 2016 in Kraft getretenen Integrationsgesetz wurden die Vorschriften des Asylgesetzes (AsylG) hinsichtlich der Fallgestaltungen, bezüglich derer sich die Zuständigkeit für die Prüfung eines Asylantrags nach den gemeinschaftsrechtlichen Regelungen der Dublin-Verordnungen bestimmt, neu gefasst und teilweise auch inhaltlich umgestaltet. Hinzuweisen ist insbesondere auf folgende Neuerungen:
Die Regelung des § 27a AsylG a.F. (Zuständigkeit eines anderen Staates aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung eines Asylverfahrens) wurde aufgehoben. Bezüglich der Dublin-Fälle ist nunmehr § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b AsylG einschlägig, wobei sich Buchst. a auf die aktuelle Dublin III-Verordnung bezieht, während etwaige Altfälle, auf die noch die Dublin II-Verordnung anzuwenden wäre, dem Buchst. b unterfallen. Gegenüber der bisherigen Rechtslage unverändert ist die gesetzgeberische Einstufung entsprechender Anträge als unzulässig.
Hinsichtlich der Tenorierung des Bescheides (Entscheidungsprogramm) bestimmt § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG in der aktuellen Fassung, dass in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge zwingend festzustellen ist, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Eine solche Entscheidung war bisher in Dublinfällen nicht üblich und fehlt auch im angefochtenen Bescheid.
Die Regelung zur Abschiebungsanordnung in § 34a Abs. 1 AsylG wurde um einen Satz 4 ergänzt, nach dem das Bundesamt eine Abschiebungsandrohung erlassen kann, wenn eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 der Regelung nicht ergehen kann, hat ansonsten aber keine Änderung erfahren. Eine Abschiebungsanordnung ist danach zu erlassen, sobald feststeht, dass sie ergehen kann (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG).
2. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids kommt es darauf an, ob dieser den beschriebenen Vorgaben genügt, da das Integrationsgesetz keine Übergangsbestimmung für seitens des Bundesamts vor dessen Inkrafttreten entschiedene Fälle enthält und daher nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen ist bzw., wenn die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergeht, der Zeitpunkt maßgebend ist, in dem die Entscheidung gefällt wird.
2.1 Für die Streitsache folgt hieraus zunächst, dass – vorausgesetzt, es wäre von einer Zuständigkeit Rumäniens für die Durchführung des Asylverfahrens auszugehen – die Unzulässigkeitsentscheidung (Bescheidstenor Nr. 1) keinen Bedenken begegnen würde, da die Regelung des § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG den noch auf der Grundlage des § 27a AsylG a.F. getroffenen Ausspruch vollinhaltlich tragen würde (bloßer Austausch der Rechtsgrundlage).
2.2. Das Fehlen einer ausdrücklichen Feststellung zum Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufentG gemäß der Vorgabe des § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG dürfte dagegen die Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung (Bescheidstenor Nr. 2) zur Folge haben.
Der Erlass einer auf einen konkreten Zielstaat bezogenen Abschiebungsanordnung ist nur zulässig, wenn die beabsichtigte Abschiebung tatsächlich und rechtlich möglich ist, setzt also u.a. voraus, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht vorliegen (zur Abschiebungsandrohung vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylG). Diesem Erfordernis könnte, wenn man allein die Regelung des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG in den Blick nimmt, an sich auch durch eine Inzidentprüfung bezüglich des Vorliegens von Abschiebungsverboten bei der Entscheidung über den Erlass der Abschiebungsanordnung Rechnung getragen werden. Einem solchen Vorgehen steht aber nunmehr die Regelung des § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG entgegen, nach der in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge über das Vorliegen von Abschiebungsverboten gesondert durch feststellenden Verwaltungsakt zu befinden ist. Der Erlass einer Abschiebungsanordnung hinsichtlich eines bestimmten Zielstaates kommt in diesen Fällen folglich nurmehr dann in Betracht, wenn bezüglich dieses Zielstaates vorgängig eine negative Feststellungsentscheidung getroffen wurde.
Unterbleibt eine solche Entscheidung im Verwaltungsverfahren, wird man weiter davon auszugehen haben, dass diese auch nicht durch das Gericht im Klageverfahren nachgeholt bzw. ersetzt werden kann. Die Frage nach einer Spruchreifmachung durch das Gericht stellt sich insoweit wohl nicht, weil die Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten als feststellender Verwaltungsakt allein dem Bundesamt obliegt und bei der in Dublinfällen ausschließlich gegebenen Anfechtungssituation die gerichtliche Prüfung darauf beschränkt ist, ob die rechtlichen Voraussetzungen für die getroffenen Verfügungen vorliegen, was in Bezug auf die Abschiebungsanordnung aber (ungeachtet der materiellrechtlichen Wertung) zu verneinen wäre, wenn keine gesonderte Feststellung zum Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten hinsichtlich des jeweiligen Zielstaats erfolgt ist.
Schließlich sei noch bemerkt, dass das Gericht auch keine Gründe zu erkennen vermag, aufgrund derer es sich als vertretbar darstellen könnte, im Hinblick auf vor Inkrafttreten des Integrationsgesetzes erlassene Dublinbescheide eine inzidente Feststellung zu den einschlägigen Abschiebungsverboten genügen zu lassen. Dem steht entgegen, dass die gesetzliche Regelung eindeutig erscheint, der Gesetzgeber es in der Hand gehabt hätte, für diese Fallgruppe eine Übergangsregelung zu treffen und es dem Bundesamt im Übrigen unbenommen bleibt, durch den Erlass eines Ergänzungsbescheides den Mangel für die Zukunft zu heilen.
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass nach Auffassung des Gerichts eine fehlende Feststellung zum Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge die Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung zur Folge hat und, wenn keine Heilung durch Nachschieben einer entsprechenden Entscheidung erfolgt, die Anordnung auf die Klage hin aufzuheben ist (so im Ergebnis, allerdings andere Fallgruppen von Unzulässigkeitsentscheidungen betreffend, auch OVG Saarl, U.v. 25.10.2016 – 2 A 96/16 – juris Rn. 29 f. und U.v. 10.1.2017 – 2 A 330/16 – juris Rn. 30; VG Oldenburg, U.v. 17.11.2016 – 1 A 142/15 – BeckRS 2016, 55795 -; a.A. einen Dublinfall betreffend, VG Schwerin, U.v. 26.9.2016 – 16 A 1757/15 As SN – juris Rn. 123 ff.; siehe auch Heusch in Beck`scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand: 01.11.2016, § 31 AsylG, Rn. 20; Bethke/Gießen/Hocks in Asylmagazin 2016, 336 ff. und Huber in NVwZ 2016, 1503).
3. Dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung war danach schon deshalb stattzugeben, weil davon auszugehen ist, dass die Abschiebungsanordnung (gegenwärtig) rechtswidrig ist und eine Abschiebung daher (jedenfalls vorerst) rechtlich nicht zulässig wäre.
4. Auf die Frage, ob auch sonstige Umstände dem Antrag zum Erfolg hätten verhelfen können, muss daher hier nicht weiter eingegangen werden (zur Frage des Vorliegens sog. systemischer Mängel hinsichtlich der Aufnahmebedingungen und des Verfahrens in Rumänien – auch in Bezug auf anerkannte Schutzberechtigte – vgl. VG Bremen, B.v. 2.2.2017 – 5 V 131/17 – juris m.w.N. zur Rechtsprechung).
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
6. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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