Verwaltungsrecht

Rücknahmefiktion wegen Nichtbetreibens des Verfahrens

Aktenzeichen  Au 3 K 16.32041

Datum:
17.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Abs. 4

 

Leitsatz

1 Untergetaucht iSv § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AsylG ist der Ausländer, wenn er für die staatlichen Behörden nicht auffindbar ist. (redaktioneller Leitsatz)
2 Untertauchen setzt begrifflich zwar an sich ein willentliches oder jedenfalls wissentliches Verbergen voraus, diese innere Intention ist aber gerade bei einem nicht auffindbaren Ausländer nicht feststellbar. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die Klage konnte im Einverständnis der Parteien ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
1. Die Klage ist, soweit die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids begehrt wird, zulässig, insbesondere als Anfechtungsklage statthaft (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 14-20; BayVGH, BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 u.a. – juris Rn. 21). Sie wurde fristgerecht erhoben (§ 74 Abs. 1 AsylG); in der dem Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung:wurde nur auf die Möglichkeit der Klageerhebung binnen einer Frist von zwei Wochen hingewiesen. Ihr fehlt, obwohl sich aus § 33 Abs. 5 Satz 2, 4, 5 und 6 AsylG ergibt, dass der Kläger beim Bundesamt die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen kann und das Bundesamt das Verfahren in dem Verfahrensabschnitt wieder aufnehmen muss, in dem die Prüfung eingestellt wurde, auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BVerfG, B.v. 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – juris Rn. 8).
Im Übrigen ist die Klage, soweit sie auf Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des subsidiären Schutzstatus bzw. auf Feststellung, dass nationale Abschiebungsverbote vorliegen, gerichtet ist, unzulässig (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 17). Zwar ist das Ziel des Klägers letztlich eine Entscheidung über das Asylgesuch in der Sache. Allerdings kann er eine solche Entscheidung nicht bereits in diesem Verfahrensstadium durch das Gericht erlangen. Die Systematik des Asylverfahrensrechts setzt voraus, dass zunächst das Bundesamt eine Sachentscheidung trifft, die einer Überprüfung durch das Gericht zugänglich ist. Macht das Bundesamt von der gesetzlichen Ermächtigung zur Einstellung des Asylverfahrens fehlerhaft Gebrauch, darf das Gericht mit der Aufhebung der nach § 32, § 33 AsylG getroffenen Entscheidung gerade nicht zugleich über die Begründetheit des Begehrens auf Gewährung von Asyl und Zuerkennung der Flüchtlingsanerkennung entscheiden; der Asylsuchende muss vielmehr zunächst die Aufhebung dieses Bescheides erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten will (BVerwG, U.v. 5.9.2013 – 10 1.13 – juris Rn. 14).
2. Die Klage ist, soweit sie zulässig ist, jedoch unbegründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 14. September 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 33 Abs. 1 AsylG in der Fassung von Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I 2016, S. 390 f.) gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG n.F. wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er untergetaucht ist.
Die Voraussetzungen für eine Einstellung des Verfahren auf der Grundlage von § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG liegen hier vor.
Untergetaucht im Sinne von § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG ist der Ausländer, wenn er – so die Begründung zum Gesetzesentwurf – für die staatlichen Behörden nicht auffindbar ist (BT-Drs. 18/7538, 17). Untertauchen setzt begrifflich zwar an sich ein willentliches oder jedenfalls wissentliches Verbergen voraus, diese innere Intention ist aber gerade bei einem nicht auffindbaren Ausländer nicht feststellbar. Da der Ausländer darüber belehrt worden ist, dass er für die zuständigen Behörden erreichbar sein muss, darf das Gesetz davon ausgehen, dass eine Missachtung dieser Pflicht in vollem Bewusstsein geschieht. Dies muss genügen, um daran die Folgen des § 33 Abs. 1 AsylG zu knüpfen. Es obliegt dem Ausländer gem. § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG im Einzelfall nachzuweisen, dass die Unauffindbarkeit auf Umständen beruht, auf die er keinen Einfluss hatte. Da diese Umstände seiner Sphäre zuzuordnen sind, ist diese Verteilung der Darlegungs- und Nachweislasten auch angemessen (BeckOK AuslR/Heusch AsylG § 33 Rn. 21).
Der Kläger befand sich nach den behördlichen Ermittlungen mindestens vom 29. Mai 2016 bis 18. Juli 2016 in Italien und betrieb dort offensichtlich auch ein Asylverfahren. Der Kläger hat den zuständigen Behörden das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht mitgeteilt. Damit ist er im o.g. Sinne untergetaucht. Anhaltspunkte dafür, dass die Unauffindbarkeit auf Umstände beruht, auf die er keinen Einfluss gehabt hätte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Der Kläger ist auf die Rechtsfolge der Rücknahmefiktion hingewiesen worden. § 33 Abs. 4 AsylG ist durch o.g. Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 am 17. März 2016 in Kraft getreten. Der Kläger ist bereits bei der Asylantragstellung ausdrücklich über die Rechtsfolge des § 33 Abs. 1 AsylG i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG im Falle der Nichterreichbarkeit in seiner Landessprache hingewiesen worden. Er hat den Empfang der Belehrung (§ 33 Abs. 4 AsylG) bestätigt. Eine Fiktion der Rücknahme des Asylantrags und eine Einstellung des Verfahrens konnte demnach auf § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG gestützt werden.
Darauf, ob die Vermutung des Nichtbetreibens (auch) aus § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG abgeleitet werden konnte und ob der Kläger hierüber entsprechend den gesetzlichen Vorgaben belehrt wurde, kommt es damit nicht weiter an. Denn die Frage, ob ein angefochtener Bescheid materiell rechtmäßig oder rechtswidrig ist, richtet sich nach dem Recht, das geeignet ist, die getroffene Regelung zu rechtfertigen. Erweist sie sich aus anderen als in dem Bescheid angegebenen Gründen als rechtmäßig, ohne dass sie durch den Austausch der Begründung in ihrem Wesen geändert würde, dann ist der Verwaltungsakt im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht rechtswidrig (BVerwG, U. v. 27.1.1982 – 8 C 12.81 – BVerwGE 64, 356; U.v. 19.8.1988 – 8 C 29.87 – BVerwGE 80, 96/98; U.v. 31.3.2010 – 8 C 12.09 – juris Rn. 10). So liegt der Fall hier. Der Austausch beider Normen ließe den Tenor der Grundverfügung unberührt.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG abzuweisen.


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