Verwaltungsrecht

Schülerbeförderung, Pädagogische Eigenheiten

Aktenzeichen  7 ZB 21.115

Datum:
17.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 6580
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SchBefV § 2 Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

1. § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV ist eng auszulegen. Die Annahme pädagogischer oder weltanschaulicher Eigenheiten im Sinne dieser Vorschrift setzt solche Alleinstellungsmerkmale voraus, durch die sich der Unterricht an der Schule deutlich von dem an ansonsten vergleichbaren Schulen abhebt.
2. Allein der Umstand, dass ein Schüler oder eine Schülerin Eingliederungshilfe in ambulanter Form gemäß § 35a SGB VIII für den Schulbesuch erhält, hat keine Auswirkungen auf den Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Schülerbeförderung.

Verfahrensgang

Au 3 K 20.1351 2020-11-24 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 4.521 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage, ob der Kläger gegen den Beklagten einen Anspruch auf Übernahme der Schülerbeförderungskosten für das Schuljahr 2020/2021 für seine Beförderung von seinem Wohnort zum privaten O. Gymnasium in M. hat.
Der Kläger leidet an ADHS und einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens. Seit dem Schuljahr 2020/2021 besucht er die fünfte Jahrgangsstufe des O. Gymnasiums.
Das Verwaltungsgericht hat seine Klage, den Beklagten zu verpflichten, ihm die Schulwegkosten für die Beförderung zum O. Gymnasium für das Schuljahr 2020/2021 zu bewilligen, abgewiesen. Es hat im Wesentlichen argumentiert, das vom Kläger besuchte Gymnasium sei weder die nächstgelegene Schule im Sinne von § 2 Abs. 1 SchBefV, noch ergebe sich ein Anspruch auf Übernahme der Schülerbeförderungskosten aus § 2 Abs. 3 Satz 1 SchbefV, denn die vom Kläger besuchte Schule weise keine pädagogischen Eigenheiten im Sinne dieser Norm auf. Auch eine Kostenübernahme im Rahmen einer Ermessensentscheidung nach § 2 Abs. 4 SchBefV scheide aus.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Beklagte hat sich im Zulassungsverfahren zwar geäußert, jedoch nicht durch einen Prozessbevollmächtigten im Sinne von § 67 Abs. 4 VwGO.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegte Behördenakte sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO sind nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Art und Weise dargelegt bzw. liegen nicht vor.
1. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind anzunehmen, wenn in der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. etwa BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838/839). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinne liegen dann vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/548). Welche Anforderungen an Umfang und Dichte der Darlegung zu stellen sind, hängt wesentlich von der Intensität ab, mit der die Entscheidung begründet worden ist (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 64 m.w.N.).
Durch das Vorbringen des Klägers im Zulassungsverfahren werden die vom Verwaltungsgericht zur Begründung des angefochtenen Urteils angeführten Erwägungen nicht ernstlich in Frage gestellt und keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die weiterer Klärung in einem Berufungsverfahren bedürften.
Mit seinem Vorbringen, sein Anspruch auf Übernahme der Schülerbeförderungskosten folge aus § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV, da das O. Gymnasium eine besondere pädagogische Eigenheit aufweise, weil es ein umfassendes und auf die jeweiligen Jahrgangsstufen ausgerichtetes besonderes pädagogisches Konzept habe, dringt der Kläger nicht durch.
a) Die Zulassungsbegründung wird dem Darlegungserfordernis aus § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht gerecht. Der Kläger setzt sich nicht im gebotenen Maß und der vorliegend gebotenen Tiefe mit den Feststellungen des Verwaltungsgerichts auseinander. So erläutert die Zulassungsbegründung nicht, aus welchen Gründen der Kläger die Entscheidung des Verwaltungsgerichts für ernstlich zweifelhaft hält, sondern stellt lediglich erneut die Besonderheiten der von ihm besuchten Schule dar. Das Verwaltungsgericht hat sich mit diesen ausführlich befasst. Substantiierte Gründe, warum die diesbezüglichen verwaltungsgerichtlichen Feststellungen Anlass zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils geben, legt der Kläger nicht dar, sondern wiederholt im Wesentlichen seine bereits erstinstanzlich vorgetragene eigene Bewertung. Damit gelingt es ihm jedoch nicht, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils darzulegen.
b) Unabhängig davon hat der Beklagte rechtsfehlerfrei abgelehnt, die Beförderung zum – unstreitig nicht nächstgelegenen – O. Gymnasium nach § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV zu übernehmen.
Nach dieser Bestimmung soll die Beförderung zu einer anderen als der nächstgelegenen Schule übernommen werden, wenn die Schülerinnen und Schüler diese Schule wegen ihrer pädagogischen oder weltanschaulichen Eigenheiten besuchen, insbesondere eine Tagesheimschule, eine Schule mit gebundenem oder offenen Ganztagsangebot, eine nicht-koedukative Schule oder eine Bekenntnisschule. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV eng auszulegen (vgl. BayVGH, U.v. 10.1.1996 – 7 B 94.1847 – BayVBl 1996, 434/436; B.v. 19.2.2013 – 7 B 12.2441 – juris Rn. 33; v. 14.5.2014 – 7 B 14.24 – juris Rn. 25). Die Vorschrift will nur Schulen mit einem besonderen pädagogischen oder weltanschaulichen Konzept erfassen, das dem Unterricht in allen Klassen einen eigenständigen, an anderen Schulen auch nicht ansatzweise vorhandenen Charakter gibt, und das die Schule damit – ohne eine eigenständige Ausbildungs- und Fachrichtung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV zu begründen – deutlich von anderen vergleichbaren Schulen unterscheidet. Denn der Verordnungsgeber wollte mit § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV insbesondere privaten Schulträgern keine Möglichkeiten eröffnen, sich durch Unterscheidungsmerkmale oder schulische Besonderheiten jeder Art von anderen Schulen abzugrenzen mit der Folge, dass sich Schülerinnen und Schüler bzw. deren Eltern hierdurch gegenüber dem Aufgabenträger auf die Sollvorschrift des § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV berufen können. Die Annahme pädagogischer oder weltanschaulicher Eigenheiten im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV setzt daher solche Alleinstellungsmerkmale voraus, durch die sich der Unterricht an der Schule deutlich von ansonsten vergleichbaren Schulen abhebt. Dazu genügt nicht jeder pädagogisch oder weltanschaulich begründete Unterschied zu vergleichbaren Schulen, denn sachliche Unterscheide zwischen Schulen gleicher Ausbildungs- und Fachrichtung beruhen regelmäßig auf pädagogischen oder weltanschaulichen Gründen.
Hieran gemessen weist das vom Kläger besuchte O. Gymnasium keine pädagogischen Eigenheiten im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV auf. Der Senat verkennt nicht, dass das O. Gymnasium durchaus ein spezielles pädagogisches Konzept verfolgt und sich dieses positiv auf den Schulalltag von Schülerinnen und Schülern auswirken kann. Eine pädagogische Eigenheit im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV erfordert jedoch darüber hinaus ein besonderes pädagogisches Konzept, das gerade dem Unterricht in allen Klassen einen eigenständigen Charakter gibt, der sich damit deutlich vom Unterricht an anderen Schulen unterscheidet. An derart weitreichenden und ausgeprägten Unterschieden der Unterrichtsgestaltung fehlt es jedoch vorliegend.
aa) Das Verwaltungsgericht hat sich in der angegriffenen Entscheidung mit den pädagogischen Besonderheiten des O. Gymnasiums im Einzelnen befasst. Es hat festgestellt, dass andere vergleichbare Schulen über ähnliche Ganztagesangebote (rhythmisierter und strukturierter Ganztagesunterricht) verfügten. Mit Blick auf die Klassengröße von maximal 23 Schülerinnen und Schülern hat es ausgeführt, dass hierin im Vergleich zu anderen Schulen kein bedeutender Unterschied festzustellen sei. Hierzu hat sich der Kläger im Zulassungsverfahren nicht mehr verhalten.
bb) Sein Einwand, das Verwaltungsgericht habe die Verfügbarkeit einer schulpsychologischen Betreuung in größerem zeitlichen Umfang nicht ausreichend berücksichtigt, überzeugt nicht. Denn die Möglichkeit täglich, zwischen 8:00 und 16:00 Uhr pädagogische und psychologische Beratung in Anspruch nehmen zu können, wirkt sich nicht unmittelbar auf die Gestaltung des Unterrichts aus und gibt diesem keine völlig eigenständige Prägung. Pädagogische Eigenheiten im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV sind nur solche, die die Unterrichtsgestaltung an der Schule entscheidend prägen (vgl. BayVGH, U.v. 19.2.2013 – 7 B 12.2441 – juris Rn. 34).
cc) Soweit in den Jahrgangsstufen 5 bis 9 nach dem Zwei-Pädagogen-Prinzip unterrichtet wird und jeder Klasse eine pädagogische Assistenzkraft zugeordnet ist, die für die Schülerinnen und Schüler während des gesamten Schultags inkl. der Hausaufgabenbetreuung ansprechbar ist, hat das Verwaltungsgericht offengelassen, ob hierin eine pädagogische Eigenheit liegt, die dem Unterricht einen eigenständigen Charakter verleiht. Da das Zwei-Pädagogen-Prinzip nur in den Jahrgangsstufen 5 bis 9 zum Tragen komme, fehle es insoweit an einer pädagogischen Eigenheit, die für alle Klassen vorhanden sei. Hiergegen ist nichts zu erinnern. Auch der Kläger tritt diesen Feststellungen nicht substantiiert entgegen, sondern verweist lediglich darauf, dass es auch „ab der 10. Jahrgangsstufe“ ein besonderes pädagogisches Konzept gebe. Aus den im erstinstanzlichen wie im Zulassungsverfahren vorgelegten Stellungnahmen der psychologischen und pädagogischen Beraterin des O. Gymnasiums ist jedoch zu entnehmen, dass ab Jahrgangsstufe 10 die pädagogischen Assistenzkräfte nur noch im Rahmen der Hausaufgabenbetreuung tätig werden und die Schülerinnen und Schüler ab Jahrgangsstufe 11 in der Studierzeit völlig eigenständig oder in kleinen Lerngruppen arbeiten. Das Zwei-Pädagogen-Prinzip ist damit kein den gesamten Unterricht in allen Klassen prägendes pädagogisches Konzept, das der Schule im Vergleich zu anderen ein Alleinstellungsmerkmal für alle Jahrgangsstufen (vgl. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 SchKFrG, § 4 Abs. 2 Nr.1 SchBefV) vermittelt und damit keine pädagogische Eigenheit im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV.
Obwohl das O. Gymnasium mit seinem pädagogischen Konzept besondere Rahmenbedingungen für Schülerinnen und Schüler schafft und die Schule daher ein eigenes Profil hat, entsteht hierdurch nach den zutreffenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts – gemessen an den Wertungen des § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV – kein völlig eigenständiges und für alle Jahrgangsstufen wirkendes Unterrichtskonzept, das sich von dem ansonsten vergleichbarer Schulen abhebt. Damit ist keine „pädagogische Eigenheit“ im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV gegeben.
c) Allein aus dem Umstand, dass der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 3. Dezember 2021 Eingliederungshilfe in ambulanter Form gemäß § 35a SGB VIII gewährt, das O. Gymnasium mit der Durchführung der Maßnahme beauftragt hat und die für diese Maßnahme der Jugendhilfe anfallenden Kosten trägt, kann der Kläger vorliegend nichts für sich ableiten. Denn die Entscheidung über eine Maßnahme der Jugendhilfe hat keine Auswirkungen auf den hier allein streitgegenständlichen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Schülerbeförderung.
2. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen. Ungeachtet dessen, dass der Kläger seinen Darlegungspflichten aus § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO auch insoweit nicht im gebotenen Maß nachkommt, sind vorliegend die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht gegeben.
Eine Rechtssache weist besondere rechtliche Schwierigkeiten auf, wenn eine kursorische Prüfung der Erfolgsaussichten einer Berufung keine hinreichend sichere Prognose über den Ausgang des Rechtsstreits erlaubt. Entscheidend für besondere rechtliche Schwierigkeiten ist dabei stets die Qualität, nicht die Quantität der Rechtssache (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 27).
Der Senat vermag aufgrund der Ausführungen unter 1. keine derartigen Schwierigkeiten zu erkennen, insbesondere gibt das Zulassungsvorbringen keinen Anlass zu Zweifeln, die sich nicht schon ohne weiteres im Zulassungsverfahren, sondern erst in einem Berufungsverfahren mit der erforderlichen Sicherheit klären und entscheiden ließen. Allein die Bezugnahme auf die gesundheitliche Disposition des Klägers genügt für die Annahme besonderer rechtlicher Schwierigkeiten nicht.
Aus der Tatsache, dass die zuständige Kammer des Verwaltungsgerichts den Rechtsstreit vorliegend nicht gemäß § 6 Abs. 1 VwGO auf den Einzelrichter übertragen, sondern in Kammerbesetzung entschieden hat, ist nicht auf das Vorliegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zu schließen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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