Verwaltungsrecht

Schulwegkostenrecht keine verfassungsrechtlich gebotene Leistung der öffentlichen Hand

Aktenzeichen  M 3 K 15.5905

Datum:
20.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SchBefV § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 SchBefV; § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV; § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV; Art. 2 Abs. 3 SchKfrG

 

Leitsatz

1 Die Kläger sind als sorgeberechtigte Eltern klagebefugt, da sie im Hinblick auf die Schülerbeförderung eine eigene Rechtsposition (Kostenanspruch) als Unterhaltsverpflichtete und als Eltern geltend machen können. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Beförderungspflicht besteht zur nächstgelegenen Schule. Für die Bestimmung der nächstgelegenen Schule ist grundsätzlich nicht auf die Entfernung oder auf den Zeitaufwand abzustellen, sondern auf den finanziellen Aufwand der Beförderung durch Vergleich der anfallenden Fahrtkosten. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ausnahmsweise kann auf den zeitlichen Aufwand eines Schulwegs abgestellt werden, falls der Besuch der (kostenmäßig) „nächstgelegenen Schule“ unzumutbar wäre. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4 Die Beförderung zu einer anderen als der nächstgelegenen Schule soll übernommen werden, wenn diese Schule wegen ihres pädagogischen oder weltanschaulichen Konzepts, das dem Unterricht in allen Klassen einen eigenständigen, an anderen Schulen auch nicht ansatzweise vorhandenen Charakter gibt und das die Schule damit deutlich von anderen vergleichbaren Schulen unterscheidet, besucht wird. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
5 Wahlunterricht unterfällt nicht der Kostenfreiheit des Schulwegs. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
6 Eine Ermessenspraxis, die aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Haushaltsführung in Fällen, in denen der (tatsächliche) Beförderungsaufwand die ersparten Beförderungskosten (zu der nächstgelegenen Schule) um nicht mehr als 20 vH übersteigt, die Übernahme der Beförderungskosten ablehnt, ist nicht ermessensfehlerhaft. (Rn. 28 – 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Verpflichtungsklage der Kläger auf Übernahme der Schulwegbeförderungskosten ihres Sohnes für das Schuljahr 2015/2016 ist zulässig, aber unbegründet.
Die Kläger sind als sorgeberechtigte Eltern des Schülers klagebefugt im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO. Die Kläger machen im Hinblick auf die Schülerbeförderung eine eigene Rechtsposition als Unterhaltsverpflichtete und als Eltern geltend, die ihnen nach dem Schulwegkostenrecht und aus ihrem Elternrecht nach § 1629 Abs. 1 BGB, Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz, Art. 126 Bayerische Verfassung auch grundsätzlich zusteht. Ebenso ist die Aktivlegitimation der Eltern des Schülers anzuerkennen; das Schulwegkostenfreiheitsgesetz (SchKfrG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl. S. 452, BayRS 2230-5-1-K), das zuletzt durch § 1 Nr. 241 der Verordnung vom 22. Juli 2014 (GVBl. S. 286) geändert worden ist, stellt an mehreren Stellen (vergleiche insbesondere Art. 3 Abs. 2 Satz 3 und Satz 6 SchKfrG) auf den Unterhaltsleistenden ab und benennt den Anspruchsberechtigten für die Schulwegkostenbefreiung nicht ausdrücklich. Auch wenn grundsätzlich nur der Schüler allein Anspruchsinhaber der Schülerbeförderung sein kann, so geht es vorliegend allein um einen Kostenanspruch, da das Schuljahr 2015/2016, für das die Beförderung beantragt wurde, längst abgeschlossen ist. Da die Beförderungskosten rechtlich und tatsächlich von den Eltern aufzubringen sind, ist diesen eine eigene Rechtsposition einzuräumen (vgl. dazu VG Ansbach, U.v.18.2.2016 – AN 2 K 15.00406 -, juris, Rn. 19; U.v. 8.10.2015 – AN 2 K 13.01829 –, juris, Rn. 18).
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der streitgegenständliche ablehnende Bescheid des Beklagten vom 3. Juli 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern vom 15. März 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO); die Kläger haben keinen Anspruch auf Übernahme der Schulwegbeförderungskosten im Schuljahr 2015/2016 (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die ablehnende Entscheidung des Beklagten ist auch unter Ermessensgesichtspunkten nicht zu beanstanden, § 114 VwGO.
Einzelheiten des Anspruchs auf Übernahme der notwendigen Beförderung der Schüler auf dem Schulweg ergeben sich aus der Schülerbeförderungsverordnung (SchBefV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. September 1994 (GVBl. S. 953, BayRS 2230-5-1-1-K), die zuletzt durch § 1 der Verordnung vom 1. Juli 2016 (GVBl. S. 193) geändert worden ist.
1. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SchBefV besteht die Beförderungspflicht zur nächstgelegenen Schule; diese ist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV diejenige Schule der gewählten Schulart (z.B. Gymnasium, Realschule), Ausbildungs- und Fachrichtung, die mit dem geringsten Beförderungsaufwand erreichbar ist. Nächstgelegene Schule in diesem Sinne ist für den Wohnort des Sohnes der Kläger die Staatliche Realschule Dachau und nicht die von ihm besuchte … Realschule …
a. Bei beiden Schulen handelt es sich um Realschulen mit der gleichen Ausbildungs- und Fachrichtung. Der Begriff der Ausbildungsrichtung bestimmt sich anhand von Art. 8 Abs. 3 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl. S. 414, 632, BayRS 2230-1-1-K), das zuletzt durch Gesetz vom 24. Mai 2017 (GVBl. S. 106) geändert worden ist. Danach können ab der Realschule drei Ausbildungsrichtungen eingerichtet werden: Die Ausbildungsrichtung I mit Schwerpunkt im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich, die Ausbildungsrichtung II mit Schwerpunkt im wirtschaftlichen Bereich und die Ausbildungsrichtung III mit Schwerpunkt im fremdsprachlichen Bereich; die Ausbildungsrichtung III kann ergänzt werden durch Schwerpunkte im musisch-gestaltenden, im hauswirtschaftlichen und sozialen Bereich. Nicht einmal die Schwerpunkte innerhalb der gewählten Ausbildungsrichtung sind im Bereich des Schülerbeförderungsrechts von Bedeutung (BayVGH, B.v. 23.6.2008 – 7 B 08.550 – juris, Rn. 24). Die Ausbildungsrichtung III zählt somit als eine Ausbildungsrichtung. Sowohl in der gewählten Realschule … als auch in der Realschule Dachau werden alle drei Ausbildungsrichtungen angeboten.
b. Die von der Beklagten genannte Staatliche Realschule Dachau ist mit dem geringsten Beförderungsaufwand im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV zu erreichen. Es ist in ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs geklärt, dass für die Bestimmung der nächstgelegenen Schule grundsätzlich nicht auf die Entfernung oder auf den Zeitaufwand abzustellen ist, sondern auf den finanziellen Aufwand der Beförderung durch Vergleich der anfallenden Fahrtkosten (BayVGH, B.v. 20.4.2009 – 7 ZB 08.3048 –, juris; BayVGH U.v. 8.1.2008 – 7 B 07.1008 -, juris). Der finanzielle Aufwand der Beförderung ist durch Vergleich der anfallenden Beförderungskosten zu ermitteln. Während die MVV-Kosten für die vom Sohn der Kläger besuchte Realschule 81,90 Euro monatlich betragen, liegen sie bei der Staatlichen Realschule Dachau bei jeweils 76,20 Euro, sodass Letztere mit dem geringerem Beförderungsaufwand zu erreichen ist.
c. Beim Vergleich der Beförderungskosten ist es auch sachgerecht, als Maßstab der Berechnung auf die personalisierten Zeitkarten (Monatsfahrkarten) des öffentlichen Nahverkehrs abzustellen und nicht z.B. Einzelfahrkarten oder Streifenkarten heranzuziehen. In Massenverfahren mit zahlreichen beförderungsberechtigten Schülern ist eine solche Praxis nicht zu beanstanden, denn eine individuelle Berechnung unter Berücksichtigung der (jährlich wechselnden) Ferientermine mit einem Vergleich der Kosten für die Monatsfahrkarten auf der einen Seite und für Einzelfahrscheine oder Streifenkarten auf der anderen Seite für jeden einzelnen Schüler ist mit vertretbarem Aufwand nicht zu bewältigen und wäre damit unwirtschaftlich. Eine individuelle Berechnung ist weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck der einschlägigen Bestimmungen erforderlich. Vielmehr ist dem Aufgabenträger insoweit ein Organisationsermessen zuzubilligen, das auch zur Erfüllung der Beförderungspflicht in der beschriebenen Weise berechtigt (vgl. BayVGH B.v. 31.5.2011 – 7 ZB 10.2930 -juris, Rn. 13; BayVGH, B.v. 4.5.2012 – 7 ZB 11.2910 -, juris, Rn. 13).
2. Dem Sohn der Kläger ist der Schulweg von seinem Wohnort zu der genannten Alternativschule in Dachau auch nicht unzumutbar. Ausnahmsweise kann auf den zeitlichen Aufwand eines Schulwegs abgestellt werden, falls der Besuch der (kostenmäßig) „nächstgelegenen Schule“ unzumutbar wäre (BayVGH, U.v. 12.2.2001 – 7 B 99.3719 -, juris, Rn. 28). Eine solche Fallkonstellation liegt jedoch hier nicht vor. Eine Differenz der Fahrtzeiten von einer halben Stunde je Fahrt und eine Gesamtfahrtzeit von 75 Minuten pro Fahrt sind zumutbar.
3. Die von den Klägern vorgetragene Besonderheit der vom Schüler besuchten Realschule … durch ihr Angebot einer Bläserklasse in der 5. und 6. Klasse, stellt auch keine pädagogische oder weltanschauliche Eigenheit dar, die zu einer Beförderungspflicht nach § 2 Abs. 3 S. 1 SchBefV führt.
Nach § 2 Abs. 3 S. 1 SchBefV soll die Beförderung zu einer anderen als der nächstgelegenen Schule übernommen werden, wenn diese Schule wegen ihrer pädagogischen oder weltanschaulichen Eigenheit besucht wird, „insbesondere“ eine Tagesheimschule, eine Schule mit gebundenem oder offenem Ganztagesangebot, eine nicht-koedukative Schule oder eine Bekenntnisschule. Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist § 2 Abs. 3 S. 1 SchBefV eng auszulegen (BayVGH, U.v. 19.2.2013 – 7 B 12.2441- juris, Rn. 33; U.v. 5.3.2012 – 7 ZB 11.2092 – juris, Rn. 2). Die Vorschrift will nur Schulen mit einem besonderen pädagogischen oder weltanschaulichen Konzept erfassen, das dem Unterricht in allen Klassen einen eigenständigen, an anderen Schulen auch nicht ansatzweise vorhandenen Charakter gibt und das die Schule damit deutlich von anderen vergleichbaren Schulen unterscheidet (BayVGH, U.v. 10.1.1996 – 7 B 94.1847). Davon abgesehen, dass es sich um eine Sollvorschrift handelt, die bei Vorliegen besonderer Gründe auch Raum für eine ablehnende Entscheidung lässt (BayVGH, U.v.9.8.2011 – 7 B 10.1775 -), geht das Gericht davon aus, das die vom Kläger besuchte Bläserklasse der 5. Klasse keine im oben genannten Sinne Abweichung darstellt.
Das Gericht schließt sich den Ausführungen des Kultusministeriums an, das in seinen Schreiben an die Kläger vom 16. August 2016 und im KMS vom 14. April 2010 bzgl. „Chorklassen“ (Az. II.6-5 S. 4365.1/236/5) die „Bläserklassen“ als Wahlfachangebot einschätzt, das an einer größeren Anzahl an Realschulen angeboten wird; Wahlunterricht falle nicht unter die Kostenfreiheit des Schulwegs. Das Konzept der Bläserklasse ist auf die 5. und 6. Klasse beschränkt und auch dort nicht auf alle Klassen der besagten Jahrgangsstufen bezogen. In den höheren Jahrgangsstufen wird keine vermehrte musikalische Förderung der Schüler im Rahmen des Pflichtunterrichts angeboten. Eine deutliche Unterscheidung von anderen vergleichbaren Schulen liegt daher nicht vor (so auch Kommentar Wüstendörfer/Allmannshofer, Teil 2 Schülerbeförderung unter 9.4). Anders als beispielsweise bei einer Spezialklasse eines Musikgymnasiums, das evtl. die Aufnahme an das Bestehen eines Eignungstests knüpft, erweiterten Musikunterricht in der Stundentafel vorsieht und Musik als Hauptfach zählt, handelt es sich bei der „Bläserklasse“ um ein schulisches Angebot für die 5. und 6. Jahrgangsstufe, bei dem der Musikunterricht in Form von Instrumentalunterricht durchgeführt wird. Die Differenzierung liegt allein auf einem Musikunterricht, der den Schwerpunkt auf Instrumentalunterricht legt und auch nur in den ersten zwei Jahrgangstufen der Realschulzeit stattfindet. Zudem stellt die Bläserklasse auch nur ein Angebot der Schule dar; die Schule ist – bspw. für den Fall nicht genügender Anmeldungen – nicht zur Durchführung verpflichtet. Die Beurteilung, ob es sich um eine Schule mit einem besonderen pädagogischen oder weltanschaulichen Konzept im Sinne von § 2 Abs. 3 SchBefV handelt, erfolgt abstrakt; die individuelle Gesundheitssituation des Schülers kann dafür nicht maßgebend sein.
4. Schließlich war die Ablehnung der kostenfreien Beförderung des Sohns der Kläger zur Realschule … auch nicht im Hinblick auf § 2 Abs. 4 SchBefV zu beanstanden.
a. Nach § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV kann der Aufgabenträger die Beförderung zu einer anderen als der nächstgelegenen Schule ganz oder teilweise übernehmen, wenn der Beförderungsaufwand die ersparten Beförderungskosten zur nächstgelegenen Schule um nicht mehr als 20 v. H. übersteigt.
Die Voraussetzung des § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV ist im vorliegenden Fall erfüllt, da die ersparten Beförderungskosten zur Realschule … den tatsächlichen Beförderungsaufwand zur Realschule Dachau um nicht mehr als 20% übersteigen. Die streitgegenständliche Ablehnung ist rechtmäßig. Der Beklagte hat das ihm zustehende Ermessen erkannt.
Eine ermessensfehlerhafte Anwendung der Vorschrift durch den Beklagten ist nicht zu erkennen. Die Ermessensentscheidung der Behörde kann das Gericht nur in den Grenzen des § 114 VwGO nachprüfen. Insbesondere darf das Gericht sie nicht durch eigene Ermessenserwägungen ersetzen. Vielmehr ist die gerichtliche Kontrolle bei der Überprüfung des Ermessensspielraumes der Behörde im Wesentlichen darauf beschränkt, ob eine Ermessensausübung überhaupt stattgefunden hat, ob die Behörde sämtliche betroffenen Belange ermittelt und in die Entscheidung eingestellt hat, schließlich ob die Behörde keine sachfremden Erwägungen angestellt, sondern sich am Zweck des Gesetzes und am Normenprogramm orientiert hat (vgl. zum Ganzen: Rennert in Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, Rn. 10 ff. zu § 114). Gemäß § 114 Satz 2 VwGO ist es auch grundsätzlich zulässig, im Laufe des Verfahrens noch Ermessenserwägungen nachzuschieben, wenn grundsätzlich eine Ermessensentscheidung getroffen wurde.
Die Auffassung der Kläger, die ermessensbindende Vorfestlegung der Verwaltung hinsichtlich der Handhabung des § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV stelle einen Ermessens-ausfall dar, weil die Verwaltungsbehörde im Vollzug dieser Selbstbindung keine (weiteren) Ermessenserwägungen angestellt habe, wird vom Gericht nicht geteilt. Die Vorabfestlegung ist vergleichbar mit einer ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift. Ihr kommt zwar allein verwaltungsinterne Bindungswirkung zu; entscheidend ist jedoch, wie die zuständige Behörde ihre interne Ermessensbindung gehandhabt hat und in welchem Umfang sie infolgedessen durch den Gleichheitsgrundsatz gebunden ist (vgl. zur Rechtnatur von Verwaltungsvorschriften auch BayVerfGH, E.v. 13.12.1996 – Vf. 17-V-92 -; VG München, U.v. 13.12.2007 – M 15 K 04.5010 – juris). Die Beklagte hat ausnahmslos keinen Gebrauch von der 20%-Regelung gemacht, selbst bei einer Differenz von nur einem Prozent wurden die Fahrtkosten nicht übernommen. Eine normkonkretisierende oder ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift bindet die Gerichte nicht unmittelbar, bei konsequenter und ausnahmsloser Anwendung der Verwaltungsvorschrift durch die Behörden wohl aber mittelbar vor dem Hintergrund von Art. 3 GG (Kopp/Schenke VwGO § 114, Rn. 42). Wenn die Behörde alle Fälle aufgrund einer Verwaltungsvorschrift in gleicher Weise behandelt, würde es dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen, diese einmalig unangewendet zu lassen. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung (VG Augsburg, U.v. 15.1.2010 – Au 3 K 09.48 – juris, Rn. 33-35) bezüglich der allgemeinen Zulässigkeit von Beschlüssen der zuständigen Kreisgremien zu einem generellen Ausschluss der Beförderungskosten nach § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV ist auf den vorliegenden Fall übertragbar.
Entscheidend ist, dass sich die ermessensbindende Vorfestlegung ihrerseits im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessens hält (BVerwG vom 7.9.1984 Az. 4 C 20.81, BVerwGE 70, 127, 133). Eine Ermessenspraxis, die aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Haushaltsführung in Fällen, in denen der (tatsächliche) Beförderungsaufwand die ersparten Beförderungskosten (zu der nächstgelegenen Schule) um nicht mehr als 20 v.H. übersteigt, die Übernahme der Beförderungskosten im Ermessenswege ablehnt, ist gerichtlich nicht zu beanstanden. Jedenfalls ist ein Anspruch des Klägers auf Übernahme der Beförderungskosten im Wege einer Ermessensreduzierung auf null, wonach jede andere als eine stattgebende Entscheidung ermessensfehlerhaft wäre, nicht erkennbar (s. VG München, GB. v. 16.8.2016 – M 3 K 14.5279).
Die Ablehnung der Beförderung wurde zum einen mit fiskalischen Gründen begründet. Im Falle einer Beförderungsübernahme nach § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV entstehen nicht nur höhere Beförderungskosten, sondern teilweise auch Gastschulbeiträge, z.B. wenn Schulen in anderen Landkreisen besucht werden. Zum anderen dient die Ablehnung der Beförderung zu anderen als nächstgelegenen Schulen der Steuerung der Schülerströme hin zu im Landkreis selbst gelegenen Einrichtungen, die weitgehend ausgenutzt werden sollen, weil für ihr Vorhalten dem Beklagten ebenfalls Kosten entstehen.
Selbst wenn man dem Argument der Kläger folgen würde, wonach eine generelle Ermessensausübung der Beklagten in dem Sinne, die Vorschrift des § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV unangewendet zu lassen, einen Ermessensausfall darstellen würde, so wurden vorliegend jedenfalls im Klageerwiderungsschriftsatz vom 21. März 2016 von der Beklagten Ermessenserwägungen im Einzelfall nachgeschoben. Es wurde vorgetragen, dass die Realschule Dachau die gleichen Ausbildungsrichtungen wie die Realschule … habe und Gründe der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowie den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung genannt, sowie aufgrund der Vielzahl der unmittelbar ans Kreisgebiet Dachau angrenzenden Münchner Schulen auf erhebliche Mehrkosten verwiesen.
Dem Vortrag der Kläger, fiskalische Gründe wären im Rahmen des § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV nicht zur Ermessensausübung geeignet, da der Gesetzgeber bereits über die Bindung des Begriffs der nächstgelegenen Schule an einen Kostengrund – den geringsten Beförderungsaufwand – die wirtschaftlichen Gründe bereits „verbraucht habe“, wird vom Gericht nicht geteilt. § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV gibt den Aufgabenträgern die Möglichkeit, bei guter Haushaltslage trotz grundsätzlich fehlender Beförderungspflicht, sich dennoch zu dieser zu verpflichten. Dementsprechend können die Aufgabenträger mit ebendieser Haushaltslage, dem Wirtschaftlichkeitsargument, die Kostenübernahme ablehnen. Bei den Entscheidungen, die die Behörde im Rahmen des § 2 Abs. 4 SchBefV trifft, ist das öffentliche Interesse an einer sparsamen Mittelverwendung, wie es in Art. 2 Abs. 1 Satz 3 SchKfrG verankert ist, als prägender Grundsatz des Schülerbeförderungsrechts zu berücksichtigen (BayVGH, U.v. 19.2.2013 – 7 B 12.2441 – Rn. 42 m.w.N.).
Im Übrigen ist das Schulwegkostenrecht stets vor dem Hintergrund zu beurteilen, dass es auf freiwilliger Basis der Landesgesetzgeber besteht und eine verfassungsrechtlich nicht gebotene Leistung der öffentlichen Hand darstellt. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach entschieden, dass kein verfassungsrechtlich garantierter Anspruch auf kostenfreien Transport zur Schule besteht (BayVerfGH B.v. 27.7.1984 – Vf.17-VII-83 -; BayVerfGH E.v. 28.10.2004 – Vf.8– VII-03-; BayVerfGH, E.v. 7.7.2009 – Vf.15 –VII/08). Weder dem Grundgesetz (vgl. BVerwG, B.v. 22.10.1990 – 7 B 128/90) noch der Bayerischen Verfassung ist zu entnehmen, dass sämtliche mit dem Schulbesuch verbundenen Aufwendungen vom Staat oder von den Kommunen zu tragen wären. Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar in einer Entscheidung (BVerwG, B.v. 15.1.2009 – 6 B 78/08 -) offen gelassen, ob sich aus dem durch Art. Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten Recht der Erziehungsberechtigten, den Bildungs Weg ihrer Kinder zu bestimmen, und aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Schüler (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. Abs. GG) Auswirkungen auf die Erstattungsfähigkeit privater Schülerbeförderungskosten ergeben. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, stünde dem Landesgesetzgeber – so das Bundesverwaltungsgericht – ein sehr weiter Ausgestaltungsspielraum hinsichtlich der Zumutbarkeit des Beförderungsangebots im öffentlichen Personennahverkehr zu. Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG, B.v.16.6.2009,BvR 419/09 -).
b. Es war auch nicht ermessensfehlerhaft im Sinne des § 2 Abs. 4 Nr. 4 SchBefV, dass der beklagte Aufgabenträger im Hinblick auf das allgemeine öffentliche Interesse an einer Begrenzung der finanziellen Aufwendungen auch unter Berücksichtigung der Belange der Kläger einer Übernahme der Beförderungskosten zur Realschule … nicht zugestimmt hat. Die Zustimmung nach dieser Vorschrift ist nur in außergewöhnlichen Fällen zu erteilen (BayVGH, U.v. 19.2.2013, a.a.O, juris, Rn. 42). Bei der Entscheidung hierüber durfte der beklagte Aufgabenträger das öffentliche Interesse an einer sparsamen Mittelverwendung (Art. 2 Abs. 1 Satz 3 SchKfrG) als prägenden Grundsatz des Schülerbeförderungsrechts berücksichtigen (vgl. BayVGH, U.v. 10.1.1996 – 7 B 94.1847 – BayVBl. 1996, 434).
5. Die Kläger können auch nicht verlangen, dass der Beklagte die Beförderungskosten wenigstens insoweit zu übernehmen hat, als sie bei einem Besuch zu der alternativ vom Beklagten vorgeschlagenen nächstgelegeneren Realschule, d.h. in Höhe von 76,20 EUR pro Monat angefallen wären. Die so genannten fiktiven Fahrtkosten werden nach eindeutiger obergerichtlicher Rechtsprechung im Bayerischen Schulwegkostenrecht nicht erstattet (BayVGH, B.v. 30.01.2007 – 7 ZB 06.781 -, juris, Rn. 13; BayVGH, U.v. 12.02.2001 – 7 B 99.3719 -, juris, Rn. 34, m.w. Nachw.); diese Auslegung von § 2 SchBefV verstößt nicht gegen die Bayerische Verfassung (BayVerfGH, E.v. 20.4.1990 – Vf. 28-VI-89 in NVwZ-RR 1991, S. 74). Danach kann ein Schüler nicht die (fiktiven) Beförderungskosten zur nächstgelegenen Schule verlangen, wenn er tatsächlich eine weiter entfernte Schule besucht. Darin liegt kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 118 Abs. 1 BV, da der BayVerfGH hinreichende sachliche Gründe darin sieht, dass es nicht im Interesse einer auf den näheren Einzugsbereich abstellenden Schulplanung liege, durch Übernahme von Beförderungskosten zu entfernter liegenden Schulen die Schülerzahl der nächstgelegenen Schulen zu gefährden. Auch das Recht der Eltern auf Wahl der Schule für ihr Kind aus Art. 6 Abs. 2 GG bleibt unberührt. Ein allgemeiner Anspruch auf Subventionierung von Ausbildungskosten in Gestalt der Übernahme der Beförderungskosten in jedem Fall lässt sich der Verfassung nicht entnehmen.
Mithin bestand für die vom Sohn der Kläger besuchte Realschule in … im Schuljahr 2015/2016 keine Beförderungspflicht des Beklagten.
Da der Beklagte auch ermessensfehlerfrei einen Anspruch auf Übernehme der Beförderungskosten nach § 3 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV abgelehnt hat, war die Klage auch in ihrem Hilfsantrag auf erneute Entscheidung unter Beachtung der Rechtssauffassung des Gerichts abzulehnen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).


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