Verwaltungsrecht

Schwere Lebensbedingungen in Sierra Leone – erfolgloser Berufungszulassungsantrag

Aktenzeichen  9 ZB 20.30821

Datum:
8.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9698
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3

 

Leitsatz

Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen gekommen ist. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 14 K 18.31659 2020-02-05 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Kläger ist Staatsangehöriger Sierra Leones und begehrt die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie hilfsweise die Zuerkennung subsidiären Schutzes, die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Mit Urteil vom 5. Februar 2020 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt erfolglos. Es liegt weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache vor (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG), noch ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen eine Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) oder ein Verfahrensmangel (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG).
1. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 18.30670 – juris Rn. 3 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
a) Der Kläger sieht eine grundsätzliche Bedeutung in der Frage, „ob man eine (illegale) Flucht vor legalen Behörden, als ein Untertauchen, sei es in den USA, in Deutschland oder eben auch in Sierra Leone einer legalen Flucht (Untertauchen) einem sich rechtmäßig verhaltenden Bürger dieses Staates gleichsetzen kann“. Dem Zulassungsvorbringen lassen sich insoweit aber keine Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit entnehmen. Das Verwaltungsgericht ist unter Würdigung aktueller Erkenntnismittel davon ausgegangen, dass es „nicht einmal ansatzweise erkennbar“ sei, wie etwaige Verfolger den Kläger auffinden sollten, wenn er sich in einer großen Stadt wie etwa Freetown niederließe. Die vom Kläger angeführten Voraussetzungen einer Flucht vor nichtstaatlichen Akteuren wie vor staatlichen Behörden, nämlich „ständige Ortswechsel, kein Aufbau von sozialen Umfeldern, kein Kontakt mit der Familie“ ergibt sich daraus nicht. Das Zulassungsvorbringen setzt sich insoweit nicht mit den vom Verwaltungsgericht eingeführten und zitierten Erkenntnismitteln auseinander und legt auch nicht anhand überprüfbarer Hinweise auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte Tatsachen- und Erkenntnisquellen (z.B. Gutachten, Auskünfte, Presseberichte, andere Gerichtsentscheidungen) dar, inwieweit die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich ist und warum sie im Berufungsverfahren zu einer vom angefochtenen Urteil abweichenden Entscheidung führen könnte (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2020 – 9 ZB 20.30142 – juris Rn. 3). Abgesehen davon ist die Frage auch nicht verallgemeinernd, sondern nur nach jeweiliger Würdigung der Verhältnisse im Einzelfall zu beurteilen (vgl. BayVGH, B.v. 8.10.2019 – 9 ZB 19.33218 – juris Rn. 4).
b) Das Zulassungsvorbringen sieht weiter eine grundsätzlich bedeutsame Frage darin, ob angesichts der Armut in Sierra Leone, der Schwierigkeiten beim Finden von Wohnraum und der fehlenden staatlichen Unterstützung Feststellungen dazu getroffen hätten werden müssen, ob der Kläger mit Unterstützung einer Familie bzw. Freunden rechnen könnte oder dürfte, sowie in der Frage, „muss angesichts der Tatsache, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung am Rande des Existenzminimums lebt, zu dem Vorhanden – oder Nichtvorhandensein von Familienangehörige bzw. einer Großfamilie keine Feststellungen getroffen wurden, davon ausgegangen werden, dass sich die Klägerin zumindest sein Existenzminimum sichern kann oder muss davon ausgegangen werden, dass angesichts der Gesamtumstände und auch den speziellen Umstände bei der Klägerin bei einer Rückkehr davon ausgegangen werden muss, dass er unter dem Existenzminimum (und somit unter den inländischen Maßstäben unter Verstoß eines selbstbestimmten würdevollen Lebens) bleiben muss“. Das Verwaltungsgericht hat unter Würdigung der eingeführten Erkenntnismittel auf die schwierigen Lebensbedingungen in Sierra Leone abgestellt und ist auf dieser Basis zu der Einschätzung gelangt, dass der Kläger, der als Schneider gearbeitet hat, als junger und arbeitsfähiger Mann mit neunjähriger Schulbildung in der Lage sein wird, sich ein Existenzminimum selbst ohne familiäre Unterstützung zu erwirtschaften. Abgesehen davon, dass sich insoweit aus dem Zulassungsvorbringen schon keine allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung entnehmen lässt, war die Frage einer familiären Unterstützung für das Verwaltungsgericht bereits nicht entscheidungserheblich. Darüber hinaus setzt sich das Zulassungsvorbringen wiederum nicht mit den vom Verwaltungsgericht eingeführten und zitierten Erkenntnismitteln auseinander.
c) Die im Zulassungsantrag noch aufgeworfene Frage, ob der Kläger bei Bekanntwerden der Asylantragstellung mit politischer Verfolgung rechnen muss, genügt den Darlegungsanforderungen nicht, da sich dem Zulassungsvorbringen insoweit keine Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit entnehmen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 19.31503 – juris Rn. 5).
2. Der vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund einer Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) wird schon nicht ausreichend dargelegt. Dem Zulassungsvorbringen lässt sich kein Rechtssatz oder verallgemeinerungsfähiger Tatsachensatz entnehmen, den das Verwaltungsgericht abweichend von einem der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten übergeordneten Gerichte aufgestellt haben soll (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 19.31503 – juris Rn. 6).
3. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann jedoch nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BayVGH, B.v. 19.10.2018 – 9 ZB 16.30023 – juris Rn. 10). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist allerdings nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen gekommen ist. Auch die bloße Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfG, B.v. 15.2.2017 – 2 BvR 395/16 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 19.31503 – juris Rn. 8).
Für eine Nichtberücksichtigung des klägerischen Vorbringens zu seinem Verfolgungsgeschehen ist bereits nichts ersichtlich. Das Verwaltungsgericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 4. Februar 2020 umfangreich angehört und ist unter Würdigung der Erkenntnislage davon ausgegangen, dass der Kläger in einer Großstadt nicht ausfindig gemacht werden könnte. Der Kläger kann einen Gehörsverstoß auch nicht mit Erfolg darauf stützen, dass das Verwaltungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen habe, ob der Kläger im Fall seiner Rückkehr mit Unterstützung einer Familie bzw. durch Freunde rechnen könne. Eine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht statuiert Art. 103 Abs. 1 GG nicht (vgl. BVerfG, B.v. 5.3.2018 – 1 BvR 1011/17 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 10.4.2019 – 9 ZB 18.33046 – juris Rn. 5). Wie bereits ausgeführt, ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger in der Lage sein werde, sein Existenzminimum eigenständig zu sichern. Insgesamt wendet sich das Zulassungsvorbringen vielmehr im Gewand einer Gehörsrüge gegen die Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht, womit jedoch kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsgrund angesprochen wird (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2019 – 9 ZB 19.34121 – juris Rn. 10).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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