Verwaltungsrecht

Sicherheitslage in Kabul begründet keinen Anspruch auf Durchführung eines Folgeantragsverfahrens

Aktenzeichen  M 25 E 16.35289

Datum:
13.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 109598
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 36 Abs. 4 S. 1, § 71 Abs. 5
VwGO § 123 Abs. 1
VwVfG § 51

 

Leitsatz

Allgemeine Ausführungen zur Verschlechterung der Sicherheitslage in Kabul bieten keinen Anlass, im Rahmen eines Folgeantragsverfahrens in eine erneute Risikobewertung einzutreten. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist ein 29-jähriger afghanischer Staatsangehöriger, der sich gegen seine für den 14. Dezember 2016 geplante Abschiebung nach Afghanistan wendet.
Das Asylerstverfahren des Antragstellers ist rechtskräftig negativ abgeschlossen (VG München, U.v. 31.3.2014 – M 23 K 12.30617, rechtskräftig seit 11.7.2014).
Mit Schreiben vom 18. Februar 2016 stellte die Prozessbevollmächtigte des Klägers für diesen einen Asylfolgeantrag. Mit Schreiben vom 7. Dezember 2016 an die zuständige Ausländerbehörde teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen, ein weiteres (Asyl-)Verfahren nicht durchgeführt wird und der Ausländer noch einen förmlichen Bescheid erhält.
Mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2016, bei Gericht per Telefax am selben Tag eingegangen, ließ der Antragsteller durch seine Prozessbevollmächtigte Klage gegen den „Bescheid“ des Bundesamts, Geschäftszeichen … * …, erheben mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, ein weiteres Asylverfahren durchzuführen und dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutzstatus zu gewähren, weiter hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 des AufenthG vorliegen (M 25 K 16. 35288).
Mit gleichem Schriftsatz beantragte die Prozessbevollmächtigte gemäß § 123 VwGO,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, eine Mitteilung nach § 71 Abs. 5 AsylG zurückzunehmen und sie zu verpflichten, der zuständigen Ausländerbehörde zu untersagen, bis zur Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache gegen die (sic) Antragsteller aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu ergreifen.
Hilfsweise wurde gemäß § 80 Abs. 5 VwGO beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass die Beklagte und Antragsgegnerin den im Februar 2016 gestellten Asylfolgeantrag bis zum 6. Dezember 2016 ignoriert und trotz vielfacher Nachfragen – auch seitens des Gerichts – nicht einmal registriert hatte. Nunmehr sei die Entscheidung offenbar bereits am 7. Dezember 2016 gefallen, ein Bescheid liege nicht vor, allerdings die Mitteilung gemäß § 71 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (sic). Die zunächst für den 28. Dezember 2016 geplante Abschiebung des Antragstellers sei nunmehr auf den 14. Dezember 2016 vorgezogen worden.
Die Situation des Antragstellers habe sich nach Abschluss des Asylerstverfahrens im Jahr 2014 maßgeblich verändert. Seine Familie habe Afghanistan inzwischen ebenfalls verlassen. 2015 sei sein jüngerer Bruder nach Deutschland gekommen, sei schwer erkrankt und habe bereits drei längere stationäre Aufenthalte in der Psychiatrie hinter sich. Der Kläger und Antragsteller kümmere sich um seinen schwer misshandelten und massiv traumatisierten Bruder. Der Antragsteller habe in Afghanistan keine Anlaufstelle mehr und sehe für sich auch keine Möglichkeit, eine Wohnung oder eine Arbeit zu bekommen und das Existenzminimum zu sichern. Die Situation in Afghanistan ändere sich aktuell erneut dramatisch. Dies gelte sowohl für die Sicherheitsals auch für die Versorgungslage. Dabei wirke sich besonders der Rückkehrdruck auf afghanische Flüchtlinge in Pakistan aus. Auch aus dem Iran würden zunehmend afghanische Flüchtlinge abgeschoben. Junge Männer würden auch mittels Gewaltanwendung dazu gezwungen, sich als „Freiwillige“ den Kampf in Syrien zu melden. Afghanistan sei nicht in der Lage, derartige Massen von Rückkehrern zu integrieren. Die Versorgung von Hunderttausenden Rückkehrern überfordere die Möglichkeiten bei weitem. Die Annahme, dass arbeitsfähige Personen, die keine Unterhaltsverpflichtungen haben, sich ein zwar prekäres, aber das Existenzminimum sicherndes Auskommen, etwa durch Arbeit auf dem Bau, sichern könnten, sei vor dem aktuellen Hintergrund nicht mehr stichhaltig. Zu diesem Ergebnis, der UNHCR bereits in den Richtlinien zur Feststellung des Schutzbedarfs afghanischer asylsuchender vom April 2016. Dort werde ausgeführt, dass sich die wirtschaftliche Situation gerade in Kabul seit 2014 deutlich verschlechtert habe. Arbeitslosigkeit und auch extreme Armut hätten zugenommen. UNHCR und alle Innenminister aller Bundesländer, außer Bayern und Hessen, hätten größte Bedenken gegen Abschiebungen nach Afghanistan angemeldet und eine detaillierte Einzelfallprüfung verlangt. Es müsse sichergestellt sein, dass die abgeschobene Person tatsächlich Zugang zu Hilfe erhalte. Auf theoretisch bestehende Hilfsmöglichkeiten könne man sich dabei nicht stützen.
Angesichts dieser deutlichen Änderung der tatsächlichen Gegebenheiten in Afghanistan, die eine für den Kläger und Antragsteller günstigere Entscheidung nahe legen, sei ein weiteres Asylverfahren durchzuführen bzw. der Antrag auf Feststellung subsidiären Schutzes wieder aufzunehmen. Da vorliegend schwere und schwerste Verletzungen des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit drohten, sei vor der Entscheidung in der Hauptsache ein Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen unzulässig.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1. Der vorläufige Rechtsschutz richtet sich hier nach § 123 VwGO. Mangels erneuter Abschiebungsandrohung bildet die in dem bestandskräftigen Erstbescheid enthaltene Abschiebungsandrohung in Verbindung mit der entsprechenden Mitteilung an die Ausländerbehörde gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG die Grundlage für den Vollzug einer Abschiebung.
Da die in Rede stehende Mitteilung kein Verwaltungsakt ist (vgl. BeckOK AuslR/Schönenbroicher, Stand 1.11.2016, AsylG § 71 Rn. 30) und somit in der Hauptsache nicht im Wege der Anfechtungsklage angefochten werden kann, ist vorläufiger Rechtsschutz nicht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, sondern in der Weise zu gewähren, dass der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO aufgegeben wird, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass vorläufig nicht aufgrund der nach Ablehnung des Folgeantrags an sie ergangenen Mitteilung abgeschoben werden darf.
2. Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, weil der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat.
Nach § 123 Absatz ein Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Der zu sichernde Anspruch (Anordnungsanspruch) und dessen Gefährdung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen.
Unabhängig vom Bestehen eines Anordnungsgrundes hat der Antragsteller vorliegend keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Antragsgegnerin hat die Durchführung eines Folgeverfahrens nach derzeitiger Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) zu Recht abgelehnt. Das Gericht legt bei seiner Überprüfung den eingeschränkten Maßstab des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG zu Grunde.
2.1. Das Gericht überprüft in diesem Rahmen nur, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen.
Gemäß § 71 Abs. 4 AsylG in Verbindung mit § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Abschiebung nur bei ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme ausgesetzt werden. Vorliegend ist gemäß § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG eine neue Abschiebungsandrohung zwar nicht erforderlich. Dennoch muss es für den Erfolg eines Eilantrags überwiegend wahrscheinlich sein, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines Asylfolgeverfahrens vorliegen (vgl. auch VG München, B.v. 29.8.2016 – M 4 S. 16.32295 – BeckRS 2016, 51241).
Ein erfolgreicher Eilantrag setzt somit voraus, dass der Antragsteller glaubhaft macht, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Verfahrens überwiegend wahrscheinlich gegeben sind. Dies ist dem Kläger vorliegend nicht gelungen.
2.2. Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag, so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
2.2.1. Die Vorschrift des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG verlangt, dass sich die der Erstentscheidung zu Grunde liegende Sach-oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Asylbewerbers geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Der Asylfolgeantrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG). Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat (§ 51 Abs. 3 VwVfG).
2.2.2. Der Antragsteller macht geltend, dass sich die Sach- und Rechtslage nach Abschluss seines Erstverfahrens zu seinen Gunsten geändert habe.
Zunächst ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass der Antragsteller seinen Folgeantrag vom 18. Februar 2016 im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht vorgelegt hat. Insofern muss sich das Gericht vorliegend auf den diesbezüglichen Vortrag seiner Prozessbevollmächtigten im Klage- und Eilverfahren beschränken und unterstellen, dass mit dem Folgeantrag gegenüber der Antragsgegnerin Entsprechendes vorgetragen wurde.
2.2.3. Der zwar mit Quellen belegte, aber allgemein gehaltene Vortrag des Antragstellers, die Sicherheits- und Versorgungslage habe sich erheblich verschlechtert, reicht nicht aus, um mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass ein Asylfolgeverfahren durchzuführen ist. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof München hat zuletzt im August 2016 entschieden, dass allgemeine Ausführungen zur Verschlechterung der Sicherheitslage in Kabul keinen Anlass bieten, im Rahmen eines Berufungsverfahrens in eine erneute Risikobewertung einzutreten und sich in diesem Zusammenhang explizit mit den auch vom hiesigen Antragsteller angeführten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom April 2016 auseinandergesetzt (BayVGH, B.v. 17.8.2016 – 13a ZB 16.30090 – BeckRS 2016, 50804).
Vor diesem Hintergrund ist für das Gericht bei dem von ihm angelegten Prüfungsmaßstab nicht erkennbar, dass aufgrund des Vortrags des Antragstellers mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von einer Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Durchführung eines Asylfolgeverfahren im gegenwärtigen Zeitpunkt auszugehen ist.
Nach alledem kann auch von einer Pflicht der Antragsgegnerin, das Verfahren gemäß § 51 Abs. 5 VwVfG in Verbindung mit §§ 48,49 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen wieder aufzugreifen, keine Rede sein.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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