Verwaltungsrecht

Sierra Leone – Sicherstellung des Lebensunterhalts für arbeitsfähige Männer möglich

Aktenzeichen  9 ZB 21.31250

Datum:
15.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 28520
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Stützt sich das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung auf bestimmte Erkenntnismittel oder gerichtliche Entscheidungen, ist erforderlich, dass das Zulassungsvorbringen zumindest einen überprüfbaren Hinweis auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- oder Erkenntnisquellen enthält, etwa entsprechende Auskünfte, Stellungnahmen, Gutachten oder Presseberichte, die den Schluss zulassen, dass die aufgeworfene Frage einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich ist und damit einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bezüglich des im Zulassungsvorbringen angeführten Erkenntnismittels lassen sich keine begründeten Zweifel anknüpfen, dass für arbeitsfähige Männer wie den Kläger in Sierra Leone weiterhin die Möglichkeit besteht, den Lebensunterhalt – zumindest durch Gelegenheitsarbeiten – sicherzustellen und keine Situation extremer materieller Not droht, wegen der eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu besorgen und ein nationales Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen sein könnte. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 30 K 17.44654 2021-07-08 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 5.2.2021 – 9 ZB 21.30180 – juris Rn. 2 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
Der Kläger sieht eine grundsätzliche Bedeutung in der Tatsachenfrage, „ob die Versorgungs- und Sicherheitslage in Sierra Leone – insbesondere vor dem Hintergrund der Covid-19 Pandemie – aktuell so desolat ist, dass hieraus Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Absatz 5 AufenthG i.V.m. Artikel 3 EMRK beziehungsweise § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG abzuleiten sind“. Das Verwaltungsgericht hat unter Würdigung der von ihm herangezogenen Erkenntnismittel und der schwierigen Lebensumstände in Sierra Leone in seiner Entscheidung darauf abgestellt, dass der als erwerbsfähig anzusehende Kläger mit Schulbildung und Arbeitserfahrungen als Altenpfleger, in der Gastronomie und im Hotelbetrieb in der Lage sein wird, sein Existenzminimum zumindest durch Gelegenheitsarbeiten zu sichern. Auch angesichts der aktuellen Covid-19-Pandemie lägen keine Erkenntnisse vor, dass sich die Verhältnisse in Sierra Leone insoweit erheblich verschlechtert hätten, auch wenn bei Auswertung der allgemein zugänglichen Erkenntnisquellen davon auszugehen sei, dass von den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie Personen, die von Kleinhandel und Gelegenheitsarbeiten lebten, besonders betroffen seien und diese die Armut noch einmal verschärft haben dürften. Inwieweit zurückliegende Lockdowns in dieser Weise erheblich nachwirkten oder das öffentliche Leben derzeit derart eingeschränkt sei, dass es einer erwerbsfähigen Person nicht mehr möglich sei, ihre Existenz mit den elementaren Grundbedürfnissen zu sichern, sei aber nicht ersichtlich. Dem tritt das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert entgegen.
Stützt sich das Verwaltungsgericht – wie hier – bei seiner Entscheidung auf bestimmte Erkenntnismittel oder gerichtliche Entscheidungen, ist erforderlich, dass das Zulassungsvorbringen zumindest einen überprüfbaren Hinweis auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- oder Erkenntnisquellen enthält, etwa entsprechende Auskünfte, Stellungnahmen, Gutachten oder Presseberichte, die den Schluss zulassen, dass die aufgeworfene Frage einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich ist und damit einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2019 – 9 ZB 19.34123 – juris Rn. 3). Die mit dem Zulassungsvorbringen angeführten Erkenntnismittel (ein Bericht der Bertelsmann-Stiftung aus 2020, eine Veröffentlichung der London School of Economics aus 2020) sind hierfür nicht geeignet, weil insoweit schon nicht dargelegt oder ersichtlich ist, dass sie nicht der Auskunftslage entsprechen, wie sie auch vom Verwaltungsgericht zur Beurteilung der Schwierigkeiten der Existenzsicherung in Sierra Leone zugrunde gelegt wurde (vgl. BayVGH, B.v. 25.5.2021 – 9 ZB 21.30633 – juris Rn. 4). Es lassen sich nach ihrem Inhalt auch keine begründeten Zweifel daran anknüpfen, dass für arbeitsfähige Männer wie den Kläger in Sierra Leone weiterhin die Möglichkeit besteht, den Lebensunterhalt – zumindest durch Gelegenheitsarbeiten – sicherzustellen und keine Situation extremer materieller Not droht, wegen der eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu besorgen und ein nationales Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen sein könnte (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris Rn. 12). In Bezug auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat der Kläger damit auch nicht dargetan, dass sich die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG trotz des Fehlens einer politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG wegen einer vorliegenden Extremgefahr, wegen der er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgeliefert würde, für ihn nicht auswirkt (vgl. BayVGH, B.v. 18.11.2020 – 9 ZB 20.31924 – juris Rn. 6). Mit dem Vorbringen, dass die Tatsachenfrage für eine Vielzahl von Asylverfahren bedeutsam sei, ist zudem nicht aufgezeigt, dass die aufgeworfene Frage überhaupt verallgemeinernd, und nicht nur nach Würdigung der konkreten Verhältnisse im Einzelfall beurteilt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2021 – 9 ZB 21.30431 – juris Rn. 9 m.w.N.).
2. Die Berufung ist auch nicht wegen der außerdem noch geltend gemachten Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Dazu, worin eine zulassungsbegründende Gehörsverletzung durch das Verwaltungsgericht zu sehen sein könnte, hat der Kläger nichts ausgeführt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der nach § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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