Verwaltungsrecht

Sofortantrag, fristgerechte Antragstellung, Mindestinhalt eines Antrags bzw. einer Klage gegeben, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Iran, Konversion vom Islam zum Christentum, Ablehnung als offensichtlich unbegründet, Ablehnung wegen fehlender konkreter Angaben über Reiseweg und Aufenthalten in anderen Staaten, keine gröbliche Verletzung der Mitwirkungspflicht, Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen, Aufklärungsbedarf im Hauptsacheverfahren wegen offener Erfolgsaussichten, überwiegendes Aussetzungsinteresse des Antragstellers wegen möglicherweise drohender tatsächlicher Verfolgungsgefahr bei Rückkehr in den Iran

Aktenzeichen  W 8 S 22.30112

Datum:
21.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 3458
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 81 Abs. 1 S. 1
VwGO § 82 Abs. 1 S. 1
AsylG § 25 Abs. 1 S. 2
AsylG § 30 Abs. 3 Nr. 5
AsylG § 36 Abs. 3 S. 1
AsylG § 36 Abs. 4

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung unter Nr. 5 des Bescheides des Bundesamtes für … vom 28. Januar 2022 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist iranischer Staatsangehöriger, der nach eigenen Angaben am 20. Juni 2020 in die Bundesrepublik Deutschland einreiste und am 4. Dezember 2020 einen Asylantrag stellte.
Zur Begründung seines Asylantrages brachte der Antragsteller im Wesentlichen vor: Er sei im Iran in einen Lkw gestiegen und sechs Tage später in Deutschland wieder ausgestiegen. Er sei den ganzen Weg über im Lkw versteckt gewesen. Unterwegs sei er einmal in einen anderen Lkw umgestiegen. Er sei schon im Iran vom Islam zu Christentum konvertiert. Er habe eine Hauskirche besucht. In Deutschland sei er getauft worden.
Mit Bescheid vom 28. Januar 2022 lehnte das Bundesamt für … den Antrag des Antragstellers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) sowie auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab. Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Bei Nichteinhaltung der Ausreisefrist wurde ihm die Abschiebung in den Iran oder in einen anderen Staat angedroht. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Eine Vorverfolgung sei nicht glaubhaft gemacht worden. Der Antragsteller habe in der Anhörung vermieden, über die in seine Sphäre fallenden Erlebnisse, also über sein persönliches Fluchtschicksal, von sich aus zu berichten. Er habe nur auf konkrete Fragen geantwortet. Die Angaben beschränkten sich auf allgemeine Angaben, ohne einen persönlichen Bezug sichtbar zu machen. Auch der Nachfluchtgrund einer Konversion zum Christentum führe nicht zu einer beachtlichen wahrscheinlichen Gefahr einer Verfolgung im Iran. Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller aus asyltaktischen Gründen behaupte, zum Christentum konvertiert zu sein, um seine Stellung im Asylverfahren zu verbessern. Der Antrag sei gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Antragsteller seine Mitwirkungspflichten verletzt habe. Der Antragsteller habe nicht die erforderlichen Angaben gemäß § 25 Abs. 1 AsylG gemacht. Die Nichtaufklärung des Reisewegs könne im Einzelfall die Ablehnung des Asylantrages als unbegründet angezeigt erscheinen lassen. Der Antragsteller habe darauf bestanden, in einer Stadt im Westen des Iran einen Lkw, welchen er nicht näher beschrieben habe, bestiegen und sechs Tage später in Deutschland wieder verlassen zu haben. Dies sei ein kürzester Fahrweg von über 4.000 km. Erst nach zahlreichen Aufforderungen und Nachfragen habe er angegeben, zwischendurch das Fahrzeug gewechselt zu haben, ohne freilich auf nähere Einzelheiten wie Zeit, Ort und Umstände einzugehen. Aus dem Verhalten werde der Schluss gezogen, dass es dem Antragsteller absichtlich darauf angekommen sei, im Hinblick auf seinen Asylantrag Angaben über seinen Reiseweg und über Aufenthalte in anderen Staaten zu verschleiern und zurückzuhalten.
Am 15. Februar 2022 ließ der Antragsteller im Verfahren W 8 K 22.30111 und im vorliegenden Sofortverfahren einen Schriftsatz samt Anlagen über das besondere Anwaltspostfach übersenden. Auf dem Eingangsblatt ist neben dem Eingang am 15. Februar 2022 unter anderem vermerkt, dass ein sicherer Übermittlungsweg aus einem besonderen Anwaltspostfach vorlag. Des Weiteren sind der absendende Rechtsanwalt und das Aktenzeichen des Absenders erkennbar. Zudem ist der Name des Antragstellers genannt. Des Weiteren sind die anliegenden Dateien bezeichnet, und zwar der streitgegenständliche Bescheid, Klage und Eilantrag sowie die Prozessvollmacht. Von diesen Anlagen kamen jedoch nur der Bescheid und die Vollmacht in vollständiger Form bei Gericht an. Der übermittelte eigentliche Antrags- und Klageschriftsatz enthielt nur die Adresse des Verwaltungsgerichts, den Kopf samt Absenderadresse der Kanzlei und den Vermerk der Unterzeichnung durch den prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt. Ein weiterer Text war nicht enthalten.
Am 16. Februar 2022 ließ der Antragsteller den Klage- und Antragsschriftsatz vom 15. Februar 2022 – dieses Mal in vollständiger Fassung – erneut übermitteln sowie einen weiteren Schriftsatz vom 16. Februar 2022, wonach er höchst vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen ließ. Er ließ vorbringen, offensichtlich sei die Umwandlung der Word-Datei des betreffenden Schriftsatzes in eine PDF-Datei durch die Software fehlerhaft erfolgt, was bis dato nicht vorgekommen sei. Die Tatsache, dass die umgewandelte Word-Datei keinen Inhalt aufgewiesen habe, sei dem Prozessbevollmächtigten nicht bekannt gewesen.
In dem Antragsschriftsatz vom 15. Februar 2022 ließ der Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom heutigen Tag gegen die Abschiebungsandrohung des Bundesamts für … im Bescheid vom 28. Januar 2022 anzuordnen.
Zur Antragsbegründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Der Antragsteller habe die Konversion zum Christentum als Fluchtgrund geschildert und eine Taufurkunde vorgelegt. Er sei mittlerweile seit über einem Jahr mit einer deutschen Staatsangehörigen liiert und das Paar erwarte ein gemeinsames Kind. Dieses Kind solle nach christlichen Grundsätzen erzogen werden. Auch die Beziehung zu seiner deutschen Lebenspartnerin gründe auf christlichen Werten. Die Antragsgegnerin nehme zu Unrecht an, dass der Antragsteller die Angaben zum Reiseweg beharrlich verweigert habe. Der Antragsteller habe plausibel vorgetragen, dass er in seiner Heimat in einen Lkw eingestiegen und nach sechs Tagen in Deutschland ausgestiegen sei. Solch eine Vorgehensweise sei keinesfalls realitätsfern. Es liege in der Natur der Sache, dass der Antragsteller hinsichtlich der Länder keine weiteren Angaben machen könne. Der Antragsteller habe Angaben zum Reiseweg gemacht. Es möge sein, dass diese Angaben für den Anhörer nicht plausibel erschienen seien. Jedoch führe diese Tatsache keinesfalls dazu, dass eine gröbliche Verletzung der Mitwirkungspflichten vorliege.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Verfahrens W 8 K 22.30111) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheides vom 28. Januar 2022 ist zulässig, insbesondere wurde er innerhalb der Wochenfrist nach § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG bei Gericht gestellt.
Der notwendige Inhalt der Klage- und Antragsschrift gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 und § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist trotz der fehlgeschlagenen Umwandlung des Klage- und Antragsschriftsatzes vom 15. Februar 2022 von einer Word-Datei in eine PDF-Datei rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist. Denn ausweislich des Eingangsblattes ist dort sowie in dem als Anlage übersandten Bundesamtsbescheid der Antragsteller ausdrücklich genannt. Des Weiteren ist aus dem beigefügten Bescheid vom 28. Januar 2022 das Bundesamts für … als Behörde der Bundesrepublik Deutschland und damit die Antragsgegnerin ersichtlich (vgl. § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Aus dem Eingangsblatt ist des Weiteren zu erkennen, dass es um eine Klage und einen Eilantrag geht. Des Weiteren ist die Vollmacht beigefügt. Aus dem streitgegenständlichen Bescheid ist schließlich der Gegenstand des Klage- bzw. Antragsbegehrens hinreichend ersichtlich und entsprechend bezeichnet. Die zwingend notwendigen Elemente einer Klage bzw. eines Eilantrags waren damit in dem am 15. Februar 2022 bei Gericht elektronisch eingegangenen Dokument enthalten. Dies genügt. Denn im Zweifel ist nach dem verfassungsrechtlichen Gebot des effektiven Rechtsschutzes ein Schriftsatz zugunsten des Klägers bzw. des Antragstellers in dem Sinn zu verstehen, der für ihn nach dem erkennbaren Rechtsschutzziel am ehesten zum Erfolg führt. Lässt sich der Mindestinhalt einer Klage gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO feststellen, ist von einer wirksamen Klage- bzw. Antragserhebung auszugehen (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 82 Rn. 1) und damit hier von einem rechtzeitigen Eingang am 15. Februar 2022. Denn an den notwendigen Inhalt einer Klage sowohl was die Beteiligten anbelangt, als auch den Gegenstand des Begehrens sind keine zu strengen Anforderungen zu stellen (Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 82 Rn. 3, 4, 5 und 7).
Der zulässige Antrag ist auch begründet, weil ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
Prüfungsmaßstab für die Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs ist die Frage, ob ernstliche Zweifel bezogen auf das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamts vorliegen. Die Vollziehung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme darf nur dann ausgesetzt werden, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 20.9.2001 – 2 BvR 1392/00 – InfAuslR 2002, 146; B.v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – InfAuslR 1993, 196). Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kommt es darauf an, ob die Offensichtlichkeitsentscheidung des Bundesamts in Bezug auf die geltend gemachten Asylgründe bei der gebotenen summarischen Prüfung mit der erforderlichen Richtigkeitsgewähr bestätigt werden kann.
Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Ein unbegründeter Asylantrag ist unter anderem als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer seinen Mitwirkungspflichten nach § 13 Abs. 3 Satz 2, § 15 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 oder § 25 Abs. 1 AsylG gröblich verletzt hat, es sei denn, er hat die Verletzung der Mitwirkungspflichten nicht zu vertreten oder ihm war die Einhaltung der Mitwirkungspflichten aus wichtigen Gründen nicht möglich (§ 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG).
In den Fällen des § 30 Abs. 3 AsylG ist die Entscheidung der offensichtlichen Unbegründetheit in zwei Stufen zu treffen. In einem ersten Schritt muss ausgeführt werden, dass der Antrag unbegründet ist. In einem zweiten Schritt wird anschließend die Offensichtlichkeit der Unbegründetheit ausweislich eines der Tatbestände des § 30 Abs. 3 AsylG festgestellt. Die schlichte Verletzung von Mitwirkungspflichten führt demnach nicht per se zu einer offensichtlichen Unbegründetheit (vgl. Lehnert in Huber/Mantel, AufenthG/AsylG, 3. Aufl. 2021, § 30 AsylG Rn. 11; Bergmann in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 30 AsylG Rn. 10).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Bescheid des Bundesamts für … vom 28. Januar 2022 in zweierlei Hinsicht zu beanstanden, und zwar sowohl, was die Unbegründetheit des Asylantrags auf der ersten Stufe anbelangt, als auch, was die gröbliche Verletzung der Mitwirkungspflichten auf der zweiten Stufe betrifft.
So bestehen schon an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen ernsthafte Zweifel, so dass sich die Abweisung der Klage als offensichtlich unbegründet nicht aufdrängt. Vielmehr ist insbesondere die Frage der Glaubhaftigkeit und Nachhaltigkeit der Konversion vom Islam zum Christentum offen und durch die persönliche Anhörung des Antragstellers im Hauptsacheverfahren zu klären.
Unabhängig von einer eventuellen Verletzung der Mitwirkungspflicht nach § 30 Abs. 3 AsylG – die wie ausgeführt für sich allein für ein Offensichtlichkeitsverdikt nicht ausreicht – setzt die qualifizierte Antragsablehnung als offensichtlich zunächst auf der ersten Stufe beim ersten Schritt die vorangegangene Einstufung des Asylantrags als unbegründet voraus. Erforderlich ist in jedem Fall, dass dem Antragsteller bei einer Rückkehr in den Iran nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung nach § 3 AsylG droht und auch sonst die Voraussetzungen des § 4 AsylG oder von Abschiebungsverboten nicht vorliegen (vgl. Heusch in BeckOK, AuslR, Kluth/Heusch, 32. Ed. Stand 1.1.2022, § 30 AsylG Rn. 30; Bergmann in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 30 AsylG Rn. 10; Schröder in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 30 AsylG Rn. 16).
Insofern hat das Gericht zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) ernstliche Zweifel, an der Einstufung des Asylantrags als unbegründet. Denn angesichts des Vorbringens des Antragstellers bestehen Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen. Der Antragsteller hat vorgebracht, schon im Iran vom Islam zum Christentum konvertiert zu sein, dort eine Hauskirche besucht und sich dort den Vorwurf eingehandelt zu haben, Propaganda für das Christentum gemacht zu haben. Weiter hat er eine Taufurkunde über eine Taufe in Deutschland sowie eine Bescheinigung seiner christlichen Kirche vorgelegt. Weiter hat er nunmehr vorgebracht, eine Beziehung mit einer deutschen Lebenspartnerin eingegangen zu sein, die auf christliche Werte gründe, und auch das erwartete gemeinsame Kind nach christlichen Grundsätzen erziehen zu wollen.
Das Gericht sieht bei diesem Vorbringen zumindest die begründete Möglichkeit einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund der Konversion des Antragstellers vom Islam zum Christentum. Denn nach ständiger Rechtsprechung der Kammer führt ein ernsthafter und nachhaltiger Glaubenswechsel eines Iraners zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. zuletzt etwa VG Würzburg, U.v. 25.10.2021 – W 8 K 21.30848 – juris), weil und soweit der Betreffende tatsächlich Grund zur Befürchtung hat, nach seiner Rückkehr in den Iran verfolgt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 4.10.2018 – C-56/17 – juris). Hinzu kommt, dass das Auswärtige Amt in einer aktuellen Auskunft an das VG Oldenburg vom 29. November 2021 ausdrücklich ausführt, dass eine im Ausland vorgenommene Konversion vom Islam zum Christentum mit Sanktionen bedroht ist. Der Abfall vom Islam kann mit schwersten Sanktionen geahndet werden. Das Auswärtige Amt hat weiter ausdrücklich angemerkt, dass es keine Erkenntnisse darüber hat, wie eine Aussage zur Konversion aus asyltaktischen Gründen und eine Distanzierung von Äußerungen in sozialen Medien von islamischen Behörden bewertet werden würden. Das Auswärtige Amt kann keine Aussage darüber treffen, ob dem Rückkehrer Folter, Misshandlung und Bestrafung drohen würden, wenn er sich bei einer Befragung entsprechend äußert, so dass selbst bei Unterstellung der Annahme der Antragsgegnerin eines asyltaktischen Verhaltens des Antragstellers eine Verfolgung seitens des iranischen Staates nicht ausgeschlossen werden kann. Ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in der Person des Antragstellers tatsächlich vorliegen, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt zumindest offen und im Rahmen des anhängigen Klageverfahrens nach persönlicher Anhörung des Antragstellers durch das Gericht zu entscheiden. Das betreffende Vorbringen des Antragstellers ist jedenfalls nicht offensichtlich ungeeignet. Der Offensichtlichkeitsausspruch mit der Folge einer sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung ist im Ergebnis nicht gerechtfertigt (vgl. § 34 Abs. 1 AsylG).
Unabhängig davon hat das Gericht – auch auf der zweiten Stufe der Offensichtlichkeitsprüfung – durchgreifende Zweifel, dass die Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG vorliegen, weil die Verletzung der Mitwirkungspflicht nur dann gröblich ist, wenn sie im Hinblick auf das Ergebnis der Entscheidung (ihre materielle Richtigkeit) oder die zügige Durchführung des Asylverfahrens von so großem Gewicht ist, dass das Verhalten des Asylsuchenden den Schluss zu tragen geeignet ist, dass Asylverfahren missbräuchlich betrieben wird. Der Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Betreiben liegt indes auch bei der Nichtangabe des durchquerten Drittstaats nicht ohne Weiteres nahe, wenn der Antragsteller gleichwohl gute Gründe hat, den Reiseweg zu verschleiern (Funke-Kaiser in Funke-Kaiser/Fritz/Vormeier, GK-AsylG, 113 Lfg. 1.10.2017, § 30 Rn. 123 f.). Dass ein Asylsuchender aus Angst vor einer Überstellung in einem anderen EU-Staat keine ausreichenden Angaben zum Reiseweg macht, zumal wenn er dort befürchtet oder sogar befürchten muss, unzureichende Aufnahmebedingungen vorzufinden oder keinen Zugang zu einem fairen Asylverfahren zu haben, stellt für sich keine gröbliche Verletzung der Mitwirkungspflicht dar, selbst wenn in der Gesetzesbegründung bezüglich einer gröblichen Pflichtverletzung beispielhaft darauf verwiesen wird, dass der Asylsuchende Angaben darüber verweigert, aus welchem konkreten Drittstaat er eingereist ist bzw. welchen er durchquert hat (Blechinger in BeckOK, Migrations- und Integrationsrecht, Decker/Bader/Kothe, 10. Ed. Stand 15.1.2022, § 30 AsylG Rn. 69 f; Schröder in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 30 AsylG Rn. 32 mit Verweis auf VG Karlsruhe, B.v 9.12.2013 – A 3 K 3037/13 – Asylmagazin 2014, 128 – juris Rn .3). Die Nichtaufklärung des Reisewegs kann im Einzelfall die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet angezeigt erscheinen lassen; der Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht muss aber gröblich erscheinen, also objektiv schwer wiegen und subjektiv von erheblichem Gewicht sein. Ein einfacher Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten reicht nicht aus. Insgesamt muss ein persönliches Fehlverhalten des Asylbewerbers festgestellt werden (Heusch in BeckOK, AuslR, Kluth/Heusch, 32. Ed. Stand 1.1.2022, § 30 AsylG Rn. 47 f.; Bergmann in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 30 AsylG Rn. 60). Orientiert am Zweck der Vorschrift ist nur solchen Antragstellern das „vorläufige Bleiberecht“ vorzuenthalten, deren Verhalten während des Verfahrens ohne Weiteres den Schluss auf eine missbräuchliche und aussichtslose Inanspruchnahme des Asylverfahrens zulässt. Angesichts der Tatsache, dass nahezu alle Antragsteller ihren Reiseweg verschweigen oder hierzu keine konkreten Angaben machen, bedarf es für eine derartige Feststellung aber besonderer Umstände (Marx, Kommentar zum AsylG, 10. Aufl. 2019, § 30 Rn. 58 ff.).
Zwar ist der Antragsgegnerin zuzugestehen, dass gewisse Bedenken im Hinblick auf § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG nicht von der Hand zu weisen sind, was die Angaben des Antragstellers zu seinem Reiseweg und den durchquerten Staaten anbelangt. Gleichwohl spricht Überwiegendes dafür, eine gröbliche Verletzung der Mitwirkungspflicht zu verneinen. Jedenfalls fehlt es – bei allen verbleibenden Zweifeln – auch insoweit an der hinreichenden Richtigkeitsgewähr der betreffenden tatsächlichen Feststellungen.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers hat schon darauf hingewiesen, dass der Antragsteller durchaus Angaben zu seinem Reiseweg gemacht hat, indem er erklärt hat, im Iran in einen Lkw gestiegen, unterwegs in einen anderen Lkw gewechselt – wenn auch erst auf wiederholte Nachfrage des Bundesamtes – und erst in Deutschland wieder ausgestiegen zu sein. Er habe sich nach eignen Angaben die ganze Zeit auf dem Lkw versteckt gehalten. Die Reise versteckt in einem Lkw ist aber nicht nur ein Vorbringen, das seitens der Asylantragsteller oft getätigt wird, sondern kommt in der Tat auch häufig vor. Das Bundesamt hat die betreffenden Angaben des Antragstellers gleichwohl nicht als glaubhaft erachtet, ohne aber über diese Angaben hinaus über weitere andere Informationen zum Reiseweg zu verfügen oder besondere Umstände darzulegen, die den Antragsteller von der Vielzahl anderer Asylbewerber mit ähnlichen Angaben qualifiziert unterscheiden. Die nähere Prüfung der Angaben zu Reiseweg und Aufenthalten in anderen Staaten muss gegebenenfalls dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Jedenfalls ist nicht zweifelsfrei auszuschließen, dass der Antragsteller – zumindest teilweise auch versteckt in einem oder mehreren Lkws – gereist ist und so vielleicht die Grenze nach Deutschland überquert hat, wenn auch andere Reisewege und Verkehrsmittel genauso denkbar sind. So ist zu bedenken, dass der Antragsteller gegenüber dem Bundesamt erklärt hat, lieber nur auf Fragen antworten und nicht selbst sein Schicksal und den Reiseweg en bloc schildern zu wollen. Darüber hinaus hat der Antragsteller allerdings bei seiner Bundesamtsanhörung – was ungewöhnlich wirkt – seinerseits selbst den Anhörer im Rahmen der Rückübersetzung gefragt, wieso dieser sich den geschilderten Reiseweg nicht vorstellen könne. Weiter tritt der bisher nicht erörterte Umstand hinzu, dass der Antragsteller eingangs seiner Anhörung beim Bundesamt ausdrücklich angegeben hat, psychisch krank zu sein, er (sein Cousin) könnte ihn unterstützen. Insofern ist nicht auszuschließen, dass diese psychische Erkrankung möglicherweise auch Auswirkungen auf das Aussageverhalten des Antragstellers gehabt hat. Letzter Punkt wurde von den Beteiligten jedoch noch überhaupt nicht erörtert. Der Antragsteller hat dazu – ungefragt – keinerlei Atteste vorgelegt oder nähere Angaben gemacht. Das Bundesamt hat nicht von sich aus nachgefragt.
Nach alledem lässt sich die Ablehnung des Asylbegehrens – trotz einiger offener, noch im Hauptsacheverfahren zu klärender Fragen – als offensichtlich unbegründet mit der Folge der sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung nicht aufrecht erhalten, weil das Interesse des Antragstellers, bis zur Entscheidung über die Klage nicht abgeschoben zu werden, angesichts der bei einer Abschiebung in den Iran möglicherweise drohenden Gefahren das öffentliche Interesse an einem Sofortvollzug der Abschiebung überwiegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.


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