Verwaltungsrecht

Sofortige Entlassung aus der Schule wegen beleidigender WhatsApp über Mitschülerin

Aktenzeichen  AN 2 S 16.00126

Datum:
4.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayEUG BayEUG Art. 86, Art. 87
VwGO § 80Abs. 5

 

Leitsatz

Bei einer extrem beleidigenden und intimen WhatsApp-Nachricht über eine Mitschülerin, die sich vorhersehbar in der gesamten Klasse und Jahrgangsstufe verbreitet und einen ordnungsgemäßen Unterricht in Anwesenheit des Schülers kaum möglich erscheinen lässt, kann die sofortige Schulentlassung ohne vorherige Ordnungsmaßnahmen, insbesondere ohne eine vorherige Androhung der Entlassung, zur Sicherung des Bildungs- und Erziehungsauftrages und der Mitschülerin beurteilungsfehlerfrei und verhältnismäßig sein. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, dem Antragsteller zu 3) vorläufig den weiteren Schulbesuch im … zu gestatten.
Der 17-jährige Antragsteller zu 3) besuchte nach vierjähriger Grundschule ab dem Schuljahr 2009/2010 zunächst das … Bereits in den Grundschulzeugnissen wurde beim Antragsteller zu 3) zum Teil bemängelt, dass er mit Klassenkameraden nicht immer einen guten Umgangston gepflegt habe. Während der ersten drei Gymnasialjahre wurden dem Antragsteller zu 3) gegenüber zahlreiche Ordnungsmaßnahmen ergriffen. Insbesondere erhielt er zahlreiche Verweise wegen Störens des Unterrichts, Respektlosigkeit gegenüber Lehrern und Mitschülern und Nichterledigen von Hausaufgaben und als Ordnungsmaßnahme angeordnete Zusatzarbeiten. Im November 2011 befasste sich erstmals der Disziplinarausschuss der Lehrerkonferenz des … mit dem Antragsteller zu 3) und schloss ihn für vier Tage vom Unterricht aus. Mit Bescheid vom 18. April 2012 wurde nach erneuter Sitzung des dortigen Disziplinarausschusses die Entlassung aus dem … angedroht. Nach einer dritten Befassung des Disziplinarausschusses der Lehrerkonferenz am 5. Juli 2012 wurde der Antragsteller zu 3) nach Art. 86 Abs. 2 Nr. 9, Art. 87 Abs. 1 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) von dem … entlassen. Im Vorfeld und begleitend zu den Sitzungen des Disziplinarausschusses fanden jeweils Gespräche mit den Erziehungsberechtigten, den Antragstellern zu 1) und zu 2), statt und wurde auch eine jugendpsychiatrische Untersuchung des Antragstellers zu 3) durchgeführt. Die Antragsteller zu 1) und zu 2) teilten als abschließenden Befund dieser Untersuchungen mit, dass der Antragsteller zu 3) ein insgesamt wohlerzogenes, extrovertiertes, überdurchschnittlich intelligentes Kind mit den Charaktereigenschaften eines „Alpha-Tieres“, sei, aber in keinster Weise als krank eingestuft werde. Es fehle ihm an Selbstwertgefühl, Selbstvertrauen und Kontrollmechanismen; die Fähigkeiten, sein Verhalten gegenüber anderen zu hinterfragen und seine Impulsivität zu beherrschen, seien bei ihm noch schlecht ausgereift. Der Elternbeirat des … widersprach mit Schreiben vom 24. Juli 2012 der verhängten Schulentlassung. Der Ministerialbeauftragte für die Gymnasien stimmte mit Schreiben vom 11. September 2012 der Entlassung zu.
Weil der Antragsteller zu 3) dreimal die Note „mangelhaft“ im Jahreszeugnis 2011/2012 hatte, hat er die Erlaubnis zum Vorrücken in die nächsthöhere Jahrgangsstufe nicht erreicht (vgl. Zeugnis von Juli 2012).
Zum Schuljahr 2012/2013 wechselte der Antragsteller zu 3) in das städtische … und wiederholte dort zunächst die 7. Jahrgangsstufe.
Dort erlegte man ihm, beginnend mit dem 22. November 2012 und zuletzt am 10. März 2015, erneut Ordnungsmaßnahmen auf (elf schriftliche Verweise, sechs Erziehungsmaßnahmen in Form von Nacharbeit und vier Hinweise wegen u. a. Nichterledigung von Hausaufgaben, Störung des Unterrichts, Beleidigung der Lehrkraft und Malens von obszönen Bildern).
Unter dem 23. Mai 2014 wurde eine Arztattestpflicht wegen erhöhter Fehlzeiten angeordnet. Am 11. Februar 2015 wurde empfohlen, dass der Antragsteller zu 3) sich zur Teilnahme am qualifizierenden Hauptschulabschluss an der Mittelschule anmelde, weil das Bestehen der 9. Jahrgangsstufe in Frage stand.
Mit Schreiben vom 16. November 2015 an die Antragsteller zu 1) und zu 2) leitete das … ein Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller zu 3) ein, gab den Antragstellern Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme und lud die Antragsteller zu einer Anhörung vor dem Disziplinarausschuss der Schule am 2. Dezember 2015.
Dem Disziplinarverfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der zu diesem Zeitpunkt noch …-jährige Antragsteller zu 3) traf sich in der Nacht vom 16./17. Oktober 2015 mit einer …-jährigen Mitschülerin zur Vornahme sexueller Handlungen, die dieser zuvor mit der Mitschülerin per WhatsApp verabredet hatte. Über WhatsApp berichtete der Antragsteller zu 3) Freunden von den intimen Treffen mit der Mitschülerin. Diese verlangte vom Antragsteller zu 3) am 20. Oktober 2015 die Löschung der entsprechenden Chats. Außerdem erhielt der Antragsteller zu 3) am gleichen Tag eine anonyme SMS, in der ihm die Nötigung und sexuelle Belästigung von Mädchen vorgeworfen wurde. Die Nachricht endet wie folgt: „Du wirst nie wieder einem Mädchen was antun, dafür werden meine Freunde sorgen Du wirst unter die Erde geprügelt und dort liegen gelassen! Du bist tod“.
Daraufhin formulierte der Antragsteller zu 3) am Abend des 20. Oktobers 2015 eine Nachricht und versandte diese am 21. Oktober 2015 um 7:16 Uhr per WhatsApp an eine Gruppe aus 26 Mitschülern seiner Schulklasse, in der er die Vorgänge, insbesondere die intimen Handlungen mit der Mitschülerin in der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober 2015 im Einzelnen in detaillierter und abschätziger Art und Weise unter Hervorhebung der Unzulänglichkeiten der Mitschülerin und unter Betonung, dass die sexuellen Handlungen in einvernehmlicher und freiwilliger Art und Weise vorgenommen worden seien, schilderte. Es wurde einleitend dargelegt, dass durch die Nachricht entstandene Gerüchte wie gewünscht aus der Welt geschaffen werden sollten. Die Mitschülerin wurde dabei unter anderem als „ungepflegter Bengel“ und „dumm“ bezeichnet. Der Antragsteller zu 3) und die Mitschülerin standen auch am 22. Oktober 2015 noch wie folgt in Kontakt per WhatsApp: Auf die Frage des Antragstellers zu 3), warum die Mitschülerin verbreitet habe, dass das Ganze nur vom Antragsteller zu 3) erfunden worden sei, antwortete diese, dass sie zunächst versucht habe, die Situation noch zu retten, ihr dann aber klar geworden sei, dass das nichts bringe.
Am 23. November 2015 nahmen die Antragsteller zu 1) und zu 2) schriftlich gegenüber der Schulleitung zu dem Vorwurf der Verletzung der Privatsphäre einer Schülerin, deren Bloßstellung und der damit eingetretenen Beeinträchtigung des Schulfriedens schriftlich Stellung. Danach sei der Antragsteller zu 3) zu einer Entschuldigung auch über die WhatsApp-Gruppe bereit. Persönlich habe er sich bei der Mitschülerin bereits entschuldigt. Aufgrund der Drohung, dass man den Antragsteller zu 3) fertig machen wolle, habe dieser mit der WhatsApp-Nachricht im Klassenchat reagiert. Von der Möglichkeit, einen Vertrauenslehrer einzuschalten, werde Gebrauch gemacht. Mit der Beiziehung eines Schularztes oder Schulpsychologen bestehe Einverständnis. Von der Einschaltung des Elternbeirates werde vorerst Abstand genommen.
In der Sitzung des Disziplinarausschusses der Schule vom 2. Dezember 2015, in der das neunköpfige Lehrergremium sowie die Antragsteller und ein Vertrauenslehrer der Antragsteller teilnahmen, wurde zunächst ein Sachstandsbericht über den Antragsteller zu 3) und die betroffenen Vorfälle gegeben. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass der Antragsteller zu 3) am … im Schuljahr 2012/2013 drei Verweise, im Schuljahr 2013/2014 sechs Verweise, im Schuljahr 2014/2015 zwei Verweise und im Schuljahr 2015/2016 bis dahin noch keine Verweise erhalten hatte. Die 8. Klasse habe er nur mit Nachprüfung, die 9. Klasse nur knapp bestanden. Die Schule habe von der Mutter der betroffenen Schülerin von den Vorgängen erfahren. Der Antragsteller zu 3) habe mit Klassenkameraden gewettet, er überrede die Mitschülerin innerhalb von zwei Wochen zum Sex. Die betroffene Mitschülerin befinde sich in einer schwierigen psychischen Situation aufgrund des Selbstmords einer guten Freundin und wegen Streits im Elternhaus. In Gesprächen mit der Lehrerin und der Schulleitung habe der Antragsteller zu 3) keinerlei Regung und keine Empathie gezeigt und seine Nachricht als Rache auf die Todesdrohung bezeichnet. Die WhatsApp-Nachricht des Antragstellers zu 3) habe sich innerhalb von ein bis zwei Tagen in der ganzen Jahrgangsstufe verbreitet. Die Mitschülerin komme aus Scham nicht mehr zur Schule.
Der Antragsteller zu 1) stellt in der Sitzung dar, dass der Antragsteller zu 3) mangels Schlafs beim Schreiben der Nachricht unausgeglichen gewesen sei und deshalb eine so heftige Reaktion an den Tag gelegt habe. Er habe in einer Ausnahmesituation gehandelt und sei sich der Konsequenzen nicht bewusst gewesen. Er habe zwischenzeitlich mit einem Spezialisten gesprochen und das Geschehene aufgearbeitet. Der Antragsteller zu 3) entschuldigte sich für sein Vergehen und stellte dar, dass er wütend und sauer gewesen sei, weil er von der Mitschülerin so hingestellt worden sei, als habe er sie vergewaltigt. Die WhatsApp-Nachricht habe er nachts geschrieben, nachdem er die anonyme Drohnachricht erhalten habe und nachdem ihm die Mitschülerin auch selbst gesagt habe, dass sie Polizei und Lehrer benachrichtigen werde, wenn er die Gerüchte nicht aufkläre. Er sei davon ausgegangen, dass die Mitschülerin bei der bedrohenden SMS beteiligt gewesen sei. Seitens der Antragsteller wurde vorgeschlagen, dass der Antragsteller zu 3) die Schulklasse wechsle.
In der Diskussion setzte sich der Disziplinarausschuss mit der Möglichkeit einer bloßen Androhung einer Entlassung auseinander. Aufgrund der massiven Kränkung und intimsten Beleidigung der Mitschülerin, und weil dem Antragsteller zu 3) Empathie abgehe bzw. man seine Aussagen nur als Lippenbekenntnis werte, wurde dies für nicht ausreichend erachtet. Der Ministerialbeamte habe mitgeteilt, er würde der Entlassung zustimmen und dem Antragsteller zu 3) auf Antrag im nächsten Schuljahr ein neues Gymnasium zuordnen. Die Nachricht habe weite Kreise gezogen, was der Antragsteller zu 3) bewusst bzw. billigend in Kauf genommen habe. Hierdurch sei der Schulfrieden in erheblichster Weise gestört worden. Der Verbleib des Antragstellers zu 3) an der Schule würde die Wiederherstellung eines harmonischen Miteinanders in der Altersstufe verhindern und die seelische Gesundheit der Mitschülerin bleibe stark gefährdet. Eine minderschwere Ordnungsmaßnahme lasse die Schwere des Vergehens nicht zu.
Nach einstimmigem Beschluss des Disziplinarausschusses wurde der Antragsteller zu 3) mit Bescheid vom 4. Dezember 2015 gemäß Art. 86 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 und Art. 87 BayEUG vom … entlassen.
Hiergegen erhoben die Antragsteller durch ihren Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2015 Klage und stellten mit Schriftsatz vom 25. Januar 2016 Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO und beantragten,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen und die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller zu 3) den Schulbesuch im … in der 10. Klasse vorläufig weiter zu gestatten.
Zur Begründung wurde vorgetragen, dass die Maßnahme gegen den Antragsteller zu 3), der freiwillig bzw. auf Betreiben der Antragsteller zu 1) und zu 2) mit einer Heilpraktikerin für Psychotherapie die Angelegenheit besprochen und das Geschehen aufgearbeitet habe und der seit der Sitzung des Disziplinarausschusses auch in Kontakt bzw. Behandlung bei einem Neurologen bzw. Psychiater sei, unverhältnismäßig sei, weil andere Erziehungsmaßnahmen, wie zum Beispiel die Androhung der Entlassung und Versetzung in eine Parallelklasse und zeitweiser Ausschluss vom Unterricht, ausreichen würden. Es sei auch nicht gesichert, dass die seelische Gesundheit der betroffenen Mitschülerin weiterhin stark gefährdet sei, da es auch nach der WhatsApp-Nachricht des Antragstellers zu 3) vom 21. Oktober 2015 zu Nachrichten zwischen dem Antragsteller zu 3) und der Mitschülerin gekommen sei. Entgegen der Auffassung der Schule sei auch nicht von „Cybermobbing“ auszugehen, da die Nachricht nicht über das Internet und damit an einen unübersehbaren Personenkreis übermittelt worden sei, sondern an eine auf einen bestimmten Adressatenkreis begrenzte Gruppe. Eine Suche nach den Vorfällen über Schlagworte sei nicht möglich. Es habe sich auch nicht um eine langfristig angelegte Handlung gehandelt. Nach den bisherigen schulischen Erziehungsmaßnahmen sei auch grundsätzlich eine positive Veränderung beim Antragsteller zu 3) festzustellen gewesen. Die Folgen einer zweiten Schulentlassung seien für den Antragsteller zu 3) gravierend, da er nur noch mit Genehmigung des Kultusministeriums wieder ein Gymnasium besuchen könne. Die zuständige Mittelschule habe die Aufnahme des Antragstellers zu 3) abgelehnt, weil die Klassen derzeit in der Vorbereitungsphase zu den Prüfungen seien. Auch der Besuch einer Realschule sei wegen des unterschiedlichen Lehrstoffes nicht möglich. Wenngleich stellenweise ehrverletzend, seien die in der WhatsApp-Nachricht enthaltenen Tatsachenbehauptungen wahr. Die Beiziehung des zuständigen Schulpsychologen, auf die sich die Antragsteller verlassen hätten, sei unterblieben. Der Disziplinarausschuss habe auch nicht alle Umstände, die für den Antragsteller zu 3) sprechen, bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigt.
Die Antragsgegnerin trat mit Schriftsatz vom 29. Januar 2016 dem Antrag entgegen und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Mit Schriftsatz vom 2. Februar 2016 begründeten die Antragsteller ihren Eilantrag weiter.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakten AN 2 S 16.00126 und AN 2 K 15.02567 verwiesen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklagen vom 21. Dezember 2015 gegen die gemäß Art. 86 Abs. 14 BayEUG kraft Gesetzes sofort vollziehbare Entlassungsanordnung vom 4. Dezember 2015 ist zulässig, jedoch unbegründet und deshalb abzulehnen.
Da der Bescheid vom 4. Dezember 2015 an die Antragsteller zu 1) und zu 2) als die Erziehungsberechtigten gerichtet wurde und den Antragsteller zu 3) inhaltlich betrifft und die Antragsteller zu 1) und 2) jedenfalls in ihrem ihnen gemeinsam zustehenden Elternrecht nach § 1629 Abs. 1 BGB, Art 6 Abs. 2 Grundgesetz, Art. 126 Bayerische Verfassung betroffen sind, sind diese als antragsbefugt i. S. v. § 42 Abs. 2 VwGO analog anzusehen.
Die Antragsgegnerin ist gemäß § 62 Abs. 3 VwGO über ihr Rechtsamt ordnungsgemäß vertreten, wobei dahinstehen kann, ob das Rechtsamt seine Prozessführungsbefugnis aufgrund allgemeinen Kommunalrechts vom Oberbürgermeister ableitet (Art. 38 Abs. 2 Bayerische Gemeindeordnung) oder eine Bevollmächtigung durch die Schulleitung (Art. 57 Abs. 3 BayEUG) vorliegen müsste, da aufgrund der erfolgten Stellungnahme und Aktenvorlage im Verfahren durch das Rechtsamt der Antragsgegnerin eine Beauftragung und Bevollmächtigung durch die Schulleitung jedenfalls problemlos angenommen werden kann. Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist damit zulässig.
Die erhobenen Klagen werden voraussichtlich abgewiesen werden, weil die Entlassung des Antragstellers zu 3) vom … sich nach summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage als rechtmäßig darstellt und die Antragsteller deshalb nicht in ihren Rechten verletzt sind. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wird damit aufgrund der gerichtlichen Ermessens- bzw. Abwägungsentscheidung als unbegründet abgelehnt, weil das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Interesse der Antragsteller an der Aussetzung des Vollzugs überwiegt.
Die Ordnungsmaßnahme der Entlassung von der Schule ist nach Art. 86 Abs. 1 Nr. 9, Abs. 7 und 8 i. V. m. Art. 87 BayEUG zur Sicherung des Bildungs- und Erziehungsauftrags oder zum Schutz von Personen und Sachen bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften im Ermessenswege bei schweren oder wiederholten Störungen eines Schülers zulässig, bei Veranlassung durch ein außerschulisches Verhalten dann, wenn die Verwirklichung der Aufgabe der Schule gefährdet ist. Die Anforderungen an das Verfahren sowie die Tatbestandsvoraussetzungen für die Schulentlassung sind nach der Auffassung des Gerichts vorliegend erfüllt; die Ermessensentscheidung des Disziplinarausschusses der Schule, die gerichtlich nur eingeschränkt im Rahmen des § 114 VwGO überprüfbar ist, ist nicht zu beanstanden.
Der Bescheid vom 4 Dezember 2015 ist formell rechtmäßig. Zuständig für die Entscheidung über die Schulentlassung war gemäß Art. 58 Abs. 1 Satz 3, Abs. 4 BayEUG der Disziplinarausschuss der Schule anstelle der Lehrerkonferenz. Eine ausreichende Begründung der schriftlichen Entlassungsverfügung i. S. v. Art. 39 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz liegt vor, wobei auch das Protokoll der Sitzung des Disziplinarausschusses am 2. Dezember 2015 ergänzend herangezogen werden kann.
Nicht verfahrensfehlerhaft ist, dass der Elternbeirat bei der Entscheidung nicht mitgewirkt hat. Einer Mitwirkung des Elternbeirats bedarf es nach Art. 87 Abs.1 Satz 3 BayEUG nur bei entsprechender Antragstellung durch die Erziehungsberechtigten oder den Schüler. Ein solcher Antrag wurde jedoch nicht gestellt.
Unbedenklich ist auch, dass ein Schulpsychologe nicht zur gutachterlichen Äußerung beigezogen worden ist. Nach Art. 87 Abs. 2 BayEUG ist im Entlassungsverfahren ein Schularzt oder Schulpsychologe nur nach Lage des Falles einzuschalten. Eine derartige Lage war vorliegend nicht gegeben, da keine besonderen Umstände physischer oder psychischer Natur in der Person (vgl. Lindner/Stahl, Das Schulrecht in Bayern Bd. 1, BayEUG Art 87 Anm. 5) des Antragstellers zu 3) gegeben waren. Die Antragsteller zu 1) und zu 2) hatten im Schulentlassungsverfahren 2012 des … als Ergebnis der dort durchgeführten psychologischen Untersuchung des Antragstellers zu 3) mitgeteilt, dass dieser in keinster Weise als krank, sondern als intelligent, extrovertiert und impulsiv einzustufen sei, so dass – nachdem eine Änderung der Sachlage nicht vorgetragen und ersichtlich ist – keine Veranlassung für eine nochmalige Untersuchung bestand. Eine Begutachtung allein auf Antrag der Erziehungsberechtigten sieht das Verfahren nicht vor.
Den Antragstellern wurde Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme und zur Anhörung vor dem Disziplinarausschuss entsprechend Art. 86 Abs. 9 Satz 2 BayEUG gewährt, was diese auch wahrgenommen haben. Auch erfolgte die Einschaltung eines Vertrauenslehrers gemäß Art. 86 Abs. 9 Satz 2 BayEUG.
Die Ordnungsmaßnahme der Entlassung ist auch materiellrechtlich nicht zu beanstanden. Die Maßnahme erfolgte zum einen zum Schutz der Mitschülerin des Antragstellers zu 3), zum anderen auch zur Sicherung des Bildungs- und Erziehungsauftrags. Dass die vom Antragsteller zu 3) an die ganze Klasse gesendete Nachricht, die sich von dort aus auch weiterverbreitet hat, den Schulfrieden massiv beeinträchtigt hat, liegt auf der Hand und wird von Antragstellerseite auch nicht ernsthaft in Abrede gestellt. Ohne weiteres verständlich ist auch, dass die betroffene Schülerin nach den ehrverletzenden Äußerungen nicht mehr wie zuvor unbefangen am Schulleben teilnehmen kann und dem Unterricht ferngeblieben ist. Wie stark diese psychisch genau betroffen bzw. verletzt ist, lässt sich nur schwer ermessen. Davon muss angesichts des extrem beleidigenden und intimen Inhalts der Nachricht aber ausgegangen werden. Daraus, dass die Mitschülerin dem Antragsteller zu 3) im Nachgang zu den Vorgängen eine weitere Nachricht geschickt hat, lässt sich jedenfalls nicht ablesen, dass nur eine minder schwere Betroffenheit vorliegt. Unabhängig von der tatsächlichen Schutzbedürftigkeit der Mitschülerin ist es aber auch nachvollziehbar, glaubhaft und ausreichend, dass durch das Verbreiten der Nachricht in der gesamten Klasse und Jahrgangsstufe die schulische Ordnung derart gestört ist, dass ein ordnungsgemäßer Unterricht bei Anwesenheit des Antragstellers zu 3) kaum möglich sein wird.
Die klagegegenständliche WhatsApp-Nachricht stellt auch ein schweres Fehlverhalten des Antragstellers zu 3) i. S. v. Art 86 Abs. 7 BayEUG dar, wobei es nicht darauf ankommt, dass die Nachricht nicht für einen unbegrenzten Personenkreis, etwa über das Internet, zur Verfügung gestellt worden ist. Jedenfalls wurde die Nachricht an einen großen Personenkreis geschickt und hat sich unkontrolliert – und vom Antragsteller zu 3) unkontrollierbar – weiter ausgebreitet. Dies war für den Antragsteller zu 3) auch ohne weiteres absehbar.
Aufgrund des engen schulischen Bezugs des Fehlverhaltens des Antragstellers zu 3) – Opfer der Beleidigung und Adressatenkreis der ehrverletzenden Äußerung waren Mitschüler des Antragstellers zu 3), Fehlzeiten des Opfers an der Schule -, liegt auch ein i. S. v. Art 86 Abs. 8 BayEUG relevantes außerschulisches Verhalten des Antragstellers zu 3) vor, das die Verwirklichung des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule gefährdet.
Die vom Disziplinarausschuss getroffene Ermessensentscheidung ist nicht zu beanstanden. Insbesondere wurden keine sachfremden Erwägungen in die Entscheidung eingestellt und können keine sonstigen Ermessensfehler festgestellt werden. Die pädagogische Ermessensentscheidung zugunsten einer sofortige Entlassung von der Schule ohne Vorschaltung weniger einschneidender Ordnungsmaßnahmen, insbesondere ohne vorherige Androhung der Entlassung, ist nicht zu beanstanden. Der Disziplinarausschuss hat sich, wie aus dem Bescheid vom 4. Dezember 2015 selbst, aber auch aus dem Protokoll vom 2. Dezember 2015 ersichtlich ist, ausführlich und umfassend mit dem konkreten Verstoß des Antragstellers zu 3), dessen Persönlichkeit und Gesamtverhalten an der Schule und den bisher gegen ihn ergangenen Ordnungsmaßnahmen auseinandergesetzt und ist unter Abwägung aller Aspekte völlig zu Recht zu der Entlassungsentscheidung gekommen. Insbesondere hat sich der Disziplinarausschuss auch damit auseinandergesetzt, dass den Antragsteller zu 3) die Entlassung wegen der bereits vorausgegangen Schulentlassung vom … hart trifft und die Rechtsfolge des Art 87 Abs. 4 BayEUG in den Blick genommen. Insoweit teilt das Gericht ausdrücklich die Einschätzung, dass den Antragsteller zu 3) nicht einmal die vorangegangene Entlassung vom … zu einer nachhaltigen Verhaltensänderung zum Besseren veranlasst hat, wie die zahlreichen weiteren Ordnungsmaßnahmen seit dem Schulwechsel dokumentieren.
Die getroffene Entscheidung ist insgesamt als verhältnismäßig anzusehen. Das Gericht teilt dabei insbesondere die Auffassung des Disziplinarausschusses, dass es sich bei der in jeder Hinsicht inakzeptablen WhatsApp-Nachricht des Antragstellers zu 3) nicht um eine – eventuell in einem milderen Licht zu betrachtende – Kurzschlusshandlung gehandelt hat. Hiergegen spricht die erhebliche Länge der Nachricht und vor allem die Tatsache, dass der Antragsteller zu 3) diese erst einige Stunden nach dem Erstellen am nächsten Morgen versandt hat. Darauf, ob der Tatsachenkern der Nachricht der Wahrheit entspricht, kommt es ebenfalls nicht entscheidungserheblich an. Der ehrverletzende Charakter der Nachricht wird dadurch nicht in Frage gestellt. Daraus, dass im Rahmen der Disziplinarausschusssitzung von einem Mitglied der Begriff des „Cybermobbings“ gefallen ist, leitet sich keine Rechtwidrigkeit der Entlassungsentscheidung ab. Zum einen ist der Begriff im Bescheid vom 4. Dezember 2015 selbst nicht genannt, der Bescheid also hierauf nicht unmittelbar gestützt, zum anderen ist der Begriff weder gesetzlich noch im allgemeinen Sprachgebrauch klar definiert, so dass auch nicht festgestellt werden kann, dass dieser in einem nicht zutreffenden Sinn verwendet wurde.
Der Antrag ist damit abzulehnen.
Nachdem die Antragsteller im Hauptantrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage nicht durchdringen, bleibt auch der unselbstständige Annexantrag (§ 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO) auf vorläufige weitere Gestattung des Schulbesuchs ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung des damit erfolglos bleibenden Eilantrags beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG


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