Verwaltungsrecht

Sofortvollzug der Ungültigerklärung und Einziehung eines Jagdscheins

Aktenzeichen  24 CS 20.2047

Datum:
29.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30430
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 5 Abs. 1 Nr. 2b, § 13 Abs. 3, § 45 Abs. 5
VwGO § 146, § 147

 

Leitsatz

1. Das öffentliche Vollzugsinteresse bei einer Entziehung des Jagdscheins wegen Unzuverlässigkeit ist inhaltlich deckungsgleich mit demjenigen des waffenrechtlichen Widerrufs, das kraft Gesetzes besteht. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mithin besteht auch hier ein öffentliches Interesse, nach einer Entziehung wegen Unzuverlässigkeit den weiteren Umgang mit Waffen nicht bis zu einem bestands- bzw. rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens hinzunehmen, sondern diesen aus Gründen der Sicherheit und Ordnung, die in § 45 Abs. 5 WaffG die Grundlage des gesetzlichen Sofortvollzugs bilden, sofort zu unterbinden. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 9 S 20.1037 2020-08-19 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragssteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen den Sofortvollzug der Ungültigerklärung und Einziehung seines Jagdscheins.
Anlässlich einer unangekündigten Waffenkontrolle beim Antragsteller am 21. Januar 2020 entdeckten Mitarbeiter des Landratsamts drei Patronen, die senkrecht auf einem der Waffenschränke im Haus des Antragstellers standen. Außerdem fanden sie in einem der Waffenschränke eine halbautomatische Büchse, deren Magazin mit fünf Patronen geladen war.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 1. Juli 2020 erklärte das Landratsamt unter anderem den Jagdschein des Antragstellers für ungültig und ordnete unter Zwangsgeldandrohung dessen Einziehung an (Ziffern 1 und 2). Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet (Ziffer 3).
Der Antragsteller hat Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Den gleichzeitig gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 19. August 2020 abgelehnt. Der Antragsteller sei nachträglich im waffen- und jagdrechtlichen Sinn unzuverlässig geworden, da bei einer Aufbewahrungskontrolle durch das zuständige Landratsamt am 21. Januar 2020 Verstöße gegen die waffenrechtlichen Aufbewahrungsvorschriften festgestellt worden seien. Es liege ein Fall der Unzuverlässigkeit gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG vor. Nach der gebotenen summarischen Prüfung werde sich der angefochtene Bescheid aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweisen.
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Er hat beantragt,
1. den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 19. August 2020 aufzuheben und
2. die aufschiebende Wirkung seiner Klage bezüglich der Ziffern 1 und 2 des Bescheids vom 1. Juli 2020 anzuordnen.
Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts überwiege vorliegend sein Aussetzungsinteresse. Das Verwaltungsgericht habe keine ausreichende Interessenabwägung vorgenommen und völlig unberücksichtigt gelassen, dass er in keiner Weise vorgeahndet sei. Seine privaten Interessen seien nicht beleuchtet worden. Das schnelle Wegschließen einer Waffe wegen eines vermuteten Klingelns der Post an der Haustür sei kein schwerer Verstoß gegen das Waffengesetz. Die behördlichen Anordnungen stünden im krassen Missverhältnis zum vorgeworfenen Verstoß gegen das Waffengesetz und seien daher unverhältnismäßig.
Der Antragsgegner – Landesanwaltschaft Bayern – hat beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen,
und verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.
II.
1. Die Beschwerde ist zwar nach § 146 Abs. 1 und 4, § 147 VwGO zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben.
1.1. Legt man mit dem Erstgericht allein den objektiv festgestellten Sachverhalt und damit die Aufbewahrung von Munition außerhalb eines Waffenschrankes und die Aufbewahrung einer geladenen Waffe in einem verschlossenen Waffenschrank zugrunde, rechtfertigt dies die Annahme der waffen- und jagdrechtlichen Unzuverlässigkeit des Antragstellers, wofür nach § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die Begründung des Verwaltungsgerichts Bezug genommen wird. Ausgehend hiervon bestehen keine durchgreifenden Bedenken an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids, sodass kein überwiegendes Interesse des Antragstellers am Eintritt der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage ersichtlich ist.
1.2 Aber auch eine Berücksichtigung der Einlassung des Antragstellers, die das Erstgericht offenbar als reine Schutzbehauptung angesehen und deshalb unberücksichtigt gelassen hat, vermag kein anderes Ergebnis zu rechtfertigen. Der Antragsteller hat sich dahingehend eingelassen, er sei kurz vor der erfolgten Kontrolle von der Krähenjagd zurückgekehrt und habe seine Waffe, um sich umzuziehen, auf den Schreibtisch neben dem Waffentresor gelegt und seine Taschen auf die verschlossenen Waffenschränke entleert. Als es geläutet habe, habe er seine Jogginghose schnell übergezogen, seine Waffe weggeschlossen und sei zur Tür gegangen. Beim Klingeln an der Haustür sei er davon ausgegangen, dass es die Post sei, und er habe seine Waffe anschließend noch reinigen wollen. Nur weil er einmal bei der Rückkehr von der Jagd noch beim Umziehen seiner Kleidung von den Kontrolleuren überrascht worden sei, ohne seine Waffen und die Munition ausreichend versorgt zu haben, könne er nicht so abgestraft werden. Das schnelle Wegschließen einer unterladenen Waffe wegen eines vermuteten Klingelns der Post an der Haustür sei kein schwerer Verstoß gegen das Waffengesetz.
Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kann die Richtigkeit dieser Einlassung des Antragstellers in tatsächlicher Hinsicht nicht ausreichend aufgeklärt werden. Gegen ihre Richtigkeit spricht, dass es vor dem Hintergrund der sehr geringen Kontrolldichte im Zusammenhang mit dem Vollzug des Waffengesetzes, die sich im hier zu entscheidenden Fall nach dem Vortrag des Antragstellers in einer einzigen Kontrolle in 30 Jahren niedergeschlagen hat, nach allgemeiner Lebenserfahrung äußerst unwahrscheinlich ist, dass gerade im Rahmen dieser Kontrolle ein Pflichtenverstoß des Antragstellers festgestellt wird, der im Übrigen angeblich stets alle waffenrechtlichen Vorschriften beachtet. Für ihre Richtigkeit spricht, dass der Antragsteller mit seinem Vortrag gleichzeitig dadurch einen Verstoß gegen Nr. 12.3.3.1 WaffVwV eingeräumt hat, dass er seine Waffe im Zeitpunkt des Verlassens des Jagdreviers nicht entladen haben will. Geht man von Letzterem aus, wären die festgestellten Verstöße gegen die Aufbewahrungsvorschriften möglicherweise nur als (vorübergehende) Folge des Verstoßes gegen das Gebot, die Waffe im Zeitpunkt des Verlassens des Jagdreviers in jedem Fall zu entladen, zu werten, die der Konfliktsituation zwischen dem Versuch, einerseits den waffenrechtlichen Aufbewahrungspflichten Genüge zu tun und andererseits einen vermuteten Postbediensteten nicht zu lange warten zu lassen, geschuldet war. In diesem Fall wäre gegebenenfalls weiter zu prüfen, ob auch vor dem Hintergrund der besonderen örtlichen Situation – das Jagdrevier grenzt möglicherweise unmittelbar an das Hausgrundstück des Antragstellers an – von einem ausreichend schweren Pflichtenverstoß des Antragstellers auszugehen ist, der die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit rechtfertigt.
Geht man insoweit von einer weiteren Aufklärungsbedürftigkeit des Sachverhaltes aus, würde dies jedoch allenfalls zur Annahme offener Hauptsacheerfolgsaussichten führen, so dass das Verfahren anhand einer sog. reinen Interessenabwägung zu entscheiden wäre. Das öffentliche Vollzugsinteresse bei einer Entziehung des Jagdscheins wegen Unzuverlässigkeit ist inhaltlich deckungsgleich mit demjenigen des waffenrechtlichen Widerrufs, das kraft Gesetzes besteht. Denn der Jagdschein berechtigt unter den in § 13 Abs. 3 bis Abs. 6 WaffG erfassten Umständen ebenfalls zum Umgang mit Waffen. Mithin besteht auch hier ein öffentliches Interesse, nach einer Entziehung wegen Unzuverlässigkeit den weiteren Umgang mit Waffen nicht bis zu einem bestands- bzw. rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens hinzunehmen, sondern diesen aus Gründen der Sicherheit und Ordnung, die in § 45 Abs. 5 WaffG die Grundlage des gesetzlichen Sofortvollzugs bilden, sofort zu unterbinden (vgl. BayVGH, B.v. 5.7.2011 – 21 CS 11.1226 – juris Rn. 7), zumal der Antragsteller die objektiv festgestellten Pflichtenverstöße auch nicht in Abrede gestellt hat, sondern diese nur abweichend bewertet wissen will.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG, unter Berücksichtigung der Nr. 20.3 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 18. Juli 2013 (abgedruckt bei Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben