Verwaltungsrecht

Somalia, Region Shabeellaha, Hoose, Angriff der Al-Shabaab wegen des Betriebs eines Kinos, Versuch der Zwangsrekrutierung, Verfolgungsgründe, Widerlegung der Vermutung aus Art. 4 Abs. 4 QRL, 20-jähriger Mann

Aktenzeichen  W 9 K 19.32329

Datum:
18.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 45880
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 3b
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1
QRL Art. 4 Abs. 4

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die Klage konnte auch in Abwesenheit der Beklagten verhandelt werden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage hat keinen Erfolg. Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. Dezember 2019 ist – soweit er noch verfahrensgegenständlich ist – einschließlich der darin enthaltenen Abschiebungsandrohung und der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat zudem keinen Anspruch auf die geltend gemachten Ansprüche (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Flüchtlingszuerkennung.
1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Aus § 3a AsylG ergibt sich, welche Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten. Zwischen derartigen Handlungen und den in § 3b AsylG näher definierten Verfolgungsgründen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG), wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris; BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 -, BVerwGE 1989, 162 f.; BVerwG, U.v. 15.3.1988 – 9 C 278/86 -, BVerwGE 1979, 143 f.).
Bei einer Vorverfolgung greift die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 QRL ein (so zur früheren Fassung der Qualifikationsrichtlinie BVerwG, U.v. 24.11.2009 – BVerwG 10 C 24.08 – juris Rn. 18). Nach dieser Bestimmung ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Eine der bereits erlittenen Verfolgung gleichzustellende unmittelbar, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen muss (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2009 – BVerwG 10 C 24.08 – juris Rn. 14 m. w. N.). Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 QRL kann allerdings widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungen beziehungsweise des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – BVerwG 10 C 5.09 – juris Rn. 23). Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL bezieht sich insoweit nur auf eine zukünftig drohende Verfolgung. Maßgeblich ist danach, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde (BVerwG, B.v. 23.11.2011 – BVerwG 10 B 32.11 – juris Rn. 7).
Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahezu zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus (VG Göttingen, U.v. 17.3.2020 – 2 A 791/17 juris).
Es obliegt dabei dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asyl- oder Flüchtlingsanspruch voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asyl- bzw. Flüchtlingsbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – Buchholz § 108 VwGO Nr. 147).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990 – 2 BvR 1095/90 – InfAuslR 1991, 94/95; BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 72/89 – Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 135; BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 113).
1.2. Dies vorangestellt, geht das Gericht nicht davon aus, dass der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG hat. Zu den Gründen, weshalb der Kläger Somalia verlassen hat, hat der Kläger zwar grundsätzlich glaubhaft geschildert, dass es einen Angriff der Al-Shabaab auf das Kino gegeben habe, welches sein Vater betrieben habe. Al-Shabaab habe verlangt, dass das Kino geschlossen werde. Bei der Explosion sei der Vater verletzt worden. Die Al-Shabaab habe ihnen Medikamente angeboten, für die der Kläger sich der Miliz habe anschließen sollen. Dies habe der Vater abgelehnt, weil der Kläger ihm habe helfen sollen. Schließlich sei er mit einem Onkel im Jahre 2011 nach Äthiopien gegangen.
Gleichwohl kann der Kläger aus diesem Vortrag keinen Anspruch auf Flüchtlingszuerkennung herleiten. Der Kläger hat wegen des geschilderten Geschehens Somalia nicht aus einem der in § 3b AsylG genannten Gründe vorverfolgt verlassen, insbesondere nicht aus Gründen der Religion oder der politischen Überzeugung – selbst wenn es ausreicht, dass ihm diese Gründe von einem der Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Die Aufforderung von Al-Shabaab an den Kläger, sich ihnen anzuschließen, sollte nach seinem Vortrag eine Gegenleistung für die medizinische Versorgung des Vaters sein. Die Weigerung des Klägers bzw. dessen Vaters kann daher nicht als eine religiöse Stellungnahme oder eine politische Äußerung gewertet werden. Vielmehr soll der Vater gegenüber Al-Shabaab angegeben haben, dass sein Sohn sich nicht der Gruppe anschließen könne, weil er sich um ihn zu kümmern habe. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Al-Shabaab dies im Sinne eines Verfolgungsgrundes bewertet hätte. Der Kläger selbst hat dies in keiner Weise angegeben (anders im Sachverhalt beim VG Sigmaringen, U.v. 25.10.2017 – A 1 K 1950/17 – juris). Auch nach den Erkenntnismitteln scheint es Al-Shabaab im Falle der Weigerung einer Person eher um die Leistung einer Kompensation zu gehen, die in der Form einer Geldleistung oder der Stellung eines anderen Rekruten besteht (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Somalia, Gesamtaktualisierung: 17.9.2019S. 66). Dass Al-Shabaab der Person, welche sich der Aufforderung zur Unterstützung verweigert hat, eine andere politische Überzeugung oder abweichende religiöse Einstellung unterstellen würde, kann mithin nicht stets angenommen werden.
Es sind weiter auch keine Nachfluchtumstände gegeben, die bei einer Rückkehr des Klägers nach Somalia erstmals eine flüchtlingsrechtlich relevante Bedrohung begründen könnten.
2. Die Voraussetzungen für eine Zuerkennung des unionsrechtlichen subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG sind im Fall des Klägers nicht gegeben.
Gemäß § 4 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3), sofern nicht Ausschlussgründe gemäß § 4 Abs. 2 AsylG (z.B. Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder schwere Straftaten) vorliegen. Gemäß § 4 Abs. 3 AsylG gelten §§ 3c bis 3e AsylG, somit die Regelungen über verfolgungsmächtige Akteure (§ 3c), schutzfähige Akteure (§ 3d) sowie die Regelungen über den internen Schutz (§ 3e), entsprechend.
Auch im Rahmen von § 4 AsylG ist bei der Prognose, ob für einen Kläger im Abschiebezielstaat die konkrete Gefahr besteht, der Todesstrafe, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden, der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, U.v. 7.9.2010 – 10 C 11/09 – juris Rn. 14). Zu Gunsten des Klägers gilt zudem grundsätzlich die Regelung des Art. 4 Abs. 4 QRL (vgl. VGH BW, U.v. 3.11.2017 – A 11 S 1704/17 – juris).
Der Kläger muss nach Überzeugung des Gerichts bei einer Rückkehr nach Somalia nicht damit rechnen, landesweit einen ernsthaften Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG zu erleiden.
2.1. Dem Kläger droht nach Überzeugung des Gerichts nicht die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG. Er hat hierzu bereits keine Tatsachen vorgetragen.
2.2. Der Kläger hat auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden durch Folter oder durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht.
Der Begriff der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist im Gesetz nicht näher definiert. Da die zuletzt genannte Vorschrift der Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 (ABl L 337, S. 9) – QRL – dient, ist dieser Begriff jedoch in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Begriff in Art. 15b QRL auszulegen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) legt Art. 15b QRL wiederum in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg zu Art. 3 EMRK aus (z.B. EuGH, U.v. 17.2.2009 – Elgafaji, C – 465/07 – juris Rn. 28; ebenso BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 22 ff. m.w.N.). Danach ist eine unmenschliche Behandlung die absichtliche, d.h. vorsätzliche Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Leiden (EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – ZAR 2011, 395, Rn. 220 m.w.N.; Jarass, Charta der Grundrechte, Art. 4 Rn. 9; Hailbronner, Ausländerrecht, § 4 AsylVfG Rn. 22 ff.), die im Hinblick auf Intensität und Dauer eine hinreichende Schwere aufweisen (EGMR, U.v. 11.7.2006 – Jalloh, 54810/00 – NJW 2006, 3117/3119 Rn. 67; Jarass a.a.O.; Hailbronner a.a.O.). Es muss zumindest eine erniedrigende Behandlung in der Form einer einen bestimmten Schweregrad erreichenden Demütigung oder Herabsetzung vorliegen. Diese ist dann gegeben, wenn bei dem Opfer Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht werden, die geeignet sind, diese Person zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 4 AsylVfG Rn. 22 ff.). Eine Bestrafung oder Behandlung ist nur dann als unmenschlich oder erniedrigend anzusehen, wenn die mit ihr verbundenen Leiden oder Erniedrigungen über das in der Bestrafungsmethode enthaltene, unausweichliche Leidens- oder Erniedrigungselement hinausgehen, wie z.B. bei bestimmten Strafarten wie Prügelstrafe oder besonders harten Haftbedingungen (Hailbronner, a.a.O., Rn. 24, 25). Aufgrund seines Vortrags kann selbst unter Berücksichtigung von Art. 4 Abs. 4 QRL nicht davon ausgegangen werden, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ihm ein ernsthafter Schaden bei einer Rückkehr nach Somalia in Form von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung durch Al-Shabaab wegen seiner Weigerung vor seiner Ausreise drohen würde. Diese Vermutung ist widerlegt, da es der Al-Shabaab im Falle des Klägers offenbar um eine Gegenleistung für die Inanspruchnahme medizinischer Unterstützung für den Vater ging. Diese Konstellation kann so nicht mehr eintreten. Der Vater ist nach den Angaben des Klägers im … 2019 gestorben. Darüber hinaus gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Al-Shabaab unter sonstigen Gesichtspunkten ein gesteigertes Interesse an einer Rekrutierung des Klägers bspw. wegen besonderer Fähigkeiten gehabt hätte. Der Kläger war in den Jahren 2010/2011 noch ein Kind von rund 12 Jahren.
Es ist auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Somalia aus anderen Gründen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohen würde.
Eine unzureichende Versorgungslage im Herkunftsland vermag bereits aus Rechtsgründen die Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG nicht zu begründen (so auch BayVGH, U.v. 17.7.2018 – 20 B 17.31659 – juris Rn. 24; anders insoweit OVG Niedersachsen, U.v. 5.12.2017 – 4 LB 50/16 – juris Rn. 55, 60-67), sondern kann allenfalls im Rahmen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 EMRK i.V.m. Art. 3 EMRK berücksichtigt werden. Denn nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten für den subsidiären Schutz die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend. Damit muss für die Zuerkennung subsidiären Schutzes die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung von einem Akteur im Sinne von § 3c AsylG ausgehen (vgl. BayVGH, B.v. 18.10.2017 – 20 ZB 17.30875 – juris Rn. 14). Die Versorgungslage in Somalia insgesamt kann jedoch nicht auf einen solchen Akteur zurückgeführt werden. Sie ist vielmehr Ausdruck verschiedener Faktoren, zu denen u.a. die unsichere Lage und periodisch wiederkehrende Dürreperioden gehören (vgl. etwa BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Somalia, Stand: 17.9.2019, S. 122 ff.).
2.3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Dass ihm ein ernsthafter Schaden im Sinne dieser Vorschrift landesweit drohen würde, ist von diesem selbst weder vorgetragen noch nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln im erforderlichen Umfang wahrscheinlich.
Vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne dieser Vorschrift ist auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als „bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist“, i.S.d. humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass – über die Beurteilung des Grads der im betreffenden Gebiet herrschenden Gewalt hinaus – eine Bewertung der Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, des Organisationsgrades der bewaffneten Gruppen oder der Dauer des Konflikts anzustellen ist (vgl. EuGH, U.v. 30.01.2014 – C-285/12, Diakité – juris Rn. 18 ff.). Allerdings wird das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nur dann zur Gewährung subsidiären Schutzes führen können, wenn die Auseinandersetzungen ausnahmsweise als ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person angesehen werden können, weil der Grad willkürlicher Gewalt bei diesen Konflikten ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. ebd., Rn. 30).
Nach den maßgeblichen Erkenntnisquellen stellt sich die allgemeine Situation in Somalia aktuell im Wesentlichen wie folgt dar:
Somalia ist spätestens seit Beginn des Bürgerkriegs 1991 ohne flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die Autorität der Zentralregierung wird vom nach Unabhängigkeit strebenden „Somaliland“ im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikalislamistischen Al-Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Das Land zerfällt faktisch in drei Teile, nämlich das südliche und mittlere Somalia, die Unabhängigkeit beanspruchende „Republik Somaliland“ im Nordwesten und die autonome Region Puntland im Nordosten. In Puntland gibt es eine vergleichsweise stabile Regierung; die Region ist von gewaltsamen Auseinandersetzungen deutlich weniger betroffen als Süd-/Zentralsomalia. In „Somaliland“ wurde im somaliaweiten Vergleich das bislang größte Maß an Sicherheit, Stabilität und Entwicklung erreicht. In Süd- und Zentralsomalia kämpfen die somalischen Sicherheitskräfte mit Unterstützung der Militärmission der Afrikanischen Union AMISOM gegen die Al-Shabaab-Miliz. Die Gebiete sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der Al-Shabaab-Miliz oder anderer Milizen. Die meisten größeren Städte sind schon längere Zeit in der Hand der Regierung, in den ländlichen Gebieten herrscht oft noch die Al-Shabaab. In den „befreiten“ Gebieten finden keine direkten kämpferischen Auseinandersetzungen mehr statt. Die Al-Shabaab verübt jedoch immer wieder Sprengstoffattentate auf bestimmte Objekte und Personen, bei denen auch Unbeteiligte verletzt oder getötet werden (vgl. BayVGH, U.v. 27.3.2018 – 20 B 17.31663 – juris Rn. 20 m.w.N.). Was die tatsächliche Lage in Somalia angeht, so gehen somit sämtliche Auskünfte von einer unterschiedlichen Intensität des Konflikts in Somalia, insbesondere was Süd- und Zentralsomalia auf der einen und die relativ friedlichen Regionen Puntland und Somaliland auf der anderen Seite angeht, aus.
Für die Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr abzustellen. Für die Frage, welche Region als Zielort seiner Rückkehr anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Zielort der Abschiebung ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9.08 – juris Rn. 17 unter Hinweis auf EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07 [Elgafaji]; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12, LS 1 und Rn. 13/14; OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 16.12.2015 – 10 A 10689/15 – juris = Asylmagazin 2016, 29; BayVGH, U.v. 17.7.2018 – 20 B 17.31659 – juris Rn. 25). Im Falle des Klägers ist dies die Region Shabeellaha Hoose, da er bis zu seiner Ausreise im Jahr 2011 in … gelebt hat.
Zur Gefahrenprognose für die Region Shabelle Hoose (Shabeellaha Hoose/Lower Shabelle) führt das VG Gießen, U.v. 29.6.2020 – 8 K 4073/19.GI.A – juris, aus:
„Eine genaue Bewertung der Situation in Somalia und insbesondere in Shabeellaha Hoose/Lower Shabelle ist schwierig. Es mangelt sowohl an verlässlichen Angaben über die gegenwärtige Einwohnerzahl als auch an Quellen, welche die aktuellen Opferzahlen aufgeschlüsselt nach Verletzten und Getöteten einerseits sowie differenziert nach Zivilpersonen und Soldaten bzw. Kämpfenden andererseits wiedergeben. In der Konsequenz ist es lediglich möglich, aus den zur Verfügung stehenden einzelnen Erkenntnissen ein Gesamtbild der Lage in Shabeellaha Hoose/Lower Shabelle zu erstellen.
Nach den vorliegenden Erkenntnissen betrug die Einwohnerzahl im Jahr 2014 in Shabeellaha Hoose/Lower Shabelle, die Region in der die Stadt Qoryooley liegt, etwa 1,2 Millionen Einwohner (vgl. United Nations Population Fund [UNFPA], Population Estimation Survey 2014 – For the 18 pre-war regions of Somalia, Oktober 2014, S. 31). Das Bevölkerungswachstum in Somalia beträgt etwa 2,8% pro Jahr (vgl. UNFPA, Population Estimation Survey 2014 – For the 18 pre-war regions of Somalia, Oktober 2014, S. 44), sodass im Jahr 2018 von einer Gesamtbevölkerung in Shabeelaha Hoose/Lower Shabelle von etwa 1,32 Millionen Einwohnern ausgegangen werden kann.
In der Region Shabeellaha Hoose/Lower Shabelle kam es im Jahr 2018 zu 504 Vorfällen mit 1.032 Todesopfern (vgl. Austrian Center for Country of Origin & Asylum Research and Documentation: Somalia, Jahr 2018, Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), 26. Februar 2020; in diesem Dokument dürften die Daten für die Region Shabeellaha Hoose – wohl versehentlich – unter der Region Jubbada Hoose angegeben sein, da unter dieser Region nicht nur Qoryooley, sondern die ebenfalls in Shabeellaha Hoose liegenden Städte Afgooye, Marka und Wanla Weyne erfasst sind). Eine Berechnung des Verletzungsrisikos ist mangels entsprechender Erkenntnisse nicht möglich, sodass lediglich ein Vergleich mit anderen Konfliktgebieten, in denen es ähnliche Auseinandersetzungen zwischen regierungstreuen Truppen einerseits sowie Gruppierungen, welche sich teils in offenen Kämpfen, teils in Anschlägen gegen den Staat richten, andererseits, ein ungefähres Bild des Verletzungsrisikos zu vermitteln vermag (vgl. zu dieser Methode Hessischer VGH, Urteil vom 22. August 2019 – 4 A 2335/18.A -, juris, Rn. 46). Betrachtet man beispielsweise die Zahlen von Toten und Verletzten in dem Konflikt in Afghanistan, so ergibt sich, dass es im Jahr 2018 zu 3.804 Toten und 7.189 Verletzten, im Jahr 2017 zu 3.440 Toten und 7.019 Verletzten, im Jahr 2016 zu 3.527 Toten und 7.925 Verletzten, im Jahr 2015 zu 3.565 Toten und 7.470 Verletzten sowie im Jahr 2014 zu 3.701 Toten und 6.834 Verletzten kam (vgl. United Nations Human Rights, Office of the High Commissioner, Afghanistan – Protections of Civilians in Armed Conflicts, Annual Report 2018, Februar 2019, S. 1). Über die Jahre 2014 bis 2018 betrachtet forderte der Konflikt in Afghanistan demnach 18.037 Todesopfer und 36.437 Verletzte. Setzt man die Zahlen der Todesopfer und der Verletzten ins Verhältnis, so kommen auf jede in dem Konflikt getötete Person 2,02 Verletzte. Nimmt man dieses Verhältnis auch für den Konflikt in Somalia an, bedeutet dies für die Herkunftsregion des Klägers, dass es neben den 1.032 Todesopfern zu 2.085 Verletzten gekommen ist, sodass der Konflikt insgesamt 3.117 Opfer forderte.
Zu berücksichtigen ist dabei zusätzlich, dass die ACLED-Auskünfte sich nicht auf getötete Zivilpersonen beschränken, sondern insgesamt getötete Personen – mithin auch Soldaten und Kämpfer – erfassen (vgl. OVG Niedersachsen, Urteil vom 5. Dezember 2017 – 4 LB 50/16 -, juris, Rn. 45), sodass die Zahl der Zivilopfer niedriger sein dürfte. So stehen etwa für das Jahr 2016 Zahlen hinsichtlich Mogadischus, der etwa 120 km von Qoryooley entfernten Hauptstadt Somalias, zur Verfügung, die eine Differenzierung zwischen zivilen und nicht zivilen Opfern ermöglichen. Demnach kam es im Jahr 2016 in Mogadischu zu 510 Zwischenfällen mit insgesamt 681 registrierten Todesfällen, wobei etwa 40% der aufgezeichneten Zwischenfälle gegen Zivilpersonen gerichtet waren (vgl. EASO, Country of Origin Information Report, Somalia – Security Situation, Dezember 2017, S. 82, Tabelle 1).
Geht man nach Vorstehendem davon aus, dass die Gesamtopferzahl – mithin die Summe der Verletzten und Getöteten – im Jahr 2018 in Shabeellaha Hoose/Lower Shabelle 3.117 Personen betrug und nimmt man ferner an, dass der Anteil der zu Schaden gekommenen Zivilisten hieran 40% betrug, dürften hiernach 1.247 Zivilpersonen Opfer des Konfliktes geworden sein. Setzt man dies zur Einwohnerzahl in der Region aus dem Jahr 2018 ins Verhältnis, so ergibt sich für Zivilpersonen in Shabeellaha Hoose/Lower Shabelle eine Wahrscheinlichkeit von 1:1.059 Opfer des Konfliktes zu werden.
Auch bei wertender Betrachtung ergibt sich für Shabeellaha Hoose/Lower Shabelle nicht, dass aufgrund der bloßen dortigen Anwesenheit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden.
Lower Shabelle ist ein Zentrum der Gewalt im somalischen Konflikt. Die Bezirke Merka, Qoryooley und Afgooye sind nach wie vor stark von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen diesen Städten liegt im Fokus der Al-Shabaab. Die meisten der im Jahr 2019 aufgrund von Konflikten neu vertriebenen Menschen stammen aus Lower Shabelle. Im März 2019 hat die Regierung angekündigt, dort eine neue Offensive zu führen. Die Operation zielt u.a. auf eine Verbesserung der Lage von Mogadischu und die Sicherheit entlang der Hauptroute von Afgooye nach Merka ab. Bei der Operation konnten u.a. Bariire und Sabiid gewonnen werden. Bei der Absicherung neu gewonnener Gebiete in Lower Shabelle stoßen somalische Kräfte und AMISOM zwar auf Probleme – etwa bei Ressourcen, Infrastruktur und bei der Verankerung einer Zivilverwaltung. Trotzdem ist zu beobachten, dass vor allem in den durch diese Operation Badbaado 1 neu gewonnenen Räumen der Aufbau einer zivilen Verwaltung und die Installation von Polizeikräften relativ rasch nach der Einnahme der Ortschaften erfolgt. Am 31. März 2019 griff Al-Shabaab Armee und AMISOM in Qoryooley an. Es kam zu schweren Gefechten, der Angriff konnte abgewehrt werden. Am 27. Februar 2019 überfiel Al-Shabaab einen AMISOM-Stützpunkt nahe Qoryooley, auch hier kam es zu einem Gefecht. Generell befindet sich Qoryooley unter Kontrolle von Regierungskräften und AMISOM (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Somalia, 17. September 2019 [Stand: 20. November 2019], S. 23 f.). Aus der aktuellen Presse lassen sich keine Berichte – weder für Qoryooley selbst noch für Shabeellaha Hoose/Lower Shabelle – entnehmen, die eine andere Beurteilung zuließen.“
Die Darlegungen stimmen mit den Angaben in den Erkenntnismitteln des erkennenden Gerichts grundsätzlich überein. Das Gericht schließt sich daher diesen Ausführungen an und macht sich diese zu eigen. Der nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/13 – juris) erforderliche Gefahrenmaßstab wird damit nicht erreicht. Zudem weist der Kläger keine persönlichen gefahrerhöhenden Umstände auf.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die weiter hilfsweise begehrte Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
3.1. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine gegen Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht. In Konstellationen wie der vorliegenden, in der gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, weshalb in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris; VG München, U.v. 8.5.2014 – M 15 K 12.30903 – juris Rn. 37).
Das Gericht hält es zudem zum jetzigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht für hinreichend beachtlich wahrscheinlich, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse derart negativ entwickeln werden, dass von einer grundsätzlich abweichenden Beurteilung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ausgegangen werden kann. Schlechte humanitäre Verhältnisse können nur in ganz außergewöhnlichen Fällen zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn es sich hierbei um zwingende humanitäre Gründe handelt (vgl. OVG NRW, U.v. 24.3.2020 – 19 A 4470/19.A – juris m.w.N.). Aus der Rechtsprechung des EGMR (U.v. 28.6.2011 – Nr. 8319/07 und 11449/07 – BeckRS 2012, 8036 – Rn. 278) und des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12) ergibt sich, dass die Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraussetzt. Nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechenden humanitären Gründe zwingend sind. Entscheidend ist, dass die Person keiner Situation extremer materieller Not ausgesetzt wird, die es ihr unter Inkaufnahme von Verelendung verwehrt, elementare Bedürfnisse zu befriedigen.
Diesbezüglich lässt sich zu Somalia Folgendes ausführen:
Somalia gehört zu den ärmsten Ländern der Erde. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in weiten Landesteilen nicht gewährleistet. Periodisch wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen wie auch Überflutungen, zuletzt auch die Heuschreckenplage, die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia nach Syrien, dem Jemen, dem Südsudan und der Demokratischen Republik Kongo zum Land mit dem fünftgrößten Bedarf an internationaler Nothilfe weltweit (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, 2. April 2020 [Stand: Januar 2020], S. 4, 21). Generell erholt sich die somalische Wirtschaft weiterhin von der Dürre der Jahre 2016 und 2017. Zur wirtschaftlichen Erholung beigetragen haben gute Regenfälle und wachsende Remisen, die Erstarkung des Agrarsektors, die Konsolidierung von Sicherheit und die Zunahme privater Investitionen und von Geldflüssen aus Geberländern. Eine der Triebfedern der wirtschaftlichen Entwicklung ist also die Diaspora, welche begonnen hat, in Somalia (v.a. Mogadischu und die Hauptstädte der Bundesstaaten) zu investieren. Auch zahlreiche Agenturen der UN (etwa UN-Habitat, UNICEF, UNHCR) sind tatkräftig dabei, das Land wiederaufzubauen. Gleichwohl gehört Somalia auch weiterhin zu den ärmsten Ländern der Erde. Bei den gängigen Indikatoren zur Messung der wirtschaftlichen Entwicklung (BSP, Lebenserwartung, Mütter- und Kindersterblichkeit) liegt Somalia zumeist auf den letzten Plätzen. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft, sei es als Kleinhändler, Viehzüchter oder Bauern. Zusätzlich stellen Remisen für viele Menschen und Familien ein Grundeinkommen dar. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist direkt oder indirekt von der Viehzucht abhängig. Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (62,8%). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (14,1%). 6,9% arbeiten in bildungsabhängigen Berufen (etwa im Gesundheitsbereich oder im Bildungssektor), 4,8% als Handwerker, 4,7% als Techniker, 4,1% als Hilfsarbeiter und 2,3% als Manager. Eine Arbeit zu finden, ist mitunter schwierig, verfügbare Jobs werden vor allem über Clan-Netzwerke vergeben. Auch Unternehmensgründer sind auf den Clan angewiesen. Generell ist das Clan-Netzwerk vor allem außerhalb von Mogadischu von besonderer Relevanz. Männer finden unter anderem auf Baustellen, beim Graben, Steinebrechen, Schuhputzen oder beim Khatverkauf eine Arbeit (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Somalia, 17. September 2019 [Stand: 20. November 2019], S. 115 ff.).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben und der persönlichen Umstände des Klägers ist davon auszugehen, dass er als junger, arbeitsfähiger Mann sein Existenzminimum und damit ein menschenwürdiges Dasein selbst sichern kann, selbst wenn sich aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie die wirtschaftliche Situation in Somalia eintrüben sollte (vgl. zur aktuellen Situation UN OCHA, Somalia: COVID-19 Impact Update No. 10 (As of 22 July 2020), 22.7.2020; vgl. zum Preisanstieg bei einzelnen Lebensmitteln OCHA Somalia: Update 5 – Overview of COVID-19 directives, 30 May 2020; vgl. zur Betroffenheit von Tagelöhnern, Gelegenheitsarbeitern durch die staatlichen Einschränkungen OCHA Somalia: Update 4 – Overview of COVID-19-directives, 16 May 2020). Für den Eintritt einer deutlichen Verschlechterung der humanitären Verhältnisse in Somalia fehlen dem Gericht aber zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) greifbare Anhaltspunkte. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass gerade hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie ein Gegensteuern der somalischen Behörden erkennbar ist (vgl. zur aktuellen Lage im Einzelnen UN OCHA, Somalia: COVID-19 Impact Update No. 10 [As of 22 July 2020]). Zudem hat sich die somalische Wirtschaft gegenüber der Pandemie als widerstandsfähig erwiesen. Nach Schätzungen der Weltbank für September wird ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 1,5 Prozent im Jahr 2020 prognostiziert, wobei man im Juni noch mit einem Rückgang um 2,5 Prozent rechnete (vgl. UN OCHA, Somalia: COVID-19 Impact Update No. 12 [As of 21 September 2020].
Dass dem Kläger bei einer Rückkehr extreme materielle Not aufgrund Überflutungen oder der Heuschreckenplage drohen könnte, ist vorliegend nicht ersichtlich. Von den Auswirkungen der Heuschreckenplage ist insbesondere Somaliland, Puntland und Galmudug betroffen (vgl. hierzu UN OCHA, Somalia Humanitarian Bulletin, 1 – 30 June 2020, 5.7.2020).
Sonstige Verstöße gegen Bestimmungen der EMRK sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG kann sich der Kläger daher nicht berufen.
3.2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Wann allgemeine Gefahren zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den betroffenen Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren – zeitlichen – Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann (BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris; Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 60 AufenthG Rn. 101). Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssten. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – BVerwGE 137, 226).
Beim Kläger handelt es sich um einen jungen und arbeitsfähigen Mann, der nach Überzeugung des Gerichts seine Existenzgrundlage sichern kann. Eine Erkrankung an Tuberkulose hat der Kläger offenbar überwunden. Nach seinen Angaben sei er im Jahr 2019 krank geworden und habe bis Mai 2020 Medikamente nehmen müssen. Nunmehr gehe es ihm gut. Etwas anderes ergibt sich nicht im Hinblick auf die aktuelle Entwicklung infolge der weltweiten COVID-19-Pandemie. In Somalia sind die Infektionszahlen mit 4.579 insgesamt und 121 Todesfällen (zitiert Johns-Hopkins-University, abgerufen am 16.12.2020) insgesamt nicht besonders hoch – selbst wenn man unterstellen muss, dass eine Dunkelziffer nicht erkannter Infektionsfälle gegeben ist. Bei dem jungen Kläger ist es nicht im hier notwendigen Maße wahrscheinlich ist, dass er (ernsthaft) an COVID-19 erkrankt.
Ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG steht dem Kläger daher ebenfalls nicht zu.
4. Schließlich bestehen auch gegen die Abschiebungsandrohung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine rechtlichen Bedenken. Ermessensfehler des Bundesamts bei der Bemessung der Befristung sind nicht ersichtlich, sodass der diesbezügliche Klageantrag ebenfalls erfolglos war.
Die Klage war daher vollumfänglich abzuweisen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).


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