Verwaltungsrecht

Sonstiger Nachweis der Hochschulreife, KMK-Vereinbarung „International, Baccalaureate Diploma/Diplôme du Baccalauréat International“ (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 10.03.1986 i.d.F. vom 26.11.2020), Ermessensentscheidung

Aktenzeichen  M 3 E 21.3700

Datum:
19.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44464
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayHSchG Art. 43 Abs. 7
QualV § 11 Abs. 1
QualV § 11 Abs. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragsteller vorläufig zum Bachelorstudiengang …, 1. Fachsemester, im Wintersemester 2021/22 an der Technischen Universität München zuzulassen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500,- festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller bewarb sich mit Antrag vom 25. Mai 2021 um die Zulassung zum Bachelorstudiengang … an der Technischen Universität München (im Folgenden: TUM) zum Wintersemester 2021/22 im ersten Fachsemester. Als Nachweis der Hochschulreife verwies der Antragsteller auf ein International Baccalaureate (im Folgenden: IB) -Diplom vom 6. Juli 2021 des … College … (Spanien).
Die Arbeits- und Servicestelle für internationale Studienbewerbungen (im Folgenden: Uni-Assist), die die TUM mit der Prüfung der Hochschulzugangsberechtigung beauftragt hatte, wies den Antragsteller mit Schreiben vom 30. Juni 2021 darauf hin, dass seine Bewerbung noch unvollständig sei und forderte ihn auf, die IB-Ergebnisse UniAssist zugänglich zu machen. Darüber hinaus wies Uni-Assist darauf hin, dass nach den Vorgaben der Kultusministerkonferenz Bewerber mit einem IB-Diplom sechs Fächer belegt haben müssten, die in Deutschland anerkannt seien. Das Fach „Information Technology in a Global Society“ (im Folgenden: ITGS) zähle nicht dazu. Weiter müsse ein sozialwissenschaftliches Fach gewählt worden sein. Aus diesem Grund erfülle der Antragsteller nicht alle Anforderungen und müsse zunächst die Feststellungsprüfung am Studienkolleg bestehen.
Mit E-Mail vom … Juni 2021 wandte sich der Antragsteller an die TUM und wies darauf hin, dass nach den Informationen des IB das Fach ITGS unter der Fächergruppe „Individuals and Societies“ genannt werde. Er habe daher angenommen, dass ITGS als sozialwissenschaftliches Fach in Deutschland akzeptiert werde.
Mit Bescheid vom 12. Juli 2021 lehnte der Antragsgegner den Zulassungsantrag des Antragstellers ab, da der nachgewiesene Schulabschluss nicht die formalen Voraussetzungen für das beabsichtigte Studium erfülle.
Mit Schriftsatz vom … Juli 2021, bei Gericht eingegangen am selben Tag, lässt der Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht München erheben (M 3 K 21.3697). Zugleich beantragt er durch seinen Bevollmächtigten,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, das IB-Diplom des Antragstellers vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache als Hochschulzugangsberechtigung für das erste Fachsemester in dem Studiengang Bachelor … anzuerkennen und den Antragsteller am weiteren Zulassungsverfahren zu beteiligen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Ausschluss des Antragstellers vom Zulassungsverfahren durch die Nichtanerkennung seines IB-Diploms verstoße gegen sein Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. § 11 QualV. Das IB-Diplom werde von einer privaten Institution vergeben und sei ein weltweit anerkannter, zum Hochschulstudium berechtigender Abschluss, der nach zwölf Schuljahren an Schulen, die von der IB-Organisation akkreditiert seien, vergeben werde. Grundlage für den Erwerb des Diploms sei ein zweijähriges Oberstufencurriculum und eine Prüfung. Das Curriculum des IB unterteile sich in sechs Fächergruppen. Nach § 11 QualV habe die Hochschule eine Ermessensentscheidung über die Anerkennung von sonstigen im Ausland erworbenen Bildungsnachweisen als Nachweis der Hochschulreife zu treffen. Zur Vereinheitlichung und Vereinfachung der Anerkennungsentscheidung bei Inhabern eines IB-Diploms hätten die Länder im Rahmen der KMK eine Vereinbarung über die Anerkennung des IB-Diploms getroffen. Unstreitig sei das Fach ITGS in der KMKVereinbarung nicht genannt, so dass eine Anerkennung auf Grundlage der KMKVereinbarung ausscheide. Da das vom Antragsteller belegte Fach jedoch den anderen Fächern der Fächergruppe „Individuals and societies“ sowohl inhaltlich als auch nach den Prüfungsanforderungen für das IB-Diplom als gesellschaftswissenschaftlich nachgewiesenes Fach als gleichwertig zu werten sei, sei dieses nach § 11 Abs. 3 QualV anzuerkennen. Das Fach ITGS sei erstmals im August 2010 angeboten und 2016 aktualisiert worden. Das Fach werde der Fächergruppe 3 zugeordnet, die Wechselwirkungen zwischen Individuum und Gesellschaften untersuche. Es würden zwei verschiedene Kurse angeboten: „Standard Level – SL“ mit 150 Unterrichtsstunden über zwei Jahre und „Higher Level – HL“, wie vom Antragsteller belegt, mit 300 Unterrichtsstunden über zwei Jahre. Der Kurse basiere auf drei Strängen, nämlich soziale und ethische Bedeutung, Anwendung auf vorgegebene Szenarien und IT-Systeme. Der erworbene Bildungsnachweis erlaube ein Hochschulstudium auch in Spanien, zudem ließen die Vorkenntnisse des Antragstellers sicher erwarten, dass eine Aufnahme des Studiums an der TUM sinnvoll sei. Der Antragsteller habe lediglich im Wahlfach einen auf den begehrten Studienplatz ausgerichteten Themenschwerpunkt gewählt, der von der automatischen Anerkennung des IB-Diploms nicht erfasst sei. Der Antragsteller erfülle die sonstigen Voraussetzungen der KMK-Vereinbarung hinsichtlich der übrigen Fächer und die Voraussetzungen für den gewählten Studiengang in besonderem Maße. Das IB-Curriculum verfolge die gleiche Zielsetzung wie die gymnasiale Oberstufe, nämlich die Vermittlung grundlegender Kenntnisse und Einsichten in Grundkursen, denen der Standard Level entspreche, und die Einführung in wissenschaftliches Arbeiten und die Vermittlung eines vertieften Verständnisses und erweiterter Kenntnisse in Leistungskursen, denen der Higher Level entspreche. Es sei unverhältnismäßig, dem Antragsteller ohne weitere Prüfung den Hochschulzugang zu verweigern, allein weil das Wahlfach, das zwar gleichberechtigter Bestandteil des IB-DiplomProgramms sei, nicht in der KMK-Vereinbarung aufgeführt sei.
Mit Schriftsatz vom 6. August 2021 beantragt der Antragsgegner,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die TUM habe telefonisch die Zeug nisanerkennungsstelle (im Folgenden: ZAST) beim Bayerischen Landesamt für Schule kontaktiert und dort die Auskunft erhalten, dass das Fach ITGS nicht anerkannt werde. Es entspreche nicht der KMK-Vereinbarung über die Anerkennung des IB-Diploms. Für die Hochschulzugangsberechtigung würden nur Fächer akzeptiert, die Bestandteil dieser Vereinbarung seien. Für den Bereich der Gesellschaftswissenschaften seien dies die Fächer „History, Geography, Economics, Psychology, Philosophy, Social Anthropology, Business Management, Global Politics“. Gemäß Art. 43 Abs. 7 BayHSchG werde durch Rechtsverordnung bestimmt, durch welche Abschlüsse und Zeugnisse die Hochschulreife nachgewiesen werde. Auf diese Verordnung über die Qualifikation für ein Studium an den Hochschulen des Freistaats Bayern und den staatlich anerkannten nichtstaatlichen Hochschulen (QualV) habe die TUM in § 36 Abs. 1 der Fachprüfungs- und Studienordnung für den Bachelorstudiengang … an der Technischen Universität München vom 26. April 2021 (im Folgenden: FPSO) verwiesen. Das IB-Diplom stelle einen Bildungsnachweis nach § 11 Abs. 1 QualV dar. Nach dem Beschluss der KMK werde ein IB-Diplom als Hochschulzugangsberechtigung anerkannt, wenn es nach einem Besuch von mindestens zwölf aufsteigenden Jahrgangsstufen an Schulen mit Vollzeitunterricht erworben worden sei und die weiteren Bedingungen der KMK-Vereinbarung erfüllt seien. Unter den sechs verbindlichen Fächergruppen sei auch die Fächergruppe der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer; deren Aufzählung sei abschließend. Eine eigene Überprüfung durch die TUM habe ergeben, dass eine Zuordnung des Fachs ITGS zu den in der Vereinbarung genannten Fächern nicht möglich sei. Zusätzlich habe die TUM die ZAST beteiligt; diese sei zum gleichen Ergebnis gelangt. Der KMK-Beschluss sei, wie vom VG Ansbach (U.v. 3.4.2021 – AN 2 K 19.1863) ausgeführt, eine allgemein gehaltene vorweggenommene Begutachtung als antizipiertes Sachverständigengutachten, so dass von seinen tatsächlichen Feststellungen und Wertungen nur abgewichen werden könne, wenn diese auf methodisch zweifelhafte Art gewonnen oder sachlich überholt seien oder im Einzelfall Besonderheiten aufgetreten seien, die erkennbar nicht bedacht worden seien. Es sei nicht ersichtlich, dass die Feststellungen für die Anerkennung des IB-Diploms, die in der KMK-Vereinbarung normiert seien, auf zweifelhafter Grundlage beruhten oder sachlich überholt seien. Insbesondere sei der Fächerkatalog durch die KMK regelmäßig angepasst worden. Für die TUM sei kein Grund ersichtlich, von den Bestimmungen des antizipierten Sachverständigengutachtens abzuweichen. Die eigene Darstellung der behaupteten Gleichwertigkeit des streitgegenständlichen Schulfachs mit den Fächern der gesellschaftswissenschaftlichen Fächergruppe durch den Bevollmächtigten des Antragstellers lasse keine abweichende Beurteilung zu. Die Sprachkenntnisse des Antragstellers seien nicht ausschlaggebend für die Ablehnung gewesen.
Am 5. Oktober 2021 hat das Gericht die TUM telefonisch darauf hingewiesen, dass aus den Akten nicht ersichtlich sei, dass über die Bezugnahme auf die KMKVereinbarung hinaus eine eigene Überprüfung der Anerkennungsfähigkeit des IBDiploms des Antragstellers durch die TUM stattgefunden habe. Die TUM bestätigt dies telefonisch und stellt weiteren Vortrag hierzu in Aussicht.
Mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2021 führt die TUM ergänzend aus, die Beschlussfassung der KMK über die Anerkennung des IB-Diploms erfolge auf Basis einer inhaltlichen Überprüfung sämtlicher Fächer aus dem Curriculum des Diploma-Programme der IB-Organisation (im Folgenden: IBO). Sofern das Curriculum geändert werde, ergehe ein neuer Beschluss der KMK. Bereits hieraus werde ersichtlich, dass die Fächer des Curriculums im Einzelnen sukzessive überprüft würden. Aus Ziff. 4 des KMKBeschlusses gehe hervor, dass die IBO die KMK kontinuierlich über eventuelle Änderungen der Abschlussprüfung unterrichte. Die ZAST habe den Abschluss des Antragstellers anhand des KMK-Beschlusses überprüft und festgestellt, dass die zwingenden Voraussetzungen für die Anerkennung nicht erfüllt seien. Der Antragsgegner folge der Empfehlung der Zeugnisanerkennungsstelle. Auf das Urteil des VG Köln vom 19. August 2009 (10 K 2107/08) werde verwiesen.
Auf Frage des Gerichts legt der Antragsteller mit Schriftsatz vom *. Oktober 2021 Unterlagen der UNED Assis sowie der Universität Carlos III Madrid vor zum Beleg, dass der von ihm vorgelegte Bildungsnachweis das Studium an der genannten spanischen Universität im Bachelorstudiengang „… Engineering“ ermöglicht.
Am 12. Oktober 2021 hat das Gericht die TUM telefonisch darauf hingewiesen, dass aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich ist, dass eine Überprüfung des Faches ITGS durch die KMK stattgefunden habe, und welche Gründe dafür ausschlaggebend dafür gewesen seien, dieses Fach nicht als gesellschaftswissenschaftliches Fach anzuerkennen. Das Gericht hat die TUM daher hierzu um Vorlage entsprechender Unterlagen gebeten.
Die TUM teilt am 12. Oktober 2021 telefonisch dem Gericht mit, nähere Unterlagen zur Befassung der KMK und zu deren Erwägungen zum Fach ITGS seien kurzfristig nicht beibringbar. Weiter erklärt die TUM auf telefonische Nachfrage des Gerichts, es sei nicht ersichtlich, dass sonstige Unterlagen des Antragstellers für die Zulassung zum Studium fehlen würden.
Mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2021 wiederholt und vertieft die TUM ihre Ausführungen und führt aus, Studienbewerber könnten bei der ZAST einen Antrag auf Bewertung des Bildungsnachweises stellen. Würden die ZAST und die TUM zu unterschiedlichen Bewertungen kommen, stünden widerstreitende Entscheidungen desselben Entscheidungsträgers im Raum. Die IBO weise in einem Merkblatt ausdrücklich auf die KMKVereinbarung zur Anerkennung des IB-Diploms hin. Zum Vortrag des Antragstellers sei zu berücksichtigen, dass § 11 Abs. 3 QualV lediglich zusätzliche Voraussetzungen benenne. Es sei auch verhältnismäßig, einheitliche Maßstäbe für den Hochschulzugang anzuwenden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag ist zulässig und begründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Eine einstweilige Anordnung ergeht, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des in der Hauptsache verfolgten materiellen Anspruchs, sowie eines Anordnungsgrundes, d.h. der Dringlichkeit der einstweiligen Anordnung glaubhaft (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO) gemacht wurde. Nimmt die begehrte einstweilige Anordnung die Entscheidung in der Hauptsache sachlich und zeitlich vorweg, ist dem Antrag nur dann stattzugeben, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (BVerwG, U.v.18.4.2013 – 10 C 9/12 – juris Rn. 22).
a) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist zulässig, insbesondere ist der Bescheid vom 12. Juli 2021 wegen der am … Juli 2021 hiergegen erhobenen Klage nicht bestandskräftig geworden.
b) Der Antrag ist begründet. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung über die Anerkennung seines Bildungsnachweises als Nachweis der Hochschulreife glaubhaft gemacht. Vorliegend ist im Hinblick auf den Zeitablauf eine vorläufige Regelung des Hochschulzugangs des Antragstellers dringlich.
aa) Die Entscheidung der TUM über die Anerkennung des IB-Diploms als Nachweis der Hochschulreife ist voraussichtlich ermessensfehlerhaft. Der Antragsteller hat voraussichtlich einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung über die Anerkennung seines IB-Diploms als Nachweis der Hochschulreife.
Nach Art. 43 Abs. 1 des Bayerischen Hochschulgesetzes (BayHSchG) vom 23. Mai 2006 (GVBl. S. 245, BayRS 2210-1-1-WK), zuletzt geändert durch Gesetz vom 9. April 2021 (GVBl. S. 182), wird die Qualifikation für ein Studium an einer Universität, das zu einem ersten berufsqualifizierenden Abschluss führt, durch die Hochschulreife nachgewiesen. Durch Rechtsverordnung wird bestimmt, durch welche Abschlüsse und Zeugnisse die Hochschulreife und Fachhochschulreife nachgewiesen werden (Art. 43 Abs. 7 BayHSchG).
Die hiernach erlassene Qualifikationsverordnung (QualV) vom 2. November 2007 (GVBl. S. 767, BayRS 2210-1-1-3-K/WK), zuletzt geändert durch Verordnung vom 11. Juni 2021 (GVBl. S. 355), sieht nach dem hier einschlägigen § 11 Abs. 1 Satz 1 vor, dass sonstige Bildungsnachweise, die im Ausland erworben wurden, als Nachweis der Hochschulreife im Freistaat Bayern nur gelten, wenn sie von der zuständigen Stelle anerkannt worden sind. Zuständige Stelle im Sinn von § 11 Abs. 1 Satz 1 QualV ist im Rahmen des Zulassungs- und/oder Immatrikulationsverfahrens die jeweilige Hochschule, vorliegend die TUM. Nach § 11 Abs. 3 QualV setzt die Anerkennung grundsätzlich voraus, dass die im Ausland erworbenen Bildungsnachweise ein Hochschulstudium im angestrebten Studiengang auch im Herkunftsland der Bildungsnachweise ermöglichen und Vorkenntnisse erwarten lassen, die eine Aufnahme des Studiums an einer Universität des Freistaates Bayern sinnvoll erscheinen lassen.
(1) Die TUM hat als nach § 11 Abs. 2 Satz 1 QualV als zuständige Stelle im Rahmen des Zulassungsverfahrens über die Anerkennung des IB-Diploms entschieden und nach eigenem Vortrag die ZAST nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 QualV beteiligt.
(2) Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass die Ermessensentscheidung über die Anerkennung des IB-Diploms des Antragstellers rechtsfehlerfrei erfolgt ist.
(a) Die dem Gericht vorliegenden Unterlagen erlauben keine hinreichenden Rückschlüsse auf eine etwaige Bewertung des Fachs ITGS im vom Antragsteller belegten „Higher Level“ durch die KMK.
Beschlüsse der KMK in Gestalt einer allgemein gehaltenen vorweggenommenen Begutachtung werden in der Rechtsprechung als antizipiertes Sachverständigengutachten behandelt. Von ihren tatsächlichen Feststellungen und Wertungen kann demgemäß grundsätzlich nur dann abgewichen werden, wenn diese auf methodisch zweifelhafte Art gewonnen oder sachlich überholt sind oder im Einzelfall Besonderheiten aufgetreten sind, die erkennbar nicht bedacht worden sind (vgl. VG Ansbach, U.v. 3.4.2021 – AN 2 K 19.1863 m.w.N.).
Die Bezugnahme auf einen derartigen KMK-Beschluss im Rahmen einer Ermessensentscheidung über die Anerkennung eines Bildungsnachweises setzt demgemäß zum einen voraus, dass im in Bezug genommenen KMK-Beschluss tatsächlich eine Aussage zum jeweiligen streitigen Aspekt getroffen wurde. Zum anderen muss im Streitfall, ggf. anhand von Unterlagen, auch für den Antragsteller und das Gericht nachvollziehbar sein, wie die KMK zu dieser Bewertung gelangt ist.
In der von der TUM in Bezug genommenen Vereinbarung über die Anerkennung des „International Baccalaureate Diploma/Diplôme du Baccalauréat International“ (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 10.03.1986 i.d.F. vom 26.11.2020 – im Folgenden: KMK-Vereinbarung-IB) sind die Voraussetzungen für die Anerkennungsfähigkeit des IB-Diploms als Hochschulzugangsqualifikation festgelegt. Die KMKVereinbarung-IB nennt in Nr. 1 als Voraussetzung der Anerkennung des IB-Diploms, dass es nach einem Besuch von mindestens zwölf aufsteigenden Jahrgangsstufen an Schulen mit Vollzeitunterricht erworben ist und die unter den Buchstaben a) bis e) genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Im Streit steht vorliegend allein die unter Buchstabe a), 4. Spiegelstrich genannte Voraussetzung, dass unter den sechs Prüfungsfächern des IB-Diploms „ein gesellschaftswissenschaftliches Fach (History, Geography, Economics, Psychology, Philosophy, Social Anthropology, Business and Management, Global Politics)“ sein muss.
Die TUM stützt sich zur Ablehnung der Anerkennung des IB-Diploms allein auf die fehlende Erwähnung des Fachs ITGS in der KMK-Vereinbarung-IB. Aus dem Wortlaut der KMK-Vereinbarung-IB ist jedoch nicht ersichtlich, dass das vom Antragsteller belegte Fach ITGS, Higher Level, Gegenstand der Überprüfung durch die KMK gewesen ist; Nr. 1 a) 4. Spiegelstrich der KMK-Vereinbarung-IB enthält nur eine Positiv-Liste von anerkannten Fächern. Ergänzende Unterlagen, die eine Überprüfung und abschlägige Entscheidung der KMK über das Fach ITGS belegen würden, liegen nicht vor und können nach der Stellungnahme der TUM zeitnah nicht beigebracht werden. Soweit die TUM ergänzend auf Nr. 4 der KMK-Vereinbarung-IB verweist, wonach die IBO die KMK kontinuierlich über eventuelle Änderungen der Abschlussprüfung unterrichte, ist darin das übliche Verfahren bei Änderungen der Abschlussprüfung geschildert; ein Beleg für eine vorgenommene Überprüfung eines bestimmten Fachs ist darin nicht zu sehen. Vor diesem Hintergrund kann jedenfalls derzeit aus dem Schweigen der KMKVereinbarung-IB zum Fach ITGS nicht sicher auf eine ablehnende Begutachtung der KMK geschlossen werden. Ebenso wenig ist nachvollziehbar, aus welchen Gründen die KMK eine etwaige abschlägige Entscheidung getroffen hätte.
(b) Ergänzende (eigene) Erwägungen der TUM als zuständiger Stelle zur Anerkennungsfähigkeit des Fachs ITGS sind den Akten und der telefonischen Aussage der TUM nach nicht erfolgt. Derartige Erwägungen sind vorliegend nicht entbehrlich.
Maßgeblich für die Entscheidung über die Anerkennung eines im Ausland erworbenen Bildungsnachweises ist die Wahrung der Chancengleichheit zwischen Studienbewerbern mit inländischer Hochschulzugangsberechtigung einerseits und Studienbewerbern mit im Ausland erworbenen Bildungsnachweisen.
Bei den in der KMK-Vereinbarung-IB niedergelegten Anforderungen bestehen demgemäß Bezüge etwa zur Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe und der Abiturprüfung (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 07.07.1972 i.d.F. vom 18.02.2021 – im Folgenden: KMK-Vereinbarung gymnasiale Oberstufe), die der Sicherung der Vergleichbarkeit der Abiturergebnisse inländischer Absolventen des Gymnasiums dient und in Nr. 4.2 Regelungen zu den Aufgabenfeldern und in Nr. 7.1 Vorgaben zur Fächerbelegung in der Qualifikationsphase trifft.
Die in Nr. 1 a) 4. Spiegelstrich der KMK-Vereinbarung-IB als gesellschaftswissenschaftliche Fächer anerkannten Fächer weisen ein relativ breites Spektrum auf und lassen sich insbesondere mit den Fächern „Psychology“, „Philosophy“ und „Social Anthropology“ vom Wortlaut her nicht mehr ohne weiteres „gesellschaftswissenschaftlichen Fächern“ zuordnen. Allerdings weist auch die Beschreibung des gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeldes in Nr. 4.2 KMK-Vereinbarung gymnasiale Oberstufe, wonach im gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeld „in entsprechenden Fächern historische, politische, soziale, geographische, wirtschaftliche, rechtliche und – je nach Länderregelung – auch philosophische, ethische oder religiöse Fragestellungen in länderspezifischem Fächerzuschnitt unterrichtet“ werden, eine größere Breite auf.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Anerkennung des Faches ITGS als gesellschaftswissenschaftliches Fach zumindest denkbar. Nach den diesbezüglichen Ausführungen des Antragstellers, die der Darstellung des Fachs im Internetauftritt der IBO (https://ibo.org/programmes/diplomaprogramme/curriculum/individualsandsocieties/informationtechnologyinaglobalsociety/) entsprechen, ermutigt das Fach die Schüler zu Einschätzungen zur Rolle der Informations- und Kommunikationstechnologien auf heutige Gesellschaften und basiert auf drei miteinander verbundenen Strängen, nämlich soziale und ethische Bedeutung, Anwendung auf vorgegebene Szenarien und IT-Systeme. Demgemäß haben soziale und ethische Fragestellungen, die nach der KMK-Vereinbarung gymnasiale Oberstufe als dem gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenbereich zugehörig anzusehen sind, zumindest einen wesentlichen Anteil an diesem Fach. Weiter ist aus der Beschreibung des Fachs ersichtlich, dass zwar ein Verständnis für Informations- und Kommunikationstechnologien vorausgesetzt wird, Gegenstand des Fachs jedoch deren Bedeutung und Auswirkungen in der Gesellschaft sind, was sich auch an der Einordnung des Fachs zum Bereich „Individuals and societies“ durch die IBO selbst zeigt. Zu berücksichtigen ist weiter, dass der Antragsteller das Fach im „Higher Level“ besucht hat und demgemäß auch soziale und ethische Fragestellungen in vertiefter Form behandelt hat. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass etwa mit dem IB-Diplom-Fach „Psychology“ ein Fach als „gesellschaftswissenschaftlich“ anerkannt ist, das ebenfalls deutliche Anteile am mathematischnaturwissenschaftlichtechnischen Aufgabenfeld hat.
Eine Entscheidung über die Anerkennungsfähigkeit des Fachs ITGS muss sich mit diesen Aspekten auseinandersetzen. Vorliegend hat eine derartige Auseinandersetzung nicht stattgefunden. Seitens der TUM und der ZAST wird lediglich auf die Nichterwähnung des Fachs in der KMK-Vereinbarung-IB verwiesen, ohne dass nachvollziehbar dargelegt wird, dass eine derartige Begutachtung tatsächlich stattgefunden hätte und aus welchen Gründen eine ablehnende Entscheidung der KMK getroffen worden wäre. Eine eigene Überprüfung der Anerkennungsfähigkeit des Fachs durch die TUM oder die ZAST ist nach den Ausführungen der TUM bislang ebenfalls nicht erfolgt. Die Ermessensentscheidung der TUM ist daher fehlerhaft.
(c) Soweit in § 11 Abs. 3 Halbsatz 1 QualV für die Anerkennung vorausgesetzt wird, dass die im Ausland erworbenen Bildungsnachweise ein Hochschulstudium im angestrebten Studiengang auch im Herkunftsland der Bildungsnachweise ermöglichen, hat der Antragsteller diese Anforderung mit den mit Schriftsatz vom *. Oktober 2021 vorgelegten Nachweisen glaubhaft gemacht.
Soweit nach § 11 Abs. 3 Halbsatz 2 QualV weiter gefordert ist, dass die im Ausland erworbenen Bildungsnachweise Vorkenntnisse erwarten lassen, die eine Aufnahme des Studiums an einer Universität des Freistaates Bayern sinnvoll erscheinen lassen, ist zu berücksichtigen, dass die KMK-Vereinbarung-IB die Anforderungen bezeichnet, bei deren Vorliegen das IB-Diplom als Hochschulzugangsqualifikation anerkannt wird. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass § 11 Abs. 3 Halbsatz 2 QualV keine darüber hinausgehenden Anforderungen aufstellt.
bb) Vorliegend erfolgt die vorläufige Zulassung des Antragstellers zum begehrten Studium unter vorläufiger Berücksichtigung seiner Bildungsnachweise als Nachweis der Hochschulreife im Hinblick auf die Dringlichkeit des glaubhaft gemachten Anordnungsanspruchs.
(1) Der Antrag betrifft, soweit es um die Berücksichtigung des IB-Diploms als Nachweis der Hochschulreife geht, eine Leistung, die das materielle Recht im Grundsatz in das Ermessen der Behörde stellt. Das Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung kann im Fall der Dringlichkeit Gegenstand einer Regelungsanordnung sein. In Fällen einer zulässigen Vorwegnahme der Hauptsache muss das Gericht selbst die erforderliche und bisher unterlassene oder nicht fehlerfrei vorgenommene Abwägung vornehmen (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 66)
Die vorläufige Regelung des Hochschulzugangs ist vorliegend dringlich im Hinblick auf den zeitlichen Ablauf des Semesters und darauf, dass das vom Antragsteller begehrte Studium lediglich im Wintersemester aufgenommen werden kann. Bei der vorzunehmenden Ermessensentscheidung ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem begehrten Studium nicht um einen zulassungsbeschränkten Studiengang handelt und dass nach den obigen Ausführungen eine Anerkennung des Fachs ITGS, Higher Level, als gesellschaftswissenschaftliches Fach denkbar erscheint. Nachdem der Antragsteller die weiteren Anforderungen in der KMK-Vereinbarung-IB ohne weiteres erfüllt, spricht viel dafür, dass er über Vorkenntnisse verfügt, die eine Aufnahme des Studiums an der TUM sinnvoll im Sinne des § 11 Abs. 3 QualV erscheinen lassen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass eine weitere Aufklärung der Anerkennungsfähigkeit des Fachs derzeit daran scheitert, dass nach Auskunft der TUM weitere Informationen hierzu nicht zeitnah beibringbar sind, und die TUM eigene Erwägungen hierzu nicht vorträgt.
(2) Der Antragsteller ist vorläufig zum begehrten Studiengang zum Wintersemester 2021/22 im 1. Fachsemester zuzulassen.
Bei vorläufiger Berücksichtigung der Bildungsnachweise des Antragstellers als Nachweis der Hochschulreife erreicht der Antragsteller in der ersten Stufe des Eignungsfeststellungsverfahrens mehr als 78 Punkte. Eine strikte Bindung an den Antrag besteht bei einstweiligen Anordnungen nach § 123 Abs. 1 VwGO nicht (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 63).
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 der Satzung über die Eignungsfeststellung für den Bachelorstudiengang … an der Technischen Universität München vom 26. April 2021 in der Fassung der Änderungssatzung vom 26. Juli 2021 (im Folgenden: EFS) setzt die Aufnahme des Bachelorstudiengangs … an der Technischen Universität München in das erste oder ein höheres Fachsemester eine besondere Qualifikation voraus.
(a) Der Antragsteller hat fristgerecht (§ 2 Abs. 2 EFS) unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen (§ 2 Abs. 4 EFS) die Zulassung beantragt.
(b) Nach § 5 Abs. 1 EFS wird im Rahmen der ersten Stufe des Eignungsfeststellungsverfahrens eine Bewertung durchgeführt aus den Kriterien Durchschnittsnote der Hochschulzugangsberechtigung (Nr. 1) und fachspezifische Einzelnoten (Nr. 2); studiengangdienliche außerschulische Qualifikationen bzw. Zusatzqualifikationen werden nach Maßgabe von § 5 Abs. 1 Nr. 3 EFS berücksichtigt.
Für den Antragsteller errechnet sich aus seiner Durchschnittsnote der Hochschulzugangsberechtigung nach Maßgabe von § 5 Abs. 2 Nr. 1 EFS i.V.m. der Umrechnungsformel nach Anlage 2 Nr. 3 EFS ein Punktwert von 100 – 60 x (42 – 40)/(42 – 24) = 93,33 (nach der Rundungsregelung in Anlage 2 Nr. 3 Satz 2 EFS 94 Punkte).
Aus den fachspezifischen Einzelnoten des Antragstellers in den Fächern Mathematik, Englisch, Physik und Chemie errechnet sich nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 und 6 EFS ein Wert von (3 x 7 + 1 x 5 + 2 x 7 +2 x 7) : 8 = 6,75. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 EFS i.V.m. der Umrechnungsformel nach Anlage 2 EFS ergibt sich daraus ein Punktwert von 100 – 60 x (7 – 6,75)/(7 – 4) = 95.
Die Gesamtbewertung der ersten Stufe der Eignungsfeststellung ergibt sich nach § 5 Abs. 2 Nr. 4 EFS als Summe der mit 0,5 multiplizierten Hochschulzugangsberechtigungs-Punkte und der mit 0,5 multiplizierten Punkte aus § 5 Abs. 2 Nr. 2 EFS sowie der Gesamtzahl der Zusatzpunkte aus § 5 Abs. 2 Nr. 3 EFS. Nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 EFS wird zugelassen, wer in der ersten Stufe 78 Punkte und mehr erreicht. Vorliegend ist dies beim Antragsteller allein aus der Summe der Punktwerte nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 und 2 EFS der Fall, so dass dahinstehen kann, ob und in welchem Umfang der Antragsteller über anerkennungsfähige einschlägige außerschulische Qualifikationen bzw. Zusatzqualifikationen nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 Nr. 3 EFS verfügt. Der Ausnahmefall des § 5 Abs. 1 Nr. 2 Satz 8 i.V.m. § 5 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 und 3 EFS ist vorliegend nicht gegeben.
2. Die Kosten sind nach § 154 Abs. 1 VwGO dem Antragsgegner aufzuerlegen.
Die Streitwertentscheidung richtet sich nach § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5, 18.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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