Verwaltungsrecht

Sozialgerichtsverfahren: Zur Zulässigkeit der Berufung

Aktenzeichen  L 12 KA 35/19

Datum:
12.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 13564
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 99, § 144 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Wird gegen das erstinstanzliche Urteil vollumfänglich Berufung eingelegt, ist für die Ermittlung des Beschwerdewertes auf den Gegenstandswert der Klage abzustellen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für das Vorliegen einer formellen Beschwer ist es jedenfalls nicht ausreichend, dass eine bestimmte Begründung begehrt wird. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Klageänderung setzt jedoch neben Einwilligung oder Sachdienlichkeit zunächst die Zulässigkeit der Berufung voraus. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 28 KA 230/18 2019-07-10 SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG München vom 10.07.2019, S 28 KA 230/18, wird als unzulässig verworfen.
II. Der Kläger hat auch die Kosten des Berufungsverfahren zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist unzulässig.
Sie ist schon nicht statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 Euro nicht übersteigt. Gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 Euro nicht übersteigt. Dieser Betrag wird nicht erreicht. Nachdem der Kläger vollumfänglich Berufung eingelegt hat, ist für die Ermittlung des Beschwerdewertes auf den Gegenstandswert der Klage abzustellen, den das SG mit Beschluss vom 10.7.2019 auf 485,26 Euro festgesetzt hat. Die Berufung betrifft auch weder wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr und das SG hat die Berufung auch nicht rechtswirksam zugelassen. Aus der dem Gerichtsbescheid angehängten Rechtsmittelbelehrungist ersichtlich, dass eine Berufung gegen den Gerichtsbescheid gesetzlich ausgeschlossen ist und auch nicht zugelassen wurde. Eine Auslegung oder Umdeutung der Berufung in eine Nichtzulassungsbeschwerde kommt nicht in Betracht, weil der Kläger ausdrücklich Berufung eingelegt hat und auch auf den mit Schreiben vom 21.8.2019 erfolgten Hinweis auf die Unstatthaftigkeit der Berufung mangels Erreichens der Berufungssumme keine Reaktion erfolgte.
Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels setzt neben der Statthaftigkeit zudem eine Beschwer (Rechtsschutzbedürfnis für die Rechtsmittelinstanz) des Rechtsmittelführers durch die angefochtene Entscheidung voraus. Auch für Rechtsmittel gilt der allgemeine Grundsatz, dass niemand die Gerichte grundlos oder für unlautere Zwecke in Anspruch nehmen darf. Beim Kläger reicht die formelle Beschwer – d.h. die angefochtene Entscheidung bleibt hinter dem Antrag zurück, versagt also (teilweise) das Begehrte. Diese ist auch dann gegeben, wenn dem Hauptantrag oder einem vorrangig gestellten Hilfsantrag nicht stattgegeben worden und der Kläger nur mit seinem Hilfsantrag bzw. einem nachrangig gestellten Hilfsantrag durchgedrungen ist. Ob eine Beschwer vorliegt, ist ggf. durch Auslegung des Tenors anhand der Gründe zu bestimmen (Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 143 SGG, RdNr. 15f.).
Vorliegend hat der Kläger beantragt, den angefochtenen Bescheid des Beklagten aufzuheben. Nach dem insoweit eindeutigen Tenor des Gerichtsbescheides vom 10.7.2019 erfolgte eine vollständige Aufhebung des Bescheides, ohne dem Beklagten die Gelegenheit zur Neuverbescheidung zu eröffnen. Damit ist dem Klagebegehren des Klägers vollumfänglich stattgegeben worden, so dass es für ein Rechtsmittel bereits an der formellen Beschwer fehlt. Der Kläger hat auch keine Gründe vorgetragen, inwieweit der Gerichtsbescheid hinter dem von ihm gestellten Antrag zurückgeblieben ist. Für das Vorliegen einer formellen Beschwer ist es jedenfalls nicht ausreichend, dass eine bestimmte Begründung begehrt wird (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 14. Aufl., § 54, Rn. 9).
Soweit der Kläger in der Berufungsinstanz beantragt hat, das Prüfungsverfahren, das Beschwerdeverfahren, das sozialgerichtliche Verfahren und das Berufungsverfahren für rechtsunzulässig zu erklären, ist dies als Klageerweiterung in der Berufungsinstanz zu werten. Nach § 99 Abs. 1 SGG ist eine Änderung der Klage nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Gemäß § 153 Abs. 1 SGG iVm. § 99 SGG ist eine Klageänderung grundsätzlich auch noch im Berufungsverfahren möglich. Der Beklagte hatte die Klageänderung abgelehnt. Die Klageänderung setzt jedoch neben Einwilligung oder Sachdienlichkeit zunächst die Zulässigkeit der Berufung voraus (Guttenberger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 99 SGG (Stand: 15.07.2017)). Da es vorliegend bereits an der Zulässigkeit der Berufung fehlt, kommt es auf die Frage, ob die Klageänderung sachdienlich war, nicht mehr an.
Ist die Berufung nicht statthaft oder aus anderen Gründen unzulässig, so ist sie als unzulässig zu verwerfen, § 158 Satz 1 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs. 2 VwGO.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 SGG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben