Verwaltungsrecht

Stellenbesetzung (Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht, R 3), Rücknahme einer Bewerbung, sachlicher Grund bei Abbruch eines Auswahlverfahrens (bejaht), inzidente Prüfung von Beurteilungen (verneint), Fehlen eines geeigneten Bewerbers

Aktenzeichen  AN 1 E 21.00421

Datum:
18.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 47177
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Art. 33 Abs. 2 GG
§ 91 VwGO analog

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrte im Wege der einstweiligen Anordnung zunächst, dass eine Stelle für einen Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht … (Besoldungsgruppe R 3) nicht mit einem Konkurrenten besetzt wird, nunmehr, dass das diesbezügliche Auswahlverfahren fortgesetzt wird.
Die am … 1969 geborene Antragstellerin steht im Dienste des Antragsgegners. Sie ist derzeit als Richterin am Arbeitsgericht (Besoldungsgruppe R 1) beschäftigt.
Auf einen Widerspruch gegen eine erste periodische dienstliche Beurteilung vom … 2020 hin wurde der Antragstellerin eine weitere dienstliche periodische Beurteilung vom … 2020 für den Beurteilungszeitraum vom 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2019 am … 2020 eröffnet. Diese weist in ihrem Gesamturteil 11 Punkte aus. Zudem wurde zu dem Punkt „Verwendungseignung“ festgestellt:
„Kammervorsitzende am Arbeitsgericht, Ständige Vertreterin des Direktors des Arbeitsgerichts (R 1 + AZ)“.
Die Beurteilung trägt bezüglich der Überprüfung gemäß Art. 60 Abs. 2 LlbG den Vermerk „Vom Ministerium abschließend überprüft und gebilligt. AMS vom 01.09.2020, …“, nachdem die geänderte Beurteilung mit Schreiben vom … 2020 nochmals dem Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales (nachfolgend: Staatsministerium) mit der Bitte um abschließende Überprüfung und Billigung von dem Präsidenten des Landesarbeitsgerichts … übermittelt wurde.
Gegen diese Beurteilung ließ die Antragstellerin durch ihre anwaltlichen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 26. August 2020 Widerspruch erheben, der mit Bescheid des Präsidenten des Landesarbeitsgerichts … vom 18. September 2020 zurückgewiesen wurde.
Über die hiergegen erhobene Klage (AN 1 K 20.02174) wurde bisher nicht entschieden.
In dem Verfahren AN 1 K 20.02174 machte die Antragstellerin hinsichtlich ihrer Beurteilung im Wesentlichen geltend, dass das Gesamturteil zu niedrig sei und ihr die Verwendungseignung als Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht zuzuerkennen sei.
Der am … 1977 geborene Beigeladene steht ebenfalls im Dienste des Antragsgegners. Er ist derzeit als Richter am Arbeitsgericht (Besoldungsgruppe R 1) beschäftigt. In seiner letzten dienstlichen periodischen Beurteilung vom … 2020, dem Beigeladenen am selben Tag eröffnet, wurde hinsichtlich der Verwendungseignung festgestellt:
„Kammervorsitzender am Arbeitsgericht, Direktor des Arbeitsgerichts (R 2), Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht (R 3)“.
Das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales (nachfolgend: Staatsministerium) veröffentlichte unter dem 16. September 2020 (BayMBl. 2020, Nr. 527) eine Stellenausschreibung mit folgendem Inhalt:
„Es ist demnächst eine mit BesGr R 3 bewertete Stelle für eine Vorsitzende Richterin/einen Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht … (m/w/d) neu zu besetzen.
Bis spätestens drei Wochen nach Veröffentlichung dieser Ausschreibung im Bayerischen Ministerialblatt können auf dem Dienstweg Bewerbungen beim Präsidenten des Landesarbeitsgerichts … eingereicht werden.
Bewerbungen von Frauen sind erwünscht (Art. 2 Abs. 1, Art. 7 Abs. 3 BayGlG). Auf das Antragsrecht zur Beteiligung der/des Gleichstellungsbeauftragten (Art. 18 Abs. 3 Satz 2 BayGlG) sowie auf die Möglichkeit der Gewährung von Teilzeit unter den gesetzlichen Voraussetzungen des BayRiStAG wird hingewiesen.
Schwerbehinderte Bewerberinnen/Bewerber werden bei ansonsten im Wesentlichen gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt. …“
Auf diese Stellenausschreibung hin gingen zwei Bewerbungen, die der Antragstellerin sowie des Beigeladenen, bei dem Präsidenten des Landesarbeitsgerichts … ein. Die Antragstellerin beantragte in Ihrem Bewerbungsschreiben vom … 2020 die Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten nach Art. 18 Abs. 3 Satz 2 BayGlG, da der Frauenanteil bei den … Kammern des Landesarbeitsgerichtes derzeit knapp 8% betrage.
In einem Schreiben an das Staatsministerium vom 27. Oktober 2020 schlug der Präsident des Landesarbeitsgerichts … vor, die ausgeschriebene Stelle mit dem Beigeladenen zu besetzen.
Das Staatsministerium wandte sich nach Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten mit Schreiben vom 16. November 2020 an den Vorsitzenden des Präsidialrats der Arbeitsgerichtsbarkeit (Beteiligung des Präsidialrats gemäß Art. 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Art. 46 BayRiStAG).
Es wurde mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, die ausgeschriebene Stelle nach Anhörung der nach § 36 ArbGG anzuhörenden Verbände sowie Einholung der notwendigen Zustimmung des Landespersonalausschusses (Ausnahme vom Verbot der Sprungbeförderung gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 LlbG) mit dem Beigeladenen zu besetzen. Er sei in der aktuellen periodischen Beurteilung 2020 mit einem Gesamturteil von 12 Punkten bewertet worden. Ferner sei hierbei wiederholt die uneingeschränkte Eignung für das Amt des Vorsitzenden Richters an einem Landesarbeitsgericht zuerkannt worden.
Der Antragstellerin sei in der periodischen Beurteilung 2020 hingegen das Gesamturteil 11 Punkte zuerkannt worden. Darüber hinaus verfüge sie nicht über die für das zu besetzende Amt erforderliche Verwendungseignung. Der Ausgang des anhängigen verwaltungsgerichtlichen Streitverfahrens müsse nicht abgewartet werden (BayVGH vom 28.8.1995 – 3 CE 95.409, vom 22.2.1995 – 3 CE 94.4077 und vom 17.2.1994 – 3 CE 93.3651).
Nach dem Grundsatz der Bestenauslese gebühre dem Beigeladenen somit der Vorrang.
Das Staatsministerium teilte der Antragstellerin mit einem Schreiben vom 12. Januar 2021 mit, dass beabsichtigt sei, die ausgeschriebene Stelle mit dem Beigeladenen zu besetzen. Die Gleichstellungsbeauftragte des Staatsministeriums habe dieser Auswahlentscheidung zugestimmt.
Nach einer Akteneinsicht am 29. Januar 2021 teilte die Antragstellerin dem Staatsministerium mit E-Mail vom 13. Februar 2021 mit, dass sie der Stellenbesetzung mit dem Beigeladenen widerspreche.
Am 4. März 2021 fand auf Wunsch der Antragstellerin ein Gespräch bei dem Staatsministerium statt.
Die anwaltlichen Bevollmächtigten der Antragstellerin beantragten zunächst mit Schreiben vom 9. März 2021, am selben Tag per Fax bei Gericht eingegangen,
dem Antragsgegner durch einstweilige Anordnung zu untersagen, die am 16. September 2020 ausgeschriebene Stelle einer Vorsitzenden Richterin/eines Vorsitzenden Richters am Landesarbeitsgericht … mit dem Richter am Arbeitsgericht … zu besetzen, solange nicht über die Bewerbung der Antragstellerin bestandskräftig entschieden ist.
Der Antragsgegner beantragte mit Schreiben vom 12. März 2021,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Es wurde zugesichert, dass die streitgegenständliche Stelle bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Eilantrag nicht besetzt würde.
Eine notwendige Beiladung erfolgte mit Beschluss vom 15. März 2021.
Mit Schreiben vom 29. April 2021 wurde der Antrag begründet. Die Beurteilungen der Antragstellerin und des Beigeladenen seien rechtswidrig.
Bezüglich der Beurteilung der Antragstellerin werde auf die Ausführungen in dem Verfahren AN 1 K 20.02174 verwiesen. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass der Beurteiler keine nachvollziehbare Grundlage für die Beurteilung der Antragstellerin habe. Zudem sei fraglich, ob der Beigeladene über die erforderliche gesundheitliche Eignung verfüge. Überdies erfolge in Widerspruch zu Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG eine Benachteiligung von Frauen.
Der Präsident des Landesarbeitsgerichts teilte dem Staatsministerium mit Schreiben vom 25. Mai 2021 mit, dass der Beigeladene seine Bewerbung zurückgezogen habe. Es wurde daher vorgeschlagen, das Auswahlverfahren zu beenden und die Stelle neu auszuschreiben. Eine Aktualisierung des Bewerberkreises diene auch dem Zweck, die bestmögliche Besetzung der Stelle zu erreichen.
Das Staatsministerium teilte daraufhin dem Gericht mit Schreiben vom 8. Juni 2021 mit, dass eine neue Situation eingetreten sei. Der Beigeladene habe seine Bewerbung zurückgezogen. Es werde daher von einer Ernennung des Beigeladenen abgesehen.
Das Auswahlverfahren werde abgebrochen, da die Antragstellerin nicht über die erforderliche Verwendungseignung verfüge und weitere Bewerbungen nicht vorliegen würden. Die Beendigung des Auswahlverfahrens berühre grds. nicht die Rechtsstellung der Antragstellerin (BVerwG, U.v. 25.4.1996 – 2 C 21/95). Mit dem Abbruch würden die zuvor entstandenen Bewerbungsverfahrensansprüche der Antragstellerin erlöschen (OVG Koblenz, B.v. 6.11.1997 – 10 B 12387/97).
Die streitgegenständliche Stelle werde zu gegebener Zeit erneut ausgeschrieben.
Ansonsten werde im Wesentlichen auf den Inhalt des Widerspruchbescheides verwiesen.
In einem als Anlage beigefügten Schreiben vom 8. Juni 2021 teilte das Staatsministerium der Antragstellerin mit, dass mangels Verwendungseignung für die ausgeschriebene Stelle und dem Fehlen weiterer Bewerbungen das Auswahlverfahren abgebrochen werde. Zu gegebener Zeit erfolge eine erneute Ausschreibung.
Die anwaltlichen Bevollmächtigten der Antragstellerin teilten mit Schreiben vom 18. Juni 2021 mit, dass sich die Hauptsache durch Rücknahme der Bewerbung des Beigeladenen erledigt habe. Der Abbruch des Auswahlverfahrens sei jedoch unwirksam. Es werde daher nunmehr beantragt,
den Antragsgegner durch einstweilige Anordnung aufzugeben, das Verfahren zur Besetzung der am 16. September 2020 ausgeschriebenen Stelle einer Vorsitzenden Richterin/eines Vorsitzenden Richters am Landesarbeitsgericht … fortzusetzen.
An dem Verfahren über diesen Antrag sei der Beigeladene nicht zu beteiligen.
Der Antragsgegner beziehe sich auf die dienstliche Beurteilung der Antragstellerin zum Stichtag 31. Dezember 2019, mit der eine Verwendungseignung für die zu besetzende Stelle nicht festgestellt worden sei. Diese Beurteilung sei rechtswidrig, insbesondere, weil man der Antragstellerin die Verwendungseignung für das Amt einer Vorsitzenden Richterin am Landesarbeitsgericht vorenthalten habe. Es stelle keinen sachlichen Grund für einen Abbruch dar, wenn auf eine rechtswidrige dienstliche Beurteilung abgestellt werde.
Der Antragsgegner legte mit Schreiben vom 29. Juni 2021 die weiter angefallenen Behördenakten vor und beantragte,
den Antrag der Gegenseite zurückzuweisen.
Es läge ein sachlicher Grund für den Abbruch des Auswahlverfahrens vor, da die Antragstellerin nicht über die für das zu vergebende Amt erforderliche Verwendungseignung verfüge und somit kein geeigneter Bewerber vorhanden sei.
Durch eine erneute Ausschreibung könne man eine hinreichende Zahl geeigneter und leistungsstarker Bewerber gewinnen. Der Ausgang der Verwaltungsstreitsache AN 1 K 20.02174 müsse nicht abgewartet werden, zumal durch die erhebliche Zeitdauer der Vakanz der ausgeschriebenen Stelle ein drohender Stillstand der Rechtspflege nicht mehr zu vertreten wäre.
Die anwaltlichen Bevollmächtigten der Antragstellerin erwiderten mit Schreiben vom 12. Juli 2021 und hoben nochmals hervor, dass der Antragstellerin zu Unrecht die Eignung als Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht vorenthalten worden sei. Die Beurteilung der Antragstellerin sei im gerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu überprüfen.
Mit Beschluss vom 18. November 2021 wurde die notwendige Beiladung wieder aufgehoben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag nach § 123 VwGO ist ausschließlich gegen den Abbruch des Auswahlverfahrens gerichtet.
Die Antragstellerin begehrte zunächst die Freihaltung der Stelle einer Vorsitzenden Richterin am Landesarbeitsgericht. Nachdem der Antragsgegner aufgrund der zurückgezogenen Bewerbung des Beigeladenen erklärte, dass er das Auswahlverfahren abbreche und zu einem späteren Zeitpunkt eine erneute Stellenausschreibung beabsichtige, reagierte die Antragstellerin darauf und begehrte mit Schreiben vom 18. Juni 2021 die Fortsetzung des Auswahlverfahrens.
Die Kammer geht in analoger Anwendung von § 91 Abs. 1 VwGO davon aus, dass eine zulässige Antragsänderung vorliegt. Da der Antragsgegner das Auswahlverfahren abgebrochen hat, musste die Antragstellerin hierauf prozessual reagieren und ihren Antrag auf Fortsetzung des Auswahlverfahrens abändern. Dies ist sachdienlich. Zudem hat sich der Antragsgegner rügelos auf die Änderung des Antrages eingelassen, § 91 Abs. 2 VwGO analog.
Somit hat das Gericht ausschließlich über den nunmehr gestellten Antrag vom 18. Juni 2021 zu entscheiden, da das ursprüngliche Antragsbegehren durch das neue Antragsbegehren ersetzt wurde (Peters/Kujath in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 91 Rn. 72).
Der so verstandene zulässige Antrag ist unbegründet. Für die Antragstellerin besteht zwar ein Anordnungsgrund, jedoch fehlt es an einem Anordnungsanspruch.
Effektiver Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) gegen den unberechtigten Abbruch eines Auswahlverfahrens kann nur im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erlangt werden. Die Antragstellerin begehrt die zeitnahe Fortführung des begonnenen Auswahlverfahrens mit dem bestehenden Bewerberkreis. Dies kann selbst im Erfolgsfall durch eine Hauptsacheklage nicht erreicht werden (BayVGH, B.v. 8.7.2011 – 3 CE 11.859 – juris Rn. 22). Der Anordnungsgrund für einen Antrag nach § 123 VwGO ergibt sich daher aus dem Inhalt des Rechtsschutzbegehrens, das auf eine sofortige Verpflichtung des Dienstherrn gerichtet ist und daher bereits aus strukturellen Gründen nur im Wege des Eilrechtsschutzes verwirklicht werden kann (BVerwG, U.v. 3.12.2014 – 2 A 3/13 – juris).
Stellt ein Bewerber nicht innerhalb eines Monats nach Zugang der Abbruchmitteilung einen Antrag nach § 123 VwGO, darf der Dienstherr grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Bewerber den Abbruch des Auswahlverfahrens nicht angreift, sondern sein Begehren im Rahmen einer neuen Ausschreibung weiterverfolgt. Die Monatsfrist ist an dem für Beamte generell geltenden Rechtsmittelsystem orientiert (vgl. § 126 Abs. 2 BBG bzw. § 54 Abs. 2 BeamtStG, § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und ausreichend, um eine zeitnahe Klärung darüber herbeiführen zu können, ob der Bewerber eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO gegen den Abbruch des Auswahlverfahrens beantragen will (BayVGH, B.v. 13.11.2020 – 3 CE 20.2213 – juris Rn. 4).
Die Antragstellerin hat innerhalb der Monatsfrist ihren ursprünglichen Antrag nach § 123 VwGO dahingehend geändert, dass das Auswahlverfahren fortzusetzen sei. Insoweit hat die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner ausreichend deutlich gemacht, dass er nicht darauf vertrauen kann, dass sie den Abbruch des Auswahlverfahrens nicht angreift.
Ein Anordnungsgrund liegt daher vor.
Zugunsten der Antragstellerin besteht jedoch kein Anordnungsanspruch, da der Antragsgegner das Auswahlverfahren zu Recht aus einem sachlichen Grund abgebrochen hat.
Nach der von dem Bundesverfassungsgericht gebilligten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt dem Dienstherrn hinsichtlich der Beendigung eines eingeleiteten Bewerbungs- und Auswahlverfahrens zwar ein weites organisations- und verwaltungspolitisches Ermessen zu (BVerfG, B.v. 12.7.2011 – 1 BvR 1616/11 – juris Rn. 24). Dabei ist allerdings dem aus Art. 33 Abs. 2 GG abgeleiteten Bewerbungsverfahrensanspruch auch bei der Entscheidung über den Abbruch eines laufenden Auswahlverfahrens Rechnung zu tragen. Deshalb erfordert der Abbruch, durch den sich maßgeblich die Zusammensetzung des Bewerberkreises steuern lässt, die Darlegung eines sachlichen Grundes.
Wird der Abbruch eines Auswahlverfahrens diesen Anforderungen nicht gerecht, so darf von Verfassungs wegen keine Neuausschreibung erfolgen, da andernfalls die Bewerber des ursprünglichen Auswahlverfahrens durch eine Auswahlentscheidung in einem neuen Auswahlverfahren in ihrem Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt werden. Bei einem Abbruch kann deshalb jeder Bewerber eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO mit dem Ziel anstreben, den Dienstherrn zur Fortsetzung des Auswahlverfahrens zu verpflichten, um so zu verhindern, dass die Stelle ohne tragfähigen Grund nochmals ausgeschrieben wird (BVerfG, B.v. 28.11.2011 – 2 BvR 1181/11 – juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 15.2.2016 – 3 CE 15.2405 – juris Rn. 67; BayVGH, B.v. 5.2.2019 – 3 CE 18.2608 – juris Rn. 19).
In formeller Hinsicht müssen die Bewerber von dem Abbruch rechtzeitig und in geeigneter Form Kenntnis erlangen. Der Dienstherr muss unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er das Auswahlverfahren ohne Stellenbesetzung endgültig beenden will. Der für den Abbruch maßgebliche Grund muss, sofern er sich nicht evident aus dem Vorgang selbst ergibt, schriftlich dokumentiert werden (BVerfG, B.v. 28.11.2011 – 2 BvR 1181/11 – juris Rn. 23; BVerwG, U.v. 3.12.2014 – 2 A 3/13 – juris Rn. 20). Die Bewerber sollen hierdurch in die Lage versetzt werden, etwa auch anhand von Akteneinsicht darüber befinden zu können, ob Rechtsschutz in Anspruch genommen werden soll, weil die Entscheidung des Dienstherrn ihren Bewerbungsverfahrensanspruch berührt. Darüber hinaus verschafft erst die Dokumentation des wesentlichen Grundes für den Abbruch des Auswahlverfahrens auch dem Gericht die Möglichkeit einer Überprüfung (BayVGH, B.v. 5.2.2019 – 3 CE 18.2608 – juris Rn. 20). Eine (vorweggenommene) Bezugnahme auf spätere „Konkretisierungen“ im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, scheidet schon deshalb aus, weil die Abbruchgründe bereits im maßgeblichen Zeitpunkt des Abbruchs vorliegen und dargetan sein müssen, denn andernfalls wäre der Bewerber mangels schriftlicher Fixierung der wesentlichen Abbrucherwägungen nicht in der Lage, sachgerecht über die Frage der Inanspruchnahme von Rechtsschutz im Hinblick auf seinen Bewerbungsverfahrensanspruch zu entscheiden (BVerfG, B.v. 9.7.2007 – 2 BvR 206/07 – juris Rn. 21; BVerwG, U.v. 3.12.2014 – 2 A 3/13 – juris Rn. 34; BayVGH, U.v. 5.2.2019 – 3 CE 18.2608 – juris Rn. 30).
Maßgeblich ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Abbruchs des Auswahlverfahrens am 8. Juni 2021 abzustellen (BayVGH, B.v. 5.11.2015 – 3 CE 15.1606 – juris Rn. 25).
Diesen Anforderungen wurde vorliegend Genüge getan. Der Antragsgegner teilte der Antragstellerin in seinem Schreiben vom 8. Juni 2021 mit, dass nach der Zurücknahme der Bewerbung des Beigeladenen die Antragstellerin nicht über die entsprechende Verwendungseignung verfüge und weitere Bewerbungen nicht vorlägen. Das Verfahren werde daher abgebrochen und eine erneute Ausschreibung erfolge zu gegebener Zeit. Ergänzend führte er in seinem an das Gericht adressierten Schreiben vom 29. Juni 2021 aus, dass der Dienstherr ein Auswahlverfahren abbrechen könne, wenn eine erneute Ausschreibung erforderlich werde, um eine hinreichende Anzahl geeigneter und leistungsstarker Bewerber zu erhalten, was hier der Fall sei.
Der Antragsgegner hat der Antragsstellerin bereits in seinem Schreiben vom 8. Juni 2021 die maßgeblichen Gründe für den Abbruch des Auswahlverfahrens mitgeteilt; die Antragstellerin verfüge nicht über die erforderliche Verwendungseignung und sonst seien keine weiteren Bewerber mehr vorhanden. Damit wurde klar zum Ausdruck gebracht, dass der Abbruch mangels geeigneter Bewerber erfolgte und deshalb eine Neuausschreibung erfolgen soll. Der Antragstellerin wurden damit die wesentlichen Abbruchgründe mitgeteilt, wobei diese auch schriftlich dokumentiert wurden (BayVGH, B.v. 5.11.2015 – 3 CE 15.1606 – juris Rn. 25).
Auch wenn dies nicht explizit angesprochen wurde, so hat der Antragsgegner doch in ausreichender Weise zu erkennen gegeben, dass durch die Neuausschreibung weitere Bewerber (mit entsprechender Verwendungseignung) gewonnen werden sollen, da eine solche ansonsten keinen Sinn machen würde.
Demnach wurden der Antragstellerin die maßgeblichen Gründe bereits in dem Schreiben vom 8. Juni 2021 mitgeteilt, weshalb es auf den Inhalt das Schreibens vom 29. Juni 2021 nicht mehr ankommt und dieses auch nicht in unzulässiger Weise ein Nachschieben eines Grundes darstellt. Die Kammer sieht hierin lediglich eine klarstellende Ergänzung, die aber an den maßgeblichen Gründen nichts geändert hat.
Die Antragstellerin wurde somit durch das Schreiben vom 8. Juni 2021 über die dem Abbruch zugrundeliegenden Gründe ausreichend informiert und hat dies rechtzeitig gerügt.
Auch in materieller Hinsicht bestehen keine Bedenken gegen die Entscheidung des Antragsgegners, das Auswahlverfahren abzubrechen, da ein sachlicher Grund hierfür vorliegt.
Ein sachlicher Grund für den Abbruch eines Auswahlverfahrens, der den Vorgaben aus Art. 33 Abs. 2 GG genügt (BVerfG, B.v. 28.2.2007 – 2 BvR 2494/06 – juris Rn. 6 f.), kann sein, wenn das Auswahlverfahren fehlerhaft ist und nicht mehr zu einer ordnungsgemäßen Auswahlentscheidung führen kann oder wenn eine erneute Ausschreibung erforderlich wird, um eine hinreichende Anzahl leistungsstarker Bewerber zu erhalten (BVerwG, U.v. 29.11.2012 – 2 C 6.11 – juris Rn. 17). Es ist in der Rechtsprechung auch anerkannt, dass es einen sachlichen Grund darstellt, wenn sich der Dienstherr entschließt, mit dem Ziel der bestmöglichen Besetzung der Beförderungsstelle einen breiteren Interessentenkreis anzusprechen, weil er den einzigen Bewerber nicht uneingeschränkt für geeignet hält (BayVGH, B.v. 15.2.2016 – 3 CE 15.2405 – juris Rn. 70).
Genügt die Abbruchentscheidung diesen Vorgaben nicht, ist sie unwirksam und das in Gang gesetzte Auswahlverfahren nach dessen Maßgaben fortzuführen. Eine Neuausschreibung darf dann nicht erfolgen (BVerfG, B.v. 28.4.2005 – 1 BvR 2231/02 – juris Rn. 43, B.v. 28.11.2011 – 2 BvR 1181/11 – juris Rn. 22).
Nachdem der Beigeladene seine Bewerbung zurückgezogen hat, hatte der Antragsgegner lediglich noch die Bewerbung der Antragstellerin zu berücksichtigen. Deren Beurteilung enthielt aber keine Verwendungseignung für die ausgeschriebene Stelle.
Der Antragsgegner hat in seinem Schreiben vom 8. Juni 2021 klar geäußert, dass der Antragstellerin die erforderliche Verwendungseignung fehlt und der Beigeladene, der seine Bewerbung zwischenzeitlich zurückgezogen hat, nicht für eine Stellenbesetzung zur Verfügung steht. Da für den Antragsgegner somit keine geeigneten Bewerber für die Besetzung der ausgeschriebenen Stelle vorhanden waren, erfolgte der Abbruch des Auswahlverfahrens aus einem sachlichem Grund.
Es ist hierbei auch nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner trotz der noch anhängigen Klage gegen die dienstliche periodische Beurteilung der Antragstellerin (AN 1 K 20.02174) von deren fehlender Verwendungseignung ausging.
Im Rahmen der Abbruchentscheidung kommt es darauf an, ob die Voraussetzungen für einen Abbruch des Auswahlverfahrens vorliegen, nicht jedoch, wer der am besten geeignete Bewerber ist. Aus dem unterschiedlichen Prüfungsmaßstab wird deutlich, dass eine Überprüfung der Einwände gegen eine dienstliche Beurteilung nicht stattfindet (BayVGH, B.v. 5.11.2015 – 3 CE 15.1606 – juris Rn. 26). Dies gilt sogar dann, wenn erstinstanzlich eine entsprechende Verwendungseignung festgestellt worden ist, hiergegen aber Rechtsmittel durch den Antragsgegner eingelegt wurden (BayVGH, B.v. 5.11.2015 – 3 CE 15.1606 – juris Rn. 25). Somit konnte der Antragsgegner trotz des noch rechtshängigen Verfahrens gegen die dienstliche Beurteilung der Antragstellerin von einer fehlenden Verwendungseignung ausgehen. Eine inzidente Prüfung der Beurteilung der Antragstellerin war daher nicht mehr erforderlich.
Der Antragsgegner konnte daher das Auswahlverfahren abbrechen, da kein Bewerber vorhanden ist, der seinen Erwartungen entspricht und über die erforderliche Verwendungseignung für die Stelle eines Vorsitzenden Richters am Landesarbeitsgericht verfügt.
Der Antrag war daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Maßgeblich für die Bestimmung des Streitwerts ist bei Austausch des Klagegegenstandes der geänderte Streitgegenstand (Peters/Kujath in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 91 Rn. 76).
Im hier vorliegenden Antragsverfahren ist daher der Streitwert für einen Abbruch des Auswahlverfahrens maßgeblich, § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Der Ansatz des Regelstreitwertes ist angemessen, weil der Antrag nur auf die Fortsetzung des Auswahlverfahrens, nicht jedoch bereits auf die Vergabe des Dienstpostens gerichtet ist. Eine Halbierung des Streitwerts scheidet ungeachtet des Umstandes, dass es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, schon deshalb aus, weil allein der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für das Begehren auf Fortführung des abgebrochenen Auswahlverfahrens in Betracht kommt (BayVGH, B.v. 13.11.2020 – 3 CE 20.2213 – juris Rn. 12; VG Würzburg, B.v. 15.9.2020 – W 1 E 20.1083 – juris Rn. 38; VG München, B.v. 20.12.2019 – M 5 E 19.2951 – juris Rn. 49).


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