Aktenzeichen 6 ZB 21.1543
KAG Art. 5a Abs. 7 S. 1
Leitsatz
Verfahrensgang
Au 2 K 20.946 2021-04-22 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 22. April 2021 – Au 2 K 20.946 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 139.967,00 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen‚ hat keinen Erfolg.
Der klagende Markt verlangt von dem beklagten Freistaat Bayern die Erstattung von entgangenen Straßenausbaubeiträgen nach Art. 19 Abs. 9 Satz 1 KAG für die 2015/2016 durchgeführten Straßenbaumaßnahmen an der „R. Straße Nord“ in Höhe von 139.967,00 €. Die Regierung von Schwaben lehnte den Erstattungsantrag mit Bescheid vom 5. Mai 2020 ab. Sie war der Auffassung, die Straßenbaumaßnahmen fielen in den Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrecht, weshalb eine Erstattung von Beitragsausfällen wegen Abschaffung der Straßenausbaubeiträge durch den Gesetzgeber zum 1. Januar 2018 ausgeschlossen sei. Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht für unbegründet erachtet und abgewiesen.
Die Zulassungsgründe, die von dem Kläger innerhalb der Zwei-Monats-Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil geltend gemacht worden sind und auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Dieser Zulassungsgrund läge vor, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 23.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
Nach Art. 19 Abs. 9 Satz 1 KAG erstattet der Freistaat Bayern den Gemeinden auf Antrag diejenigen Beträge, die ihnen unmittelbar dadurch entgehen, dass sie infolge der Änderungen des Kommunalabgabengesetzes zum 1. Januar 2018 Beiträge für Straßenausbaubeitragsmaßnahmen sowie wiederkehrende Beiträge für Verkehrsanlagen nicht mehr erheben können. Mit diesem Erstattungsanspruch will der Gesetzgeber den Gemeinden unter den in Art. 19 Abs. 9 KAG im Einzelnen geregelten Voraussetzungen die Beitragsausfälle ausgleichen, die diesen im Zuge der Abschaffung der Straßenausbaubeiträge durch Änderungsgesetz vom 26. Juni 2018 (GVBl 449) unmittelbar entstanden sind (vgl. LT-Drs. 17/21586 S. 2, 10 ff.).
Entgangen können einer Gemeinde nur solche Beträge sein, für die die sachlichen Straßenausbaubeitragspflichten nach der bis 31. Dezember 2017 geltenden Rechtslage (einschließlich der örtlichen Beitragssatzung) bereits entstanden waren oder nach dem Stichtag – ohne Gesetzesänderung – entstanden wären. Demnach kommt ein Erstattungsanspruch nach Art. 19 Abs. 9 Satz 1 KAG nicht in Betracht, wenn die Straßenbaumaßnahme, für die eine Gemeinde staatliche Ausgleichsleistung für die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge verlangt, nach Maßgabe der bis 31. Dezember 2017 geltenden Rechtslage nicht in den Anwendungsbereich des Straßenausbaubeitragsrechts (Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG a.F.) fällt, sondern in denjenigen des – spezielleren, mithin vorrangigen (BayVGH, U.v. 19.7.2017 – 6 B 17.189 – BayVBl. 2018, 487 Rn. 26) – Erschließungsbeitragsrechts (Art. 5a KAG).
Hiervon ausgehend ist das Verwaltungsgericht mit überzeugender Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass die 2015/2016 durchgeführten Baumaßnahmen an der „R. Straße Nord“ dem Erschließungsbeitragsrecht zuzuordnen sind und deshalb ein Erstattungsanspruch wegen Abschaffung der Straßenausbaubeiträge ausscheidet. Der Senat teilt die Ansicht der Vorinstanz, dass die „R. Straße Nord“ weder eine bei Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 vorhandene Erschließungsanlage im Sinn von Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG (früher § 242 Abs. 1 BauGB) darstellt (a) noch nach diesem Zeitpunkt bis zu den in Rede stehenden Straßenbaumaßnahmen als Erschließungsanlage endgültig hergestellt worden ist (b) und deshalb noch dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts unterfällt. Die Einwände des Klägers werfen keine Zweifel auf, denen in einem Berufungsverfahren weiter nachzugehen wäre.
a) Eine vorhandene (historische) Straße, die nach Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG (früher § 242 Abs. 1 BauGB) dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts entzogen ist und mithin Gegenstand von Erstattungsansprüchen nach Art. 19 Abs. 9 Satz 1 KAG sein kann, liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 Erschließungsfunktion besessen hat und für diesen Zweck endgültig hergestellt war (vgl. BayVGH, B.v. 9.3.2021 – 6 ZB 21.20 – juris Rn. 7; B.v. 18.8.2017 – 6 ZB 17.840 – juris Rn. 13 m.w.N.). Beide Voraussetzungen hat das Verwaltungsgericht mit überzeugender Begründung verneint.
Erschließungsfunktion in – wie hier – unbeplanten Gebieten erhielt eine Straße nicht schon dadurch, dass vereinzelt Grundstücke an ihr bebaut wurden, sondern erst, wenn an ihr eine gehäufte Bebauung einsetzte, d. h. wenn – bei Anlegung heutiger Maßstäbe – zumindest für eine Straßenseite eine Innenbereichslage im Sinn von § 34 Abs. 1 BBauG/BauGB anzunehmen war. Das verlangt, dass die maßgeblichen Grundstücke in einem Bebauungszusammenhang lagen, der einem Ortsteil angehörte (BayVGH, U.v. 22.7.2010 – 6 B 09.584 – juris Rn. 37 m.w.N.). Das war im Juni 1961 (noch) nicht der Fall, wie das Verwaltungsgericht unter Verwertung der bei den Akten befindlichen Unterlagen überzeugend festgestellt hat. Die „R. Straße Nord“, eine etwa 280 m lange Stichstraße entlang der Trettach, verlief bis zu diesem Zeitpunkt beidseitig im Außenbereich und diente insbesondere als Anbindung der 1959 an ihrem Ende errichteten Kläranlage an das weiterführende Straßennetz. Die Kläranlage ist für die Frage eines Bebauungszusammenhangs unerheblich, weil unter den Begriff der Bebauung im Sinn von § 34 Abs. 1 BBauG/BauGB nicht sämtliche baulichen Anlagen fallen, sondern grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen (BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275 Rn. 15). Deshalb kann in Richtung Südosten auch nicht lediglich von einer „Baulücke“ die Rede sein. Zur Einmündung in die R. Straße hin mögen zwar 1961 bereits vereinzelt Wohnhäuser gestanden haben. Abgesehen davon, dass diese verkehrsmäßig im Wesentlichen durch die heutige „R. Straße Süd“ erschlossen gewesen sein dürften, bildeten diese im fraglichen Bereich jedenfalls keinen Bebauungszusammenhang.
Selbst wenn die „R. Straße Nord“ bereits im Juni 1961 Erschließungsfunktion besessen haben sollte, sind weder dem Zulassungsvorbringen noch den Akten stichhaltige Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass sie für diesen Zweck endgültig hergestellt war (zu den Anforderungen im Einzelnen: Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 1 Rn. 41 ff. m.w.N.). Der Kläger selbst ist ausweislich einer Vormerkung für eine Sitzung des Bauausschusses am 23. April 2015 von „nachweislich fehlendem frostsicherem Unterbau“ und „fehlender Straßenentwässerung“ ausgegangen (Bl. 10 der Behördenakte).
b) Die „R. Straße Nord“ war nach dem 30. Juni 1961 bis zur Durchführung der in Rede stehenden Straßenbaumaßnahmen in den Jahren 2015/2016 auch nicht nach den erschließungsbeitragsrechtlichen Vorschriften „endgültig hergestellt“ (Art. 5a KAG i.V.m. § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB) und deshalb nicht aus dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts entlassen.
Wie das Verwaltungsgericht überzeugend ausgeführt hat, fehlte es an einer durchgehenden, für Erschließungszwecke funktionsfähigen Entwässerungseinrichtung, wie sie die Erschließungsbeitragssatzungen des Klägers von Anfang an als Herstellungsmerkmal verlangten. Dem hält der Zulassungsantrag nichts Stichhaltiges entgegen. Das bloße „Versickernlassen des Niederschlagswassers in den unbefestigten Seitenbereich“ Richtung Trettach auf einer erheblichen Teillänge mag nach technischen Regelwerken möglich gewesen sein, erfüllt aber aus den vom Verwaltungsgericht dargelegten Gründen nicht das erschließungsbeitragsrechtliche Herstellungsmerkmal „Entwässerung“, das eine von der Teileinrichtung „Fahrbahn“ gesonderte technische Einrichtung zur gezielten Lenkung und Ableitung des Straßenoberflächenwasser verlangt (vgl. BayVGH, B.v. 15.11.2018 – 6 ZB 18.1516 – juris Rn. 9). Eine solche war – unzweifelhaft – nicht angelegt.
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Die aufgeworfenen Fragen lassen sich aus den oben dargelegten Gründen ohne weiteres im Sinn des Verwaltungsgerichts beantworten.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).