Verwaltungsrecht

Straßenausbaubeitragsrecht, Öffentliche Einrichtung, Ortsstraße, Widmung (als Gemeindeverbindungsstraße)

Aktenzeichen  6 ZB 21.739

Datum:
28.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 10654
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG (in der bis 31.12.2017 geltenden Fassung) Art. 5 Abs. 1 S. 3
BayStrWG Art. 6
BayStrWG Art. 46 Nr. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

Au 2 K 19.738 2021-01-14 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 14. Januar 2021 – Au 2 K 19.738 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 2.087,34 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen‚ bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe greifen nicht durch.
Der beklagte Markt führte im Jahr 2015 im Ortsteil J … Straßenbaumaßnahmen durch, wobei die Fahrbahnen erneuert, die Straßenbeleuchtung verbessert und die Straßenentwässerung saniert wurden. Für den Ausbau der Straße „J … A …“ zog er auf der Grundlage seiner Ausbaubeitragssatzung (ABS) vom 7. Oktober 2014 mit Bescheid vom 20. November 2017 den Kläger für eine als Parkplatz genutzte Teilfläche des Grundstücks FlNr. 4018 zu einem Straßenausbaubeitrag in Höhe von 2.087,34 € heran. Diese Straße war 1963 als Gemeindeverbindungsstraße in das Straßenbestandsverzeichnis eingetragen worden. Ob sie 2007 wirksam zur Ortsstraße umgewidmet wurde, ist offengeblieben. Der Kläger wandte sich gegen die Beitragserhebung und machte vor allem geltend, die abgerechneten Baumaßnahmen seien nicht beitragsfähig, weil die Straße bis heute nicht als Ortsstraße gewidmet sei und die Beitragsfähigkeit nicht mehr rückwirkend herbeigeführt werden könne. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Urteil für unbegründet erachtet und abgewiesen. Die Straße erfülle die rechtlichen Voraussetzungen für die Einstufung als Ortsstraße im Sinn von Art. 46 Nr. 2 BayStrWG; insbesondere verlaufe sie innerhalb der geschlossenen Ortslage. Es könne dahinstehen, ob der Beklagte sie im Jahr 2007 bei der Übernahme in das digitale Straßenbestandsverzeichnis wirksam als Ortsstraße umgewidmet habe. Selbst wenn sie aufgrund der Eintragung in das Bestandsverzeichnis 1963 weiterhin fehlerhaft als Gemeindeverbindungsstraße gewidmet sein sollte, schließe das die Beitragserhebung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG a.F. nicht aus.
Die Zulassungsgründe, die von dem Kläger innerhalb der Zwei-Monats-Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO gegen das erstinstanzliche Urteil geltend gemacht worden sind und auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Dieser Zulassungsgrund läge vor, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würden (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642 m.w.N.). Die Richtigkeitszweifel müssen sich auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542 f.; BayVGH, B.v. 15.2.2018 – 6 ZB 17.2521 – juris Rn. 4). Das ist nicht der Fall.
Durch das Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 26. Juni 2018 (GVBl S. 449) wurde rückwirkend zum 1. Januar 2018 die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen verboten (Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG n.F.). Allerdings verbleibt es für Beiträge und für Vorauszahlungen, die – wie hier – bis zum 31. Dezember 2017 durch Bescheid festgesetzt worden sind, nach Maßgabe der Übergangsvorschriften in Art. 19 Abs. 7 und 8 KAG bei der früheren, bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Rechtslage, die sich aus dem Kommunalabgabengesetz selbst (KAG a.F.) und dem auf seiner Grundlage wirksam erlassenen gemeindlichen Satzungsrecht ergibt.
In Anwendung dieser Rechtslage hat das Verwaltungsgericht zutreffend – und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats – entschieden, es reiche für die Beitragsfähigkeit der in Rede stehenden Straßenbaumaßnahme nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG aus, dass die ausgebaute Straße „J … A …“ die materiellen Voraussetzungen des Art. 46 Nr. 2 BayStrWG für die Einstufung als Ortsstraße erfülle und dass sie als Gemeindeverbindungsstraße gewidmet sei. Die Einwände des Klägers werfen keine ergebnisbezogenen Zweifel auf, die weiterer Prüfung in einem Berufungsverfahren bedürfen.
Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG können die Gemeinden zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen (Investitionsaufwand) Beiträge von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG a.F. sollen für die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen und beschränkt-öffentlichen Wegen solche Beiträge erhoben werden, soweit nicht Erschließungsbeiträge nach Art. 5a KAG zu erheben sind.
Der Senat hat wiederholt entschieden, dass der beitragsrechtliche Begriff der „Ortsstraße“ im Sinn von Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG a.F. dem straßenrechtlichen, in Art. 46 Nr. 2 BayStrWG definierten Begriff folgt (BayVGH, B.v. 18.5.2016 – 6 ZB 15.2785 – juris Rn. 7; U.v. 1.12.2016 – 6 BV 16.856 – juris Rn. 18; B.v. 28.3.2019 – 6 ZB 19.60 – juris Rn. 9). Danach sind Ortsstraßen Straßen, die dem Verkehr innerhalb der geschlossenen Ortslage oder innerhalb des räumlichen Geltungsbereichs eines Bebauungsplans im Sinn des Baugesetzbuchs dienen, mit Ausnahme der Ortsdurchfahrten von Bundesstraßen, Staatsstraßen und Kreisstraßen. Dementsprechend setzt der in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG verwendete Begriff „öffentlich“ bei einer Ortsstraße entweder eine Widmung nach Art. 6 BayStrWG oder eine Eintragung im Straßenbestandsverzeichnis (Art. 67 Abs. 3 BayStrWG) voraus.
Diese Rechtsprechung betrifft zwei verschiedene, kumulativ erforderliche Beitragsvoraussetzungen, nämlich einerseits die „Ortsstraße“ als beitragsfähige Einrichtung, andererseits deren Eigenschaft „öffentlich“. Sie besagt, dass beide Begriffe straßenrechtlich zu verstehen sind. Maßgeblich ist danach, ob die erneuerte oder verbesserte Verkehrseinrichtung die materiellen Kriterien des Art. 46 Nr. 2 BayStrWG erfüllt und für den öffentlichen Verkehr gewidmet ist. Der Rechtsprechung ist aber entgegen der Ansicht der Kläger nicht zu entnehmen, die Straße müsse zudem als Ortsstraße gewidmet sein. Beitragsrechtlich ist es vielmehr unerheblich, ob eine – die materiellen Kriterien des Art. 46 Nr. 2 BayStrWG erfüllende – Straße als Ortsstraße oder als Gemeindeverbindungsstraße gewidmet ist (Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand Oktober 2021, Rn. 2164d; s. auch BayVGH, B.v. 28.3.2019 – 6 ZB 19.60 – juris zum Fall, dass eine als Ortsstraße gewidmete Verkehrseinrichtung die materiellen Kriterien des Art. 46 Nr. 2 BayStrWG nicht erfüllt und deshalb – trotz Widmung – nicht beitragsfähig ist). Zwar ist die Einstufung in eine bestimmte Straßenklasse straßenrechtlich integraler Bestandteil einer jeden Widmung. Aus der Sicht des Beitragsrechts betrifft die Frage der Widmung jedoch allein das Merkmal „öffentlich“. Mit diesem verlangt das Gesetz, dass die erneuerte oder verbesserte Verkehrseinrichtung nicht nur tatsächlich genutzt werden kann, sondern auch der Allgemeinheit rechtlich gesichert und privatrechtlicher Verfügungsmacht entzogen zur Verfügung steht. Erst dann kann sie den Anliegern einen beitragsrelevanten Sondervorteil in Gestalt einer qualifizierten Inanspruchnahmemöglichkeit bieten (vgl. BayVGH, B.v. 19.3.2020 – 6 ZB 19.2057 – juris Rn. 7 ff. zum Sondervorteil im Straßenausbaubeitragsrecht). Die Eigenschaft „öffentlich“ erhält eine Straße aber unabhängig von ihrer konkreten Einstufung (vgl. Art. 6 Abs. 1 BayStrWG); es genügt, dass die Straße wirksam für den öffentlichen Verkehr gewidmet ist oder kraft Gesetzes als gewidmet gilt.
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs bestehen auf der Grundlage der vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen keine Zweifel daran, dass die abgerechneten Baumaßnahmen an der Straße „J … A …“ nach der bis 31. Dezember 2017 geltenden Rechtslage beitragsfähig sind. Die abgerechnete Straße verläuft – eindeutig – innerhalb der geschlossenen Ortslage und erfüllt sämtliche Kriterien des Art. 46 Nr. 2 BayStrWG für eine Ortsstraße. Dass sie gleichzeitig dem nachbarlichen Verkehr der Gemeindeteile untereinander dient, ist für diese Klassifizierung unerheblich (vgl. Schmid in Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Stand März 2020, Art. 46 Rn. 9). Sie gilt durch die Eintragung im Bestandsverzeichnis als gewidmet (Art. 67 Abs. 4 BayStrWG), ist mithin „öffentlich“. Dass sie fehlerhaft als Gemeindeverbindungsstraße eingetragen ist, steht der Rechtswirksamkeit der Widmung nicht entgegen (vgl. Häußler in Zeitler, a.a.O. Art. 6 Rn. 5). Die umfangreichen Straßenausbaumaßnahmen haben die Ortsstraße – unstreitig – erneuert und/oder verbessert, wofür der Beklagte auf der Grundlage von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG a.F. und seiner Ausbaubeitragssatzung Beiträge von denjenigen Grundstückseigentümern erheben durfte (und musste), denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Straße besondere Vorteile bietet (zur Beitragserhebungspflicht nach früherer Rechtslage BayVGH, U.v. 9.11.2016 – 6 B 15.2732 – BayVBl 2017, 200).
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Die aufgeworfenen Fragen lassen sich aus den oben dargelegten Gründen ohne weiteres im Sinn des Verwaltungsgerichts beantworten.
3. Die Berufung ist auch nicht wegen der von dem Kläger geltend gemachten Divergenz zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen. Das Verwaltungsgericht hat, wie oben ausgeführt, seiner Entscheidung keinen Rechtssatz zugrunde gelegt, mit dem es von einem im Urteil des Senats vom 1. Dezember 2016 – 6 BV 16.856 – aufgestellten Rechtssatz abgewichen wäre.
4. Die Berufung ist schließlich nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zuzulassen. Das Verwaltungsgericht hat das Klagevorbringen zur Widmung als Gemeindeverbindungsstraße zur Kenntnis genommen und erwogen, mithin ausreichend Gehör gewährt. Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO schützen nicht davor, dass das Gericht einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung beimisst oder die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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