Verwaltungsrecht

Studienrat im Realschuldienst, Manipulationen an Arbeiten der Abschlussprüfung, Urkundenfälschung, Zurückstufung

Aktenzeichen  16a D 20.183

Datum:
24.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 42492
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 14
BayDG Art. 10
StGB § 267

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 13b D 19.637 2019-12-12 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Gründe

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Wegen des begangenen Dienstvergehens war nicht auf die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zu erkennen, sondern die Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung auszusprechen.
1. Der Senat legt seiner Entscheidung die in der Disziplinarklage geschilderten Vorwürfe zugrunde, die Gegenstand der rechtskräftigen Verurteilung durch das Amtsgericht Wunsiedel vom 30. August 2018 waren. Dessen tatsächliche Feststellungen sind für den Senat nach Art. 63 Abs. 1, Art. 55, Art. 25 Abs. 1 BayDG bindend. Die diesbezüglichen Vorwürfe hat der Beklagte im disziplinarrechtlichen Verfahren eingeräumt.
Der Beklagte hat demnach in den Jahren 2015, 2016 und 2017 an insgesamt 56 Prüfungsarbeiten in der Abschlussprüfung im Fach Englisch Manipulationen vorgenommen und Fehler der Schülerinnen und Schüler verbessert. Dadurch erhielten die Betroffenen in 53 Fällen eine höhere Anzahl von Bewertungspunkten und in 15 Fällen hiervon eine bessere Note als sie sie ohne die Manipulationen bekommen hätten. Es ist in der Rechtsprechung unstrittig, dass eine Klassenarbeit eine Urkunde ist (BGH, U.v. 5.6.1962 – 5 StR 143/62 – BGHSt 17, 297; Weidemann in BeckOK StGB, Stand Nov. 2021, § 267 Rn. 6.1). Damit erfüllt das Verändern schulischer Prüfungsarbeiten den Straftatbestand der Urkundenfälschung (§ 267 StGB).
2. Durch sein Verhalten hat der Beklagte gegen die ihm obliegenden Dienstpflichten verstoßen (§ 47 Abs. 1 BeamtStG) und schuldhaft die Pflicht verletzt, die Gesetze zu beachten (§ 267 StGB) und sich achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG). Die Urkundenfälschungen hat der Beklagte innerdienstlich begangen, weil sein pflichtwidriges Verhalten in sein Amt und in seine dienstlichen Pflichten eingebunden war (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 11 m.w.N.).
3. Nach Art. 14 Abs. 1 BayDG und der dieser Vorschrift inhaltlich entsprechenden Bemessungsregelung des Disziplinargesetzes des Bundes ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens und unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten sowie des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 a.a.O. Rn. 12 m.w.N.).
3.1 Da die Schwere des Dienstvergehens nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme ist, muss das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des Art. 6 Abs. 1 BayDG aufgeführten Disziplinarmaßnahme zugeordnet werden. Bei der Auslegung des Begriffs „Schwere des Dienstvergehens“ ist maßgebend auf das Eigengewicht der Verfehlung abzustellen. Hierfür können bestimmend sein objektive Handlungsmerkmale (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, z.B. Kern- oder Nebenpflichtverletzungen, sowie besondere Umstände der Tatbegehung, z.B. Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens), subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld des Beamten, Beweggründe für seine Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für Dritte (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 a.a.O. Rn. 16).
Zur Bestimmung des Ausmaßes des Vertrauensschadens, der durch eine vom Beamten vorsätzlich begangene Straftat hervorgerufen worden ist, greift der Senat auch bei innerdienstlich begangenen Straftaten auf den Strafrahmen zurück (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 a.a.O.; B.v. 5.7.2016 – 2 B 24/16 – juris Rn. 14).
Vorliegend stellen die dienstpflichtverletzenden Handlungen, welche auch dem Urteil des Amtsgerichts Wunsiedel zugrunde lagen, schwere Dienstpflichtverletzungen dar. Dies ergibt sich schon daraus, dass für die Straftat der Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 StGB ein Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe besteht. Entgegen der Auffassung des Klägers besteht keine Veranlassung, im vorliegenden Fall von besonders schweren Fällen der Urkundenfälschung auszugehen. Bei § 267 Abs. 3 StGB handelt es sich nicht um einen Qualifikationstatbestand, sondern um eine bloße Strafzumessungsregel. Die dort genannten Regelbeispiele – also auch Nr. 4 Tatbegehung unter Missbrauch der Befugnisse oder der Stellung als Amtsträger – sind weder abschließend noch zwingend, so dass die Indizwirkung der Regelbeispiele kompensiert und trotz deren Vorliegen auf den Regelstrafrahmen zurückgegriffen werden kann, wenn in der Tat unrechtsmildernde Faktoren zum Ausdruck kommen (Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 267 Rn. 101). Dies ist hier in straf- und, wie unten näher ausgeführt werden wird, disziplinarrechtlicher Hinsicht der Fall. Begeht ein Beamter innerdienstlich eine Straftat, für die das Strafgesetz als Strafrahmen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorsieht (hier sind es bis zu fünf Jahre), reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 20).
3.2 Die in Ausfüllung dieses Rahmens zu treffende Bemessungsentscheidung nach Maßgabe des Art. 14 BayDG führt zur Versetzung des Beklagten in das Amt eines Studienrats im Realschuldienst (BesGr. A 13 ohne Amtszulage). Eine Regeleinstufung von Urkundenfälschungen, die nicht als Begleittat zu Vermögensdelikten begangen worden sind, ist in der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung nicht ersichtlich. Der von Baunack aufgestellte Rechtssatz, eine dienstliche Urkundenfälschung führe regelmäßig zur Entfernung (Köhler/Baunack, BDG, 7. Aufl. 2020, § 10 Rn. 2j) findet sich in der zum Beleg angegebenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht (B.v. 28.1.2015 – 2 B 104.13 – juris). Weder nach geltendem Recht (vgl. VG Ansbach, U.v. 9.5.2011 – AN 12b D 10.01796) noch nach altem Recht ging die Rechtsprechung bei durch Urkundenfälschungen ins Werk gesetzten Prüfungsmanipulationen von einer Regeleinstufung der Entfernung aus (vgl. BayVGH, U.v. 18.9.1991 – 16 D 91.446 – BeckRS 1991, 9452). Auch wenn schwerwiegende Vorsatzstraftaten einen Vertrauensverlust bewirken können, der unabhängig vom jeweiligen Amt zu einer Untragbarkeit der Weiterverwendung als Beamter führen kann (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 a.a.O. Rn. 12, 13), war vorliegend zu berücksichtigen, dass die Taten nicht eigennützig und ohne Bedacht ausgeführt worden sind. Das Gewicht der Pflichtverletzung und die Schwere des Dienstvergehens sind bei den hier begangenen Urkundenfälschungen, die in ihrer deutlich überwiegenden Zahl ohne Auswirkung auf die Notengebung geblieben sind, nicht so gravierend, dass von einem endgültigen Vertrauensverlust ausgegangen werden müsste. Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen ist deshalb hier nicht die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, sondern die Zurückstufung (Art. 10 BayDG). Dabei bleibt bei dem innerdienstlich begangenen Dienstvergehen der Umstand, dass das Strafgericht nur auf eine Geldstrafe erkannt hat, außer Betracht.
3.3 Erschwerend war im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass der Beklagte im Kernbereich seiner Dienstpflichten versagt hat. Die nicht leistungsgerechte Bewertung und die bewusst fehlerhafte Begünstigung von Schülerinnen und Schülern, die der Beklagte bereits seit längerem kannte, begründet erhebliche Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Beamten. Korrekturen haben nach bestem Wissen und Gewissen zur Ermittlung des wahren Leistungsstands zu erfolgen. Dies gilt umso mehr bei Abschlussarbeiten, die vom landesweiten Wettbewerbscharakter der Prüfung geprägt sind. Das willkürliche Handeln des Beklagten kann nicht gerechtfertigt oder entschuldigt werden; der Beklagte hat mit seinen Erklärungsversuchen für sein Verhalten auch eine ausreichende Reflexion, dass in seinem Verhalten gleichzeitig eine Benachteiligung der anderen Schülerinnen und Schüler lag, vermissen lassen. „Pädagogische Motive“ für die Taten gibt es schlichtweg nicht. Zu berücksichtigen war des Weiteren, dass drei Prüfungsjahrgänge von den Manipulationen des Beklagten betroffen waren. Zudem hat er 2017 mehrmals versucht, einen anderen Zweitkorrektor zu finden, der seine verfehlten Bewertungen mittragen sollte.
3.4 Zu Gunsten des bislang straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelasteten Beklagten konnte in die Zumessung der Disziplinarmaßnahme einfließen, dass er sich bei den Kollegen für sein Verhalten entschuldigt hat und bislang gute dienstliche Leistungen erbracht hat. Das Persönlichkeitsbild der Schulleiterin vom 11. Februar 2019 (Bl. 136 DA) zeigt, dass der Beklagte trotz der disziplinarisch zu ahndenden Taten weiterhin wertgeschätzt wird. Seine Motivation, einerseits den Schülern etwas Gutes zu tun und ihnen dabei vielleicht etwas beim Übertritt in das Berufsleben zu helfen und andererseits mit den besten Durchschnitten im Kollegenkreis gut dazustehen, überschritt nicht die Grenze zum verpönten Eigennutz. Die Stellung als Seminarlehrer hatte er bereits ohne die mit der Disziplinarklage verfolgten Manipulationen erreicht; dass er diese Manipulationen auch nach seiner Beförderung zum Studienrat im Realschuldienst mit Amtszulage zum 1. Dezember 2015 fortführte, zeigt, dass er diese nicht in einem Zusammenhang mit dem eigenen beruflichen Fortkommen gesehen hatte. Die wenig bedachte Tatausführung zeigt sich zum einen daran, dass auch Verbesserungen in Prüfungsteilen vorgenommen wurden, in denen die Rechtschreibung nicht bewertungsrelevant war. Zum anderen kann dem Beklagten zu Gute gehalten werden, dass die Tatausführung nicht darauf berechnet war, mit den Manipulationen stets einen bewertungsrelevanten Erfolg zu erzielen. Denn mit seiner Erfahrung und Kenntnis über in früheren Jahrgängen angelegte Bewertungsmaßstäbe, die nach Auffassung des früheren Schulleiters den zum Zeitpunkt der Bewertung nicht vorliegenden Punkteschlüssel relativ treffsicher vorhersehbar machte (Bl. 4 DA), wären in der Regel notenrelevante Manipulationen ins Werk zu setzen gewesen.
3.5 Nach Abwägung aller für und gegen den Beklagten sprechenden Umstände kommt der Senat zu der Überzeugung, dass der Beklagte das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit noch nicht vollständig verloren hat. Das Gewicht der Pflichtverletzung und die Schwere des Dienstvergehens sind mit einer Zurückstufung in verhältnismäßiger Weise geahndet. Der Entscheidung des Dienstherrn, den Beamten nach dem Aufdecken seines Fehlverhaltens unverändert oder anderweitig weiter zu beschäftigen, kommt dabei für die Auswahl der angemessenen Disziplinarmaßnahme grundsätzlich keine Bedeutung zu. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann allenfalls beim Vorliegen besonderer Umstände des Einzelfalls in Betracht kommen (BVerwG, B.v. 27.5.2015 – 2 B 16.15 – juris Rn. 8 m.w.N.). Ob die Weiterverwendung des Beklagten auf dem gleichen Dienstposten auf ein Restvertrauen des Dienstherrn hindeutet, oder ob dieser seine Vorbehalte gegen den Beklagten dadurch hinreichend zum Ausdruck gebracht hat, dass er ihn nicht mehr mit der Unterrichtung von Abschlussklassen und der Bewertung von Abschlussarbeiten betraute, kann offenbleiben. Denn der Beklagte hat sich in Bezug auf sein Fehlverhalten einsichtig gezeigt, so dass eine erzieherische Maßnahme ausreichend erscheint. Wegen der fortgesetzten Tatausführung in vielen Fällen bedurfte es indes zwingend einer statusberührenden Maßnahme.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 BayDG. Da gegen den Beklagten im Verfahren der Disziplinarklage auf eine Disziplinarmaßnahme erkannt worden ist, trägt er die Kosten des Berufungsverfahrens, obwohl er mit seinem Antrag, eine mildere als die vom Verwaltungsgericht verhängte Disziplinarmaßnahme auszusprechen, obsiegt hat.
Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig geworden (Art. 64 Abs. 2 BayDG).


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