Verwaltungsrecht

Tatrichterliche Überzeugung von der behaupteten Homosexualität einer Asylsuchenden (Uganda) – erfolgloser Berufungszulassungsantrag

Aktenzeichen  9 ZB 20.32394

Datum:
18.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 38229
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3
VwGO § 108

 

Leitsatz

1. Mit einer Rüge der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör grundsätzlich nicht begründet werden. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist die Sache des Tatrichters, sich selbst die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO notwendige Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit des Parteivortrags zu verschaffen. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 5 K 17.40565 2020-10-20 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Klägerin beruft sich mit ihrem Vorbringen im Schriftsatz vom 3. Dezember 2020 nicht auf das Vorliegen eines Zulassungsgrundes nach § 78 Abs. 3 AsylG. Sie kritisiert allerdings die richterliche Überzeugungsbildung und die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, das der Klägerin die von ihr vorgetragene Homosexualität, auf die sie ihr Asylbegehren stützt, und der vernommenen Zeugin das Bestehen einer sexuellen Beziehung mit der Klägerin nicht geglaubt hat. Selbst wenn ihre Begründung des Zulassungsantrags dahingehend auszulegen wäre, dass sich die Klägerin damit auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs beruft (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO), wäre die Berufung aus diesem Grund aber nicht zuzulassen.
Mit einer Rüge der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör grundsätzlich nicht begründet werden (BVerwG, B.v. 30.7.2014 – 5 B 25.14 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 9.10.2018 – 9 ZB 16.30738 – juris Rn. 6). Auch soweit die Klägerin Rechtsanwendungsfehler im Zusammenhang mit der Würdigung ihres Vortrags behauptet, ist dies grundsätzlich nicht geeignet, einen Gehörsverstoß zu begründen (vgl. BVerfG, B.v. 6.5.2010 – 1 BvR 96/10 – juris Rn. 28; BVerwG, B.v. 9.6.2011 – 3 C 14.11 – juris Rn. 7). Der Anspruch auf rechtliches Gehör kann allenfalls im Einzelfall bei gravierenden Verstößen verletzt sein, wenn die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, B.v. 8.4.2004 – 2 BvR 743/03 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 8.10.2019 – 9 ZB 19.31544 – juris Rn. 3), oder wenn es sich um gewichtige Verstöße gegen Beweiswürdigungsgrundsätze handelt, weil etwa die Würdigung willkürlich erscheint oder gegen gesetzliche Beweisregeln, allgemeine Erfahrungssätze, unumstrittene Geschichtstatsachen oder gar die Denkgesetze verstößt (vgl. BVerwG, B.v. 2.11.1995 – 9 B 710.94 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 7.7.2020 – 9 ZB 20.31328 – juris Rn. 7). Es ist die Sache des Tatrichters, sich selbst die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO notwendige Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit des Parteivortrags zu verschaffen (vgl. BVerwG, B.v. 22.2.2005 – 1 B 10.05 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 12.3.2019 – 9 ZB 17.30411 – juris Rn. 6 m.w.N.). Dabei verlangt das Gebot der freien Beweiswürdigung, dass er seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt. Das Gericht darf also nicht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgehen und insbesondere nicht Umstände übergehen, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen, oder sein Urteil zu einer entscheidungserheblichen Frage auf zwei einander widersprechende Tatsachenfeststellungen stützen (BVerwG, U.v. 22.5.2019 – 1 C 11/18 – juris Rn. 27). Derartige Verstöße zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf.
Das Verwaltungsgericht hat in seinen Entscheidungsgründen plausibel erörtert, warum es den Vortrag der Klägerin, lesbisch zu sein und deshalb in Uganda Verfolgung befürchten zu müssen, als unglaubhaft bewertet hat. Es hat ausgeführt, dass die Klägerin das „innere Ringen“ zwischen den gesellschaftlichen Konventionen und der Erkenntnis bzw. dem Nachgeben der eigenen sexuellen Veranlagung nicht nachvollziehbar habe darlegen können und der Vortrag zudem konstruiert sowie lebensfremd wirkende Bestandteile enthalte. Es bestünden auch Widersprüche zwischen den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt, hinsichtlich denen von der Klägerin gegenüber dem Verwaltungsgericht insoweit angeführte Übersetzungsschwierigkeiten bei der Bundesamtsanhörung, nachdem sie solche gegenüber dem Bundesamt ausdrücklich verneint hatte und ihr das Anhörungsprotokoll auch rückübersetzt worden sei, nicht trügen. Die Zeugenaussage der angeblichen Lebensgefährtin hat das Verwaltungsgericht als aufgesetzt, platt und oberflächlich eingestuft. Die Zeugin habe keine konkreten Angaben dazu gemacht, warum sie mit einer Frau zusammenlebe, andererseits aber mit einem Mann ein Kind habe, was in hohem Maße gekünstelt und unwirklich wirke. Auch die Angaben des angeblich kirchlich angetrauten Ehemannes der Klägerin gegenüber dem Bundesamt, mit der Klägerin nicht mehr verheiratet zu sein, weil diese lesbisch sein solle, seien zu vage, als dass sich hieraus ein ausreichender Anhalt für eine lesbische Orientierung der Klägerin ergebe.
Indem die Klägerin zum Ausdruck bringt, dass die vom Verwaltungsgericht festgestellten Widersprüche bzw. Ungereimtheiten hinsichtlich der behaupteten Homosexualität nicht als solche zu bewerten seien, sondern durch weitere gerichtliche Fragen an Klägerin und Zeugin hätten aufgeklärt werden können, legt sie insbesondere auch nicht dar, dass sich eine weitere Beweiserhebung für das Verwaltungsgericht hätte aufdrängen müssen. Art. 103 Abs. 1 GG statuiert keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2020 – 9 ZB 20.32164 – juris Rn. 6 m.w.N.). Letztlich erschöpft sich das Zulassungsvorbringen somit in der Darlegung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 20. Oktober 2020, einen Zulassungsgrund, den das Asylverfahrensrecht im Gegensatz zu den in den Anwendungsbereich der Verwaltungsgerichtsordnung fallenden Streitsachen (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) aber nicht kennt (vgl. § 78 Abs. 3 AsylG; vgl. BayVGH, B.v. 8.10.2019 – 9 ZB 19.32166 – juris Rn. 6).
2. Eine Zulassung der Berufung wegen Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG), im Hinblick darauf, dass die Klägerin die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 2. Dezember 2014 (C 1483/13 bis C – 150/13 – juris) und der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Mai 2019 (1 C 11.18 – juris) nicht für vereinbar hält, kommt ebenfalls nicht in Betracht. Abgesehen davon, dass sich dem Zulassungsvorbringen schon kein Rechtssatz oder verallgemeinerungsfähiger Tatsachensatz entnehmen lässt, den das Verwaltungsgericht abweichend von einem der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten übergeordneten Gerichte aufgestellt haben soll, kann die Divergenzrüge nicht auf eine fehlerhafte Anwendung eines nicht bestrittenen Rechtssatzes im Einzelfall gestützt werden (vgl. BayVGH, B.v 27.10.2020 – 9 ZB 20.32008 – juris Rn. 6).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben