Verwaltungsrecht

Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz im asylrechtlichen Berufungszulassungsverfahren

Aktenzeichen  15 ZB 19.33307

Datum:
23.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27547
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 4, § 77 Abs. 2, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3, Abs. 4 S. 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
RL 2011/95/EU Art. 12 Abs. 1 lit. a

 

Leitsatz

Im Asylprozess lässt sich die grundsätzliche Bedeutung einer Frage nicht unter Annahme eines Sachverhalts begründen, der von dem durch das Verwaltungsgericht festgestellten abweicht, solange dessen Feststellungen nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen erschüttert worden sind (Rn. 14). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 27 K 17.40733 2019-07-05 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.

Gründe

I.
Die Kläger wenden sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 4. Mai 2017, mit dem ihre Anträge auf Asylanerkennung abgelehnt, ihnen die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurden, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebung nach Jordanien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht wurde. Mit Urteil vom 5. Juli 2019 wies das Verwaltungsgericht München die von den Klägern erhobene Klage mit den gestellten Anträgen, die Beklagte unter (teilweise) Aufhebung des Bescheids vom 4. Mai 2017 zu verpflichten, ihnen den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen, hilfsweise ihnen den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen, ab. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger ihr Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG ist nicht in einer Weise dargelegt worden, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
Die von den Klägern insofern als grundsätzlich angesehene Frage,
„nach welchen Kriterien das Gericht das Herkunftsland zu bestimmen hat, wenn eine Flüchtlingsregistrierung des UNRWA vorliegt“,
rechtfertigt auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens im Zulassungsverfahren keine Berufungszulassung gem. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG.
a) Die Kläger bringen zur Antragsbegründung vor, gemäß Art. 2 lit. n der Richtlinie (RL) 2011/95/EU sei Herkunftsland das Land oder die Länder der Staatsangehörigkeit oder – bei Staatenlosen – des früheren gewöhnlichen Aufenthalts. Sie – die Kläger zu 1 und zu 2 – seien in Kuweit geborene Palästinenser, deren Staatsangehörigkeit tatsächlich ungeklärt sei. Sie seien im Kindesalter aufgrund des Irak-Kuwait-Krieges aus Kuwait nach Jordanien geflohen. Dort sei zumindest die Klägerin zu 2 mit ihrer Familie vom UNRWA als Flüchtling registriert worden. Es komme auch ihre Staatenlosigkeit in Betracht. Das Verwaltungsgericht sei von ihrer jordanischen Staatsangehörigkeit ausgegangen. Der Besitz jordanischer Pässe bedeute aber nicht, dass sie eingebürgert worden seien. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention seien Flüchtlingen Personalausweise und Reiseausweise von den vertragsschließenden Staaten auszustellen. Auch wenn Jordanien nicht Vertragsstaat der Konvention sei, heiße dies nicht, dass es sich diesem Regime oder einzelnen Regelungen nicht freiwillig unterwerfe, wie sich dies an der Zusammenarbeit mit UNRWA auf seinem Staatsgebiet zeige. Gemäß Art. 4 Abs. 3 lit a RL 2011/95/EU seien alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant seien, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden, bei der individuellen Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz zu berücksichtigen. Das Bundesverwaltungsgericht habe dem Europäischen Gerichthof mit Beschluss vom 14. Mai 2019 (Az. 1 C 5.18) – insbesondere unter Frage Nr. 5 – Fragen zur Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts von Staatenlosen zu Vorabentscheidung vorgelegt. Da diese Auslegung auch hier von Relevanz sei, werde beantragt, das vorliegende Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH auszusetzen. Das Mandat des UNRWA – als Schutzinstitution i.S. von Art. 12 Abs. 1 lit a Satz 1 RL 2011/95/EU – sei zwar zuletzt bis 30. Juni 2020 verlängert worden. Werde ein Schutz oder Beistand nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden sei, genieße der Betroffene gemäß Art. 12 Abs. 1 lit a Satz 2 RL 2011/95/EU ipso facto den Schutz der Richtlinie. Ein solcher ipso-facto-Schutz komme auch hier in Betracht. Die aufgeworfene Frage bedürfe auch im Interesse der Rechtseinheit der Klärung. Denn diese Regelungen könnten so zu lesen sein, dass für die Bestimmung des Herkunftslands – gleich, ob Staat der Staatsangehörigkeit oder des gewöhnlichen Aufenthalts des Staatenlosen – bei einer Flüchtlingsregistrierung des UNRWA (oder einer anderen UN-Organisation i.S. des Art. 12 der Richtlinie) immer auf den Ort der Registrierung abzustellen wäre.
b) Mit dieser Argumentation und der von ihnen aufgeworfenen Frage vermögen die Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht zu begründen.
Der von den Klägern behauptete Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2017 – 15 ZB 17.31475 – juris Rn. 7 m.w.N.; B.v. 24.4.2018 – 8 ZB 18.30874 – juris Rn. 4; B.v. 6.6.2018 – 15 ZB 18.31230 – juris Rn. 20). Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und der Entscheidungserheblichkeit muss hinreichend substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu entscheiden sein könnte (BayVGH, B.v. 20.9.2018 – 15 ZB 18.32223 – juris Rn. 12; OVG LSA, B.v. 23.8.2018 – 3 L 293/18 – juris Rn. 3 m.w.N.; vgl. auch OVG NRW, B.v. 31.7.2018 – 19 A 1675.17.A – juris Rn. 12 m.w.N.).
aa) Hinsichtlich der Nichtzuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§§ 3 ff. AsylG) und des subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) fehlt von vornherein die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage, weil diese Ansprüche sowohl vom Bundesamt als auch vom Verwaltungsgericht unabhängig von einer UNRWA-Registrierung abgelehnt worden sind. Im streitgegenständlichen Bescheid vom 4. Mai 2017, auf den das Verwaltungsgericht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG umfassend Bezug genommen und den es damit zum Inhalt seiner Entscheidung gemacht hat, wird ausgeführt, dass die Kläger lediglich pauschal auf Diskriminierungen von Palästinensern in Jordanien verwiesen hätten, was weder für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§§ 3 ff. AsylG) noch für die Asylanerkennung (Art. 16a GG) noch für die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) ausreichend sei, um einen entsprechenden Schutzbedarf zu belegen. Die Kläger hätten eine begründete Furcht vor Verfolgung oder einem ernsthaften Schaden schon nicht substantiiert vorgetragen und daher nicht glaubhaft machen können. Es könne somit dahinstehen, ob der Ausschlussgrund des § 3 Abs. 3 AsylG einschlägig sei. Auf die Eigenschaft der Kläger als ipso-facto-Flüchtlinge gem. § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG (vgl. BVerwG, B.v. 14.5.2019 – 1 C 5.18 – juris Rn. 1; vgl. auch Art. 12 Abs. 1 Buchst. a RL 2011/95/EU) hat mithin weder der Bescheid des Bundesamts noch das Erstgericht im angegriffenen Urteil tragend abgestellt.
bb) Auch hinsichtlich der Frage des Bestehens eines Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 5 AufenthG (i.V. mit Art. 3 EMRK) und / oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist nicht ersichtlich, inwiefern die aufgeworfene, von den Klägern als grundsätzlich angesehene Frage nach Maßgabe ihres Vortrags in der Antragsbegründung entscheidungserheblich sein könnte.
Im Bescheid vom 4. Mai 2017, den das Verwaltungsgericht über § 77 Abs. 2 AsylG zum Inhalt seiner eigenen Beurteilung gemacht hat, wird ausgeführt, dass auch unter Berücksichtigung der humanitären Bedingungen in Jordanien nicht von einem Abschiebungsverbot wegen existenzieller Bedrohung der Kläger gem. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK auszugehen sei. Die Kläger zu 1 und 2 seien volljährig, gesund, arbeitsfähig und verfügten über eine ausreichende bis überdurchschnittliche Schulbildung, der Kläger zu 1 zudem über eine Ausbildung (Frisör) und Berufserfahrung im Bereich Einzelhandel. Es sei daher davon auszugehen, dass die Kläger auch ohne nennenswertes Vermögen und mit der Möglichkeit der Unterstützung durch die noch in Jordanien ansässige Familie oder der UNRWA auch im Falle einer Rückkehr nach Jordanien in der Lage seien, durch Gelegenheitsarbeiten in Amman oder einer anderen Stadt bzw. einem anderen Landesteil Jordaniens wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen, um sich dort zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums finanzieren und allmählich wieder in die jordanische Gesellschaft integrieren zu können. Gründe, die dem entgegenstehen sollten, seien weder substantiiert glaubhaft vorgetragen worden noch lägen diese nach den Erkenntnissen des Bundesamtes vor.
Bereits dem haben die Kläger in der Antragsbegründung nichts Substantiiertes entgegengesetzt. Insofern fehlt es bereits an einer hinreichenden Darlegung, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu entscheiden sein könnte.
cc) Auch soweit die Kläger die rechtsgrundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Frage damit zu untermauern suchen, dass sie tatsächlich als staatenlos anzusehen seien oder anzusehen sein könnten, erfüllen sie die Anforderungen an die Darlegung des Zulassungsgrundes gem. § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht. Unabhängig davon, dass die aufgeworfene Rechtsfrage diesbezüglich schon zu allgemein formuliert ist, hat das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung – in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Bescheid vom 4. Mai 2017 und den Angaben in der Klageschrift vom 19. Mai 2017 – die jordanische Staatsangehörigkeit der Kläger angenommen und diese bei Rechtsanwendung (u.a. hinsichtlich Jordanien als Zielort der angedrohten Abschiebung) zugrunde gelegt. Auf Basis des vom Verwaltungsgericht angenommenen Sachverhalts geht es mithin nicht entscheidungserheblich um die Fragen, unter welchen Voraussetzungen Staatenlose den Schutz der UNRWA genießen (vgl. insofern BVerwG, B.v. 14.5.2019 – 1 C 5.18 – juris) oder (allgemeiner) „nach welchen Kriterien das Gericht das Herkunftsland zu bestimmen hat, wenn eine Flüchtlingsregistrierung des UNRWA vorliegt“. Im Asylprozess lässt sich die grundsätzliche Bedeutung einer Frage nicht unter Annahme eines Sachverhalts begründen, der von dem durch das Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt abweicht, solange diese Feststellungen nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V. mit § 138 VwGO) erschüttert worden sind. Ohne eine solche Verfahrensrüge, die sodann bereits für sich genommen den Zugang zum Berufungsverfahren eröffnen würde, bleibt es bei dem Grundsatz, dass für den Zulassungsantrag von den Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts auszugehen ist. Ansonsten würde im Rahmen der Grundsatzrüge bezogen auf die Tatsachenfeststellungen eine Möglichkeit eröffnet, die inhaltliche Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in Frage zu stellen. Im Asylverfahrensrecht ist aber der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht eröffnet (siehe § 78 Abs. 3 AsylG), sodass Angriffe gegen die Sachverhaltsfeststellungen nur über die – begrenzt eröffnete – Verfahrensrüge möglich sind (vgl. BayVGH, B.v. 11.1.2019 – 14 ZB 18.31863 – juris Rn. 6; VGH BW, B.v. 29.8.2018 – A 11 S 1911/18 – juris Rn. 3 m.w.N.). Mit ihrer Argumentation, mit der sie nunmehr ihre jordanische Staatsangehörigkeit in Frage stellen, wenden sich die Kläger in der Sache mithin ausschließlich gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung bzw. gegen die rechtliche Subsumtion des Erstgerichts, ohne damit jedoch eine über den Einzelfall hinausgehende Klärungsbedürftigkeit einer entscheidungserheblichen Rechts- oder Tatsachenfrage hinreichend darzulegen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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