Verwaltungsrecht

Teilweise erfolgreiche Asylklage eines somalischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  M 11 K 16.33457

Datum:
21.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4, § 27, § 29

 

Leitsatz

1 Nach der Erkenntnislage ist nicht von einer undifferenzierten Gruppenverfolgung von Angehörigen der Streitkräfte des früheren Regimes unter Siad Barre – auch Offizieren ohne herausgehobene Funktion – auszugehen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 In Mogadischu liegt weiterhin ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vor. (Rn. 26 – 48) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Sicherheitslage ist in Mogadischu weiterhin so volatil, dass für Personen mit individuellen gefahrerhöhenden Umständen eine für die Voraussetzungen von § 4 AsylG ausreichende Verdichtung der Gefahrenlage vorliegt. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27.9.2016 wird in Ziffer 3 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz zuzuerkennen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Parteien tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat teilweise Erfolg.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft – Nr. 1 des Bescheids des Bundesamts ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes – Nr. 3 des Bescheids ist dementsprechend aufzuheben und die Beklagte entsprechend zu verpflichten.
Das Bundesamt hat zutreffend ausgeführt, dass es für die Verfolgung ausschließlich auf den Herkunftsstaat Somalia ankommt. Umgekehrt ist aber auch im Zusammenhang mit einem Schutzstatus des Klägers im Jemen unerheblich, ob Jemen als sicherer Drittstaat einzustufen ist. Ob ein Asylbewerber bereits in einem anderen Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher war, ist – mit Ausnahme des auf Art. 16a GG beschränkten § 27 AsylG – nur für die Beachtlichkeit des Asylantrags von Bedeutung. Hat das Bundesamt über das Asylbegehren in der Sache entschieden, bleibt bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für eine materiellrechtliche Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes kein Raum mehr (BVerwG, U.v. 4.9.2012 – 10 C 13/11 – juris Ls. 1 und 2 sowie Rn. 14 ff.). Das gilt entsprechend für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft liegen nicht vor.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn sich ein Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftsland befindet. Die einzelnen als Verfolgung eingestuften Handlungen werden in § 3a AsylG näher umschrieben, die einzelnen Verfolgungsgründe werden in § 3b AsylG einer näheren Begriffsbestimmung zugeführt. Dabei ist es unerheblich, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden. Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG kann nach § 3c AsylG ausgehen vom Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern der Staat oder die ihn beherrschenden Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
Zwischen den Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen, wobei im Hinblick auf den – Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95/EU nachgebildeten – § 3a Abs. 3 AsylG bereits das auf einem Verfolgungsgrund nach § 3b AsylG beruhende Fehlen von Schutz vor Handlungen im Sinne von § 3a Abs. 1 und 2 AsylG genügt, auch wenn die Handlungen selbst keine entsprechende Verknüpfung aufweisen.
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer asylerhebliche Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen. Hinsichtlich des Prognosemaßstabs ist bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft (ebenso wie bei der des subsidiären Schutzes) in Orientierung an der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK („real risk“) der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht aller Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 32). Bei dieser wertenden Prognose spielen sowohl die Wahrscheinlichkeit als auch die Schwere einer möglichen Beeinträchtigung eine Rolle.
Die Tatsache, dass ein Drittstaatsangehöriger bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist gemäß Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Betroffene erneut von solcher Verfolgung bedroht wird.
Hinsichtlich eines vom Asylsuchenden geltend gemachten individuellen Verfolgungsschicksals muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Herkunftsstaat befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu. Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, gegenüber dem Tatgericht einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen. Der Asylbewerber muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – juris Rn. 11).
In Anwendung dieser Grundsätze liegen die Anspruchsvoraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vor.
Eine Gruppenverfolgung von Angehörigen eines Clans durch Angehörige eines anderen Clans in Somalia liegt nach Maßgabe der Erkenntnislage und der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BayVGH, U.v. 5.7.2012 – 20 B 12.30029 – juris Rn. 20, 21; U.v. 26.1.2012 – 20 B 11.30468 – juris Rn. 23, 24) nicht vor. Nach Maßgabe der Erkenntnislage ist auch nicht von einer undifferenzierten Gruppenverfolgung von Angehörigen der Streitkräfte des früheren Regimes unter Siad Barre – auch Offizieren ohne herausgehobene Funktion – auszugehen. Die pauschale Behauptung des Klägers darauf, dass im Jahr 2000 ein Angriff auf Familien von Angehörigen, die für die frühere Regierung gearbeitet hätten, üblich gewesen sei, genügt unter Berücksichtigung der Erkenntnislage für die Annahme einer gezielten Verfolgung nicht. Entsprechendes ergibt sich auch nicht aus der vorgelegten Entscheidung des VG Braunschweig, die auf einer Würdigung des individuellen Vorbringens beruhte und keine verallgemeinerungsfähigen Aussagen enthält.
Nach Maßgabe des individuellen Vortrags des Klägers ist das Vorliegen der Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft nicht glaubhaft gemacht. Aus den Angaben des Klägers ergeben sich keine Anhaltspunkte, die auf einen gezielten Angriff auf den Kläger in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale schließen lassen. Der Kläger konnte bereits zur Tötung seines Vaters keine Hintergründe nennen – weder zum Anlass noch zu den Tätern. Eine herausgehobene Funktion des Vaters des Klägers in den Streitkräften konnte der Kläger nicht benennen, sie ist auch nach Maßgabe seiner Angaben vor dem Bundesamt zur wirtschaftlichen Situation – 2-Zimmer-Wohnung des Vaters, durchschnittliche wirtschaftliche Verhältnisse, Lebensunterhalt durch Tierzucht und Landwirtschaft – nicht anzunehmen. Eine gezielte Tötung des Vaters im Jahr 2000 aufgrund der Zugehörigkeit zu den Streitkräften des früheren Regimes ist damit im Hinblick auf den Zeitablauf – neun Jahre nach dem Ende des früheren Regimes und dem Beginn des Bürgerkriegs – kaum vorstellbar. Dementsprechend ergeben sich erst recht keine Anhaltspunkte, die auf einen gezielten Angriff auf den Kläger und seine Familie schließen lassen. Im Übrigen wäre, selbst wenn man davon ausgehen würde, dass eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure in Anknüpfung an die Zugehörigkeit des Vaters zu einer bestimmten Gruppe vorlag, mangels besonderer Funktion des Vaters, im Hinblick auf den Zeitablauf seit der Ausreise des Klägers aus Somalia und die Verbesserung der Sicherheitslage seitdem keine ausreichende Gefahr einer gezielten Verfolgung mehr gegeben.
Der Kläger hat aber Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes, weil er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland Somalia ein ernsthafter Schaden droht (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
Zum maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) besteht jedenfalls in Süd- und Zentralsomalia nach wie vor ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Der aktuelle Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 1. Januar 2017 (im Folgenden: Lagebericht) formuliert hinsichtlich Süd- und Zentralsomalia, wo auch die Hauptstadt Mogadischu liegt, als zentrale Aussagen zur allgemeinen politischen Lage, dass dort in vielen Gebieten Bürgerkrieg herrsche und die somalischen Sicherheitskräfte mit Unterstützung der Militärmission der Afrikanischen Union AMISOM gegen die radikalislamistische, al-Quaida-affiliierte al-Shabaab-Miliz kämpfen (Lagebericht, S. 5).
Der Kläger wäre im Falle einer Rückkehr im Rahmen dieses Konflikts einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt.
Eine entsprechende Gefahr kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch aus einer allgemeinen Gefahr für eine Vielzahl von Zivilpersonen im Rahmen eines bewaffneten Konflikts ergeben, wenn sich die Gefahr in der Person des betreffenden Ausländers verdichtet. Eine solche Verdichtung bzw. Individualisierung kann sich zum einen aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Ausländers ergeben. Sie kann zum anderen ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, U.v. 14.07.2009 – 10 C 9/08 – BVerwGE 134, 188). Bezugspunkt für die Gefahrenprognose ist dabei der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr, in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U.v. 31.01.2013 – 10 C 15/12 – InfAuslR 2013, 241). Soweit sich eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr ausnahmsweise aus dem hohen Gefahrengrad für jede sich in dem betreffenden Gebiet aufhaltende Zivilperson ergibt, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte bedarf es neben der quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos einer wertenden Gesamtbetrachtung, die auch die medizinische Versorgungslage würdigt. Der bei Bewertung der entsprechenden Gefahren anzulegende Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei der Prüfung der tatsächlichen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – NVwZ 2012, 454).
Maßgeblich für die Gefahrenprognose ist vorliegend Mogadischu, woher der Kläger stammt und wo er sich bis zu seiner Ausreise aus Somalia aufgehalten hat.
Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt nach Auffassung des Gerichts auch in Mogadischu weiterhin vor.
Vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen. Dafür, dass ein derartiger Konflikt angenommen werden kann, kommt es weder auf einen bestimmten Organisationsgrad der Beteiligten bewaffneten Streitkräfte noch auf eine bestimmte Dauer des Konflikts an. Insbesondere ist für die Annahme eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts auch keine besondere Intensität des Konflikts notwendig, da die Intensität nur bei der Frage zu berücksichtigen ist, ob der Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass er auch zu einer Gefährdung im Sinne des Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG führt (BayVGH, U.v. 7.4.2016 – 20 B 14.30101 – juris Rn. 20 unter Hinweis auf die einschlägige Rspr. des EuGH)
Die Situation in Mogadischu stellt sich danach wie folgt dar:
Entsprechend der Zusammenfassung des Berichts des Auswärtigen Amtes vom 1. Januar 2017 hat Somalia den Zustand des „failed state“ überwunden, es bleibt aber ein fragiler Staat (Lagebericht, S. 4). Der vorhergehende Bericht vom 1. Dezember 2015 geht dagegen noch davon aus, dass sich Somalia auf dem Weg von einem „failed state“ zu einem fragilen Staatswesen befindet (Lagebericht, S. 4). Der Wortlaut der beiden Berichte ist bis auf minimale Nuancen gleich: Es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach. In vielen Gebieten der Gliedstaaten Süd-/Zentralsomalias und in der Hauptstadt Mogadischu herrscht Bürgerkrieg. In den von al-Shabaab befreiten Gebieten kommt es zu Terroranschlägen durch diese islamische Miliz.
Der frühere Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12. Juni 2013 verweist darauf, dass nach übereinstimmenden Schätzungen diverser VN-Organisationen und internationaler Nichtregierungsorganisationen im somalischen Bürgerkrieg 2007 bis 2011 über 20.000 Zivilisten zu Tode gekommen sind, davon der größte Teil in Süd- und Zentralsomalia. Im Jahr 2012 seien allein in Mogadischu mindestens 160 Zivilisten getötet worden. Außerdem habe es mindestens 6.700 Verletzte durch Kampfhandlungen gegeben (Lagebericht, S. 8).
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich (BFA) geht demgegenüber in seiner detaillierten Analyse und auf Grundlage zahlreicher Quellen einschließlich der Rechtsprechung des EGMR im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Somalia – vom 25.4.2016 (S. 27) von Folgendem aus:
„Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab wieder die Kontrolle über Mogadischu erlangt. Der Rückzug der formalen Präsenz der al Shabaab aus Mogadischu ist dabei dauerhaft. Es gibt in der Stadt auch kein Risiko mehr, von der al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden. Es gibt in Mogadischu keine Clanmilizen und keine Clangewalt, auch wenn einzelne Clans angeblich noch in der Lage sein sollen, Angriffe führen zu können. In Mogadischu gibt es eine Präsenz von AMISOM, somalischer Armee und Polizei, sowie des Geheimdienstes NISA. Die Stadt ist generell sicher, auch wenn sie von al Shabaab bedroht wird. Es besteht keine Angst mehr, dass in Mogadischu wieder Bürgerkrieg herrschen könnte. Seit 2011 hat sich die Sicherheitslage in der Stadt sehr verbessert. Die größte Gefahr geht heute von terroristischen Aktivitäten der al Shabaab aus. Die Hauptziele dafür sind die Regierung und die internationale Gemeinde. Die Situation in Mogadischu ist nicht derartig, dass jeder Mensch in der Stadt einem Risiko entsprechend Artikel 3 EMRK ausgesetzt wäre. Die Stadtbewohner sind normalerweise nur dann betroffen, wenn sie zur falschen Zeit am falschen Ort sind. Jeder Stadtbürger kann sein eigenes Risiko weiter minimieren, indem er Gebiete oder Einrichtungen meidet, die klar als Ziel der al Shabaab erkennbar sind.“
Auch wenn man dies zugrunde legt, bedeutet das jedoch nicht, dass es dort zu keiner die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft ziehenden willkürlichen Gewalt mehr kommt. Eine die Einstufung eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts in Frage stellende wesentliche und ausreichend dauerhafte (vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2011/95/EU) Verbesserung der Sicherheitslage ist bisher auch in Mogadischu nicht festzustellen.
Al-Shabaab ist nach wie vor in der Lage, über die Peripherie in Randbezirke von Mogadischu einzudringen. Außerdem kann der Einfluss von al-Shabaab in Randbezirken von Mogadischu in der Nacht in der Peripherie größer werden (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, S. 29).
Das BFA führt zudem im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (S. 20 ff.) u.a. aus:
„Die Unsicherheit in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, einschließlich Mogadischu, sowie politische Machtkämpfe behindern Fortschritte im Bereich der Justiz und die Reform des Sicherheitssektors. Politische Anstrengungen zur Etablierung von Bundesländern verstärkten die Clankämpfe in einigen Bereichen. Dabei kam es auch zu zahlreichen Todesopfern und Vertreibungen, z.B. zwischen Dir und Hawadle im Jänner 2015.“
Auch Regierungstruppen und Clanmilizen geraten regelmäßig aneinander. Dadurch werden viele Zivilisten schwerverletzt bzw. getötet und deren Eigentum wird zerstört. In solchen Fällen bleibt Zivilisten nichts andres übrig als die Flucht zu ergreifen, da weder Clannoch staatlicher Schutz gegeben ist. Neben den Kampfhandlungen gegen al Shabaab gibt es aus dem ganzen Land auch Berichte über Inter- und Intra-Clankonflikte um Land und Wasserressourcen.

Die Sicherheitslage in von der Regierung kontrollierten Städten bleibt also volatil. Al Shabaab ist nach wie vor in der Lage, auch auf die am schwersten bewachten Teile von Mogadischu oder anderer Städte tödliche Angriffe zu führen. Bei aller Fragilität der Lage hat aber auch UNHCR festgestellt, dass es Zeichen zunehmender Stabilität gibt. Seitens der Regierung, AMISOM und der internationalen Gemeinde gibt es Anstrengungen, die neu eroberten Bezirke zu stabilisieren. So wurden etwa nach Diinsoor unmittelbar Verwaltungsbeamte entsendet. Dass al Shabaab unter den gegenwärtigen Umständen Städte zurückerobert, in denen starke Garnisonen („strongholds“) der AMISOM stationiert sind, ist sehr unwahrscheinlich.“
Die Zahl der Bombenanschläge in Mogadischu hat im Jahr 2013 gegenüber dem Jahr 2012 zugenommen (vgl. Bericht des Generalsekretärs der VN an den Sicherheitsrat vom 31.5.2013). Dass die al-Shabaab-Miliz relativ leicht prominente und theoretisch gut bewachte Ziele in der Hauptstadt angreifen kann, stellt nach Einschätzung von Beobachtern eine schwerwiegende Besorgnis für die Regierung dar und schwächt ihre Hoffnungen auf eine schnelle Rückkehr zur „Normalität“ in Somalia (vgl. Länderbericht der UK Border Agency zu Somalia vom 5.8.2013, dort Ziffer 1.28, S. 23).
Die Gewährleistung grundlegender Sicherheitsbedürfnisse ist in Mogadischu im Hinblick auf die schwierige bürgerkriegsbedingte Situation jedenfalls für Rückkehrer ohne entsprechendes Netzwerk nicht gewährleistet. In Mogadischu war im Jahr 2013 gegenüber dem Jahr 2012 keine Verbesserung bzw. eher eine Verschlechterung der Sicherheitslage festzustellen. Das ergibt sich bereits aus Zahlen, die das Bundesamt in vergleichbaren Fällen unter Bezug auf die Datenbank von Armed Conflict Location & Event Dataset (ACLED; The Robert S. Strauss Center for International Security and Law, www.acleddata.com) genannt hat (vgl. z.B. VG München, U.v. 24.8.2017 – M 11 K 17.31245 – n.v.). Danach fanden aufgrund von 588 sicherheitsrelevanten Vorfällen in Mogadischu im Jahr 2012 insgesamt 445 Personen den Tod. Die Anzahl der Vorfälle, bei denen Zivilisten beteiligt waren, belief sich auf 178. Zu Tode kamen hierbei 135 Angehörige der Zivilbevölkerung. Für das Jahr 2013 verzeichnete die ACLED 971 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 707 Toten. Die Anzahl der Vorfälle, bei denen Zivilisten betroffen waren, betrug 259, die Anzahl der Todesfälle unter Zivilisten 288. Im Jahr 2014 wurden insgesamt 739 Vorfälle mit 586 Toten registriert. In 235 Vorfällen waren Zivilisten betroffen, zu Tode kamen 268 Zivilisten. Für den Zeitraum 1. Januar 2015 bis 31. Oktober 2015 dokumentierte ACLED 416 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 426 Toten. Die Anzahl der Vorfälle mit Beteiligung von Zivilisten betrug 117. Bei diesen kamen 132 Angehörige der Zivilbevölkerung ums Leben. Im ersten Quartal 2016 wurden für die gesamte Region Banaadir einschließlich Mogadischu 66 Vorfälle mit 80 Toten genannt. Die aktuellsten verfügbaren Zahlen nach Maßgabe der Kurzübersicht von ACCORD, die auf den Daten von ACLED basieren, ergeben ein ähnliches Bild. Danach ergeben sich in der Region Banaadir für den Berichtszeitraum 1. Quartal 2017 120 Vorfälle mit 199 Toten und für das 2. Quartal 139 Vorfälle mit 192 Toten. Für das 4. Quartal ergeben sich bereits aus dem Anschlag vom vom 14. Oktober 2017 358 Tote und 228 Verletzte bei 56 Vermissten (https://de.wikipedia.org/wiki/Anschlag_in_Mogadischu_am_14._Oktober_2017 auf Grundlage von BBC News vom 20.10.2017).
Entsprechend den Zahlen des BFA zu sicherheitsrelevanten Vorfällen in Mogadischu ist die Zahl der Handgranatenanschläge ab 2014 deutlich zurückgegangen und liegt nach den aktuellsten Zahlen bei ca. 15 Anschlägen/Quartal. Auch die Zahl der gezielten Attentate und Sprengstoffanschläge ist rückläufig. Im Gegenzug ist aber die Zahl der bewaffneten Auseinandersetzungen gestiegen, von durchschnittlich 22/Quartal im Jahr 2013 auf 36 im Jahr 2014 und 44 im Jahr 2015. Zudem differiert die Gefährdungssituation extrem stark von Bezirk zu Bezirk (vgl. zu den Zahlen im Einzelnen BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, S. 27 ff.; BFA, Analyse der Staatendokumentation Somalia – Lagekarten zur Sicherheitslage – vom 12.10.2015 – im Folgenden: Lagekarten – S. 22 ff.). Einzelne Bezirke liegen beim Gewaltniveau an der Spitze der landesweiten Skala terroristischer Gewalt. Werden noch die Zahlen bewaffneter Zusammenstöße hinzugezählt, müssen drei Bezirke (Yaqshiid, Hodan und Heliwaa) vermutlich als gewaltsamste Orte Somalias bezeichnet werden (BFA, Lagekarten, S. 30).
Zudem lässt die Vielzahl von Einzelmeldungen zu terroristischen Aktivitäten und bewaffneten Auseinandersetzungen in Süd- und Zentralsomalia einschließlich Mogadischu erkennen, dass auch in Mogadischu noch nicht von einer wesentlichen und ausreichend dauerhaften Verbesserung der Sicherheitslage auszugehen ist. So gab es im Juli 2015 wohl mindestens 28 Tote bei Anschlägen auf drei Hotels (Meldungen der Deutschen Welle vom 10.7.2015 – „Tote bei Anschlägen auf Hotels in Somalia“ und vom 27.7.2015 – „Tote bei Bombenexplosion in Mogadischu“). Wohl Ende August 2015 überrannten Kämpfer der al-Shabaab-Miliz gut 75 Kilometer südlich von Mogadischu einen Militärstützpunkt der AMISOM-Friedensmission der Afrikanischen Union, und richteten ein Blutbad an (Meldung der Deutschen Welle vom 1.9.2015 – „Viele Tote bei Anschlag auf AU-Soldaten in Somalia“). Bei einem Selbstmordanschlag auf den Amtssitz des somalischen Präsidenten im September 2015 gab es mindestens 12 Tote (Meldung von Focus Online vom 22.9.2015 – „Zwölf Tote nach Anschlag auf Präsidentensitz in Somalia“). Wohl Ende Oktober 2015 gab es im Südwesten des Landes zahlreiche Tote bei Kämpfen zwischen Regierungstruppen und der al-Shabaab-Miliz (Meldung vom Deutschlandfunk vom 1.11.2015 – „Viele Tote bei Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Al-Shabaab“). Ebenfalls wohl Ende Oktober attackierten wohl Mitglieder der al-Shabaab-Miliz in Mogadischu unter Zündung von Autobomben ein Hotel, wobei nach Polizeiangaben wohl mindestens acht Menschen ums Leben kamen (Meldung von Spiegel online vom 1.11.2015 – „Angreifer zünden zwei Bomben – und stürmen Hotel“; Meldung der FAZ vom 2.11.2015 – „Terrorangriff auf Hotel in Mogadischu“). Auch aus Berichten der SZ vom 3. Juni 2016 („Immer noch stark genug“) und vom 26. Januar 2017 („Anschlag auf Hotel in Somalia“), der Neuen Zürcher Zeitung vom 28. Januar 2017 („Terroristen töten angeblich 57 kenyanische Soldaten“) und der FAZ vom 20. Februar 2017 („Tote bei Anschlag in Somalia“) geht hervor, dass die al-Shabaab-Miliz ihre Anschlagserie in Somalia auch nach der Wahl des neuen Präsidenten fortsetzt.
Als weitere aktuelle schwere Anschläge im Jahr 2017 sind beispielhaft zu nennen ein Bombenanschlag vor einem Hotel am 13. März 2017, bei dem mindestens acht Menschen getötet wurden (http://de.euronews.com/2017/03/13/somalia-mindestens-acht-tote-bei-anschlag-in-mogadischu), ein Bombenanschlag am 5. April 2017 vor einem Restaurant in der Nähe des Ministeriums für Sicherheit, bei dem mindestens sieben Menschen ums Leben kamen (http://www.spiegel.de/politik/ausland/somalia-mehrere-tote-bei-anschlag-der-schabab-miliz-in-mogadischu-a-1142033.html), ein Bombenanschlag mit anschließender Geiselnahme in einer Pizzeria am 14. Juni 2017, wobei mindestens 20 Menschen getötet und weitere 35 verletzt wurden (http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-06/somalia-terror-anschlag-restaurant-shebab-miliz), ein Selbstmordattentat am 20. Juni 2017, bei dem 16 Menschen ums Leben kamen und 17 verletzt wurden (http://www.handelsblatt.com/politik/international/mogadischu-mindestens-16-tote-bei-selbstmordanschlag-in-somalia/19956142.html), die Explosion einer Autobombe auf einer belebten Straße am 30. Juli 2017, bei der mindestens fünf Menschen getötet und weitere zehn verletzt wurden (http://derstandard.at/2000061996001/Fuenf-Tote-bei-Anschlag-in-Mogadischu) und zuletzt der Anschlag vom 14. Oktober 2017 mit 358 Toten, 228 verletzten und 56 Vermissten, Nachweis vgl. oben).
Umgekehrt finden in Süd- und Zentralsomalia weiterhin militärische Auseinandersetzungen mit der al Shabaab statt (vgl. eine Darstellung der Schwerpunkt-Operationsgebiete bei BFA, Lagekarten, S. 11), die auch die Sicherheitslage in und um Mogadischu beeinflussen und insbesondere die Situation für die große Zahl an Binnenflüchtlingen weiter verschärfen. Die aktuelle Lage in Süd- und Zentralsomalia außerhalb von Mogadischu stellt sich entsprechend den Erkenntnismaterialien (vgl. neben dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes insbesondere BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation; BFA, Lagekarten; EASO, Country of Origin Information) wie folgt dar:
Die somalischen Sicherheitskräfte kämpfen mit Unterstützung der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) gegen die radikalislamistische Miliz al-Shabaab. Die Gebiete sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al-Shabaab oder anderer Milizen oder sind von AMISOM Offensiven betroffen. Al-Shabaab führt weiterhin Angriffe auf Stellungen der AMISOM und der somalischen Armee sowie auf zivile Ziele durch. Zivilisten kommen im Kreuzfeuer, durch Sprengsätze oder Handgranaten ums Leben oder werden verwundet. Aus verschiedenen Garnisonsstädten heraus werden Vorstöße tief ins Gebiet der al-Shabaab unternommen. Diese werden teilweise von Luftschlägen begleitet. Al-Shabaab betreibt auch asymmetrische Kriegsführung, gekennzeichnet durch Sprengstoffanschläge und komplexe Angriffe, von welchen Zivilisten überproportional betroffen sind. Daneben führt al-Shabaab auch gezielte Attentate und sog. hit-and-run-Angriffe aus.
Al-Shabaab wurde zwar aus Städten in Hiiraan, Bay, Bakool, Gedo und Lower Shabelle und auch aus Kismayo vertrieben. Es ist aber nicht möglich zu definieren, wie weit der Einfluss oder die Kontrolle von AMISOM und somalischer Armee von einer Stadt hinausreicht. Der Übergang zum Gebiet der al-Shabaab ist fließend und unübersichtlich. Im Umfeld (Vororte, Randbezirke) der meisten Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierung in Süd-/Zentralsomalia verfügt al-Shabaab über eine verdeckte Präsenz, in den meisten Städten selbst über Schläfer. Manche Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierung können als Inseln auf dem Gebiet der al-Shabaab umschrieben werden. Jedenfalls verfügt al-Shabaab über ausreichend Kapazitäten, um auch in Städten unter Kontrolle von AMISOM und Regierung asymmetrische Kriegsführung (hit-and-run-Angriffe, Sprengstoffanschläge, gezielte Attentate) anzuwenden. Es gibt in allen Regionen in Süd-/Zentralsomalia Gebiete, wo al-Shabaab Präsenz und Einfluss hat, und wo sie die lokale Bevölkerung zu Steuerzahlungen zwingt.
Zudem hat die Inklusion nationaler Truppen (v.a. Äthiopien) zur Folge gehabt, da das Kontingent von AMISOM bereits überdehnt ist. Eine Folge der Überdehnung von AMISOM waren erfolgreiche Angriffe der al Shabaab auf Stützpunkte in Leego und Janaale. Danach wurden alle schwach besetzten exponierten Kompaniestützpunkte geräumt (vgl. BFA, Lagekarten, S. 4 und 10). Das ermöglicht der al-Shabaab, in ländlichen Bereichen wieder Kräfte zu bündeln und auch die eroberten Städte im Rahmen asymetrischer Kriegsführung zu destabilisieren (vgl. EASO, Country of Origin Information, S. 25).
Eine verlässliche Bewertung der Gefahrendichte aufgrund einer quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos durch Gegenüberstellung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und der Akte willkürlicher Gewalt ist für Süd- und Zentralsomalia jedenfalls außerhalb von Mogadischu mangels belastbarer Zahlen nicht möglich. In vielen Regionen ist das Gewaltniveau sehr hoch (vgl. zur Provinz Hiraan BayVGH, U.v. 7.4.2016 – 20 B 14.30101 – juris Rn. 25, 26).
Die aus dem Bürgerkrieg in Süd- und Zentralsomalia resultierenden Flüchtlingsströme beschränken sich nicht auf die jeweiligen Konfliktgebiete, sondern haben seit Beginn des Bürgerkriegs auch die Clanzusammensetzung und die Sicherheitslage im Großraum Mogadischu beeinflusst und destabilisiert.
Insgesamt liegen daher auch für Mogadischu keine ausreichenden Anhaltspunkte für ein Ende des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts vor.
Das Gericht geht nach Maßgabe der Erkenntnislage, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 20 B 15.30110 – juris Rn. 27 ff.), die sich aber ausschließlich auf die Gefahrenlage für Personen beschränkt, die keiner Risikogruppe angehören und ohne Vorverfolgung oder Bedrohung nach § 4 AsylG ausgereist sind, davon aus, dass die Sicherheitslage in Mogadischu weiterhin so volatil ist, dass für Personen mit individuellen gefahrerhöhenden Umständen eine für die Voraussetzungen von § 4 AsylG ausreichende Verdichtung der Gefahrenlage vorliegt.
Zu den gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen – z.B. als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (BVerwG, U.v. 17. 11. 2011 − 10 C 13/10 – juris Rn. 18).
Derartige Umstände liegen für den Kläger bezogen auf Mogadischu vor. Die individuelle Situation des Klägers stellt sich – wie auch im angefochtenen Bescheid vom Bundesamt zugunsten des Klägers unterstellt – besonders schwierig dar.
Im Hinblick darauf, dass der Kläger weder über Kontakte zu Bezugspersonen mit festem Wohnsitz in Mogadischu noch über entsprechende finanzielle Mittel oder eine Ausbildung verfügt, die ihm eine Wohnsitznahme in Mogadischu ermöglichen würde, bestünde für ihn eine beachtliche Gefahr, bei einer Rückkehr in einem der vielen Lager für Binnenflüchtlinge Zuflucht nehmen zu müssen.
Entsprechend Zahlen der UNHCR gab es in Somalia im November 2015 schätzungsweise 1,1 Millionen Binnenflüchtlinge. Davon fanden sich ca. 369.000 in Mogadischu. Die AMISOM-Offensiven im Jahr 2015 und Dürre haben zur Vertreibung von weiteren 42.000 Personen geführt. Die Aufnahmekapazität der Zufluchtsgebiete ist begrenzt, und die Situation angesichts der mehr als einer Million Flüchtlinge sowie durch die Rückkehrer bzw. Flüchtlinge aus dem Jemen sehr angespannt. Brennpunkte sind dabei u.a. das Umland von Mogadischu mit Hunderttausenden Binnenvertriebenen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, S. 84; EASO, European Asylum Support Office (EASO), Country of Origin Information – Somalia Security Situation – vom Februar 2016, S. 26, 51).
Die Sicherheitslage in den Flüchtlingslagern in und um Mogadischu ist nicht mit der Sicherheitslage für Bewohner der Stadt zu vergleichen. Es mangelt den Binnenflüchtlingen an Schutz. Die Regierung und Regionalbehörden bieten nur unwesentlichen Schutz und Unterstützung. Dies ist vor allem auf die beschränkten Ressourcen und Kapazitäten sowie auf eine schlechte Koordination zurückzuführen. So sehen sich Binnenflüchtlinge der Diskriminierung sowie sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. In Mogadischu sind dafür Regierungs- und alliierte Kräfte sowie Zivilisten verantwortlich. Viele der Opfer von Vergewaltigungen waren Frauen und Kinder in und um Mogadischu. Binnenflüchtlinge – und hier v.a. Frauen und Kinder – sind extrem vulnerabel. Humanitäre Hilfsorganisationen sehen sich Sicherheitsproblemen und Restriktionen ausgesetzt. Viele Binnenflüchtlinge leben in überfüllten und unsicheren Lagern und haben dort nur eingeschränkten Zugang zu Wasser, sanitären Einrichtungen und grundlegender Hygiene (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, S. 84, 85 m.w.N.). UNHCR unterstützt zwar auch weiterhin Binnenflüchtling-Rückkehrer aus Mogadischu. UNHCR und IOM unterstützen die organisierte Rückkehr von Binnenvertriebenen in Somalia, in erster Linie in den Regionen Shabelle und Bay. Bis Mitte 2013 konnten insgesamt 3.500 Familien im Rahmen des von UNHCR-Programms wieder in ihre Dörfer zurückkehren. Die Zahl von spontanen – also nicht mithilfe von UNHCR organisierten – Rückkehrern im gleichen Zeitraum wird auf 18.000 geschätzt. In Mogadischu kam es aber auch zur Vertreibung bzw. Zwangsumsiedlung von Binnenflüchtlingen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, S. 84, 85 m.w.N.; vgl. auch Lagebericht, S. 8, 12, 16). Entsprechend Daten der UNHCR wurden zwischen Januar und Oktober 2015 über 77.000 Binnenflüchtlinge gewaltsam von öffentlichen und privaten Grundstücken und Gebäuden in Mogadischu vertrieben. Viele von den Betroffenen sind gezwungen, in Gegenden umzusiedeln, wo Menschenrechtsverletzungen allgemein üblich, die Lebensbedingungen prekär und Versorgungseinrichtungen beschränkt oder nicht existent sind (vgl. EASO, Country of Origin Information, S. 54 m.w.N.). Ohne Unterstützernetzwerk ist es für Rückkehrer damit sehr schwierig, in Mogadischu zu überleben (EASO, a.a.O.).
Dementsprechend ist davon auszugehen, dass die vorhandenen Zahlen zu sicherheitsrelevanten Vorfällen und Todesfällen die Sicherheitslage in den Flüchtlingslagern nicht ausreichend abbilden und dort eine sehr hohe Dunkelziffer an Menschenrechtsverletzungen gegenüber Zivilisten besteht. Die Gefahrendichte dort ist nach Maßgabe einer wertenden Gesamtbetrachtung sehr hoch, Ausdruck der trotz der Vertreibung der al-Shabaab aus Mogadischu immer noch sehr volatilen bürgerkriegsbedingten Sicherheitslage und stellt insofern immer noch eine Folge des bewaffneten innerstaatlichen Konflikts dar.
Der Kläger wäre darüber hinaus in besonderer Weise gefährdet, weil er Somalia bereits vor über 17 Jahren verlassen hat und insofern nicht mehr über die entsprechende Erfahrung im Umgang mit der prekären Sicherheitslage verfügt.
Hinzu kommt, dass zugunsten des Klägers die Vermutungsregel des Art. 4 Abs. 4 RL der RL 2011/95/EU eingreift. Der Kläger ist unter dem Eindruck einer bereits erlittenen Vorschädigung geflohen, nicht nur vor einer Verdichtung der durch einen besonders hohen Gefahrengrad gekennzeichneten allgemeinen Gefahrenlage (ablehnend zur Anwendung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie auf solche Fälle BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 20 B 15.30110 – juris Rn. 33). Das Gericht hält die Darstellung des Klägers zu einem Angriff auf ihn und seine Familie und seine Ausführungen, dass es sich um einen typischen Angriff auf die Angehörigen von Angehörigen der früheren Regierung gehandelt habe, für glaubhaft und vor dem Hintergrund der Erkenntnislage für nachvollziehbar. Auch wenn nach Maßgabe der Erkenntnislage und des individuellen Vortrags weder von einer systematischen Verfolgung von Angehörigen der Streitkräfte des früheren Regimes noch von einem gezielten Angriff auf die Familie des Klägers wegen einer besonderen Funktion des Vaters des Klägers ausgegangen werden kann, erscheint es nachvollziehbar, dass im Jahr 2000, als seitens des dschibutischen Präsidenten Guelleh eine Friedensinitiative mit dem Versuch einer Aussöhnung unternommen worden war, die trotz anfänglicher Erfolge mit der Polarisierung in Freunde und Feinde der nationalen Aussöhnung eine erhebliche Gefahr bildete und zusätzlichen Zündstoff für Spannungen und bewaffnete Auseinandersetzungen barg (vgl. Lagebericht vom 12.7.2001), Angehörige der früheren Regierung aus dem Exil zurückkehrten und sie und ihre Familien verstärkt in den Fokus willkürlicher Gewaltakte geraten sind. Ungeachtet des verhältnismäßig langen Zeitraums seit der Ausreise ist die vom Kläger geäußerte Befürchtung einer erhöhten Bedrohungslage vor dem Hintergrund des immer noch fortdauernden Bürgerkriegs und der fehlenden Aufarbeitung der Vergangenheit nachvollziehbar und weist einen inneren Zusammenhang mit der erlittenen willkürlichen Gewalt auf.
Der Kläger hat deshalb Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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