Verwaltungsrecht

Türkischer Staatsangehöriger, Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, Anspruch auf Duldung zum Zwecke der Eheschließung (verneint), Eheschließung steht nicht unmittelbar bevor, Fehlende Bescheinigung des Abschlusses der Eheanmeldung

Aktenzeichen  Au 9 E 21.661

Datum:
21.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12494
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
AufenthG § 60a Abs. 2
GG Art. 6 Abs. 1
PStG § 13 Abs. 4

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen seine bevorstehende Abschiebung in die Türkei.
Der am … 1995 in … (Türkei) geborene Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volks- und jesidischer Religionszugehörigkeit. Seinen Angaben zu Folge reiste er am 5. Juni 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 22. Juli 2019 einen förmlichen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 4. November 2019 abgelehnt wurde. Die hiergegen erhobene Klage wurde mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 19. Oktober 2020 (Au 4 K 19.31556) abgelehnt. Der gegen das Urteil gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Dezember 2020 (24 ZB 20.32295) abgelehnt.
Am 22. Dezember 2020 wurde dem Antragsteller eine bis zum 22. März 2021 gültige Duldung erteilt. Die Duldungsbescheinigung erhielt den Zusatz, dass die Aussetzung der Abschiebung mit Wegfall der Abschiebungshindernisse erlischt und die Abschiebung gemäß § 60a Abs. 5 AufenthG angekündigt wird.
Nach dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens haben der Antragsteller und seine Verlobte, eine deutsche Staatsangehörige, bei dem für den Wohnsitz der Verlobten zuständigen Standesamt die Eheschließung beantragt. Die im Februar 2021 geplante Eheschließung scheiterte, da der Antragsteller dem Standesamt keinen gültigen Reisepass vorlegen konnte.
Am 2. März 2021 stellte die Auslandsvertretung der Republik Türkei dem Antragsteller nach Vorlage eines wegen Ablauf der Geltungsdauer ungültigen Reisepasses einen bis zum 22. Februar 2028 gültigen Nationalpass aus.
Mit Schreiben vom 11. März 2021 teilte der Bevollmächtigte des Antragstellers dem Antragsgegner mit, dass mit der Ausstellung des Nationalpasses alle Voraussetzungen für die Eheschließung gegeben seien. Der Pass werde nach Erhalt der Ausländerbehörde vorgelegt. Ferner wurde um Bestätigung gebeten, dass der Aufenthalt des Antragstellers nach erfolgter Passabgabe geduldet werde. Ein Duldungsanspruch ergebe sich nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung aus dem Recht auf Eheschließung.
Mit E-Mail vom 16. März 2021 lehnte der Antragsgegner eine Duldung des Aufenthalts des Antragstellers zum Zwecke der Eheschließung mit der Begründung ab, die Eheschließung im Bundesgebiet stehe nicht unmittelbar bevor.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 18. März 2021 hat der Antragsteller einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt und beantragt,
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller eine Duldung zum Zwecke der Eheschließung vor dem Standesamt … zu erteilen.
2. Der Antragsgegner wird weiter im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, bis zur erfolgten Eheschließung aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den Antragsteller zu unterlassen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Duldungsanspruch des Antragstellers ergebe sich aus dem Grundrecht auf Eheschließungsfreiheit, da die Eheschließung unmittelbar bevorstehe. Ein Termin zur Eheschließung sei nach Vorlage des gültigen Passes beim Standesamt unmittelbar bestimmbar. In der obergerichtlichen Rechtsprechung sei geklärt, dass jedenfalls dann, wenn alle Unterlagen für die Eheschließung vorhanden seien, diese auch unmittelbar bevorstehe. Es sei allenfalls umstritten, ob eine unmittelbar bevorstehende Eheschließung dann noch angenommen werden könne, wenn die Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses vom Oberlandesgericht beantragt werden müsse. Der Antragsteller habe ein gültiges Ehefähigkeitszeugnis dem Standesamt vorgelegt. Zur Glaubhaftmachung der in der Antragsbegründung vorgetragenen Tatsachen werde auf die beigefügten eidesstattlichen Erklärungen von dem Antragsteller und seiner Verlobten Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 7. April 2021 ist das Landratsamt für den Antragsgegner dem Antrag entgegengetreten und beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Das Recht auf Eheschließungsfreiheit des Antragstellers müsse hinter dem öffentlichen Interesse an einer Abschiebung zurücktreten, zumal vorliegend aufenthaltsbeendende Maßnahmen bereits eingeleitet worden seien. Der Antragsteller sei seit 7. Dezember 2020 vollziehbar ausreisepflichtig. Art. 6 Grundgesetz (GG) beinhalte keinen unbedingten Anspruch des zukünftigen Ehegatten, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen verschont zu bleiben, zumal die Eheschließung erst seit Kenntnis der vollziehbaren Ausreisepflicht nachdrücklich verfolgt werde. Es sei nicht im Sinne des Gesetzgebers, sich durch kurzfristig arrangierte Eheschließungen den gesetzlich vorgesehenen Abschiebemaßnahmen entziehen zu können. Das Schutzgebot für Ehe und Familie sei lediglich in verhältnismäßiger Weise mit den öffentlichen Interessen abzuwägen. Der Antragsteller sei im Besitz eines Nationalpasses, sodass es ihm sowohl rechtlich als auch tatsächlich möglich sei, seiner rechtskräftig bestehenden Ausreiseverpflichtung nachzukommen. Ein Duldungsanspruch wegen Unvereinbarkeit der Abschiebung mit der Eheschließungsfreiheit setze voraus, dass die Eheschließung im Bundesgebiet unmittelbar bevorstehe. Dies ist in der Regel nur dann der Fall, wenn der Eheschließungstermin feststehe oder jedenfalls verbindlich bestimmbar sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da das Standesamt die Eheschließung mangels vollständiger Unterlagen vorerst ausgesetzt habe. Auch sei ein konkreter Termin zur Eheschließung keineswegs verbindlich bestimmbar, da zuerst die Echtheitsprüfung des unlängst ausgestellten Passdokuments erfolgen müsse, welches der Ausländerbehörde noch nicht vorgelegt worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist nicht begründet. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht glaubhaft gemacht.
1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet, wenn der Antragsteller den von ihm behauptete Anordnungsanspruch und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (Anordnungsgrund) glaubhaft macht.
2. Der Antragsteller hat vorliegend keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Dem Antragsteller steht wegen der beabsichtigten Eheschließung kein Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu. Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange sie aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung kann sich etwa aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind.
Ein Duldungsgrund ergibt sich vorliegend nicht aus der beabsichtigten Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen.
a) Nach Art. 6 Abs. 1 GG schutzwürdige Belange können einer (zwangsweisen) Beendigung des Aufenthalts des Ausländers dann entgegenstehen, wenn es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine familiären Bindungen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen. Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst dabei neben dem Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben grundsätzlich auch die Freiheit der Eheschließung. Das durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Recht auf Eheschließung gebietet aber nur dann eine Gleichstellung mit einer bereits bestehenden Ehe und rechtfertigt insofern die Erteilung einer Duldung, wenn die Eheschließung unmittelbar bevorsteht (NdsOVG, B.v. 1.8.2017 – 13 ME 189/17 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Unmittelbar steht die Eheschließung grundsätzlich nur dann bevor, wenn ein zeitnaher Eheschließungstermin von dem zuständigen Standesbeamten bestimmt oder zumindest von diesem als unmittelbar bevorstehend bezeichnet ist (vgl. NdsOVG, B.v. 1.8.2017 – 13 ME 189/17 – juris Rn. 7 m. w. N.). Ausnahmsweise kann auch schon dann ein unmittelbares Bevorstehen der Eheschließung bejaht werden, wenn jedenfalls das – durch die Anmeldung der Eheschließung beim zuständigen Standesamt eingeleitete – Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Ehefähigkeit, also der Ehevoraussetzungen nach §§ 11 ff. Personenstandsgesetz (PStG) nachweislich erfolgreich abgeschlossen ist und seitdem nicht mehr als sechs Monate vergangen sind (vgl. Nr. 60a.2.1.1.2.1 i.V.m. Nr. 30.0.6 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz – AVwV AufenthG – vom 26.10.2009 (GMBl. S. 877); NdsOVG, B.v. 1.8.2017 – 13 ME 189/17 – juris Rn. 7 m.w.N.; Lehnert in Marx, Ausländer- und Asylrecht, 4. Auflage 2020, § 3, Rn. 13; etwas weitergehend BayVGH, B.v. 28.11.2016 – 10 CE 16.2226 – juris Rn. 11). Denn nur in diesem Fall stehen der Eheschließung keine wesentlichen Zwischenschritte mehr entgegen, sodass eine Gleichstellung mit einer bereits bestehenden Ehe im Hinblick auf den Schutz des Art. 6 GG gerechtfertigt wäre.
b) Ausgehend von diesem Maßstab steht die Eheschließung des Antragstellers nicht unmittelbar bevor. Der Antragsteller hat diese Tatsache nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Zur Glaubhaftmachung der unmittelbar bevorstehenden Eheschließung legte der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren eidesstattliche Versicherungen jeweils vom 18. März 2021 von sich und seiner Verlobten vor. Daraus geht hervor, dass das Standesamt den Eheschließenden mitgeteilt habe, der Antragsteller müsse einen gültigen Reisepass vorlegen. Der Abschluss eines Anmeldeverfahrens zur Eheschließung kann jedoch nicht allein durch Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht werden. Vielmehr ist hierfür die Vorlage einer von zuständigem Standesamt ausgestellten Bescheinigung nach § 13 Abs. 4 PStG erforderlich (vgl. Nr. 30.0.6 AVwV AufenthG; NdsOVG, B.v. 1.8.2017 – 13 ME 189/17 – juris Rn. 9). Die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung eines Verlobten oder auch beider Verlobter ist insoweit schon aufgrund deren fehlender Sachkunde unzureichend. Eine solche Bescheinigung des Standesamts ist jedoch bislang nicht vorgelegt worden.
Mangels Vorlage einer vom zuständigen Standesamt ausgestellten Bescheinigung nach § 13 Abs. 4 PStG steht die Eheschließung des Antragstellers nicht unmittelbar bevor, sodass die Ausländerbehörde unter Berücksichtigung der Schutzwirkungen des Art. 6 GG nicht verpflichtet ist, dem Antragsteller eine Eheschließung im Bundesgebiet durch eine Aussetzung der Abschiebung zu ermöglichen. Der Antragsteller ist darauf zu verweisen, seine Eheschließungsabsichten vom Ausland aus weiter zu betreiben und die Eheschließung nach Einreise mit einem hierfür erteilten Visum zu verwirklichen.
3. Da der Antragsteller bereits keinen Anspruch auf Duldung seines Aufenthalts glaubhaft machen konnte, scheidet auch ein Anspruch des Antragstellers auf Unterlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen seitens des Antragsgegner aus.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Ziffern 1.5 und 8.3 des Streitwertkatalogs für Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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