Verwaltungsrecht

Übergriffe durch Private in dem sicheren Herkunftsstaat Senegal

Aktenzeichen  M 17 K 16.33060

Datum:
9.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4, § 29a, § 36
AufenthG AufenthG § 60

 

Leitsatz

1. Die Klage gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist unzulässig, weil bei Aufhebung der Befristung das Verbot unbefristet gelten würde. (redaktioneller Leitsatz)
2. Senegal ist ein sicherer Herkunftsstaat. Die Nichtverfolgungsvermutung kann nur durch schlüssigen Vortrag individueller Verfolgungsgründe erschüttert werden. (redaktioneller Leitsatz)
3. Gegen Übergriffe Privater hat der Kläger die Möglichkeit, staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen oder in einen anderen Landesteil auszuweichen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 9. Dezember 2016 entschieden werden, obwohl die Beklagtenseite nicht erschienen war. Denn in der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung (die Beklagte hat mit Schreiben vom 25.02.2016 generell auf die Einhaltung der Ladungsfrist verzichtet) wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist unzulässig, soweit sie sich gegen die Nr. 7 des Bescheids vom 9. September 2016 richtet (s.u. I.), im Übrigen unbegründet (s.u. II.).
I.
In Nr. 7 des streitgegenständlichen Bescheids wird lediglich das sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG zeitlich befristet. Die Klage ist insoweit mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Denn die schlichte Aufhebung der Nr. 7 des Bescheids aufgrund einer Anfechtungsklage beträfe lediglich die getroffene Befristungsentscheidung als solche, so dass ein erfolgreiches Rechtsmittel zur Folge hätte, dass das – unmittelbar kraft Gesetz geltende – Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG unbefristet gelten würde. Die Rechtsstellung des Klägers wäre somit nicht verbessert. Das Ziel einer kürzeren Befristung der gesetzlichen Sperrwirkung nach § 11 Abs. 2 AufenthG müsste im Wege der Verpflichtungsklage erstritten werden (vgl. NdsOVG, B. v. 14.12.2015 – 8 PA 199/15 – juris Rn. 5; VG München, B. v. 12.1.2016 – M 21 S 15.31689 – UA S. 8; VG Ansbach, B. v. 20.11.2015 – AN 5 S 15.01667 – juris Rn. 2; B. v. 18.11.2015 – AN 5 S 15.01616 – UA S. 2; VG Aachen, B. v. 30.10.2015 – 6 L 807/15.A – juris Rn. 8; Funke/Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Stand Dezember 2015, § 11 Rn. 183, 190, 193, 196).
II.
Im Übrigen ist die Klage zulässig (vgl. insbesondere zu Nr. 6 des streitgegenständlichen Bescheids Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Stand Dezember 2015, § 11 Rn. 189), aber unbegründet, da der angegriffene Verwaltungsakt rechtmäßig ist.
1. Ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Flüchtling rechtfertigen würde, ist vorliegend aus dem Vortrag des Klägers nicht erkennbar.
1.1 Die Ablehnung der Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet beruht auf § 29a Abs. 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift ist der Asylantrag eines Ausländers aus einem Staat i. S. d. Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG (sicherer Herkunftsstaat) als offensichtlich unbegründet abzulehnen, es sei denn, die von dem Ausländer angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht.
1.2 Das Heimatland des Klägers, Senegal, ist ein sicherer Herkunftsstaat (vgl. § 29a Abs. 2 AsylG und Anlage II zu § 29a AsylG). Die Gerichte sind an diese Einstufung gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich die Einstufung als verfassungswidrig erweist (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – juris Rn. 65). Verfassungs- oder europarechtliche Bedenken gegen die Einstufung Senegals als sicherer Herkunftsstaat bestehen jedoch nicht.
1.3 Der Kläger hat die durch § 29a AsylG normierte Nichtverfolgungsvermutung auch nicht durch den schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern können. Vielmehr hat er sich auf eine vermeintliche Bedrohung durch seinen Onkel bzw. eine Strafanzeige wegen Vergewaltigung berufen. Dies begründet aber bereits mangels Anknüpfung an die dort genannten Merkmale keine Verfolgung im Sinne von Art. 16a GG oder § 3 AsylG. Das Gericht folgt daher der zutreffenden Begründung der Beklagten im angegriffenen Bescheid, auf die verwiesen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG).
2. Das Bundesamt hat auch zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) abgelehnt und das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint. Das Gericht nimmt auch insoweit vollumfänglich auf die Begründung des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
2.1 Abgesehen davon, dass der Vortrag des Klägers zu der Bedrohung seitens seines Onkels sehr pauschal und unsubstantiiert und damit wenig glaubhaft ist, hätte er bei einer Rückkehr die Möglichkeit, die Hilfe (übergeordneter) staatlicher Stellen in Anspruch zu nehmen. Insbesondere kann von einer allgemein mangelnden Schutzfähigkeit oder -willigkeit des senegalesischen Staates nicht ausgegangen werden. Der senegalesische Staat nimmt keine Repressionen Dritter hin, d. h. der Kläger könnte hier grundsätzlich Hilfe erlangen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts v. 15.10.2014, S. 13; VG München, B. v. 24.3.2016 – M 4 S 16.30549 – UA S. 7; VG München, B. v. 24.3.2016 – M 2 S 16.30464 – UA S. 6; VG München, B. v. 22.3.2016 – M 15 S 16.30357 – UA S. 8; VG München, B. v. 10.3.2016 – M 21 S 16.30061 – UA S. 9; VG Augsburg, U. v. 22.5.2013 – Au 7 K 13.30106 – juris Rn. 16). Das Gericht teilt aufgrund der vorliegenden Erkenntnismittel daher die Einschätzung des Bundesamtes, dass der senegalesische Staat bei Bedrohungen, bei denen es sich – wie hier – um kriminelles Unrecht nichtstaatlicher Akteure handelt, in der Lage und auch willens ist, hinreichenden Schutz zu gewähren (§ 4 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. der entsprechenden Anwendung von § 3c Nr. 3, § 3d Abs. 1 und 2 AsylG).
Im Übrigen besteht in derartigen Fällen eine inländische Fluchtalternative (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. der entsprechenden Anwendung von § 3e AsylG). Der Kläger kann sich bei einer Rückkehr in einem anderen Landesteil niederlassen, wo ihn sein Onkel nicht findet (vgl. z. B. VG Aachen, B. v. 18.7.2014 – 9 L 424/14.A – juris Rn. 10; VG Gelsenkirchen, U. v. 30.5.2012 – 7a K 646/12.A – juris Rn. 20; VG Würzburg, B. v. 29.11.2010 – W 1 S 10.30287 – juris Rn. 20).
2.2 Entsprechendes gilt hinsichtlich der in der mündlichen Verhandlung erstmals erwähnten Strafanzeige wegen Vergewaltigung.
a) Das Gericht muss sowohl von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose drohender Verfolgung bzw. Gefährdung die volle Überzeugung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Rechtssuchenden und dessen Würdigung kommt dabei besondere Bedeutung zu. Für die Glaubwürdigkeit ist insbesondere auf die Plausibilität des Tatsachenvortrags des Asylsuchenden, die Art seiner Einlassung und seine Persönlichkeit, insbesondere seine Vertrauenswürdigkeit, abzustellen. Der Asylsuchende ist insoweit gehalten, seine Gründe für eine Verfolgung bzw. Gefährdung schlüssig und widerspruchsfrei mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG, U. v. 12.11.1985 – 9 C 27.85 – juris).
Dies hat der Kläger hier jedoch gerade nicht getan.
Obwohl er angeblich von der Strafanzeige bereits im Senegal erfahren haben will, hat er diesen Umstand bei der Anhörung vor dem Bundesamt am … August 2016 mit keinem Wort erwähnt. Dass er, wie er angibt, sich hierzu nicht geäußert habe, weil er vom Bundesamt nicht danach gefragt worden sei, überzeugt nicht. Denn der Kläger wurde laut Niederschrift der Anhörung, die ihm rückübersetzt wurde, unter anderem aufgefordert, die Tatsachen vorzutragen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden ernsthaften Schadens begründen. Zudem wurde er am Ende der Anhörung gefragt, ob er sonstige Gründe habe, was er verneinte. Ebenso konnte der Kläger nicht plausibel machen, warum er sich bei Klageerhebung nicht auf die Strafanzeige berief, vielmehr machte er insoweit lediglich geltend, dass er nicht daran gedacht habe. Das – sehr pauschale – Vorbringen ist daher, zumal der Kläger keine entsprechenden Unterlagen vorlegen konnte, nicht glaubwürdig und als bloße Schutzbehauptung zu werten.
b) Im Übrigen, hätte der Kläger aber auch, wie bereits ausgeführt, bei einer Rückkehr in den Senegal die Möglichkeit, die Hilfe (übergeordneter) staatlicher Stellen in Anspruch zu nehmen und den Vorwurf der Vergewaltigung bei der Polizei bzw. vor Gericht zu entkräften.
Das senegalesische Rechtssystem basiert im Wesentlichen auf dem französischen Recht (Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Senegal als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylVfG vom 21.11.2015, Nr. I.1, III.2, III.4). Die Verhängung grausamer oder erniedrigender Strafen erfolgt nicht und Körperstrafen nach der Scharia sind ausgeschlossen, da das islamische Recht nur im Familien- und Erbrecht, nicht aber im Strafrecht Anwendung findet (Auswärtiges Amt, a. a. O.). Die Gefahr, wegen Vergewaltigung bestraft zu werden – sofern diese bewiesen werden kann -, rechtfertigt daher nicht die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG.
3. Nach alledem ist auch die vom Bundesamt nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden.
4. Schließlich ist auch das auf § 11 Abs. 7 AufenthG gestützte befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot rechtmäßig.
Die Ermessenserwägungen der Beklagten sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden, zumal der Kläger gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG keine substantiierten Einwendungen vorgebracht und insbesondere kein fehlerhaftes Ermessen gerügt hat.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Dieses Urteil ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG).


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