Verwaltungsrecht

Ukraine, Folgeantrag als unzulässig abgelehnt, keine Abschiebungsverbote, keine Wiederaufgreifensgründe

Aktenzeichen  W 6 K 20.31320

Datum:
14.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9376
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 71
VwVfG § 51
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Das Gericht konnte trotz des Ausbleibens von Beteiligten entscheiden, da hierauf in der Ladung zur mündlichen Verhandlung hingewiesen wurde (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte war zur mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß geladen.
Die Klage, soweit sie vorliegend noch verfahrensgegenständlich ist, ist zulässig, jedoch unbegründet. Denn der Bescheid des Bundesamts vom 11. November 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Bundesamt hat zu Recht den Folgeantrag des Klägers als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG abgelehnt. Ebenso ist die Ablehnung der Abänderung der Entscheidung über das Bestehen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtmäßig.
Die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens im Rahmen eines Folgeantrags, die nach aktueller Rechtslage als Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ergeht, ist in der Hauptsache mit der Anfechtungsklage anzugreifen (unter Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprechung: BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – NVwZ 2017, 1625 – juris Rn. 16). Demgegenüber ist die Feststellung nach Ziffer 2 des Bescheids, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen, in der Hauptsache weiterhin (hilfsweise) durch eine Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage zur verwaltungsgerichtlichen Prüfung zu stellen (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – NVwZ 2017, 1625 – juris Rn. 20; vgl. auch Berlit, 20.2.2017 – jurisPR-BVerwG 4/2017, Anm. 2 D).
1. Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen. Ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 VwVfG setzt voraus, dass sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich – nach Abschluss des früheren Asylverfahrens – zu Gunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung über sein Asylbegehren herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung (ZPO) gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). § 51 Abs. 1 VwVfG fordert einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung (Art. 16a GG) oder zur Zuerkennung des internationalen Schutzes (§§ 3 ff., 4 AsylG) zu verhelfen. Es genügt schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (BVerfG, B.v. 3.3.2000 – 2 BvR 39/98 – juris Rn. 32 m.w.N.). Außerdem ist der Antrag gemäß § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen und er den Antrag binnen drei Monaten nach Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt hat.
Die Voraussetzungen des § 51 VwVfG liegen im vorliegenden Verfahren nicht vor. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht vollumfänglich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug, § 77 Abs. 2 AsylG. Lediglich ergänzend ist Folgendes auszuführen:
1.1. Eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage zu Gunsten des Betroffenen im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG liegt nicht.
Die Änderung der Sach- oder Rechtslage muss nachträglich, d.h. nach Erlass des Verwaltungsaktes eingetreten sein (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 51 Rn. 25; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl 2018, § 51 Rn. 91). Dies ist schon nicht der Fall, denn der Kläger hat zur Begründung seines Folgeantrags ausschließlich Vorgänge geschildert, die sich vor seiner Ausreise aus der Ukraine 2015 ereignet haben. Im Übrigen bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass wegen einer Änderung der Sach- und Rechtslage dem Kläger der begehrte Schutz nach §§ 3 oder 4 AsylG zuzusprechen wäre. Soweit der Kläger die Verfolgung durch „Nationalisten“ behauptet, ist anzumerken, dass sich seit seiner Ausreise 2015 die politische Lage und der Staatsapparat in der Ukraine erheblich verändert haben. So sind seit der letzten Wahl am 21. Juli 2019 keine nationalistischen Parteien im ukrainischen Parlament (Werchowna Rada) mehr vertreten.
1.2. Ebenso liegt kein neues Beweismittel im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vor, das eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung über sein Asylbegehren herbeigeführt haben würde.
Ein Beweismittel ist neu i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, wenn es während des vorangegangenen Verfahrens entweder noch nicht existierte oder dem Asylbewerber nicht bekannt oder von ihm ohne Verschulden nicht beizubringen war (BVerwG, U.v. 21.4.1982 – 8 C 75/80 – NJW 1982, 2204). Erforderlich ist aber stets, dass sich das Beweismittel auf den im ersten Verfahren entschiedenen Sachverhalt bezieht, weil es anderenfalls keine günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Ein solches Beweismittel hat der Kläger nicht vorgelegt. Denn ungeachtet der Frage ihrer Authentizität erhält der Kläger die vorgelegten anonymen Droh-E-Mails von „Patriot Kruk“ bereits seit 2009. Die E-Mails und deren wesentlicher Aussagegehalt sind bis heute unverändert geblieben. Nachdem davon auszugehen ist, dass „Patriot Kruk“ eine oder mehrere Privatpersonen sind, die kriminelles Unrecht androhen, hätte dem Kläger innerstaatlicher Schutz zugestanden (§ 3d AsylG). Im Übrigen ist nicht ersichtlich, inwiefern diese E-Mails flüchtlingsrechtlich oder sonst schutzrelevant sein sollten, nachdem der Kläger bis 2015 in der Ukraine mit diesen Drohungen gelebt hatte. Darüber hinaus handelt es sich jedenfalls nicht um neue Beweismittel, da diese bereits zum Zeitpunkt des früheren Asylverfahrens vorgelegen haben.
1.3. Unabhängig davon wäre der Vortrag des Klägers jedenfalls nach § 51 Abs. 2 VwVfG präkludiert.
Gemäß § 51 Abs. 2 VwVfG ist der Antrag nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Erfasst ist neben Vorsatz auch grobe Fahrlässigkeit. Im Anschluss an die zu § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG getroffene Begriffsbestimmung liegt „grobe Fahrlässigkeit“ vor, wenn der Betroffene die ihm gebotene, im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerwiegender Weise außer Acht gelassen hat. Anzulegen ist ein konkret-individueller Maßstab (Schoch in Schoch/Schneider, VwVfG, Juli 2020, VwVfG § 51 Rn. 48). Da der Kläger hinsichtlich seiner Mitwirkungspflichten im Asylverfahren gemäß § 15 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 25 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG belehrt worden ist, musste ihm klar sein, dass er sämtliche Angaben wahrheitsgemäß und vollständig zu machen hat. Folglich liegt mindestens grobes Verschulden vor, wenn nicht sogar Vorsatz, wenn er seine Identität verschleiert und in diesem Wissen auch etwaiges Beweismaterial nicht vorlegen kann. So liegt der Fall hier: Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung selbst angegeben, die Droh-E-Mails deshalb nicht vorgelegt zu haben, weil dort sein richtiger Name zu lesen war, nicht sein vorgetäuschter. Der Vortrag, der Kläger sei hier wegen seiner Todesangst ohne grobes Verschulden gehindert gewesen, vermag nicht zu überzeugen. Der Kläger musste sich nach der Aufklärung über seine Mitwirkungspflichten darüber im Klaren sein, dass unwahre Angaben seinem Asylbegehren schaden können und werden. Dennoch hat er sich für die Verschleierung seiner Identität entschieden. In diesem Zusammenhang erscheint es auch widersprüchlich, wenn der Kläger bei der Bundesrepublik Deutschland einerseits Schutz suchen will, andererseits nicht so viel Vertrauen in diesen Staat hat, dass er dennoch um seine Sicherheit fürchtet. Daher muss sich der Kläger sein grobes Verschulden zurechnen lassen.
2. Es bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Antragsgegnerin hinsichtlich der Feststellung, dass nationale Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Insoweit wird in vollem Umfang auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend ist hinsichtlich des Gesundheitszustands des Klägers festzustellen, dass dieser nicht zu einer konkreten individuellen extremen Gefahr für Leib und Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führt. Aus den vorgelegten Attesten ergibt sich nicht, dass ihm bei einer Rückkehr der alsbaldige Tod drohen könnte. Die vorgelegten Atteste der Gemeinschaftspraxis Dr. E …, B …, v. 7.7.2020 und 25.11.2020, sowie von Dr. B …, M …, v. 8.5.2018, bzw. von Dr. S …, F …, v. 25.1.2021 genügen schon nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG. Soweit zwei Entlassberichte des Krankenhauses für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin … … (BKH …*) vom 1. März 2021 bzw. 8. April 2021 vorgelegt wurden, kann diesen als aktuelle Diagnose rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode (F 33.1) entnommen werden. Diese psychischen Erkrankungen können in der Ukraine adäquat behandelt werden. Ausweislich der Erkenntnismittel ist die medizinische Gesundheitsversorgung in der Ukraine flächendeckend und kostenlos; mittlerweile wurde sogar zum 1. Juli 2018 der Nationale Gesundheitsdienst (NGD) geschaffen, der die Funktion einer staatlichen, budgetfinanzierten Einheitskrankenversicherung übernommen hat (Auswärtiges Amt, Lagebericht Ukraine v. 29.2.2020, S. 19). Soweit der Kläger im Entlassbericht des BKH … vom 8. April 2021 ankündigt, er werde im Falle der Abschiebung Suizid begehen, hält es das Gericht für unglaubhaft und daher unwahrscheinlich. Der Kläger instrumentalisiert den Suizidgedanken, da er diesen hier erstmals und noch dazu in Zusammenhang damit schildert, dass ihm höchstwahrscheinlich eine Abschiebung bevorstehe. Ausweislich der ärztlichen Feststellungen des BKH … gab es in der Vergangenheit auch keine Suizidversuche in der Vorgeschichte des Klägers (Attest v. 8.4.2021, S. 2). Inwieweit sich seine die gesundheitliche Situation ggf. im Rahmen einer Abschiebung auswirken könnte, wird von der zuständigen Ausländerbehörde zu prüfen und berücksichtigen sein.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83 b AsylG).


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