Verwaltungsrecht

Unbegründeter Antrag auf internationalen Schutz, Unglaubhaftes Vorbringen, Interner Schutz, Vorliegen von Abschiebungsverboten (verneint), Herkunftsland: Nigeria

Aktenzeichen  M 27 K 18.33706

Datum:
24.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 51663
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 3e
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I. Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und aufgrund der mündlichen Ver handlung entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung anwesend waren. In den Ladungsschreiben war auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO). Das Bundesamt wurde mit Schreiben vom 29. Juni 2021 zur mündlichen Verhandlung geladen. Das Bundesamt hat auf Ladung gegen Zustellnachweis verzichtet.
II. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angegriffene Bescheid ist zum nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Ein Anspruch der Klägerin auf die von ihr begehrte Verpflichtung der Beklagten besteht nicht (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Gericht folgt insgesamt den Feststellungen und der Begründung in dem streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten. Auf die dortigen Ausführungen wird insbesondere hinsichtlich des rechtlichen Rahmens und des Prüfungsmaßstabs bezüglich der §§ 3 ff., 4 AsylG sowie des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG verwiesen. Von einer nochmaligen Darstellung wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG abgesehen.
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich auch aus dem Vorbringen der Klägerin im gerichtlichen Verfahren keine asylerhebliche Verfolgungs- oder Bedrohungslage ergibt, welche zu einem Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach §§ 3 ff. AsylG, auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG führen könnte. Das Gericht ist nach Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung bereits nicht von der Wahrheit des klägerischen Vorbringens überzeugt (nachfolgend 1.). Ungeachtet dessen muss sich die Klägerin darauf verweisen lassen, vor der von ihr behaupteten Verfolgung Schutz innerhalb von Nigeria zu suchen (nachfolgend 2.). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor (nachfolgend 3.). Die der Klägerin in dem streitgegenständlichen Bescheid gesetzte Ausreisefrist sowie die erlassene Abschiebungsandrohung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots begegnen ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken (nachfolgend 4.).
1. Auch in Asylstreitigkeiten muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Tatsachenvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann. Wenn wegen Fehlens anderer Beweismittel nicht anders möglich, muss die richterliche Überzeugungsbildung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Asylsuchenden glaubt (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239.89 – juris Rn. 3). Dabei obliegt es dem Asylbewerber, gegenüber dem Tatsachengericht einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen. Der Asylbewerber muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141.83 – juris Rn. 11).
Diese Anforderungen erfüllt das klägerische Vorbringen in der mündlichen Verhandlung nicht. Der Vortrag der Klägerin war vage und detailarm, wich von ihren im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt getätigten Angaben in wesentlichen Punkten ab und kann der Klägerin daher nicht geglaubt werden. Widersprüchlich sind bereits die Angaben der Klägerin zu ihren familiären Verhältnissen. Während sie beim Bundesamt noch erklärt hat, ihre Eltern seien gestorben und sie habe in Nigeria bei ihrer Tante gelebt, gab sie in der mündlichen Verhandlung an, dass besagte Tante nicht existiere, jedoch die Mutter der Klägerin in Nigeria lebe. Auch das Datum der behaupteten traditionellen Eheschließung der Klägerin ist für das Gericht nicht nachvollziehbar. Die in der mündlichen Verhandlung für die insoweit widersprüchlichen Angaben abgegebene Erklärung, die Urkunde sei diesbezüglich fehlerhaft, ist angesichts der Bestätigung dieses Datums durch die Klägerin im Rahmen ihrer Anhörung zu den Asylgründen ihrer im Jahr 2020 geborenen Tochter nicht glaubhaft. Zudem hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch das weitere im Raum stehende Hochzeitsdatum „20. März 2018“ zunächst nicht bestätigt, sondern den 30. März 2018 als zutreffend genannt. Angesichts dieser massiven Ungereimtheiten entfällt auch der Anknüpfungspunkt für den Beginn der angeblichen Bedrohungen durch die Menschenhändlerin. Unklar ist auch das weitere angebliche Verfolgungsschicksal der Klägerin. So hat sie in ihrer polizeilichen Zeugenvernehmung explizit erklärt, niemals der Prostitution nachgegangen zu sein, diese Aussage in der mündlichen Verhandlung aber wieder revidiert. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich aus den klägerischen Angaben im Rahmen der Anhörungen beim Bundesamt, der polizeilichen Zeugenvernehmung und der mündlichen Verhandlung kein stimmiger Tatsachenvortrag ergibt, der einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 ASylG oder subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG zu begründen vermag. Die hierfür von der Klägerbevollmächtigten abgegebene Erklärung, dass dies gerade auf durchlebten Menschenhandel hindeute, überzeugt das Gericht nicht.
2. Ungeachtet dessen wäre die Klägerin zudem auf internen Schutz innerhalb Nigerias nach § 3e AsylG (bzw. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG) zu verweisen, da selbst bei Annahme des Vorliegens einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung oder Bedrohung der Klägerin durch die Menschenhändlerin oder durch von dieser beauftragte Personen als sogenannte nichtstaatliche Akteure (vgl. § 3a i.V.m. § 3c Nr. 3 AsylG) für die Klägerin Fluchtalternativen innerhalb Nigerias bestehen. Es ist der Klägerin möglich, in anderen Gegenden Nigerias internen Schutz gemäß § 3e Abs. 1 AsylG zu finden, etwa in den nigerianischen Großstädten wie Lagos oder Port Harcourt. Es wurde weder schlüssig und glaubhaft dargestellt noch wäre es dem Gericht sonst erkennbar, wie die Klägerin dort angesichts des in Nigeria fehlenden funktionierenden Meldesystems (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 5. Dezember 2020, S. 27) und einer Bevölkerungsanzahl Nigerias von insgesamt ca. 200 Millionen Einwohnern (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 5. Dezember 2020, S. 5) aufgefunden werden könnte.
Es ist auch davon auszugehen, dass sie dort eine Lebensgrundlage haben wird. In der vorliegenden Konstellation ist im Rahmen der vorzunehmenden Rückkehrprognose (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris Rn. 17) davon auszugehen, dass die Klägerin gemeinsam mit ihren beiden Kindern nach Nigeria zurückkehren wird. Das Gericht geht ferner davon aus, dass es der Klägerin angesichts ihrer neunjährigen Schulbildung und ihrer langjährigen Erfahrung als Schneiderin auch ohne familiäre Unterstützung gelingen wird, das Existenzminimum der Familie zu erwirtschaften. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Bedingungen der Rückführung und der Reintegration abgefedert werden können. Das Verwaltungsgericht verweist in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit von Rückkehr- und Starthilfen. Internationale Akteure wie GIZ und IOM (mit deutscher und EU-Finanzierung) sind mittlerweile bemüht, neue Rückkehrer bzw. Migrationsberatungszentren in Nigeria aufzubauen. Entsprechende Einrichtungen von IOM und der GIZ existieren unter anderem in Abuja und Lagos. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 5. Dezember 2020, S. 26; VG München, U.v. 24.7.2020 – M 27 K 17.39375 – juris Rn. 12).
3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 sind vor diesem Hintergrund ebenfalls nicht ersichtlich. Die von der Klägerbevollmächtigten in diesem Zusammenhang in Bezug genommenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen führen angesichts der Tatsache, dass es sich bei der Frage des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG um eine Einzelfallentscheidung handelt, zu keinem anderen Ergebnis. Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG bestehen ebenfalls nicht.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der derzeitigen Covid-19-Pandemie. Das Gericht geht zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht mit einer hinreichend beachtlichen Wahrscheinlichkeit von einer derartigen Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Nigeria angesichts der Covid-19-Pandemie aus, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund von außerordentlichen individuellen Umständen gegeben wäre. Eine durch die Covid-19- Pandemie hervorgerufene Extremgefahr, welche zu einer Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG führen würde, ist für das Gericht ebenfalls nicht erkennbar.
4. Auch die der Klägerin vom Bundesamt nach § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG gesetzte Ausreisefrist sowie die nach § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung sind nicht zu beanstanden. Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken.
III. Die nach § 83 b AsylG gerichtskostenfreie Klage war deshalb abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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