Verwaltungsrecht

Unbegründeter Asylantrag eines afghanischen Staatsangehörigen der Volksgruppe der Hazara

Aktenzeichen  Au 6 K 17.30899

Datum:
15.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9488
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK Art. 3
AsylG § 3, § 4, § 26 Abs. 1, § 28 Abs. 1a
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
RL 2011/95/EU Art. 4 Abs. 4

 

Leitsatz

1 Volkszugehörige der Hazara einschließlich der Untergruppe der Sayed/Sadat unterliegen in Afghanistan zwar einer gewissen Diskriminierung, sind aber keiner durch die Taliban oder andere nichtstaatliche Akteure an ihrer Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung iSv § 3 AsylG ausgesetzt, noch besteht für sie eine entsprechenden Gefahrendichte iSv § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG. (Rn. 22) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Ein Asylbewerber muss die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse (Nicht-) Betätigung für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (wie BVerwG BeckRS 2015, 51672). (Rn. 27) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Zum Christentum konvertierte ebenso wie sich vom Islam abwendende ehemalige Moslems sind in Afghanistan gezwungen, ihren Glauben entweder ganz zu verleugnen oder ihn zumindest auch im privaten Umfeld zu verheimlichen, da andernfalls schwerwiegende Übergriffe durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure nicht ausgeschlossen werden können. Dauerhafter staatlicher Schutz vor derartigen Übergriffen ist derzeit – auch nur in bestimmten Landesteilen – nicht erreichbar. (Rn. 31) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Die Zunahme von Anschlägen hat nicht zu einer solchen Verschlechterung der Sicherheitslage in der Zentralregion Afghanistans und in der Stadt und der Provinz Kabul geführt, dass vernünftigerweise nicht mehr erwartet werden könnte, dass ein Rückkehrer sich dort niederlässt. Die allgemeine Gefährdungslage dort erreicht keine Intensität, dass ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt iSv § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG nach den von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen an einen solchen Konflikt (vgl. BayVGH BeckRS 2017, 136946) angenommen werden könnte. (Rn. 42 – 69) (red. LS Clemens Kurzidem)
5 Für die Inanspruchnahme internen Schutzes ist Herat grundsätzlich geeignet, da das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib und Leben zu erleiden, weit unter der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit liegt (wie BayVGH BeckRS 2017, 107849). Eine Verdichtung allgemeiner Gefahren ist in der Provinz Herat nicht anzunehmen. (Rn. 71) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. auf Gewährung subsidiären Schutzes oder auf Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegt. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz VwGO). Es wird Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Asylanerkennung nach Art. 16a GG.
Nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 und 2 GG kann sich auf das Asylrecht nicht berufen, wer aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft oder aus einem anderen durch Gesetz zu bestimmenden Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Da alle Nachbarstaaten der Bundesrepublik Deutschland entweder auf Grund ihrer Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft oder auf Grund der Anlage I zu § 26a AsylG sichere Drittstaaten sind, hat jeder Asylsuchende, der auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland gelangt ist, den Ausschlussgrund der Einreise aus einem sicheren Drittstaat verwirklicht (vgl. BVerwG, U.v. 7.11.1995 – 9 C 73/95 – BVerwGE 100, 23). Die Drittstaatenregelung nach Art. 16a Abs. 2 GG greift nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – DVBl 1996, 729) immer dann ein, wenn feststeht, dass der Ausländer nur über einen sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sein kann. Dies ist vorliegend wegen der Einreise auf dem Landweg u.a. über Griechenland der Fall. Die Anerkennung als Asylberechtigter scheidet daher nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG aus. Ausnahmen nach § 26a Abs. 1 Satz 3 AsylG liegen nicht vor.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung i. S. des § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten. Dabei ist nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 337 S. 9 ff; im Folgenden: RL 2011/95/EU) die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von Nachfluchttatbeständen Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
a) Es ist Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
b) Eine Verfolgung allein wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara hat der Kläger nicht zu befürchten. Volkszugehörige der Hazara einschließlich der Untergruppe der Sayed/Sadat unterliegen in Afghanistan zwar einer gewissen Diskriminierung, sind aber keiner durch die Taliban oder anderer nichtstaatlicher Akteure an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG ausgesetzt, noch besteht für sie eine entsprechende Gefahrendichte im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Die Hazara sind eine in Untergruppen zerfallende Minderheiten-Volksgruppe in Afghanistan mit Siedlungsschwerpunkt in der Provinz Bamyan; ihre Zahl wird auf rund 1,5 Mio. Menschen in Afghanistan und rund 150.000 Menschen im Iran geschätzt. Hazara unterlägen zwar fortwährender, sozial, rassisch oder religiös motivierter gesellschaftlicher Diskriminierung in Form von Gelderpressungen durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Gewalt und Haft; die Zahl der Entführungen sei seit dem Jahr 2015 gestiegen, teils freigelassen bzw. gegen andere Häftlinge ausgetauscht worden (ACCORD, Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation, Aktuelle Situation der Volksgruppe der Hazara, Abfrage vom 26.8.2016, http://www.ecoi.net/local_link/325973/465909_de.html). Es fehlt aber an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte (BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 20 ff.; BayVGH, B.v. 23.5.2017 – 13a ZB 17.30314 – Rn. 9; BayVGH, B.v. 14.9.2017 – 13a ZB 17.30854 – Rn. 6 f.). Auch unter Berücksichtigung und Würdigung der aktuellen Auskunftslage und der Stellungnahme des UNHCR (Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.4.2016) ergibt sich keine abweichende rechtliche Bewertung. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amts hat sich für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara die Lage grundsätzlich verbessert (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19.10.2016, im Folgenden: Lagebericht, S. 9). Auch der im Lagebericht geschilderte Überfall auf eine Gruppe Hazara auf der Straße von Kabul nach Kandahar, zeigt die latenten Spannungen zwischen Taliban und Hazara, führt wegen der räumlichen Entfernung zu Kabul aber nicht zur Annahme einer auch dort generell für Hazara gesteigerten Leibes- und Lebensgefahr.
c) Eine besondere Gefahr ergibt sich auch nicht wegen der Konflikte um Land-, Wasser- und Weiderechte der Hazara. Der Kläger hat vorgetragen, Informatik studiert zu haben und als Dozent, beim Aufbau von Websites und in der Verwaltung tätig gewesen zu sein; seine Familie habe zudem einen Laden besessen und teilweise in … gelebt. Aus diesem Vortrag ergibt sich nicht, dass die Familie des Klägers überhaupt in Konflikte über Weiderechte o.ä. involviert gewesen wäre. Im Übrigen handelt es sich bei diesen Konflikten, wie sie insbesondere im Verhältnis zwischen den Hazara und den nomadisch lebenden Kuchi auftreten, um vor allem ökonomische, ethnisch-religiös überlagerte Konflikte, bei denen nicht von einer Territorialgewalt der ohnehin nicht sesshaften Kuchi und auch nicht von einer landesweiten und dauerhaften Bedrohung der Hazara, sondern allenfalls von einer jahreszeitlich wiederkehrenden regionalen Gefährdung ausgegangen werden kann. Es handelt sich um private Gewaltanwendung beider Seiten im Schatten des zentralen afghanischen Konfliktes zwischen Regierung und auswärtigen Mächten einerseits und Taliban sowie weiteren irregulären Kombattanten andererseits. Eine dauerhafte landesweite Bedrohung, ja auch nur eine die gesamte Herkunftsregion des Klägers erfassende Gefahr ist nicht erkennbar.
d) Der Kläger konnte mit seinem individuellen Vortrag auch nicht glaubhaft machen, dass ihm in Afghanistan eine flüchtlingsrelevante Verfolgung wegen des Verfolgungsmerkmals Religion im Sinne von § 3b Abs. 1 Nr. 1 AsylG wegen Glaubensabfall/Glaubenslosigkeit (Apostasie) droht.
Nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie – QRL) vom 13. Dezember 2011 (ABl EU Nr. L 337/9) umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Dabei ist nicht jeder Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der gegen Art. 10 Abs. 1 der Grundrechtscharta verstößt, bereits eine Verfolgungshandlung i.S. der Qualifikationsrichtlinie. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein solcher Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit vorliegt und als Verfolgungshandlung zu qualifizieren ist, sind eine Reihe objektiver wie auch subjektiver Gesichtspunkte zu berücksichtigen (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11, C-99/11 – NVwZ 2012, 1612/1614; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936/939 Rn. 28). Objektive Gesichtspunkte sind dabei insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter, wie Leib und Leben. Subjektiv ist zu berücksichtigen, ob die religiöse Handlung, die die Verfolgung auslöst, für den Einzelnen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Maßgeblich ist, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist (BVerwG, a.a.O., Rn. 29). Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit i.S. von Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit, den Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in die Freiheit, den Glauben öffentlich zu leben (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11, C-99/11 – NVwZ 2012, 1612/1614; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936/938 Rn. 24). Ein hinreichend schwerer Eingriff setzt dabei nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach der Rückkehr in sein Heimatland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr einer Verfolgung aussetzt. Auch der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936/939 Rn. 26).
Das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GR-Charta umfasst spiegelbildlich zur positiven auch die sogenannte negative Religionsfreiheit, d.h. die Freiheit, eine bestimmte religiöse Überzeugung nicht zu teilen bzw. nicht an religiösen Handlungen teilzunehmen (vgl. VG Würzburg, U.v. 5.4.2017 – W 1 K 16.30865 – juris Rn. 19 m.w.N.), weshalb insoweit dieselben o.g. Maßstäbe gelten wie bei der Beurteilung eines Eingriffs in die positive Religionsfreiheit.
Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse (Nicht-)Betätigung für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (vgl. BVerwG, U.v. 25.8.2015 – 1 B 40/15 – juris Rn. 13). Da es sich um eine innere Tatsache handelt, lässt sich die religiöse Identität nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen aufgrund einer ausführlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung feststellen (zum Ganzen VG Würzburg, U.v. 5.4.2017 – W 1 K 16.30865 – juris Rn. 21; U.v. 26.4.2016 – W 1 K 16.30268 – juris Rn. 20, jeweils m.w.N. zur Rspr.).
Hinsichtlich des Prognosemaßstabs ist bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft und der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Dessen ungeachtet ist es Sache des Ausländers, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen, § 25 Abs. 1 und 2 AsylG, Art. 4 Abs. 3 Richtlinie 2011/95/EU. Der Ausländer hat dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich schlüssigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung Verfolgung droht. Hierzu gehört u.a., dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung abgibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen.
Beruft sich der Ausländer indes zur Begründung seiner Verfolgungsfurcht auch auf Vorgänge und Geschehensabläufe nach dem Verlassen seines Herkunftsstaates, so gilt die das Maß der Darlegungsanforderungen bestimmende Beweiserleichterung nicht, weil nicht mehr davon auszugehen ist, dass die für Vorgänge in dem „Verfolgerstaat“ bestehenden Beweisschwierigkeiten außerhalb des Herkunftsstaates fortbestehen. Der Flüchtling hat vielmehr die Umstände, aus denen er seine begründete Furcht vor Verfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ableitet, zu beweisen. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn die Nachfluchtgründe in einem Verhalten des Ausländers bestehen, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung und Ausrichtung ist, § 28 Abs. 1a AsylG. Durch die Verwendung des Wortes „insbesondere“ in § 28 Abs. 1a AsylG ist es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass auch Nachfluchttatbestände ohne eine entsprechende Vorprägung im Heimatland beachtlich sein können.
Diesen Maßstäben folgend liegt im Falle des Klägers keine im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan drohenden Verletzung seiner negativen Religionsfreiheit vor. Zwar umfasst die Religionsfreiheit auch die negative Religionsfreiheit. Im Falle des Klägers hat das Gericht aufgrund der Einvernahme des Klägers in der mündlichen Verhandlung jedoch nicht die Überzeugung gewonnen, dass es unverzichtbarer Bestandteil der religiösen Identität des Klägers wäre, sich nicht mehr mit dem muslimischen Glauben zu identifizieren und stattdessen eine atheistische Grundüberzeugung identitätsbestimmend wäre.
(1) Zum Christentum konvertierte ebenso wie sich vom Islam abwendende ehemalige Moslems sind in Afghanistan zwar gezwungen, ihren Glauben entweder ganz zu verleugnen oder ihn zumindest auch im privaten Umfeld zu verheimlichen, da anderenfalls schwerwiegende Übergriffe durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure nicht ausgeschlossen werden können. Dauerhafter staatlicher Schutz vor derartigen Übergriffen ist derzeit – auch nur in bestimmten Landesteilen – nicht erreichbar (VG Würzburg, U.v. 30.9.2016 – W 1 K 16.31807 – juris Rn. 23 m.w.N.; VG Dresden, U.v. 28.10.2016 – 7 K 3036/14.A – juris Rn.23):
Nach der Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan ist der Islam die Staatsreligion. Zwar ist die Religionsfreiheit in der afghanischen Verfassung verankert. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen werden dort jedoch allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts verstanden. Die Glaubensfreiheit und damit das Recht auf freie Religionswahl gelten demnach für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19.10.2016 – im Folgenden: Lagebericht, S. 10). In der Rechtspraxis spielt die Anwendung der Scharia, nach der Konversion als Verbrechen mit der Todesstrafe zu ahnden ist, eine gewichtige Rolle, auch wenn die Todesstrafe bisher noch nie vollstreckt wurde (Lagebericht, a.a.O. S. 11). Konvertiten drohen jedoch Gefahren oft auch aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld, weil der Abfall vom Islam in der streng muslimisch geprägten Gesellschaft als Schande für die Familienehre angesehen wird. Nach den in Afghanistan vorherrschenden (sunnitischen und schiitischen) Rechtsschulen muss ein vom Islam Abgefallener zur Reue aufgefordert werden. Wiederruft er seinen Glaubenswechsel nicht, so ist sein Leben nach islamischer Rechtsauffassung verwirkt. Aus diesen Gründen sind in Afghanistan zum Christentum konvertierte ehemalige Moslems gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen. Gottesdienste können nur in privaten Häusern abgehalten werden. Sie können ihren Glauben nicht einmal im familiären bzw. häuslichen Umfeld ausüben (Lagebericht, a.a.O. S. 11; VG Würzburg, a.a.O. Rn. 24 m.w.N.; vgl. auch VG Augsburg, U.v. 8.4.2013 – Au 6 K 13.30004 – juris Rn. 27).
Konvertierte Moslems sind in Afghanistan daher für den Fall, dass sie ihren neuen Glauben nicht ablegen bzw. nicht verleugnen wollen und auch nicht zur Wahrung des äußeren muslimischen Anscheins an muslimischen Riten, wie dem fünfmal täglichen Gebet, den Moscheebesuch oder islamischen Feierlichkeiten teilnehmen wollen, der Gefahr erheblicher Repressalien auch im privaten Umfeld bis hin zu Ehrenmorden ausgesetzt. Dies gilt nach der Überzeugung des Gerichts entsprechend für vom Glauben abgefallene, aber nicht zum Christentum konvertierte Muslime, weil der maßgebliche Anknüpfungspunkt der Verfolgungsmaßnahmen nicht die Hinwendung zum Christentum ist, sondern – wie hier: eine behauptete Konfessionslosigkeit – die Apostasie, d.h. der Abfall vom muslimischen Glauben (vgl. VG Würzburg, U.v. 5.4.2017 – W 1 K 16.30865 – juris Rn. 23 m.w.N.). Wirksamen Schutz durch die Polizei oder andere staatliche Einrichtungen i.S. von § 3d AsylG können die Konvertiten nicht erwarten, da für sie nach der Verfassung die Religionsfreiheit gerade nicht gilt. Dies gilt auch für Apostaten, also sich vom Glauben (hier: Islam) abgewendete Personen.
(2) Im Fall des Klägers ist das Gericht jedoch nicht überzeugt, dass überhaupt eine dauerhafte Abwendung vom Islam vorliegt. Jedenfalls liegt daneben die erforderliche subjektive Schwere der Verletzung der Religionsfreiheit nicht vor, da die behauptete Apostasie für den Kläger nicht hinreichend identitätsbestimmend geworden und ihm die äußerliche Anpassung an ein Leben in einem islamisch geprägten Land nicht unzumutbar ist.
Gegen den behaupteten Abfall vom islamischen Glauben spricht schon, dass der Kläger in einem wesentlichen Punkt falsche Angaben gemacht hat. Auf Frage des Gerichts, wann sich der Kläger verlobt habe, äußerte er zunächst ausweichend, das genaue Datum nicht zu wissen und sowieso nur Zeitangaben nach dem afghanischen Kalender machen zu können. Auf Hinweis der Einzelrichterin, dass falls bekannt auch Zeitangaben nach dem afghanischen Kalender angegeben werden könnten, gab der Kläger an, sich am 31.01.1395 offiziell verlobt zu haben, die inoffizielle Verlobung habe ungefähr zehn bis 15 Tage zuvor stattgefunden. Dies ist nicht möglich. Der Kläger ist nach seinen eigenen Angaben im August 2015 aus Afghanistan ausgereist und ist am 5. November 2015 in die Bundesrepublik eingereist (BAMF-Akte Bl. 21). Der 31.01.1395 nach afghanischer bzw. iranischer Zeitrechnung entspricht dem 19. April 2016. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Kläger schon seit Monaten in der Bundesrepublik. Auch wenn der Kläger das genaue Datum der Verlobung nicht mehr wüsste, wäre angesichts der Bedeutung für seine persönliche Lebensführung zu erwarten, dass die Zeitangabe zumindest nach Monat und Jahr richtig sein kann. Dies ist hier nicht der Fall. Auch im Übrigen machte der Kläger nur auf mehrmalige Nachfragen der Einzelrichterin knappe Angaben zu den Umständen seiner Verlobung bzw. Hochzeit. Auf die Frage der Einzelrichterin, wann der Kläger geheiratet habe, gab er zunächst an, nur verlobt, nie aber verheiratet gewesen zu sein. Auf Nachfrage des Gerichts unter Verweis auf die von ihm vorgelegte Heiratsurkunde gab er an, religiös geheiratet zu haben. Auf Frage des Gerichts, wer bei der Hochzeit anwesend gewesen sei, gab er lediglich an, dass die zwei für eine Hochzeit benötigten Zeugen anwesend gewesen seien. Auf nochmalige Nachfrage des Gerichts nach sonstigen Personen, insbesondere einem Imam, antwortete der Kläger allgemein, dass man ohne Imam nicht heiraten könne. Auf erneute Nachfrage des Gerichts, ob auch bei seiner Hochzeit ein Imam anwesend gesehen sei, bejahte dies der Kläger.
Aufgrund der falschen Angabe zum Verlobungsdatum und den nur auf mehrmalige Nachfragen des Gerichts gemachten sonstigen Angaben zu seiner religiösen Hochzeit hat sich der Kläger nach Eindruck der Einzelrichterin in der mündlichen Verhandlung als nicht glaubwürdig erwiesen; seine Angaben sind nicht glaubhaft.
Gegen einen Abfall vom muslimischen Glauben und eine Hinwendung zum Atheismus spricht auch, dass der Kläger nach seinen – allerdings zeitlich nicht konsistenten (s.o.) – Angaben noch in Afghanistan nur kurze Zeit vor der Ausreise religiös geheiratet hat, obwohl er gleichzeitig angibt, schon Jahre vor der Ausreise nicht mehr religiös gewesen zu sein. Diesbezüglich legte der Kläger eine vom Bundesamt übersetzte „religiöse Heiratsurkunde“ vor. Auf mehrmalige Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung gab der Kläger auch an, dass bei der Trauung ein Imam anwesend gewesen sei. Seine Einlassung bei der Anhörung vor dem Bundesamt, nur aus traditionellen und familiären Gründen geheiratet zu haben, ist ebenso eine Schutzbehauptung wie der Vortrag, die Heirat sei nur in Anwesenheit eines Imams möglich gewesen. Die Ehe (im juristischen Kontext als ezdewāğ oder nikāḥ bezeichnet) ist sowohl nach Art. 60 des afghanischen ZGB (englische Version abrufbar unter: https://www-cdn.law.stanford.edu/wp-content/uploads/2015/10/Civil-Codeof-Afghanistan-ALEP-Translation.pdf, Stand: 15.2.2018) als auch nach Art. 98 Abs. 3 des afghanischen Personenstandsgesetzes für die Schiiten in Einklang mit den überwiegenden islamischen Rechtslehren (lediglich) ein zivilrechtlicher Vertrag, dessen Zweck die Familiengründung ist (Kabeh Rastin-Tehrani, Afghanisches Eherecht mit rechtsvergleichenden Hinweisen, S. 85). Anders als im Christentum wird die Ehe nicht als Sakrament angesehen, für dessen Wirksamkeit die Anwesenheit eines Geistlichen erforderlich wäre. Eine Ehe kommt vielmehr durch Angebot und Annahme zustande, wenn bestimmte Voraussetzungen der Rechtsgültigkeit (beispielsweise Ehemündigkeit, geistige Gesundheit, ggf. Erlaubnis des gesetzlichen Vormundes) vorliegen und keine Ehehindernisse (beispielsweise aufgrund Verwandtschaft) bestehen (Kabeh Rastin-Tehrani, a.a.O., S. 90 ff.). Aus formeller Sicht ist nach Art. 77 Nr. 2 ZGB nur die Anwesenheit von zwei Zeugen erforderlich. Eine Registrierung der Ehe durch spezielle Büros ist zwar Pflicht, wirkt jedoch lediglich deklaratorisch, so dass eine Nichtregistrierung nicht die Wirksamkeit der Eheschließung berührt (Kabeh Rastin-Tehrani, a.a.O., S. 138 f.). Die Mitwirkung eines Geistlichen an der Trauung ist zwar für viele Menschen in Afghanistan von großer Bedeutung, jedoch kann auch jeder Nichtgeistliche ein Paar im Rahmen einer Hochzeitszeremonie trauen (Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Family Structures and Family Law in Afhanistan, S. 19, abrufbar unter: https://www.mpipriv.de/files/pdf3/mpi-report_on_family_ structures_and_family_law_in_afghanistan.pdf, Stand: 15.2.2018). Hätte der Kläger daher seine Verlobte nach afghanischem Recht wirksam heiraten und diese Ehe zu Beweiszwecken durch eine staatliche Stelle registrieren lassen wollen, wäre ihm dies bei seiner behaupteten Abneigung gegen Religionsgelehrte auch ohne der Anwesenheit eines Imams möglich gewesen. Selbst wenn im Heimatort des Kläger eine Trauung durch den Imam sozial üblich sein sollte, hätte der Kläger zumindest in größeren Städten wie Kabul sich ohne einen Imam verheiraten und die Ehe dort registrieren lassen können.
Dafür, dass der Kläger nicht identitätsprägend vom muslimischen Glauben abgefallen ist, spricht auch der Umstand, dass er nach seinen eigenen Angaben bei der Anhörung vor dem Bundesamt noch nicht einmal seiner Verlobten hiervon erzählte, sondern diese vielmehr sogar religiös vor einem Imam heiratete. Wenn seine Familie, andere Personen oder sogar seine Verlobte bzw. Ehefrau von seinem Glaubensabfall wüsste, würde er gesteinigt. Der Kläger hat den Widerspruch, dass er als vom Glauben abgefallener Atheist sich mit einer Frau verlobt bzw. diese sogar religiös heiratet, die derart fundamentalistisch-religiös geprägt ist, dass selbst die Offenbarung seiner Apostasie nur ihr gegenüber eine Lebensgefahr (Steinigung) für ihn darstellte, nicht überzeugend aufgelöst.
Des Weiteren bestehen zeitliche Widersprüche in Hinblick auf seinen Abfall vom Glauben. Als prägendes Ereignis gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung eine Misshandlung durch einen Imam als kleines Kind an. Danach sei er nicht mehr zur Moschee gegangen. Unabhängig von der Frage, wie sich der Kläger als kleines Kind gegenüber seinen nach seinem Vortrag religiösen Eltern in Hinblick auf den unterlassenen Moscheebesuch durchsetzen konnte, steht dieser Vortrag im Widerspruch zu seinem späteren Vortrag, fünf bis sechs Jahre lang – mit Ausnahme von Zeremonien – in Afghanistan nicht mehr in die Moschee gegangen zu sein. Wenn der 1993 geborene und 2015 ausgereiste Kläger schon als kleines Kind nicht mehr in die Moschee gegangen wäre, wäre er deutlich länger als die von ihm angegebenen fünf bis sechs Jahre nicht mehr in die Moschee gegangen. Im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung gab der Kläger wiederum an, seit fünf bis sechs Jahren, gerechnet seit dem heutigen Tag, keinen Glauben mehr zu haben. Da die mündliche Verhandlung am 13. Februar 2018 stattfand, wäre der Kläger frühestens seit Februar 2012 kein Muslim mehr. Dies steht wiederum im Widerspruch zu seiner Aussage, schon fünf bis sechs Jahre lang in Afghanistan, also spätestens ab 2010, nicht mehr in die Moschee gegangen zu sein und sich muslimischen Ritualen verweigert zu haben.
Dass der Kläger nicht in identitätsbestimmender Weise vom muslimischen Glauben abgefallen ist, so dass er aus diesem Grund Afghanistan verlassen hat und nicht mehr dorthin zurückkehren kann, spricht auch, dass der Kläger bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt maßgeblich die Verfolgung durch seinen Cousin und Onkel als fluchtauslösenden Umstand schilderte. Nur auf Nachfrage des Bundesamts machte der Kläger kurze Angaben zu seiner Religionslosigkeit, ohne näher darauf einzugehen. Dass dies – wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vortrug – maßgeblich auf Verständigungsschwierigkeiten zurückzuführen sei, ist eine Schutzbehauptung. Der Kläger bestätigte ausweislich des Protokolls, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gab; das Protokoll wurde ihm rückübersetzt. Anhaltspunkte für Verständigungsschwierigkeiten ergeben sich aus dem Protokoll nicht. Auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung schilderte der Kläger auf die Frage der Einzelrichterin, warum er Afghanistan verlassen habe, lediglich die Verfolgung durch seinen Cousin aufgrund seiner Verlobung bzw. Heirat und endete abschließend mit den Worten, dass dies der Grund für seine Flucht gewesen sei. Religiöse Probleme schilderte der Kläger nicht als fluchtauslösend. Erst auf Frage der Einzelrichterin, was der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte, machte er Angaben zu seiner Apostasie. Die Einzelrichterin ist aufgrund des Eindrucks in der mündlichen Verhandlung der Überzeugung, dass die behaupteten innerfamiliären Probleme wegen der Verlobung bzw. Heirat für den Kläger den maßgeblichen Grund seiner Ausreise darstellten.
Dass der Kläger am 30. November 2017 und damit über zwei Jahre nach seiner Einreise und insbesondere nach Erhalt des ablehnenden Bescheids des Bundesamts dem Verein „Zentralrat der Ex-Muslime und anderer nicht religiöser Menschen e.V.“ beitrat und sich auf … kritisch zum Islam äußert, vermag das Gericht nicht vom Glaubensabfall des Klägers zu überzeugen. Vielmehr geht das Gericht schon aufgrund der zeitlichen Abläufe davon aus, dass der Beitritt wie auch die Äußerungen auf … asylverfahrenstaktisch motiviert sind. Jedenfalls sind diese Betätigungen allenfalls Ausdruck davon, dass sich der Kläger durchaus kritisch mit dem Islam auseinandersetzt und sich von fundamentalistischen Positionen wie beispielsweise Selbstmordattentaten und Krieg aus religiösen Gründen distanziert. Eine innere, identitätsprägende Abkehr vom islamischen Glauben kommt dadurch nicht zum Ausdruck. So gab der Kläger auf Nachfrage der Klägerbevollmächtigten, wie der Kläger zu dem Verein gekommen sei, an, er sei mit der Gründerin des Vereins auf … befreundet gewesen und die Gründerin habe ihm den Vereinsbeitritt vorgeschlagen. Der Vereinsbeitritt entsprang daher nicht einer Eigeninitiative des Klägers. Auf Frage der Klägerbevollmächtigten, was der Kläger als Mitglied des Vereins mache, antwortete der Kläger, man kämpfe gegen den Fundamentalismus und für die Freiheit. Auch darin kommt keine Ablehnung des Islams an sich, der auch auf nicht-fundamentalistische Weise gelebt werden kann, zum Ausdruck. Auf Frage der Klägerbevollmächtigten, ob sich der Kläger mit Vereinsmitgliedern treffe, trug er wiederum vor, bei besonderen Ereignissen in Afghanistan oder im Iran kontaktiere man sich über soziale Medien, z.B. auch in Bezug auf Demonstrationen. Dies stimmt mit dem Vortrag des Klägers überein, wenn er eine Schwäche der Religion sehe, schreibe er auf … darüber. Auch mache er sich Gedanken über Ereignisse wie beispielsweise Selbstmordattentate in Kabul und übertrage die dortigen Vorfälle. Daraus ergibt sich allenfalls – sollten der Beitritt und die Beiträge nicht allein asyltaktisch motiviert sein – eine kritische Einstellung zu den politischen Verhältnissen im Iran und in Afghanistan, zu Terrorismus und fundamentalistischer Religionsauslegung, nicht hingegen ein identitätsprägender Glaubensabfall oder gar eine Hinwendung zum Atheismus.
Ein Glaubensabfall ergibt sich auch nicht aus der vom Kläger vorgelegten …-Nachricht, die nach seinen Angaben von seinem Onkel stammt. Zwar zeigt sich der Onkel enttäuscht über Äußerungen des Klägers zum Propheten, jedoch spricht er nicht von einem Glaubensabfall, sondern lediglich von einer Änderung des Glaubens.
Das Gericht ist vom Gesamteindruck des klägerischen Vortrags im Ergebnis davon überzeugt, dass der Kläger keine innere Abkehr vom Islam vollzogen hat und nicht in identitätsprägender Weise Atheist ist.
Zudem war ihm die Verheimlichung seiner behaupteten Apostasie bis hin zur religiös vollzogenen Heirat möglich; eine entsprechende Anpassung seines Verhaltens nach einer Rückkehr ist ihm daher auch weiterhin zumutbar.
e) Eine Verfolgung des Klägers ergibt sich auch nicht aus der von ihm vorgetragenen Bedrohung durch seinen Cousin, Onkel und Großvater wegen seiner Verlobung bzw. Heirat mit seiner Cousine.
(1) Zum einen hat der Kläger schon nicht die Gefahr eines ernsthaften Schadens („real risk“) glaubhaft gemacht.
Eine konkrete Bedrohung hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht. In der mündlichen Verhandlung schilderte er lediglich, die Leute hätten nachts nach ihm gefragt, seien aber dann wieder gegangen, weil er nicht zu Hause war. Am nächsten Tag seien die Leute wiedergekommen und hätten ihn „haben wollen“. Außerdem habe er Drohanrufe erhalten, in denen es geheißen habe, man wolle mit ihm reden. Er habe deswegen gewusst, was die Leute vorhatten. Als der Kläger nach … umgezogen sei, sei bei einem Ladenbesitzer nach ihm gefragt worden. Der Ladenbesitzer habe diese Leute für nicht normal gehalten. Daraufhin sei der Kläger ausgereist. Auf Nachfrage der Einzelrichterin, was die Leute mit dem Kläger denn vorgehabt hätten, antwortete der Kläger pauschal, das sei eine Schande für die Ehre der Familie gewesen und die Einzelrichterin wisse doch auch, was es bedeute, wenn ein Mädchen versprochen sei. Auf nochmalige Frage der Einzelrichterin, was er bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte, antwortete er in Hinblick auf diese Verfolgung lediglich, dass er Probleme wegen seiner Verlobung habe.
Aus diesem Vortrag ergibt sich nicht, dass der Kläger überhaupt an Leib und Leben durch seine Verwandten bedroht war. Konkretisierungen durch den Kläger blieben auch auf Nachfrage aus. Dass seine Verwandten den Kläger sprechen wollten, beinhaltet für sich allein noch keine Bedrohungslage. Auch dass der Kläger deswegen ausreiste, weil der Ladenbesitzer die Leute nicht für normal gefunden habe, erscheint konstruiert. Dass die Männer bewaffnet gewesen seien, wie er noch bei der Anhörung vor dem Bundesamt angab, erwähnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht mehr.
(2) Im Übrigen liegt auch kein Verfolgungsmerkmal i.S.d. § 3b AsylG vor. Bei den Streitigkeiten handelt es sich um einen rein innerfamiliären Konflikt um die Verlobung des Klägers mit einer einem Cousin versprochenen Cousine. Ein Verfolgungsmerkmal ist nicht ersichtlich.
(3) Darüber hinaus bestünde für den Kläger eine inländische Fluchtalternative.
Das Gericht ist der Überzeugung, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan jedenfalls in Kabul keiner Verfolgung ausgesetzt wäre und Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative noch geeignet und zumutbar ist, so dass erwartet werden kann, dass er sich dort vernünftigerweise niederlässt.
Grundsätzlich ist Kabul im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage als Fluchtalternative geeignet. Das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, ist weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2017 – 13a ZB 17.30314 – Rn. 6 ff.; BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 6): Auch aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes, der Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes und weiteren Quellen ergibt sich nicht, dass sich die Sicherheitslage in Kabul im Vergleich zur Einschätzung in den vorangegangenen Lageberichten derart wesentlich verschlechtert hätte (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 19.10.2016, S. 4 mit Verweis auf UNAMA-Daten, S. 17 f.; Auswärtiges Amt, Lagebeurteilung vom 28.7.2017, S. 6 Nr. 21 mit Verweis auf UNAMA-Daten).
Die Hauptgefährdung der afghanischen Zivilbevölkerung geht demnach landesweit von lokalen Machthabern und Kommandeuren aus, die sich der Kontrolle der Zentralregierung entziehen und häufig ihre Macht missbrauchen. Neben medienwirksamen Anschlägen auf militärische wie zivile internationale Akteure wurden vermehrt Anschläge auf afghanische Sicherheitskräfte verübt mit gestiegenen Opferzahlen insbesondere unter Armeeangehörigen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 19.10.2016, S. 17). Die im Vergleich zum Jahr 2016 etwa gleich gebliebene (Anstieg um 3% gegenüber dem Vorjahr) Zahl ziviler Opfer von 3.498 toten (Abnahme um 2%) und 7.920 verletzten (Anstieg um 6%) Zivilisten landesweit resultiere vor allem aus Kampfhandlungen und improvisierten Sprengsätzen (Auswärtiges Amt, Lagebeurteilung vom 28.7.2017, S. 8 Nr. 30 f. mit Verweis auf UNAMA-Daten). Im Dreivierteljahresbericht 2017 teilt UNAMA mit, dass die Zahl der zivilen Opfer gegenüber dem Vorjahreszeitraum um insgesamt 6% gesunken sei (https://www.ecoi.net/file_upload/90_1508152049_unama-protection-of-civilians-in-armed-conflict-quarterly-report-1-january-to-30-september-2017-english.pdf). Erstrangiges Ziel der Aufständischen seien ausländische Streitkräfte, Regierungsvertreter und die als Verbündete angesehenen afghanischen Sicherheitskräfte und Regierungsmitglieder sowie Regierungsbedienstete (Auswärtiges Amt, Lagebeurteilung vom 28.7.2017, S. 6 ff. Nr. 23 f., 28); für sie fluktuiere die Bedrohungslage regional (ebenda S. 7 Nr. 24), sowie der Unterstützung für diese verdächtige Zivilisten (vgl. UNAMA im Dreivierteljahresbericht a.a.O. S. 3).
Für afghanische Zivilisten gehe eine Bedrohung für Leib und Leben in ländlichen Gebieten insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen und in städtischen Gebieten vor allem von Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen sowie gezielten Tötungen und Entführungen aus (ebenda S. 8 f. Nr. 30 f., 35 unter Verweis auf UNAMA-Daten). Systematisch staatlich organisierte Gewalt gegen die eigene Bevölkerung aber finde nicht statt (ebenda S. 11 Nr. 40).
Für Kabul hatte die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) in ihrem Jahresbericht für 2016 (UNAMA, Afghanistan, Protection of Civilians in Armed Conflict, Annual Report 2016 vom Februar 2017, https://unama.unmissions.org/protection-of-civilians-reports, S. 3) noch um 34% im Vergleich zum Jahr 2015 auf 2.348 zivile Opfer, darunter 534 getötete und 1.814 verletzte Zivilsten gestiegene Opferzahlen für Kabul genannt (ebenda S. 4) und auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19.6.2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, S. 2, https://www.fluechtlingshilfe. ch/assets/herkunftslaender/ mittlerer-osten-zentralasien/afghanistan/170619-afg-sicherheitslage-kabul.pdf) bestätigt, dass die Provinz Kabul im Jahr 2016 unter allen afghanischen Provinzen die meisten zivilen Toten und Verletzten zu verzeichnen gehabt habe (ebenda S. 2).
Für das erste Halbjahr 2017 nennt die UNAMA in ihrem Halbjahresbericht für 2017 (UNAMA, Midyear Report vom Juli 2017, S. 3 ff., https://unama.unmissions.org/ sites/default/files/protection_of_civilians_in_armed_conflict_midyear_report_2017_july_2017.pdf) folgende, dem Vorjahr vergleichbar eingestufte Opferzahlen: Die höchsten Opferzahlen auf Grund von Selbstmordattentaten sowie komplexen Anschlägen seien in der Provinz Kabul wegen der Anschläge in der Stadt Kabul zu verzeichnen (1.048 zivile Opfer, darunter 219 getötete und 829 verletzte Zivilisten), gefolgt von den Provinzen Helmand, Kandahar, Nangarhar und Uruzgan usw. (ebenda S. 5). Das Selbstmordattentat vom 31. Mai 2017 in Kabul sei der folgenschwerste Angriff nach den Aufzeichnungen der UNAMA seit dem Jahr 2011 (ebenda S. 4; ähnlich SFH a.a.O., S. 3 f.). In 15 von 34 afghanischen Provinzen seien die Opferzahlen durch Angriffe regierungsfeindlicher Gruppen gestiegen (ebenda S. 5; detailliert je Provinz ebenda S. 79). Neben den improvisierten Sprengsätzen und Minen seien Bodenkämpfe die nächstfolgende Ursache für zivile Opfer mit einem Rückgang um 10% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Diese Datenlage zeigt also einerseits etwa gleichbleibende gesamte Opferzahlen, allerdings einen Anstieg der zivilen Opferzahlen und eine relative Verschlechterung der Sicherheitslage in Stadt und Provinz Kabul durch die Zunahme gezielter Anschläge (vgl. UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan vom Dezember 2016).
Nunmehr hat UNAMA im Dreivierteljahresbericht 2017 mitgeteilt, dass die Zahl der zivilen Opfer insbesondere in den Provinzen Kabul, Helmand, Kandahar, Nangarhar und Faryab am höchsten sei (https://www.ecoi.net/file_upload/90_1508152049 unama-protection-of-civilians-in-armed-conflict-quarterly-report-1-january-to-30-september-2017-english.pdf, S. 1).
Allerdings hat die Zunahme von Anschlägen nach Überzeugung des Gerichts nicht zu einer solchen Verschlechterung der Sicherheitslage in der Zentralregion und in Stadt und Provinz Kabul geführt, dass vernünftigerweise nicht mehr erwartet werden könnte, dass ein Rückkehrer sich dort niederlässt. Die allgemeine Gefährdungslage dort erreicht keine Intensität, dass ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nach den von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen an einen solchen Konflikt (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 6 ff.) angenommen werden könnte.
Ausgehend von einer Opferzahl von rund 11.500 zivilen Opfern im Jahr 2016 und einer Bevölkerungszahl in Afghanistan von mindestens 27 Mio. Menschen ist das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, landesweit noch weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 6 ff.: Wahrscheinlichkeit weit unter 1:800) und es besteht auch keine zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führende Gefahrenlage (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 6). Dies gilt auch für die Stadt Kabul mit einer von UNAMA mitgeteilten Opferzahl im ersten Halbjahr 2017 von 1.048 zivile Opfern bei einer Einwohnerzahl in der Stadt Kabul von geschätzt 4,5 Mio. Menschen (UNAMA a.a.O. S. 5; vgl. auch Auswärtiges Amt, Länderinformationen Afghanistan, Schätzung 2011, www.ausaertiges-amt.de, Abruf vom 7.6.2017).
Soweit Organisationen wie UNHCR und Pro Asyl sowie Presseberichte auf die Zunahme von Anschlägen in Kabul verweisen (vgl. UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan vom Dezember 2016), folgen sie eigenen Maßstäben, nicht jenen der o.g. Rechtsprechung. Dass die Opferzahlen – bei anderer Zählweise – höher liegen können, wie teils eingewandt wird (vgl. Stahlmann, Asylmagazin 2017, 82 mit Fn. 2), ändert diese Bewertung nicht, denn die von UNAMA mitgeteilten Daten sind methodisch nachvollziehbar ermittelt und auch deswegen belastbar (dies räumt auch das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht, U.v. 13.10.2017 – D-5800/2016 – www.bvger.ch, Urteilsabdruck S. 18 f. ein), da sie von einer von der internationalen Staatengemeinschaft getragenen Organisation stammen. UNAMA wurde auf Grund der Resolution Nr. 1401 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen eingerichtet auf Bitten der afghanischen Regierung; das Mandat wurde bis heute verlängert, zuletzt am 17. März 2017 mit Resolution Nr. 2344 (vgl. UNAMA, Mandate, a.a.O.). UNAMA ist landesweit vertreten und unterhält Verbindungsbüros in Pakistan und im Iran; die Mission hat mehr als 1.500 Beschäftigte, darunter etwa 1.150 afghanische Beschäftigte (ebenda). Dass die Methodik der UNAMA überholt wäre, die Informationen an offen erkennbaren inhaltlichen Defiziten litten, insbesondere an entscheidungserheblichen unzutreffenden Tatsachenannahmen, unlösbaren Widersprüchen, sich aus den Stellungnahmen ergebenden Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit oder eines speziellen, hier nicht vorhandenen Fachwissens bedürften (vgl. BVerwG, U.v. 22.10.2015 – 7 C 15.13 – NVwZ 2016, 308/312 Rn. 47 m.w.N.), ist weder ersichtlich noch substantiiert gerügt. Im Gegenteil liegen für Afghanistan mangels Einwohnermeldewesens auch für die Bevölkerungszahlen nur Schätzungen vor (dies räumt auch das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht, U.v. 13.10.2017 – D-5800/2016 – Urteilsabdruck S. 18 f. ein; auch Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73/74), so dass jede Datenerhebung schon deswegen an tatsächliche Grenzen stößt. Dass und weshalb andere Auskunftsquellen methodisch belastbarere Primärdaten hätten (auch SFH a.a.O. gibt keine selbst erhobenen Daten wieder), ist nicht ersichtlich, so dass die Daten von UNAMA weiterhin zu Grunde gelegt werden (vgl. auch Amnesty International, Afghanistan 2017 vom 15.2.2017, https://www.amnesty.de/ jahresbericht/2017/afghanistan, S. 3 unter Verweis auf UNAMA-Daten).
Auch der Ende Mai 2017 gegen die Deutsche Botschaft in Kabul gerichtete Selbstmordanschlag (Auswärtiges Amt, Lagebeurteilung vom 28.7.2017, S. 1 f. Nr. 4 ff.) führt zu keiner abweichenden Bewertung. Ausländische Institutionen und ihre afghanischen Helfer sind wie bisher Ziel gezielter Anschläge (ebenda S. 6 f. Nr. 23 ff.); ihre Bedrohungslage ist mit jener der Zivilbevölkerung (ebenda S. 8 ff. Nr. 30 ff.) aber nicht ohne Weiteres vergleichbar (vgl. oben). Trotz der dabei hohen Opferzahl sind die von der Rechtsprechung an die Annahme einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit von Schaden an Leib oder Leben gestellten Anforderungen nicht erfüllt (vgl. nur BayVGH, B.v. 23.5.2017 – 13a ZB 17.30314 – Rn. 7 m.w.N.). Auf zahlenmäßige Relationen kann auch nicht deswegen verzichtet werden, weil keine gesicherte Einwohnerzahl vorläge und bereits deswegen auf die bloße Quantität von Anschlägen in Kabul abzustellen wäre (so aber das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht, U.v. 13.10.2017 – D-5800/2016 – Urteilsabdruck S. 21, 24). Im Gegenteil hat dieselbe Opferzahl in einer dünnbesiedelten Region andere Auswirkungen auf die Sicherheitslage als in einer dichtbesiedelten Metropole wie Kabul. Die o.g. genannten Daten zu Grunde gelegt erreicht die allgemeine Gefährdungslage in Kabul keine Intensität, dass Stadt und Provinz Kabul im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage als Fluchtalternative nicht mehr geeignet wären (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 6 ff.). Daran wird auch im vorliegenden Fall festgehalten.
Eine landesweite gezielte Verfolgung ist nicht plausibel, u.a. deswegen, weil sich der Kläger in keiner Weise so exponiert hat, dass ihn sein Cousin und sein Onkel bei einer Rückkehr suchen und töten sollten; ein Untertauchen in der Millionenstadt Kabul ohne Meldewesen ist ihm ohne Weiteres möglich. Das Verfolgungsinteresse hängt vom jeweiligen Einzelfall ab (vgl. Stahlmann, Asylmagazin 2017, 82/88). Gerade in Kabul leben mindestens 3 Mio., nach informellen Schätzungen aber 7 Mio. Menschen (vgl. auch das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht, U.v. 13.10.2017 – D-5800/2016 – Urteilsabdruck S. 21), wobei fast alle Volksgruppen vertreten sind, insbesondere Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Baluchen, Sikh und Hindu, ohne dass eine Volksgruppe unter ihnen deutlich vorherrscht. Auch wenn die Angehörigen der Volksgruppen zu einer Ansiedlung bei ihren Familien oder im Kreis ihrer Volksgruppe neigen, haben sich doch auch Volksgruppenübergreifende Nachbarschaften gebildet (EASO Country of Origin Information Report, Afghanistan, Key socio-economic indicators etc., August 2017, S. 17, https://coi.easo.europa.eu /administration/easo/PLib/ EASO_COI_Afghanistan_IPA_August2017.pdf). Selbst bei Wahrunterstellung des klägerischen Vortrags ist eine landesweite gezielte Verfolgung nicht plausibel. Der Kläger hält sich seit Jahren nicht mehr in Afghanistan auf. Zu seiner Verlobten bzw. Ehefrau hat er seit 2015 nur ein einziges Mal Kontakt gehabt, so dass sein Cousin eines seiner wesentlichen Ziele – die dauerhafte Trennung des Paares – erreicht hat. Ein fortbestehendes Verfolgungsinteresse ist daher nicht erkennbar. Zudem stammen alle Beteiligten aus der Provinz B., nicht aus Kabul selbst. Darüber hinaus hat sich der Kläger schon vor seiner Ausreise in … versteckt, ohne dass ihm etwas zugestoßen wäre. Daher ist ihm ein Untertauchen in der Millionenstadt … ohne weiteres möglich.
Dem Kläger ist Kabul auch wirtschaftlich zumutbar, selbst wenn er abweichend von seinen Angaben vor dem Bundesamt nun keinen Kontakt zu seinen Verwandten in Afghanistan mehr haben sollte. Ihm droht erst recht keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben wegen der allgemeinen Versorgungslage in Kabul (dazu sogleich). Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt in Kabul sicherstellen kann (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 14.1.2015 – 13a ZB 14.30410 – juris Rn. 5). Auch wenn hierfür mehr zu fordern ist als ein kümmerliches Einkommen zur Finanzierung eines Lebens am Rande des Existenzminimums (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 20), ist doch vernünftigerweise zu erwarten, dass der Kläger sich in Kabul aufhält und seinen Lebensunterhalt dort sicherstellt. Es ist zu erwarten, dass der Kläger als gesunder Mann auch ohne nennenswertes Vermögen oder familiäre bzw. sonstige Kontakte seinen Lebensunterhalt in Kabul sicherstellen kann (vgl. BayVGH, B.v. 13.12.2016 – 13a ZB 16.30116 – Rn. 4, 6; BayVGH, B.v. 3.7.2017 – 13a ZB 17.30531 – Rn. 4).
Zwar wird darauf verwiesen, der Zugang zu Wohnung und Arbeit hänge maßgeblich von Netzwerken vor Ort ab (vgl. Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73/76 f., 78), allerdings ist nicht davon auszugehen, dass die große Zahl aus den Nachbarstaaten zurückkehrender Afghanen über solche verfügt (Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73/75 spricht von über 1 Mio. Rückkehrern allein im Jahr 2016; bestätigt durch Auswärtiges Amt, Lagebeurteilung vom 28.72017, S. 10 f. Nr. 37 f. unter Verweis auf UNHCR: etwa 670.000 Binnenvertriebene im Jahr 2016). Etwa 280.000 bisher im Jahr 2017 aus Iran und Pakistan zurückgekehrten Afghanen stehen etwa 150.000 Binnenvertriebenen bisher im Jahr 2017 gegenüber (Auswärtiges Amt, Lagebeurteilung vom 28.7.2017, S. 10 f. Nr. 37 f. unter Verweis auf UNHCR und IOM). Damit besteht die soziale Notwendigkeit, neue und von gewachsenen Strukturen unabhängige Netzwerke unter den Rückkehrern zu bilden. Letztlich kommt es auf die individuelle Rückkehrsituation für alleinstehende leistungsfähige Männer bzw. für verheiratete Paare im berufsfähigen Alter an (vgl. BayVGH, B.v. 19.6.2017 – 13a ZB 17.30400 – juris Rn. 15). Insofern bemerkenswert ist, dass die Volksgruppen in Kabul an ethnisch getrennten Wohnformen nicht mehr festhalten (können): So sind in Kabul fast alle Volksgruppen vertreten, insbesondere Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Baluchen, Sikh und Hindu, ohne dass eine Volksgruppe unter ihnen deutlich vorherrscht. Auch wenn die Angehörigen der Volksgruppen zu einer Ansiedlung bei ihren Familien oder im Kreis ihrer Volksgruppe neigen, haben sich doch auch Volksgruppenübergreifende Nachbarschaften gebildet (als allgemein zugängliche Quelle EASO Country of Origin Information Report, Afghanistan, Key socio-economic indicators etc., August 2017, S. 17, 68 a.E., https://coi.easo.europa.eu/ administration/easo/PLib/EASO_COI_Afghanistan IPA_August2017.pdf).
Die Kernherausforderung ist dort, trotz der geschätzten Arbeitslosenrate von 40% eine Beschäftigung zu finden, wobei die Beschäftigungsquote von Frauen in Vollzeit in einem männerdominierten Arbeitsmarkt ohnehin gering ist (in Kabul und Herat ca. 20%, in Mazar-e-Sharif ca. 5%). Etwa 90% der Arbeitsplätze sind nicht dauerhaft und die Arbeitslosenrate unter jungen Menschen (15 – 24 Jahre) deutlich höher als in der übrigen männlichen Bevölkerung (EASO a.a.O. S. 22). Die Beschäftigung weist hauptsächlich zwei Arten von Arbeitsverhältnissen auf, förmliche Arbeitsstellen in Regierung, Hilfsorganisationen und einem Teil der Wirtschaft mit etwa 20% der Arbeitsverhältnisse in den Städten, sowie unqualifizierte Stellen in den Bazaren, als Tagelöhner im Bausektor (mit sinkendem Anteil in Folge des Rückgangs des internationalen Militärengagements) und in der Landwirtschaft sowie in familiären Netzwerken (ebenda S. 22). Hingegen können trotz der hohen Arbeitslosenrate tausende Stellen für qualifizierte Beschäftigte nicht besetzt werden (ebenda S. 23). Die Beschäftigungsmöglichkeiten für Rückkehrer hängen insbesondere von Bildung (Sprache, Schrift, Rechenfähigkeit) und Erfahrung ab, wobei Rückkehrer u.a. ihre Migrationserfahrung je nach Einzelfall für sich einsetzen können (ebenda S. 24). In der Provinz Kabul hängen die meisten Beschäftigungsverhältnisse noch direkt oder indirekt von der Landwirtschaft ab, auch hier hat sich die Perspektive einer Beschäftigung trotz im Landesvergleich besserer Aussichten durch die verschlechterte Sicherheitslage und den Rückgang des international militärischen Engagements verschlechtert (ebenda S. 28). Für Rückkehrer ist auch für ihren Zugang zu grundlegenden Rechten, förmlicher Beschäftigung und Unterkunft der Besitz von Identitätspapieren entscheidend (ebenda S. 40 f.). In der Zusammenfassung sind die Schwierigkeiten für Rückkehrer umso größer, je geringer ihre Arbeitsfähigkeit, ihre Bildung oder Vertrautheit mit den Lebensverhältnissen in Kabul ist (ebenda S. 103), wobei familiäre Netzwerke solche Defizite eher auffangen können (ebenda S. 65 f.) und die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe den Zugang zu einer Arbeit zwar nicht allein ermöglicht, aber erleichtern und Vorurteile gegenüber Rückkehrern mindern kann (ebenda S. 68; zum Ganzen auch die klägerseitig genannte Quelle Asylos, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 29 ff., 42 ff. https://asylos.eu/wp-content/uploads/2017/08/AFG2017-05-Afghanistan-Situationof-young-male-Westernised-returnees-to-Kabul-1.pdf).
Soweit geltend gemacht wird, abgeschobene Afghanen würden als Straftäter, Gefährder oder Apostaten stigmatisiert und erhielten deswegen keinen Zugang zu Netzwerken, ist darauf hinzuweisen, dass Ausreisepflichtige dem behaupteten Stigma durch eine freiwillige Erfüllung ihrer Ausreisepflicht entgehen können und zudem nach den in Afghanistan vorherrschenden Rechtsschulen ein vom Islam Abgefallener zur Reue aufgefordert werden muss und Gelegenheit zum Widerruf des Glaubenswechsel erhalten muss (vgl. VG Würzburg, VG Würzburg, U.v. 30.9.2016 – W 1 K 16.31807 – juris Rn. 23 f.). Ein automatischer Ausschluss aus Netzwerken in Afghanistan ist daher nicht zu befürchten bzw. kann durch auch in Deutschland rechtstreues Verhalten verhindert werden.
Ebenso wenig erfolgt zwangsläufig eine nähere Überprüfung der Abgeschobenen durch afghanische Sicherheitskräfte. So teilte zwar das Bundesministerium des Innern zur Sammelabschiebung im Dezember 2017 mit, dass der afghanischen Seite bekannt sei, „dass Straftäter, Gefährder (und) Mitwirkungsverweigerer zurückgeführt werden“; außerdem würden „die Namen der Betroffenen übermittelt“. Beamte des Flüchtlingsministeriums in Kabul und der Grenzpolizei hätten allerdings gesagt, sie bekämen diese Informationen nicht. Auf afghanischer Seite gab es nach ersten Erkenntnissen keine besonderen Maßnahmen. „Hier ist niemand der Polizei übergeben worden“, habe der Leiter der Beobachtungsgruppe im Flüchtlingsministerium erläutert (vgl. Süddeutsche Zeitung online vom 7.12.2017, Achter Abschiebeflug erreicht Kabul, www.sueddeutsche.de/news/politik/ migration-achter-abschiebeflug-erreicht-kabul-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-171207-99-177718).
Angesichts der Bevölkerungsfluktuation in Afghanistan durch Rückkehrer auch aus dem benachbarten Ausland kann auf das Vorhandensein von bestehenden Netzwerken gerade nicht maßgeblich abgestellt werden (so aber das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht, U.v. 13.10.2017 – D-5800/2016 – www.bvger.ch, Urteilsabdruck S. 26 f. selbst für junge gesunde Männer), weil auch solche Netzwerke keine statischen Gebilde sind und ihre Veränderung bzw. Neubildung nicht ausgeschlossen sondern auch unter Afghanen möglich und zumutbar ist, wie ihre Neubildung auch in Europa zeigt.
Dass dem Kläger verwehrt wäre, ggf. neue Netzwerke zu bilden, ist nicht ersicht-lich. Er ist volljährig und arbeitsfähig. Dabei ist maßgeblich nicht einmal ein Vertrautsein erforderlich, sondern es genügt für einen Rückkehrer, wenn er den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat und eine der beiden Landessprachen spricht (BayVGH, B.v. 13.12.2016 – 13a ZB 16.30116 – Rn. 4; BayVGH, B.v. 29.6.2017 – 13a ZB 17.30597 – Rn. 6), was beim in Afghanistan geborenen und aufgewachsenen, Dari sprechenden Kläger der Fall ist. Zudem leben in seinem Heimatland noch seine Eltern, Geschwister, Onkel und Tanten, zu denen er Kontakt aufnehmen kann. Darüber hinaus ist der Kläger für afghanische Verhältnisse hoch qualifiziert. Er hat nicht nur das Abitur erworben, sondern auch mehrere Jahre an einer privaten Universität Informatik studiert. Zudem verfügt er über vielfältige Berufserfahrung als Dozent, in der Verwaltung und im Aufbau von Websites. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger sogar eine qualifizierte Arbeit wird finden können. Da der Kontakt zu seiner Cousine schon seit Jahren abgebrochen ist, ist auch davon auszugehen, dass der Kläger lediglich seinen eigenen Lebensunterhalt wird sicherstellen müssen. Im Übrigen sind unter Berücksichtigung der Auskunftslage insbesondere Rückkehrer aus dem Westen in einer vergleichsweise guten Position, die durchaus auch Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts eröffnet (vgl. hierzu auch BayVGH, U.v. 13.5.2013 – 13a B 12.30052 – juris Rn. 12). Zudem stehen ihm auch Rückkehrhilfen zur Verfügung (vgl. BAMF an VG Augsburg vom 12.08.2016), die jedenfalls für die Anfangszeit einer Wiedereingliederung des Klägers in die afghanischen Verhältnisse sein Auskommen sichern, bis er aus eigener Kraft seinen Lebensunterhalt sichern kann (aus GARP-Mitteln 500 Euro je Erwachsener, aus ERIN-Mitteln ca. 700 Euro, näher dazu VG Augsburg, U.v. 18.10.2016 – Au 3 K 16.30949 – Rn. 21 m.w.N.; auch die klägerseitig genannte Quelle Asylos, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 19, 21, https://asylos.eu/wp-content/uploads/2017/08/AFG2017-05-Afghanistan-Situationof-young-male-Westernised-returnees-to-Kabul-1.pdf), wobei nur ein Sechstel der Rückkehrer auch Leistungen nach der Rückkehr in Anspruch nahm (Asylos ebenda S. 20). Hinzu kommt z.B. eine von Deutschland unterstützte Hilfsorganisation vor Ort (IPSO), welche psycho-soziale Hilfe für 400 bis 500 Personen am Tag anbietet wie u.a. Übungen für Kenntnisse des Alltags in Afghanistan, Einzelberatung, und hand-werkliche Fähigkeiten (Asylos ebenda S. 53 m.w.N.).
Selbst wenn – wie nicht – dem Kläger Kabul nicht zumutbar wäre, weil nach seinem Vortrag schon in Kabul nach ihm gesucht wurde, kommt auch Herat als geeignete inländische Fluchtalternative in Betracht. Das Gericht ist der Überzeugung, dass auch Herat zumutbar ist, sodass erwartet werden kann, dass sich der Kläger dort vernünftigerweise niederlässt.
Im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage ist Herat als Fluchtalternative geeignet. Das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, ist weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BayVGH, B.v. 19.6.2013 – 13A ZB 12.30386 – juris; B.v. 11.4.2017 – 13A ZB 17.30294 – juris). Eine Verdichtung allgemeiner Gefahren ist in der Provinz Herat nicht anzunehmen. Ausgehend von einer Bevölkerungszahl von über 1.890.000 Menschen in der Provinz Herat (EASO Country of Origin Information Report, Afghanistan, Security Situation, November 2016, S. 160, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/Nov%2016%20-Afghanistan%20 security%20 report.compressed.pdf) und einer Opferzahl von 215 Personen im ersten Halbjahr (UNAMA, Midyear Report vom Juli 2017, S. 73, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/protection_of_civilians_in_armed_conflict_midyear_report_2017_july_2017.pdf) sind selbst bei Verdoppelung der Opferzahl (als Hochrechnung auf den Zeitraum eines ganzen Jahres) weder die Anforderungen der Rechtsprechung an einen bewaffneten innerstaatlichen Konflikt erfüllt (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 7), noch ist ein im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris) entsprechend hohes Risiko, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, gegeben. Für Herat teilt UNAMA im Halbjahresbericht 2017 (a.a.O. S. 73) mit, dass dort 107 Zivilisten getötet und 108 verletzt worden seien sowie sich die Opferzahl gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 14% erhöht habe. Damit ist das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, noch weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Der unsicherste Distrikt in der Provinz Herat ist zudem nicht der Distrikt der Stadt Herat, sondern der 130 km von der Stadt Herat entfernte Distrikt Shindand. Zwischen September 2015 und Mai 2016 kam es im Distrikt Shindan zu 154 sicherheitsrelevanten Vorfällen; während der Distrikt Herat bei einer Einwohnerzahl von mindesten 477.400 bis zu 730.000 Personen nur 68 sicherheitsrelevante Vorfälle zu verzeichnen hatte (EASO Country of Origin Information Report, Afghanistan, Security Situation, November 2016, S. 160 f. https://www.easo.europa.eu/sites/ default/files/Nov%2016%20-Afghanistan%20security%20report.compressed.pdf; EASO Country of Origin Information Report: Afghanistan – Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, S. 17, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/publications/EASO-COI-Afghanistan -IPA-August-2017_0.pdf). Des Weiteren ist Herat auch auf sicherem Wege erreichbar, da sowohl internationale Flüge nach Herat als auch mehrfach täglich nationale Flüge von Kabul nach Herat gebucht werden können (EASO Country of Origin Information Report: Afghanistan – Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, S. 127 f., https://www.easo.europa.eu/sites/default /files/publications/EASO-COI-Afghanistan-IPA-August-2017_0.pdf).
Die Stadt Herat hat Binnenflüchtlinge insbesondere aus den Nachbarprovinzen sowie aus dem Iran aufgenommen (EASO Country of Origin Information Report, Afghanistan, Security Situation, November 2016, S. 163, a.a.O.; EASO Country of Origin Information Report: Afghanistan – Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, S. 17, a.a.O.). Obwohl die Stadt Herat traditionell eine von Tadschiken dominierte Enklave in einem von Paschtunen dominierten Umland war, machen aufgrund dieser Migrationsbewegungen inzwischen Schiiten (hauptsächlich Hazara und einige Tadschiken) ein Viertel der Bevölkerung aus (EASO Country of Origin Information Report: Afghanistan – Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, S. 17, a.a.O.). In der Stadt lebt inzwischen eine beträchtliche Zahl an Hazara und Aimaken (EASO Country of Origin Information Report; Afghanistan – Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, S. 17, a.a.O.). Trotz dieser Rückkehrer und Binnenflüchtlinge lebt in der Stadt Herat noch immer eine große Anzahl an Bürgern, die noch nie geflohen sind; der Anteil der Binnenvertriebenen ist im Vergleich zu anderen größeren Städten eher klein. Im Jahr 2015 lebten in Herat 1.958 Binnenvertriebenen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die meisten Binnenvertriebenen sich außerhalt der Stadtgrenzen niedergelassen haben, so dass ihre Gesamtzahl größer ist (EASO Country of Origin Information Report: Afghanistan – Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, S. 18, a.a.O.). Nach einer Studie der Central Statistics Organization (CSO) Afghanistan (unterstützt von UNFPA) vom Dezember 2016 hatten 33,4 Prozent der Bevölkerung in der Provinz Herat für mindestens sechs Monate schon in einem anderen Distrikt (anteilig 39,3%), einer anderen Provinz (anteilig 26,1%) oder einem anderen Land (anteilig 34,6%) gelebt (CSO, Socio-Demographic and Economy Survey 2016, S. 14, http://afghanistan.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/Herat%20Highlight_ Formatted%20final%2028%20Jan%20Based%20on%20USAID%20-FINAL%20%281%29.pdf). Der Kläger trifft in Herat damit auf eine vergleichsweise gute sozio-kulturelle Lage mit einer noch vergleichsweise stabilen Bevölkerungsstruktur bei gleichzeitig so hohem Migrationsanteil, dass auch in Herat die Notwendigkeit zur Gründung neuer Netzwerke besteht (auf die diesbezüglichen Ausführungen zu Kabul wird Bezug genommen). Insbesondere die Ethnie der Hazara, der der Kläger angehört, ist in Herat besonders stark vertreten, so dass erwartet werden kann, dass sich der Kläger – wie andere Binnenvertriebene und Rückkehrer – dort neue Netzwerke aufbaut.
Dem Kläger ist Herat auch wirtschaftlich zumutbar. Die Stadt Herat profitiert von einer starken und vergleichsweise vielseitigen Wirtschaft einschließlich eines stabilen Bau- und Dienstleistungssektors sowie verarbeitender Industrie (EASO Country of Origin Information Report: Afghanistan – Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, S. 17, a.a.O.), wenn auch die Stadt unter starkem Urbanisierungsdruck steht. Es bestehen starke, geschichtlich gewachsene Handelsbeziehungen zum Iran und zu Turkmenistan, wobei wegen der stagnierenden nationalen Wirtschaftsleistung mit einem deutlichem Rückgang des Handelsvolumens zu rechnen ist, der sich negativ auf das Arbeitsplatzangebot in Herat auswirken wird (EASO Country of Origin Information Report: Afghanistan – Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, S. 28 f.). Nach einer Studie des CSO (unterstützt von UNFPA) standen im Jahr 2015 58,6% der Bevölkerung über 15 Jahre in der Stadt Herat nicht in einem Beschäftigungsverhältnis, im Durchschnitt der gesamten Provinz waren es 55,3% (CSO, Socio-Demographic and Economy Survey 2016, S. 16, http://afghanistan.unfpa.org/sites/ default/files/pub-pdf/Herat%20Highlight_Formatted%20final%2028%20Jan%20 Based%20on%20USAID%20-FINAL%20%281%29.pdf). Die Zahl der Nichtbeschäftigten ist jedoch nicht gleichzusetzen mit der Zahl der ungewollt Arbeitslosen. So gaben 75,4% der nicht arbeitenden Bevölkerung in der Studie an, dass sie im Haushalt tätig seien, 17,4% berichteten von einer Schul- oder Studientätigkeit und 3,3% gaben an, dauerhaft krank zu sein. Diese Auskünfte entsprechen auch dem weiteren Ergebnis der Studie, dass zwar 87% der Frauen über 15 Jahre in der Provinz Herat keiner Beschäftigung nachgingen, aber nur 23,2% der Männer über 15 Jahre. Es ist daher davon auszugehen, dass die meisten in Herat nicht beschäftigten Personen nicht wegen der schlechten Arbeitsmarktlage, sondern aus sonstigen Gründen nicht arbeiten. Insbesondere die deutlich höhere Nichtbeschäftigung der Frauen erklärt sich maßgeblich mit dem in weiten Teilen der afghanischen Gesellschaft vorherrschenden Gesellschaftsbild, nach dem eine Tätigkeit der Ehefrau und Mutter außerhalb des familiären Haushalts nicht erwünscht ist, solange die Familie darauf nicht zwingend aus wirtschaftlichen Gründen angewiesen ist. Das Klein- und mittelständische Gewerbe ist in Herat gut entwickelt, insbesondere im Handwerk, in der Teppich- und in der Seidenproduktion. Auch Industrie einschließlich Fabriken zur Schuh-, Mobiltelefon- und Kühlschrankproduktion ist vorhanden, wobei ausschließlich Männer in der Industrie arbeiten. Die meisten Personen in Herat sind als Tagelöhner tätig oder selbstständig; einer Tätigkeit als Angestellter geht nur eine kleine Minderheit nach. Seit 2001 hat keine andere afghanische Stadt mehr Privatinvestitionen erhalten als Herat, jedoch wurden die in Herat produzierten Produkte oft von iranischen Produkten preislich unterboten. Private Investitionen sind auch wegen der Sicherheitslage und politischer Unwägbarkeiten zurückgegangen. Das Haushaltseinkommen hat sich durch die stark gesunkene Nachfrage der Nichtregierungsorganisationen als Kunden verringert (EASO Country of Origin Information Report: Afghanistan – Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, S. 28 f.). Der Kläger ist als Abiturient und ehemaliger Informatikstudent hochqualifiziert. Es ist daher davon auszugehen, dass er sich trotz der angespannten Wirtschaftssituation auf dem Arbeitsmarkt wird behaupten können.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht (vgl. oben). Hier steht dem Kläger zudem interner Schutz offen (§ 4 i.V.m. § 3e AsylG, vgl. oben).
4. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Auf den Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend auf obige Ausführungen zur zumutbaren Fluchtalternative verwiesen. Da dem Kläger eine Rückkehr nach Kabul oder Herat zumutbar ist (vgl. oben), ist eine extreme Gefahr insbesondere im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG mit Blick auf die Lebensunterhaltssicherung erst recht zu verneinen.
5. Da es sich hinsichtlich der Anerkennung als Asylberechtigung, der Zuerkennung von Flüchtlingsschutz und subsidiären Schutzes sowie der Feststellung von Abschiebungsverboten um Verpflichtungsklagen handelt, für deren Begründetheit es maßgeblich auf das Vorliegen eines Anspruchs ankommt, ist unerheblich, ob das Bundesamt noch mehr Dokumente hätte übersetzen müssen. Auf Verfahrensfehler und damit auf die formelle Rechtmäßigkeit des Bescheids kommt es bei einer Verpflichtungsklage nicht an. Im Übrigen sind auch keine Verfahrensfehler des Bundesamts ersichtlich. Das Bundesamt ist nicht verpflichtet, sämtliche Dokumente, auf die es nach seiner Ansicht nicht entscheidungserheblich ankommt, übersetzen zu lassen.
6. Nachdem sich auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG als rechtmäßig erweist, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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