Verwaltungsrecht

Unbegründeter Berufungszulassungsantrag einer Asylbewerberin aus Sierra-Leone

Aktenzeichen  9 ZB 20.31829

Datum:
29.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 26801
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 77 Abs. 2, § 78 Abs. 3, § 83b
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Mit der Frage, ob eine alleinerziehende, sierra-leonische Asylbewerberin, die ein Kind versorgen muss und die nicht beschnitten ist, in Sierra-Leone ein Leben am Rande des Existenzminimums erwirtschaften kann oder ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5, 7 AufenthG festzustellen ist, wird die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht hinreichend dargelegt. (Rn. 3) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

Au 4 K 20.30808 2020-08-13 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung der Kläger wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens je zur Hälfte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (BayVGH, B.v. 29.7.2020 – 9 ZB 20.31477 – juris Rn. 3 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
Für die aufgeworfene Frage, „ob für sierra-leonische Staatsangehörige die als alleinerziehende Mutter ein Kind versorgen müssen, und nicht beschnitten sind, ein Leben am Rande des Existenzminimums erwirtschaften können werden oder ob in solchen Fällen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG festzustellen ist“, ist weder die Entscheidungserheblichkeit noch die allgemeine Klärungsbedürftigkeit ausreichend dargelegt; für die im Zulassungsvorbringen außerdem noch formulierte Frage, „ob für sierra-leonische Staatsangehörige die als alleinerziehende Mutter ein Kind versorgen müssen, ein Leben am Rande des Existenzminimums erwirtschaften können werden oder ob in solchen Fällen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG festzustellen ist“, bei der nicht ausdrücklich ein Zusammenhang zum Thema der Beschneidung hergestellt wird, fehlt es jedenfalls an der substantiierten Darlegung der über den Einzelfall hinausgehende Klärungsbedürftigkeit.
Das Verwaltungsgericht ist – unter Bezugnahme auf den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, in dem unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnismittel die wirtschaftlich schlechte Situation in Sierra Leone ausführlich dargestellt ist (§ 77 Abs. 2 AsylG) – davon ausgegangen, dass der minderjährige Kläger zu 2 nur gemeinsam mit seiner Mutter, der Klägerin zu 1 nach Sierra Leone zurückkehren werde. Die Klägerin zu 1 sei jung, gesund, uneingeschränkt arbeitsfähig. Es sei zu unterstellen, dass sie auf ein soziales Netzwerk (Stiefmutter und ein Onkel) zurückgreifen könne, da ihr Vortrag unglaubhaft gewesen sei. Sie verfüge über eine Berufsausbildung und vierjährige Berufserfahrung als Krankenschwester und sei in der Lage, ein Leben oberhalb des Existenzminimums zu führen. Abgesehen davon, dass sich das Zulassungsvorbringen schon hiermit nicht auseinandersetzt, geht es auch nicht darauf ein, dass das Verwaltungsgericht den Vortrag der Klägerin zu 1 zu einer ihr drohenden Gefahr des erzwungenen Eintritts in eine Geheimgesellschaft oder einer zwangsweisen Beschneidung trotz Erwachsenenalter zudem als nicht kohärent und schlüssig bzw. glaubhaft beurteilt sowie darauf hingewiesen hat, dass es insbesondere in größeren Städten, wo die Klägerin mit Kenema und Bo auch gelebt und gearbeitet habe, viele Menschen gebe, die nicht Mitglied einer Geheimgesellschaft seien. In einer größeren Stadt könne sich die Klägerin zu 1 notfalls auch wieder niederlassen und als Krankenschwester dort Arbeit finden.
Darüber hinaus legen die Kläger nicht anhand überprüfbarer Hinweise auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte Tatsachen- und Erkenntnisquellen (z.B. Gutachten, Auskünfte, Presseberichte, andere Gerichtsentscheidungen) dar, inwieweit die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich ist und warum sie im Berufungsverfahren zu einer vom angefochtenen Urteil abweichenden Entscheidung führen könnte (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2020 – 9 ZB 20.30142 – juris Rn. 3). Zudem ist nicht ersichtlich, dass die aufgeworfenen Fragen überhaupt verallgemeinernd, zumindest im Hinblick auf Umstände bzw. Merkmale, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden (vgl. BayVGH BW, U.v. 26.6.2019 – A 11 S 2108/18 – juris Rn. 30), und nicht nur nach Würdigung der konkreten Verhältnisse im Einzelfall beantwortet werden können (vgl. BayVGH, B.v. 29.7.2020 – 9 ZB 20.31477 – juris Rn. 4).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Mit der nach § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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