Verwaltungsrecht

Unglaubhafte Verfolgungsgeschichte eines afghanischen Flüchtlings

Aktenzeichen  M 4 K 15.30727

Datum:
7.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwGO VwGO § 108 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Die Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen gelingt nicht, wenn widersprüchliche Aussagen über die Fluchtgeschichte und das Alter des Asylsuchenden gemacht werden. (redaktioneller Leitsatz)
2 In Afghanistan besteht eine inländische Fluchtalternative, da in einer Großstadt mit über drei Millionen Einwohnern ein Leben in gewisser Anonymität möglich ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Der Bescheid des Bundesamtes war rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Gewährung internationalen Schutzes, weil die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG sowie des § 4 Abs. 1 AsylG nicht vorliegen. Auch Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht gegeben.
Das Gericht verweist insofern auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheides und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Zusätzlich wird ausgeführt:
1. Soweit der Kläger seine Anerkennung als Flüchtling nach § 3 AsylG beantragt hat, hat dieser Antrag keinen Erfolg.
a) Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.07.1951 (Genfer Flüchtlingskonvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (vgl. hierzu die Legaldefinition in § 3 b AsylG), außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Mit Rücksicht darauf, dass sich der Schutzsuchende vielfach hinsichtlich asylbegründender Vorgänge außerhalb des Gastlandes in einem gewissen, sachtypischen Beweisnotstand befindet, genügt bezüglich dieser Vorgänge für die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene richterliche Überzeugungsgewissheit in der Regel die Glaubhaftmachung. An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.11.1990, InfAuslR 1991, 94, 95; BVerwG, Urteil vom 30.10.1990, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 135; Beschluss vom 21.07.1989, Buchholz a. a. O., Nr. 113).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger seine Verfolgungsgeschichte nicht glaubhaft machen können. Dies hat mehrere Gründe:
– Der Kläger gab in der mündlichen Verhandlung bzw. in seiner persönlichen Anhörung an, bei seiner Ankunft in Afghanistan ca. acht Jahre alt gewesen zu sein. Nach zwei Monaten in seinem Heimatdorf sei er in die Koranschule gekommen, wo er sich sechs Monate und im Camp anschließend 5 Monate aufgehalten habe. Bei seinem Aufenthalt im Camp/der Koranschule sei er älter als neun Jahre gewesen. Selbst wenn man zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass das Alter in seinem Kulturkreis nicht dieselbe Rolle spielt, wie es dies in Deutschland tut, und seine Angaben deshalb möglicherweise nicht auf das Jahr genau sind (was sich auch an den ca. Angaben erkennen lässt), ist das jeweils angegebene Alter des Klägers nicht mit seiner vorgetragenen Fluchtgeschichte in Einklang bringen: So ist er ausweislich seines Geburtsdatums (… Januar 1994, wie auch von der Bevollmächtigten bei Klageerhebung angegeben) im Alter von 18 Jahren am … Oktober 2012 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Bei seiner Ausreise aus Afghanistan im Jahr 2009 muss er daher 15 Jahre alt gewesen sein. Dieser Unterschied von 5-6 Jahren zu den vom Kläger gemachten Altersangaben lässt sich zur Überzeugung des Gerichts jedoch nicht mehr allein auf Einschätzungsschwierigkeiten des Klägers zurückführen. Die Abweichung ist hierfür zu groß. Die Verfolgungsgeschichte erscheint deshalb schon aus diesem Grund unglaubhaft.
– Der Vortrag des Klägers ist zudem widersprüchlich. So gab er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt an: „Ich bin mehrere Stunden gerannt. Dann habe ich Leute gefragt, wo ich bin. Sie haben gesagt, dass ich in … in der Provinz … bin. Dann ging ich in Richtung meines Heimatdorfes.“ In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger dagegen an, mit einem Pickup, einer Art Sammeltaxi, in sein Heimatdorf geflohen zu sein. Es sei zu weit gewesen, um zu laufen. Die Tatsache, dass ein Geschäftsmann ihm geholfen und seine Fahrkarte bezahlt habe, trägt der Kläger hier zum ersten Mal vor.
– Die vom Kläger vorgetragene Verfolgungsgeschichte bleibt zudem auch nach seiner persönlichen Anhörung vor Gericht weiterhin detailarm. Erst auf Nachfragen durch das Gericht und seine Bevollmächtigte äußerte sich der Kläger zu Einzelheiten, bleibt aber auch hier vage. So kann er beispielsweise das Umfeld der Moschee, aus der er geflohen ist, nicht näher beschreiben. Auch seine Zeit in der Koranschule und im Camp bleibt detailarm. Den Eindruck selbsterlebter Ereignisse vermitteln die Schilderungen des Klägers nicht.
b) Darüber hinaus ist das Gericht davon überzeugt, dass dem Kläger mit … eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne von § 3e AsylG zur Verfügung steht.
Bei … handelt es sich um eine Großstadt mit über drei Millionen Einwohnern, in der auch der Kläger weitgehend anonym leben könnte. Auch nach seiner Flucht aus dem Camp konnten die Taliban den Kläger dort nicht finden, sondern mussten erst seinen Vater schicken, um ihn nach Hause zu bringen. Da der Kläger noch als Jugendlicher sein Heimatland verlassen hat, spricht auch einiges dafür, dass sich sein Aussehen soweit verändert hat, dass man ihn nicht ohne weiteres wiedererkennen würde. Das Gericht geht auch nicht davon aus, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan weiterhin als Sohn eines berühmten Sängers aus der Menge herausstechen würde. Dies wäre insbesondere in einer … wie … zur Überzeugung des Gerichts nicht der Fall. Das Gleiche gilt für das Vorbringen der Bevollmächtigten des Klägers, dass dieser in Afghanistan zusätzlich dadurch gefährdet sei, weil man Geld bei ihm vermute. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan müsste der Kläger weder die Verwandtschaft zu seinem Vater offenlegen noch dass er sich über mehrere Jahre im westlichen Ausland aufgehalten hat.
2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i. V. m. § 4 AsylG in Bezug auf Afghanistan zu. Auch insoweit wird auf die zutreffende Begründung im Bescheid und die bereits getätigten Ausführungen zur Glaubwürdigkeit der vom Kläger vorgetragenen Verfolgungsgeschichte verwiesen.
3. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben/vorgetragen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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