Verwaltungsrecht

Untätigkeitsbeschwerde, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristsetzung nach § 82 Abs. 2 Satz 2 VwGO

Aktenzeichen  19 C 22.457

Datum:
5.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 8204
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 82 Abs. 2 S. 3
VwGO § 60

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RN 9 K 21.1624 2022-02-01 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Mit der erhobenen „Untätigkeitsbeschwerde“ erstrebt die Prozessbevollmächtigte des Klägers eine Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht, um eine Entscheidung über den mit Schriftsatz vom 7. Februar 2022 gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der richterlichen Frist zur Mitteilung einer ladungsfähigen Anschrift zu erlangen.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 1. Februar 2022 die auf die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis gerichtete Verpflichtungsklage des Klägers, einem kosovarischen Staatsangehörigen, der mit einem nationalen Visum für eine Beschäftigung als Produktionshelfer im Rahmen der Westbalkanregelung erstmals am 27. Juni 2018 in das Bundesgebiet eingereist ist, und dem am 12. Dezember 2018 eine zuletzt bis zum 28. Juni 2021 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 18 Abs. 3 AufenthG (a. F.) erteilt wurde, deren erneute Verlängerung nach strafrechtlichen Verurteilungen vom 3. Dezember 2019 und vom 3. März 2021 wegen jeweils vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 60,00 EUR sowie zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 50,00 EUR (Fahren ohne Umschreibung des kosovarischen Führerscheins) mit Bescheid der Beklagten vom 13. Juli 2021 abgelehnt wurde, mit der Begründung abgewiesen, es stelle sich bereits die Frage, ob die Klage zulässig sei, da dem Gericht ein Schreiben des freiwillig ausgereisten Klägers vorliege, wonach dieser keinerlei Interesse mehr an rechtlichen Schritten habe und seine Bevollmächtigte bitte, bereits gestellte Anträge und Verfahren zurückzunehmen bzw. zu beenden. Die Klage erweise sich deshalb als unzulässig, weil der derzeitige Aufenthalt des Klägers bzw. dessen Anschrift unbekannt sei, binnen der gemäß § 82 Abs. 2 Satz 1, 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 VwGO gesetzten Frist und auch danach sei seitens der Bevollmächtigten keine ladungsfähige Anschrift des Klägers mitgeteilt worden. Dass es vorliegend an weiterem Kontakt des Klägers zur Prozessbevollmächtigten fehle, lasse nicht auf schwer zu beseitigende Schwierigkeiten schließen, sondern vielmehr darauf, dass seitens des Klägers kein Interesse an einer Rechtsverfolgung sowie an der Aufrechterhaltung des Mandatsverhältnisses mit seiner Bevollmächtigten mehr bestehe. Unabhängig davon sei die Klage jedenfalls unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Juli 2021 erweise sich als rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten, da diesem kein Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 19c Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 26 Abs. 2 BeschV zukomme und sich die angeordneten Maßnahmen auch im Übrigen als rechtmäßig erwiesen. Der Kläger habe durch sein Verhalten unabhängig von der klägerseits in Zweifel gezogenen Strafbarkeit objektiv gegen die Rechtsordnung in Form von §§ 29 und 31 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) verstoßen und damit ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG erfüllt.
Hiergegen hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 7. Februar 2022 beim Verwaltungsgericht Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung gestellt, dass der Kläger ohne Vorankündigung und völlig überraschend in seine Heimat zurückgekehrt sei, ohne der Bevollmächtigten seine neue Anschrift oder seine Handy-Nummer mitzuteilen. Daher sei die unterbliebene Mitteilung der neuen Anschrift nicht der Prozessbevollmächtigten anzulasten. Ebenso wenig stehe fest, dass dem Kläger hinsichtlich der unterbliebenen Kontaktaufnahme zur Prozessbevollmächtigten ein Verschulden zur Last falle; denn er hätte hierzu insbesondere wegen einer Krankheit oder Verletzung außerstande sein können. Daher sei es denkbar, dass die fristgerechte Mitteilung der neuen ladungsfähigen Anschrift des Klägers der Klagepartei unmöglich gewesen sei. Es sei davon auszugehen, dass die gesetzte Frist zur Mitteilung der neuen ladungsfähigen Anschrift des Klägers nicht versäumt worden und die Klage zulässig sei. Da die irrige Annahme einer Fristversäumnis einer wirklichen Fristversäumnis gleichstehe und im Fall einer wirklichen Versäumung der o.g. Frist aufgrund des § 82 Abs. 2 Satz 3 VwGO eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht käme, komme eine solche auch vorliegend in Betracht. Weil also keine Frist versäumt worden sei, sei es nicht möglich, einen Sachverhalt vorzutragen, der es rechtfertigen würde, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen schuldlosen Versäumens einer Frist zu bewilligen. Vielmehr sei es in einem solchen Fall lediglich möglich, im Wiedereinsetzungsantrag die Tatsachen anzugeben, aus denen sich ergebe, dass die in Frage stehende Frist in Wirklichkeit nicht versäumt worden sei. Die zweiwöchige Wiedereinsetzungsantragsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO habe deswegen noch nicht zu laufen begonnen, weil diese Frist erst mit dem Wegfall des Hindernisses zu laufen beginne und man unter einem Hindernis ein Ereignis oder dergleichen verstehe, das die Fristwahrung unmöglich oder unzumutbar mache. Weil vorliegend die einschlägige Frist in Wirklichkeit nicht versäumt worden sei, fehle es an einem weggefallenen Hindernis. Abgesehen davon sei ein Rechtsbehelf im Zweifel allgemein als zulässig anzusehen. Die fehlende Möglichkeit für den Kläger, Kontakt zur Prozessbevollmächtigten aufzunehmen, brauche nicht glaubhaft gemacht werden. Da es von vornherein nicht erforderlich gewesen sei, die neue ladungsfähige Anschrift des Klägers mitzuteilen, müsse dies nicht nachgeholt werden. Hinsichtlich der Begründetheit der Klage sei auszuführen, dass sich der Kläger nicht strafbar gemacht habe.
Mit Schreiben des Verwaltungsgerichts vom 9. Februar 2022 wurde mitgeteilt, dass das hiesige Verfahren durch Urteil vom 1. Februar 2022 abgeschlossen sei, und auf dessen Rechtsmittelbelehrungverwiesen. Es stehe der Prozessbevollmächtigten des Klägers frei, diesbezügliche Argumente im Rahmen eines Zulassungsverfahrens beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vorzubringen. Weiteres sei nicht veranlasst.
Die Prozessbevollmächtigte führte mit Schriftsatz vom 9. Februar 2022 an das Verwaltungsgericht aus, die Instanz sei noch nicht abgeschlossen. In denjenigen Fällen, in denen der Kläger – wie vorliegend – eine Frist zur Mitteilung seiner aktuellen ladungsfähigen Anschrift versäumt habe, komme eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 82 Abs. 2 Satz 3 VwGO in Betracht.
Mit Schreiben vom 10. Februar 2022 hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers Beschwerde gegen die Ablehnung des Verwaltungsgerichts, über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu entscheiden, erhoben. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers rügt, das Unterlassen einer Entscheidung über diesen Rechtsbehelf stehe einer endgültigen negativen Entscheidung über diesen gleich. Ein solches Unterlassen sei stets dann mit der Beschwerde anfechtbar, wenn auch eine Entscheidung über diesen Rechtsbehelf anfechtbar wäre. Vorliegend wäre eine Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags durch einen besonderen Beschluss gesondert mit der Beschwerde nach § 146 Abs. 1 VwGO anfechtbar. Folgerichtig sei auch die Weigerung, überhaupt eine Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag zu treffen, ebenfalls mit der Beschwerde anfechtbar. Unter dem 25. Februar 2022 wurde zum Zweck der Nachholung eines ordnungsgemäßen Abhilfeverfahrens die Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht beantragt. Am 28. Februar 2022 teilte die Prozessbevollmächtigte die aktuelle ladungsfähige Anschrift des Klägers, die vom Landgericht L. mitgeteilt worden sei, mit. Mit Schreiben vom 17. März 2022 wurde weiter ausgeführt, es handle sich um eine Untätigkeitsbeschwerde, die sich nicht gegen einen Beschluss richte, sondern gegen ein schlichtes gerichtliches Schreiben, mit dem eine Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt worden sei. Auf die gerichtliche Aufforderung, einen Nachweis darüber zu erbringen, dass die Rechtsverfolgung weiter dem Interesse des Mandanten entspricht, teilte die Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 26. März 2022 mit, ihr Mandant habe sie mit Schreiben vom 16. November 2021 gebeten, alle noch anhängigen Verfahren zu beenden. Eine Prozessvollmacht sei jedoch als Einheit zu betrachten und könne nicht auf die Rücknahme von Rechtsmitteln beschränkt werden. Es spiele keine Rolle, ob die Rechtsverfolgung dem Interesse des Mandanten entspreche oder weiterhin Kontakt zu diesem bestehe. Die weitere Rechtsverfolgung sei für den Mandanten von Nutzen, so dass ein Rechtsschutzbedürfnis weiterbestehe.
Diese Rügen greifen nicht durch; die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Dahinstehen kann, ob das von der Prozessbevollmächtigten ausdrücklich als „Untätigkeitsbeschwerde“ erhobene Rechtsmittel zulässig ist, während trotz ausdrücklichen Hinweises des Verwaltungsgerichts vom 9. Februar 2022 auf die Rechtsmittelbelehrungdes Urteils vom 1. Februar 2022 gegen das Urteil selbst kein Rechtsmittel eingelegt wurde.
Eine Nichtentscheidung ist vom Wortlaut des § 146 Abs. 1 VwGO nicht erfasst; eine Untätigkeitsbeschwerde sieht die Verwaltungsgerichtsordnung nicht vor (vgl. BVerwG, B.v. 30.1.2003 – 3 B 8.03 – juris Rn. 1; OVG NRW, B.v. 22.4.2009 – 8 E 147/09 – juris Rn. 8 ff.; B.v. 2.7.2007 – 7 E 684/07 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 11.12.2007 – 14 C 07.2924 – juris Rn. 8; VGH BW, B.v. 20.3.2003 – 12 S 228/03 – juris Rn. 6 ff.). Die Zulässigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde lässt sich nur für den Fall erwägen, dass die im Unterlassen einer erbetenen Entscheidung liegende Untätigkeit des Gerichts der Sache nach einer Rechtsschutzverweigerung gleichkommt, die mit dem Gebot des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, Rechtsschutz innerhalb angemessener Frist zu gewähren, nicht mehr vereinbar ist (vgl. BVerfG, B.v. 16.1.2003 – 1 BvR 2222/02 – juris Rn. 3; OVG NRW, B.v. 22.4.2009, a.a.O. Rn. 10 m.w.N.).
Im Hinblick auf die eröffnete Rechtsschutzmöglichkeit, gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 1. Februar 2022 Antrag auf Zulassung der Berufung zu stellen, worauf das Verwaltungsgericht mit Schreiben vom 9. Februar 2022 explizit hingewiesen hat, besteht vorliegend keine Rechtsschutzlücke, so dass die Statthaftigkeit der gleichwohl ausdrücklich erhobenen „Untätigkeitsbeschwerde“ statt eines Antrags auf Zulassung der Berufung aus Gründen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht geboten erscheint.
Gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden; gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags auf Wiedereinsetzung die Vorschriften anzuwenden, die für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Über die Wiedereinsetzung durch gesonderten Beschluss zu befinden, ist – soweit diese Entscheidungsform nicht wie in §§ 80 ff., § 123 Abs. 4, § 124a Abs. 5, § 125 Abs. 2, § 144 Abs. 1 VwGO für das Verfahren in der Sache selbst ausdrücklich vorgesehen ist – nicht zulässig (vgl. BayVGH, B.v. 4.12.2017 – 10 ZB 16.997 – juris Rn. 13 m.w.N.). Eine die Wiedereinsetzung versagende Entscheidung kann mit dem Rechtsmittel angefochten werden, das gegen die Entscheidung über die nachgeholte Prozesshandlung eröffnet ist (§ 173 S. 1 VwGO i. V. m. § 238 Abs. 2 S. 1 ZPO; vgl. Bier/Steinbeiß-Winkelmann in Schoch/Schneider, VwGO, Stand: 7/2021, § 60 Rn. 77).
Trotz des Hinweises des Verwaltungsgerichts auf das gegen das Urteil bestehende Rechtsmittel wurde gegen das Urteil vom 1. Februar 2022 kein Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt.
Weiter kann dahinstehen, ob für die vorliegende Rechtsverfolgung überhaupt ein Rechtsschutzinteresse besteht, nachdem der Kläger mit Schreiben vom 16. November 2021 an seine Prozessbevollmächtigte das Mandatsverhältnis gekündigt und diese aufgefordert hat, sämtliche Anträge zurückzuziehen und alle noch anhängigen Verfahren unverzüglich zu beenden. Die Prozessbevollmächtigte führt mit Schreiben vom 26. März 2022 aus, es spiele keine Rolle, ob die Rechtsverfolgung dem Interesse des Mandanten entspreche oder ob ein Kontakt zu diesem fortbestehe, und interpretiert den Auftrag ihres Mandanten, sämtliche Verfahren unverzüglich zu beenden, offensichtlich in das Gegenteil, ohne Rücksicht auf den Willen des Mandanten Verfahren fortzuführen bzw. in dessen Namen neue Verfahren einzuleiten.
Der Senat lässt offen, ob in Anbetracht dessen und der Tatsache, dass der Kläger gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil kein Rechtsmittel eingelegt hat, noch ein Rechtsschutzbedürfnis für die mit der Beschwerde verfolgte Wiedereinsetzung in die richterliche Frist zur Ergänzung der Angaben besteht.
Ein Wiedereinsetzungsgrund in die richterlich gesetzte Frist zur Angabe der aktuellen ladungsfähigen Anschrift des Klägers nach § 82 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 60 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 VwGO ist jedenfalls nicht glaubhaft gemacht; die erstrebte Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht ist daher weder zweckmäßig noch verfahrensökonomisch.
Ist ein Kläger ohne Verschulden gehindert, eine nach § 82 Abs. 2 Satz 2 VwGO gesetzte Ausschlussfrist zur Ergänzung der Mindestangaben einer Klage (ladungsfähige Anschrift als notwendige Bezeichnung des Klägers) einzuhalten, ist ihm nach § 82 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 60 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
„Verschulden“ i.S.v. § 60 VwGO ist anzunehmen, wenn der Beteiligte die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (stRspr; vgl. BVerwG, B.v. 26.6.2017 – 1 B 113.17 u.a. – juris Rn. 5 m.w.N.). Eine etwaige Fehlvorstellung des Klägers über seine Obliegenheit, für das Gericht durch Angabe der aktuellen ladungsfähigen Anschrift erreichbar zu sein, ist nicht unverschuldet. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass mangelnde Rechtskenntnis eine Fristversäumnis in aller Regel nicht entschuldigen kann (BVerwG, B.v. 15.8.2017 – 4 B 38.17 – BeckRS 2017, 123291 Rn. 6, beck-online). Hat sich die Anschrift des Klägers während des Verfahrens geändert, so besteht schon aufgrund der Mitwirkungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 VwGO) die Verpflichtung, dem Gericht eine entsprechende Mitteilung über seinen neuen Aufenthaltsort zu machen. Dies gilt selbst dann, wenn der Kläger anwaltlich vertreten ist oder im Falle einer Abschiebung. Auch im Falle einer Aufenthaltsbeendigung entfällt die Pflicht zur Angabe der Anschrift nur dann, wenn deren Erfüllung ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. Hierzu bedarf es der konkreten Darlegung, dass der Angabe der Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse entgegenstehen (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2007 – 19 ZB 06.2329 – juris Rn. 6 unter Verweis auf BVerwG U.v. 13.4.1999 – 1 C 24/97 – juris). Bei voraussehbarer längerer Abwesenheit, wovon bei einer Aufenthaltsbeendigung im Wege der freiwilligen Ausreise auszugehen ist, müssen Vorkehrungen dafür getroffen werden, dass eine in dieser Zeit in Gang gesetzte Frist nicht versäumt wird und die Erreichbarkeit des Betroffenen gewährleistet bleibt (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 60 Rn. 30; Czybulka/Kluckert in Sodan/Ziekow, NK-VwGO, 5. Aufl. 2018, § 60 Rn. 51).
Nach diesen Maßgaben ist vorliegend nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger ohne Verschulden verhindert war, die richterliche Frist zur Ergänzung der Angabe der aktuellen ladungsfähigen Anschrift einzuhalten:
Der Kläger ist am 18. November 2021 freiwillig in sein Heimatland zurückgekehrt. Entgegen dem Beschwerdevorbringen erfolgte diese Ausreise nicht „plötzlich“ und aus „unvorhersehbaren Gründen“, sondern planvoll. Der Kläger hat sich gegenüber der Ausländerbehörde vorab am 16. November 2021 zur freiwilligen Ausreise bereiterklärt; aus diesem Grund wurde eine (erneut für den 17.11.2021) terminierte Rückführung storniert. Vor seiner Ausreise am 18. November 2021 hat der Kläger mit Schreiben vom 16. November 2021 an seine Bevollmächtigte das Mandatsverhältnis gekündigt und diese beauftragt, sämtliche Anträge zurückzunehmen und anhängige Verfahren unverzüglich zu beenden. Hätte der Kläger trotz seiner freiwilligen Ausreise eine weitere Rechtsverfolgung gewünscht, woran in Anbetracht des klägerischen Schreibens an seine Bevollmächtigte vom 16. November 2021 Zweifel bestehen, hätte es ihm im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht oblegen, eine weitere Erreichbarkeit für seine Prozessbevollmächtigte zu gewährleisten und nach Wohnsitznahme im Heimatland seine geänderte Anschrift mitzuteilen. Eine Mitteilung seiner geänderten ladungsfähigen Anschrift erfolgte im Nachgang der freiwilligen Ausreise jedoch über Monate hinweg nicht. Der Kläger hat bis zum heutigen Tag keinen Kontakt mit seiner Prozessbevollmächtigten mehr gesucht. Mit gerichtlichem Schreiben vom 27. Januar 2022 wurde der Kläger unter Fristsetzung bis zum 31. Januar 2022 aufgefordert, die aktuelle ladungsfähige Anschrift zu benennen. Mit Schreiben vom 27. Januar 2022 teilte die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit, dass ihr die aktuelle Anschrift des Klägers nicht bekannt sei und sich der Kläger mangels Rechtskenntnis zu einer solchen Angabe nicht veranlasst sehe. Von der nach § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 224 Abs. 2 ZPO bestehenden Möglichkeit, eine Verlängerung der Frist zur Ergänzung der Angaben zu beantragen, hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers keinen Gebrauch gemacht.
Soweit die Prozessbevollmächtigte anführt, es stehe nicht fest, dass dem Kläger hinsichtlich der unterbliebenen Kontaktaufnahme zur Bevollmächtigen ein Verschulden zur Last falle, da er hierzu „insbesondere wegen einer Krankheit oder Verletzung außerstande sein könnte“, werden damit keine konkreten Umstände dargelegt, mit denen eine schuldlose Fristversäumung glaubhaft gemacht wird. Nach § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO sind die Tatsachen zur Begründung des Antrags bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen, bloße Mutmaßungen über mögliche Erkrankungen oder Hinderungsgründe genügen hierfür nicht. Die Tatsache, dass der Kläger trotz seiner im Vorfeld geplanten freiwilligen Ausreise weder Vorkehrungen getroffen hat, weiterhin für seine Prozessbevollmächtigte erreichbar zu sein, und auch nach mehreren Monaten nach seiner Rückkehr ins Heimatland weder Kontakt zur Prozessbevollmächtigten oder dem Gericht aufgenommen noch seine aktuelle Anschrift mitgeteilt hat, lässt eine Schlussfolgerung auf schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder ein schuldloses Hindernis des Klägers nicht zu, sondern spricht in Übereinstimmung mit der Auffassung des Verwaltungsgerichts vielmehr dafür, dass seitens des Klägers kein Interesse an einer Rechtsverfolgung mehr besteht. Verzieht der Kläger nach unbekannt, ohne nachfolgend über Monate hinweg mit seiner Prozessbevollmächtigten Kontakt aufzunehmen, kann dies ein Anzeichen dafür sein, dass dessen Rechtsschutzinteresse weggefallen ist (vgl. BVerwG, U.v. 6.8.1996 – 9 C 169/95 – BVerwGE 101, 323-328, Rn. 12; BayVGH, B.v. 4.8.2021 – 10 CE 21.1469 – juris Rn. 8). Eine etwaige bloße Unkenntnis des Klägers über die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten stellt sich nicht als ein schuldloses Versäumnis dar.
Es sind damit keine Tatsachen dafür glaubhaft gemacht, dass der Kläger ohne Verschulden gehindert war, die richterliche Frist zur Ergänzung der aktuellen ladungsfähigen Anschrift einzuhalten.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedurfte es im Hinblick auf § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum GKG nicht.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 1 VwGO).


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