Verwaltungsrecht

Untätigkeitsklage – Aussetzung des Verfahrens

Aktenzeichen  W 6 K 16.30180

Datum:
1.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 43744
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 75 S. 3
RL 2013/32/EU § 31
AsylG AsylG § 4
AufenthG AufenthG § 60 V, VII 1

 

Leitsatz

Die im Jahr 2015 exorbitant gestiegene Anzahl an Asylantragstellern stellt eine außergewöhnliche Belastung für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dar, die es rechtfertigt, das Verfahren befristet auszusetzen, um eine Entscheidung über den Asylantrag zu ermöglichen (Einzelfallentscheidung). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Das Verfahren wird bis zu einer Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, längstens bis zum 23. Juli 2016, ausgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am 23. Oktober 2014 einen Asylfolgeantrag. Der Klägerbevollmächtigte forderte die Beklagte zuletzt unter Fristsetzung auf, über den Asylantrag zu entscheiden.
Am 16. Februar 2016 ließ der Kläger beantragen:
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutz entsprechend § 4 AsylG zuzuerkennen, weiterhin hilfsweise festzustellen, dass ein nationales Abschiebungshindernis hinsichtlich des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegt, hilfsweise innerhalb einer Frist von drei Monaten über den am 5. Oktober 2014 gestellten Asylantrag zu entscheiden, hilfsweise den Kläger innerhalb einer Frist von drei Monaten zur Anhörung zu laden.
Zur Begründung ließ der Kläger vorbringen: Trotz mehrfacher Aufforderungen habe das Bundesamt bislang nicht reagiert.
Mit Schriftsatz vom 22. Februar 2016 beantragte die Beklagte,
das Verfahren für einen angemessenen Zeitraum auszusetzen.
Zur Begründung brachte die Beklagte vor, dass im Hinblick auf die enorme Arbeitsbelastung des Bundesamtes selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich um einen Folgeantrag handele, dieser ein noch nicht „altes“ Verfahren darstelle.
Das Gericht übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 16. Februar 2016 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
II.
Das Verfahren war gemäß § 75 Satz 3 VwGO bis zu einer Entscheidung der Beklagten, angesichts der Zeitdauer des Asylverfahrens des Klägers jedoch längstens bis zum 23. Juli 2016, auszusetzen, weil ein zureichender Grund dafür vorliegt, dass die Beklagte noch nicht entschieden hat.
Denn nach § 75 Satz 3 VwGO setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist aus, wenn ein zureichender Grund dafür vorliegt, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen wurde. Das Gericht hat im Einzelfall zu prüfen, ob ein ausreichender Grund für die Untätigkeit vorliegt. Hierbei ist auf den konkreten Fall abzustellen; alle Umstände sind abwägend zu bewerten. Dabei hat das Gericht hinsichtlich der Frage, ob die Frist angemessen ist bzw. ob ein zureichender Grund für die Verzögerung der Entscheidung vorliegt, einen gewissen Beurteilungsspielraum (vgl. etwa VG Ansbach, B. v. 19.10.2015 – AN 4 K 15.31145 – juris; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, § 75 Rn. 8).
Im vorliegenden Einzelfall ist ein zureichender Grund im Sinne des § 75 Satz 3 VwGO für die Verzögerung der Entscheidung der Beklagten zu bejahen. Ausgehend vom Zeitpunkt der Antragstellung (betreffend den Asylfolgeantrag) ist eine außergewöhnliche Belastung der Beklagten zu konstatieren, die diese wiederholt plausibel dargelegt hat. Gerade im Jahr 2015 – bis dahin waren ab Antragstellung noch keine drei Monate verstrichen – kam es zu einer exorbitanten Steigerung der Asylantragstellerzahlen. Die Beklagte hat darauf einerseits mit organisatorischen Maßnahmen und andererseits mit deutlichen Personalmehrungen reagiert, um der drastisch gestiegenen Asylbewerberzahl Rechnung zu tragen. Ergänzend ist auf die Fristen in der Verfahrensrichtlinie der Europäischen Union (Art. 31 RL 2013/32 EU) hinzuweisen, die ausgehend vom Oktober 2014 noch nicht abgelaufen sind.
Die Länge der vom Gericht gesetzten Frist von knapp sechs Monaten bestimmt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalles. Eine Aussetzung des Verfahrens – längstens bis zum 23. Juli 2016 – erscheint unter Berücksichtigung der wechselseitigen Belange sachgerecht, um der Beklagten sowohl die Anhörung als auch die Entscheidung über den Asylantrag des Klägers zu ermöglichen. Die Frist deckt sich zwar nicht mit der vom Klägerbevollmächtigten beantragten Entscheidungsfrist von drei Monaten, jedoch sind angesichts der wohl erforderlichen und vom Klägerbevollmächtigten hilfsweise beantragten Anhörung weitere knapp drei Monate als angemessen zu veranschlagen, zumal damit auch die maximale Bearbeitungsfrist von 21 Monaten gem. Art. 31 Abs. 5 RL 2013/32 EU gewahrt bleibt (vgl. auch VG Hannover, B. v. 11.1.2016 – 7 A 5037/15 – juris).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben