Verwaltungsrecht

unzulässige Änderung des Klageantrags im Berufungszulassungsverfahren, Widerspruchseinlegung durch einfache E-Mail, keine Pflicht zur nochmaligen Belehrung über Formerfordernisse

Aktenzeichen  4 ZB 21.1847

Datum:
23.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30964
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 43 Abs. 2 S. 1
VwGO § 70 Abs. 1 S. 1
VwGO § 74 Abs. 1 S. 2
VwGO § 91
VwVfG § 3a Abs. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

B 4 K 20.98 2021-05-19 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 2.676,22 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung von Grabnutzungsgebühren in Höhe von 2.002,00 Euro auf der Grundlage eines Bescheids vom 16. August 2017 sowie gegen diesbezügliche Nebenforderungen der Beklagten in Höhe von 674,22 Euro.
Gegen den Bescheid vom 16. August 2017 wandte sich der Kläger mit einer an die Beklagte gerichteten E-Mail vom 23. August 2017 und trug vor, er müsse für Ruhefristen nichts bezahlen, da die Grabstätte eine Stiftung seiner Familie sei. In der Folgezeit wurden dazu zwischen dem Kläger und der Beklagten weitere E-Mails ausgetauscht sowie persönliche Gespräche geführt.
Nachdem die Beklagte den Kläger mehrfach erfolglos zur Zahlung aufgefordert, ihm die Vollstreckung hinsichtlich der Verwaltungsgebühren sowie der Säumniszuschläge und der Mahngebühren angedroht und schließlich den Gerichtsvollzieher auf der Grundlage eines Ausstandsverzeichnisses mit der Vollstreckung beauftragt hatte, erhob der Kläger am 29. Januar 2020 beim Verwaltungsgericht Klage mit den Anträgen (I.) festzustellen, dass er nicht zur Zahlung von 2.676,22 Euro verpflichtet sei, (II.) den Bescheid vom 16. August 2017 in Höhe von 2.002,00 Euro für ungültig zu erklären und (III.) das Ausstandsverzeichnis der Beklagten vom 10. Dezember 2019 aufzuheben.
Mit Urteil vom 19. Mai 2021 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Die auf Feststellung gerichtete Klage sei nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO unzulässig, da die in der Gesamtforderung von 2.676,22 Euro enthaltenen Teilbeträge jeweils von der Beklagten festgesetzt bzw. – hinsichtlich der Säumniszuschläge – kraft Gesetzes entstanden seien, so dass dagegen eine Anfechtungsklage bzw. eine auf Erlass eines Abrechnungsbescheids nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a KAG i. V. m. § 218 Abs. 2 AO gerichtete Verpflichtungsklage statthaft gewesen sei. Die auf Ungültigerklärung des Bescheids vom 16. August 2017 gerichtete, als Anfechtungsklage auszulegende Klage sei wegen Ablaufs der Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO unzulässig. Gegen den Bescheid sei kein Widerspruch in der nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforderlichen Form erhoben worden. Die E-Mail vom 23. August 2017 genüge weder der Schriftform noch der elektronischen Form nach § 3a Abs. 2 VwVfG; der Kläger habe auch nicht formwirksam zur Niederschrift bei der Beklagten Widerspruch erhoben. Ebenfalls unzulässig sei die Klage auf Aufhebung des Ausstandsverzeichnisses vom 10. Dezember 2019, da darin kein Verwaltungsakt liege; es handle sich um eine rein innerbehördliche Mitteilung an den Gerichtsvollzieher.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung.
Die Beklagte tritt dem Antrag entgegen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
a) Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Kläger hat keinen einzelnen tragenden Rechtssatz und keine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt (zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – BVerfGE 151, 173 Rn. 32 m.w.N.).
aa) Der Kläger trägt vor, die Feststellungsklage sei nicht allein darauf gerichtet, den streitgegenständlichen Bescheid vom 16. August 2017 für ungültig zu erklären, sondern auch auf die generelle Festlegung, dass Zahlungspflichten zur Entrichtung von Grabnutzungsgebühren für den Kläger und seine Rechtsnachfolger nicht gegeben seien. Der weitere, als Anfechtungsklage auszulegende Antrag sei ebenfalls zulässig und begründet. Der Kläger habe bei der Beklagten sowohl mündlich vorgesprochen und Widerspruch erklärt als auch innerhalb der Monatsfrist eine E-Mail übersandt und dargetan, dass er den Gebührenbescheid ablehne. Die Bediensteten der Beklagten seien angehalten gewesen, den Widerspruch des Klägers aufzunehmen und gegenzeichnen zu lassen; ihr Verhalten sei demnach rechtswidrig und widerspreche Treu und Glauben. Bei den Vorsprachen bzw. nach Erhalt der E-Mail hätte man den Kläger wenigstens noch einmal hinsichtlich der Formerfordernisse belehren müssen. In den Jahren 2002 und 2013 habe er bei Gebührenbescheiden ebenfalls mündlich interveniert, woraufhin man die damaligen Forderungen nicht weiterverfolgt habe. Es sei rechtsmissbräuchlich, wenn sich die Beklagte nunmehr darauf berufe, dass Formerfordernisse nicht eingehalten seien; für den Kläger habe ein Vertrauenstatbestand vorgelegen. Aus seinem Auftreten sei ohne Zweifel erkennbar gewesen, dass er einen Widerspruch erhoben habe. Hinsichtlich des gesetzlichen Schriftformerfordernisses sei im Übrigen auf den Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Bundesgerichte vom 5. April 2000, GmS-OGB 1/98, zu verweisen.
bb) Diese Ausführungen sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung zu begründen.
(1) Soweit der Kläger seinen beim Verwaltungsgericht ausdrücklich gestellten (nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO unzulässigen) Antrag auf Feststellung, dass er nicht zur Zahlung der geforderten 2.676,22 Euro verpflichtet sei, nunmehr dahingehend verstanden wissen will, dass es auch um die allgemeine Verpflichtung zur Zahlung von Grabnutzungsgebühren gehe, handelt es sich um eine im Berufungszulassungsverfahren unzulässige Klageänderung im Sinne des § 91 VwGO. Gegenstand des Zulassungsverfahrens kann nur der Streitgegenstand der erstinstanzlichen Entscheidung sein, da es in diesem prozessualen Zwischenverfahren allein um die Frage geht, ob ein Grund für die Eröffnung des Berufungsverfahrens dargelegt und in der Sache gegeben ist (BayVGH, B.v. 23.1.2014 – 8 ZB 12.64 – juris Rn. 6; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 125 Rn. 29 m.w.N.).
(2) Das Verwaltungsgericht hat auch das weitere Klagebegehren auf Ungültigerklärung bzw. Aufhebung des Bescheids vom 16. August 2017 in Höhe von 2.002,00 Euro zu Recht als unzulässig abgewiesen, da die Klagefrist von einem Monat nach Bekanntgabe des Bescheids (§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO) zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 29. Januar 2020 bereits abgelaufen war.
Ein (noch nicht verbeschiedener) formwirksamer Widerspruch, der den Eintritt der Bestandskraft hätte verhindern können, lag entgegen der Auffassung des Klägers nicht vor. Die noch innerhalb der Monatsfrist des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO bei der Beklagten eingegangene E-Mail vom 23. August 2017 hätte zwar möglicherweise ihrem Inhalt nach den Anforderungen an eine Widerspruchseinlegung genügt. Sie erfüllte aber jedenfalls nicht die gesetzlich vorgeschriebenen Formerfordernisse. Es handelte sich nicht um einen Widerspruch in schriftlicher Form (vgl. BVerwG, U.v. 25.1.2021 – 9 C 8.19 – BayVBl 2021, 563 Rn. 41), sondern um eine rein elektronisch erfolgte Übermittlung des Widerspruchs, an deren Wirksamkeit der Gesetzgeber mit dem Verweis auf § 3a Abs. 2 VwVfG spezielle Anforderungen gestellt hat, die hier unstreitig nicht erfüllt sind (vgl. HessVGH, B.v. 3. 11.2005 – 1 TG 1668/05 – NVwZ-RR 2006, 377 m.w.N.). Auf die anerkannte Möglichkeit einer formwirksamen Übermittlung bestimmender Schriftsätze durch elektronische Übertragung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift (vgl. GemSOGB, B.v. 5.4.2000 – GmS-OGB 1/98 – NJW 2000, 2340) kann sich der Kläger hier schon deshalb nicht berufen, weil diese Rechtsprechung sich nicht auf die in der Verwaltungsgerichtsordnung besonders geregelte Einlegung von Widersprüchen bezieht; im Übrigen war seiner E-Mail vom 23. August 2017 auch keine eingescannte Unterschrift beigefügt. Die nachfolgenden persönlichen Vorsprachen des Klägers können – unabhängig von der Frage, ob sie noch innerhalb der Monatsfrist des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO stattgefunden haben – schon deshalb nicht als formwirksame Widerspruchseinlegung verstanden werden, weil sie nur mündlich erfolgt sind und nicht zur Aufnahme einer entsprechenden behördlichen Niederschrift geführt haben.
Die Bediensteten der Beklagten waren entgegen der Auffassung des Klägers nicht verpflichtet, ihn über die für einen Widerspruch geltenden Formerfordernisse nochmals zu belehren. Bereits die dem Bescheid vom 16. August 2017 beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung:enthielt den allgemeinen Hinweis, dass eine Widerspruchseinlegung in elektronischer Form (z. B. durch E-Mail) unzulässig sei. Dass sich der Kläger gleichwohl dieser Übermittlungsform bediente und dabei in seiner E-Mail vom 23. August 2017 noch nicht einmal eindeutig zu erkennen gab, einen förmlichen (und daher ggf. kostenpflichtigen) Rechtsbehelf einlegen zu wollen, lag allein in seiner Verantwortung. Es ist im Übrigen weder vorgetragen noch aus den Unterlagen ersichtlich, dass er innerhalb der Monatsfrist um Beratung oder Mithilfe bei der beabsichtigten Einlegung eines Widerspruchs gebeten haben könnte. Unter diesen Umständen bestand für seine Gesprächspartner innerhalb der Behörde auch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) keine Veranlassung, ihn von Amts wegen darüber aufzuklären, dass seine mündlich und mittels einfacher E-Mail erhobenen Einwände nicht genügten, um den Eintritt der Bestandskraft des Gebührenbescheids zu verhindern.
Der Kläger kann sich im vorliegenden Zusammenhang auch nicht darauf berufen, dass er in früheren Jahren vergleichbare Gebührenforderungen schon aufgrund mündlicher Interventionen habe abwenden können. Es stand der Beklagten frei, ihre Rechtsauffassung hinsichtlich einer möglicherweise bestehenden persönlichen Gebührenfreiheit des Klägers zu ändern. Für diesen bestand daher kein – auf einer behördlichen Selbstbindung beruhender – Rechtsanspruch auf Beibehaltung der bisherigen Vollzugspraxis. Der Kläger konnte auch kein Vertrauen dahingehend entwickeln, dass er eine Überprüfung bestattungsrechtlicher Gebührenbescheide weiterhin ohne ein ordnungsgemäßes Widerspruchsverfahren würde erreichen können. Für die Beklagte bestand ungeachtet ihres früher gezeigten Entgegenkommens jedenfalls keine Verpflichtung, sich mit dem nicht formgerecht eingelegten Widerspruch inhaltlich auseinanderzusetzen. Die Formvorschrift des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO steht nicht dergestalt zur Disposition der Behörde, dass sie einen Bescheidsadressaten durch ihr Verhalten schon im Vorhinein von der Einhaltung dieser gesetzlich zwingenden Zulässigkeitsanforderung freistellen könnte.
b) Die Rechtssache weist auch weder besondere rechtliche Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) noch kommt ihr grundsätzliche Bedeutung zu (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die vom Kläger insoweit aufgeworfene Frage, ob aus altrechtlichen Schenkungs- und Überlassungsverträgen Verpflichtungen (des Friedhofsträgers) zu einer unentgeltlichen Grabnutzung abgeleitet werden können, stellt sich im vorliegenden Verfahren nicht, da die Klage aus den oben genannten Gründen bereits unzulässig ist.
c) Es liegt auch kein Verfahrensmangel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO vor, der zur Zulassung der Berufung führen könnte. Dass das Verwaltungsgericht den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Zeugeneinvernahme der Bediensteten der Beklagten mangels Entscheidungserheblichkeit abgelehnt hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat selbst nicht vorgetragen, dass er den Widerspruch formwirksam schriftlich oder zur Niederschrift bei der Beklagten eingelegt habe. Die als Zeugen benannten Personen hätten daher nur bestätigen können, dass er in mündlicher Form Einwände gegen den Bescheid vom 16. August 2017 erhoben hat.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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